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Karin Koppensteiner 22.08.2024 Allgemein, Literatur Keine Kommentare
Freundschaft Genossin! ist eine abstrakte Skulptur aus Wörtern und Leerschlägen. Nun liegt sie fest in einem Objekt, dem Buch. Wenn nicht jemand dieses Buch aufschlägt und zu lesen beginnt, ist diese Klang-Skulptur verschwunden, sind die Satzzeichen ohne Bedeutung, ist das Erzählte ein lebloser Traum, gedruckt auf Papier. Erst durch das Lesen entsteht das Leben der Zeichen.
Das neue Buch ist eine Liebeserklärung an die Welten-Träumer dieser Erde. Oder: Ein Gebilde aus Ideen, Ängsten, Glück, Wunsch & Sehnsucht, verwoben mit spiegelgleicher Realität?
Während das neue Buch seine Wege in die Welt findet und der Sommer langsam vergeht, hole ich Bücher aus einem Regal in meinem Büro, lege sie auf den Schreibtisch, sortiere. Welche Bücher von denen, die meine Arbeit an Freundschaft! beeinflusst haben, stelle ich ins Regal zurück? Welche bringe ich weg?
Hier unten sind Abbilder nur einiger der Bücher, die mich beim Schreiben von Freundschaft! besonders genährt haben und die bleiben. Andere werden bleiben, weil ich sie schon lange besitze und sie Teil meines Lebenstraums geworden sind.
Karin Koppensteiner 06.07.2024 Allgemein Keine Kommentare
Sie schauen auf das Foto einer Türe. Aufgenommen habe ich diese Tür im Kathmandu-Tal in Nepal 2020. Sie symbolisiert hier auf dieser Seite den Zugang zu meinem BLOG-Archiv.
Hinter diesem kurzen Blog-Beitrag können Sie, weiter zurück blätternd, virtuelle Räume betreten. Zuerst kommen sie zu einem Beitrag, in dem ich meine BLOG-Aktivität als vorübergehend beendet verabschiede.
Wenn Sie dahinter weiterlesen wollen, klicken sie jeweils unterhalb des Beitrags auf Vorheriger Artikel. Sie finden ihren Weg durch alle Blog-Beiträge von 2022 bis 2015. Irgendwann erreichen Sie das Ende des Archivs, den ersten Artikel.
Fast alle Blog-Beiträge waren meiner Lehrtätigkeit oder dem künstlerischen Prozess des literarischen Schreibens und meiner kritischen Auseinandersetzung damit gewidmet.
Meine Blog-Aktivität ist hiermit wieder NEU eröffnet.
Karin Koppensteiner 24.11.2022 Allgemein Keine Kommentare
DIESE BLOG-SERIE IST MIT DEZEMBER 2022 ZU ENDE GEGANGEN.
Der Menüpunkt «BLOG» wurde in «BLOG – ARCHIV» umbenannt. Der folgende ist nach sieben Jahren der letzte BLOG-Beitrag auf dieser Web-Seite.
Seit Januar 2015 schreibe ich auf dieser Website regelmässig zum Thema Schreiben – entweder im Zusammenhang mit meinen Workshops für „Kreatives Leben und Schreiben“, oder, wie in den letzten beiden Jahren, über das Entstehen eines Romans. Es sollte der dritte Teil einer Trilogie werden. Der Arbeitstitel lautete «Freundschaft Genossin». Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine, der mich in seiner Vielschichtigkeit und Wortgewalt einige Monate sprachlos machte, hat die Textsammlung nun einen neuen Arbeitstitel bekommen. «Das Buch der Liebe» kommt langsam aus dem Aschenregen der alten Version hervor.
Die Idee der BLOG – Beiträge der letzten Jahre war es, Menschen, deren Arbeit nicht «Das Schreiben» ist zu vermitteln, wie diese Schreib-Arbeit sich langsam, über Stunden, Tage, Monate, Jahre, Jahrzehnte abwickelt. Mit Zeiten des Schaffens, der Inspiration und mit Zeiten der Alltagsarbeit, Korrekturen, Zweifel, des Weitermachens.
Nun beginnt für mich eine neue Schaffensperiode. Ich habe nicht nur mein Atelier/Büro im Bienenhaus auf unserem Grundstück entrümpelt. Es sind zum Beispiel drei grosse Plastiksäcke mit Büchern aus den Regalen geholt und weggebracht worden. Noch vieles mehr ändert sich, jetzt.
Auch diese Website habe ich verändert. Einige Menüpunkte sind ganz verschwunden, beispielsweise «Workshops 2022» – denn Workshops will ich im Moment keine mehr abhalten. Ich suche neue Wege. Der erste Schritt von den ausgetretenen alten Pfaden weg ist schon der Beginn einer neuen Reise ins Ungewisse.
Ich werde hier vorläufig keine neuen BLOG-Beiträge mehr aufschalten. Nach sieben Jahren veröffentliche ich heute den letzten BLOG-Beitrag auf dieser Seite. Auch das ist ein Teil der äusseren Veränderungen in meiner Arbeitswelt. Das BLOG Archiv bleibt noch bis auf weiteres zugänglich. Indem frau auf den sich jeweils untenhalb des Beitrags befindenden Link «Vorheriger Artikel» klickt kann man von der Gegenwart in die Vergangenheit reisen.
Uns allen wünsche ich einen wunderbaren Jahresübergang von 2022 auf 2023, viel Inspiration, Freude und Liebe! Auf Wiedersehen!
Karin Koppensteiner 13.09.2022 Allgemein Keine Kommentare
Diese BLOG-BEITRÄGE widme ich seit circa zwei Jahren einem Thema: Der Arbeit des kreativen Schreibens, speziell der Frage: «Wie entsteht ein Roman?» Heute veröffentliche ich den Blog als eine Brief-Postkarte aus meinen Ferien im Unterengadin (CH).
Seit Monaten lebte ich mit der Vorfreude auf den dreiwöchigen Aufenthalt im Hochgebirge.
Die Bergkraft ist für mich jedes Mal überraschend stark, auch diesmal. Stunden in der kargen Felsenlandschaft der Alpen, das wiederholte Überschreiten der «Baumgrenze», die Farben, der weite Himmel – in den ersten Tagen entsteht langsam ein Gefühl der Stärke, des Genährt-Werdens, des Zuhause-Seins und der Bodenhaftung.
Ich bewege mich hier viel und oft auch an meinen körperlichen Grenzen, ermüde mich, entspanne, ruhe. Mit offenen Sinnen begegne ich den Felsen, dem Bergwasser, den Tieren der Bergwelt, sogar den Berg-Hühnern oder der Herde Alpgeissen, deren Käse wir seit zwei Wochen essen.
Mit Sicht durch das Fenster auf Felsengipfel und grüne Almen, Lärchenwälder und nasses Gestein lese ich mich in Regenstunden durch Material, das ich «schon lange lesen wollte». Ein Buch über Bäume als Klimaretter war dabei, das mich sehr nachdenklich gestimmt hat und auch eines meiner Kernthemen der Roman-Trilogie betrifft: «Was ist Wildnis?».
Ich lese viel, auch unerwartetes: In der «Engadiner Post» etwa einen Artikel über das Treffen des «World Ethic Forum» (wef) in Pontresina. Neue Eindrücke bringen mich auf neue Spuren, spielerisch folge ich nach, recherchiere, lese weiter.
Dann folgen Tage, an denen ich meist draussen bin, und, ohne viel zu denken, meditatives Gehen übe, viel Sonnenschutz auftrage und meinen Durst mit wildem Bergwasser stille. Müßiggang wechselt sich ab mit anstrengenden Bergtouren und mit langen morgendlichen Meditations-Sitzungen in unserer kleinen Familiengruppe.
Stunden der Ruhe nutze ich für Recherchen im Internet, zum Beispiel über den «Naturbegriff», oder «Bäume» und auch «neue philosophische Richtungen/Trends». Erstaunlich für mich war eine Erkenntnis über mein Schreiben, die ich in der letzten Woche hatte: Was ich seit 2015 publiziere gehört, so lernte ich, eindeutig in die wiederbelebte philosophisch-literarische Richtung des «Green Writing». Als ich mich allerdings genauer mit dieser «neuen Strömung» beschäftigte, fand ich nichts, was nicht schon sein Jahrzehnten Teil meines Lebens und Schreibens war: Es scheint sich um ein neues Etikett für alte und neue Schriften (& Kurse) zu handeln. Doch dahinter steht wohl eine tiefe Sehnsucht nach Ganzheit, die wir alle, mehr denn je, jetzt, erleben.
In der kleinen Buchhandlung/libreria «poesia clozza» in Scuol fand ich vor einigen Tagen ein schmales Taschenbuch, eine schöne Übersetzung. «Vom Wandern» ist der Titel des Essays, von H.D.Thoreau. Ich habe gestern Abend damit begonnen in einem kleinen Kreis von Menschen ein Buch vorzulesen, das mich bewegt. Das war eine wärmende und nährende Erfahrung von Gemeinschaft, wieder.
H.D. Thoreaus «Walden» habe ich 1975 im englischen Original gelesen. Thoreau war einer jener Autoren, die die mich in meiner Zeit nach der Film-Akamedie, als ich auf der Suche nach meinen eigenen Geschichten war, sehr stark beeinflusste, zusammen mit P.P. Passolini, A. Artaud, I. Bachmann, P. Celan und vielen anderen. Nach dem Studium an der dffb in Berlin lebte ich im Waldviertel (A) auf einem gemieteten Bauernhof, lernte von einer alten Bäuerin das Wolle-Spinnen, legte einen Gemüsegarten an, während ich gleichzeitig meinen ersten grösseren Dokumentarfilm plante und Mutter einer kleinen Tochter wurde. Das war Ende der 1970er Jahre.
Als ich 2013 die Trilogie «Der Pilgerweg heim» zu schreiben begann, war deshalb der Name der Bahnstation am Grünen See «Walden» – als meine Hommage an Thoreau und auch R.W. Emerson. Die Themen Wildnis, Liebe und Natur – und ihre Grenzen – waren und sind die zentralen Themen der Roman-Trilogie. Kurz bevor ich in die Ferien gefahren war, hatte ich entschieden, den dritten Teil der Trilogie, der beinahe fertig war, radikal umzuschreiben. Aufgrund der politischen Ereignisse hatte ich auch den Titel geändert, von «Freundschaft Genossin» in «Das Buch der Liebe». Im Mittelpunkt der Erzählung steht eine Gruppe von Menschen, die eine schönere Welt erschaffen wollen, eine, die ihre Herzen eigentlich kennen. Die Elemente der Natur, aus welchen unser Planet, aber auch die natürlichen Phänomene, wie wir sie wahrnehmen, zusammengesetzt sind, geben den Rhythmus vor: Wasser, Luft, Erde, Feuer und – der weite Raum.
Die Ferien in den Bergen sind für mich eine willkommene Unterbrechung der literarischen Arbeit, aber auch ein Moment des Innehaltens und Lauschens – auf das, was wir «Natur» nennen. Die Bergwelt, in der ich mich bewege, wirkt sehr heilsam auf mich.
Doch: Kann unsere «natürlich Umwelt» sich selbst heilen? Kann sie uns Menschen helfen, die extremen Wunden, die wir uns als Kollektiv, als Menschheit, in den letzten 500 Jahren geschlagen haben zu heilen? Wo kippt dieser Wunsch in Wunschdenken? Wo kippt unsere Vorstellung von «Natur» in unheilvolle Fantasien von «Natürlichkeit»?
Werde ich auch für diese neu begonnene Arbeit am dritten Teil jenen Medizin-Beutel schnüren können, den ich zum Schreiben brauche? Denn nur so, davon bin ich überzeugt, kann ein wirklich transformierender Prozess im Leser, in der Leserin stattfinden. Damit «Das Buch der Liebe» nicht nur ein weiteres Buch wird, ein Stück Konsum-Kultur.
Karin Koppensteiner 08.08.2022 Allgemein Keine Kommentare
Kürzlich schrieb ich für mich Zusammenfassungen der drei Teile der Trilogie: «Der Pilgerweg heim», «Bonsai» und vom unvollendeten Teil 3 «Freundschaft Genossin». Meine Gedanken zu diesem dritten Teil der Trilogie veröffentliche ich hier.
Neue Perspektiven: Die Fotos in diesem Beitrag sind Fotografien einer rosa Rosa, die ich nachts fotografierte. Ich machte die Aufnahmen, ohne auf die Verschlusszeit der Kamera zu achten. Die erscheinenden Bilder haben mir eine neue Sicht auf das Phänomen Bild geschenkt, auf das, was hinter der offenbaren Realität an Sichtungen für mich zu finden ist. Diese «Verschiebung von Wahrnehmung» hat mich ispiriert und neu mit meinen Kraftquellen in Verbindung gebracht.
Ich hatte anfangs nur eine vage Vorstellung des Themas dieses dritten Teils der Trilogie, Titel «Freundschaft Genossin», als ich im Winter 2020/2021 die Arbeit begonnen habe. Es sollte eine Sammlung von Erzählungen werden. «Das Kollektiv», «Wir Menschen gemeinsam», «Freundschaft und Solidarität» als Lebensthemen und Utopien, um die Gesellschaft vor ihrer vor hunderten von Jahren begonnenen und nun rasend gewordenen Selbst-Zerstörung zu bewahren. Idee: Junge und Alte bündeln ihre Kräfte gemeinsam in einer kraftvollen Bewegung, für nachhaltigen Wandel in der Gesellschaft.
Zu Beginn der Arbeit nahm ich Orte der Handlung und einige Figuren aus den Teilen 1 «Der Pilgerweg heim» und 2 «Bonsai» wieder hervor: Den Grünen See, das Seehotel, Adelheid und Franco, und John, das Boot, die Felswände. Am Grünen See wollte ich ein Gruppenereignis in Romanform inszenieren, eventuell ein Theaterstück im Roman? Junge KlimastreikerInnen, BiologInnen und die Alten vom Grünen See erzählen einander Geschichten von einer schöneren Welt, die ihre Herzen bereits kennen. Sie treffen sich dazu in einem alten Garten, den die Jungen neu anlegen, während draußen in der Welt, am anderen Seeufer, Pandemie und zum Teil Ausgangsbeschränkung herrscht.
Doch bald verstörte mich, die ich täglich die Zeitung, aber auch andere Medien als Quelle der Information benutzte, die Spaltung meiner Umgebung und scheinbar auch ganzer Länder in sich verhärtende Gruppen: Vax und No-Vax, Geheimbündler, Verschwörungsgeschichtenerzähler, Angstbessessene, gewaltbereite Fascho-Mysthiker, Surfer auf der Welle der Unsicherheit, um nur einen Teil des Spektrums zu nennen. Die westliche Welt zerfiel innerhalb kurzer Zeit in offizielle Gruppen von «Überlegenen versus Idioten» in allen Lagern. Der Tonfall wurde immer gewaltbereiter. Information, bisher ein Schlüssel zur Kenntnis von Tatsachen, mutierte zu einfacher Lüge, bewusste oder weniger bewusste. Immer öfter wurden nur einzelne Tortenstücke aus der sogenannter Realität ans Licht geholt und zu Tode kritisiert. Angeheizt von Falschmeldungen aus Trollfarmen und Bots, viel Ängstlichkeit, bewusst gesteuertem Informationschaos und allgemeiner Verwirrung wurde die Welt, vor allem die der Internetmedien, zu einer Art Vorhölle der Emotionen. Ein Krieg lag in der Luft. Anstatt gemeinschaftlicher Anstrengung zur Überwindung der multiplen Krisen, anstatt das unglaubliche, das unübersichtliche und möglicherweise nicht mehr zu rettende Weltgetriebe zu betrachten, zerfiel die Welt vor mir in eine Art geistige und emotionale Sektenkultur!
Die von mir begonnenen – und beinahe schon zu Ende erzählten – Geschichten vom Grünen See wirkten dagegen naiv, unrealistisch und hoffnungslos altmodisch. Liebe, was ist das?
Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, und vor allem das Narrativ, mit welchem der Überfall gerechtfertigt wurde, brachte das Schreiben am dritten Band der Trilogie endgültig zum Stillstand. Meine Sprache hatte jeden Wert, jede Fähigkeit zur Wahrhaftigkeit verloren, zumindest vorübergehend. Deshalb legte ich «Freundschaft Genossin» zur Seite, zuerst nur abwartend. Nach einigen Monaten war klar, dass ich entweder etwas ganz anderes schreiben wollte – als Antwort auf das aktuelle Weltgeschehen, das mich sehr beschäftigte, oder gar nichts mehr. «Freundschaft Genossin» im Licht der neuen akuten Ereignisse gespiegelt erschien mir blauäugig und naiv.
Statt zu schreiben las ich sehr viele, teils philosophische Bücher, und begann immer mehr Zeit in meinem verwilderten Gemüsegarten zu verbringen – auf der Erde sitzend, oder stehend, Wachsen und Aufblühen und Verwelken betrachtend, manchmal auch fotografierend oder filmend. Ich ging über unser Grundstück, saß irgendwo im Heu, hörte den Grillen zu.
„Ich werde jetzt Blumenschreiberin“ schrieb ich eines Tages in mein Arbeitstagebuch, und: „Vielleicht werden ja zwischen den von mir geschriebenen Blumen, Gräsern und Bäumen einige meiner Figuren wieder auftauchen können – vielleicht aber auch nicht.“
Im Juni 2022 begann ich spontan mit einem neuen Versuch: Das Schreiben selbst, das Arbeitstagebuch, wurde zum Thema, und die Pflanzen, mit denen ich meinen Alltag teile. Die ersten Seiten schon brachten die Hoffnung, dass ich intuitiv navigierte, und dass im Schreiben vielleicht auch «die Liebe, die gütige Freundschaft zu allen Lebewesen» wieder auftauchen könnte.
«Freundschaft Genossin» als eine Synthese von politischem Statement, Poesie, Pflanzenwelten und Mutter Erde?
Karin Koppensteiner 21.07.2022 Allgemein Keine Kommentare
Noch im BLOG-BEITRAG von Juni habe ich darüber geschrieben, dass der letzte Band der Trilogie bald fertiggeschrieben sein werde. (Unterhalb dieses Beitrags ist ein Link zum jeweils vorhergegangenen Beitrag.) Nicht ganz unerwartet wandelte der Text aber plötzlich Gestalt. Es war dramatisch. Jahrelange Arbeit schien mir plötzlich Sinn und Gestalt zu verlieren. Ich war erstaunt, erschöpft, verunsichert und auch enttäuscht. Im Laufe der Wochen danach, und als schwere Geburt wandelte sich der Text vollkommen. Hier ist ein Auszug der neuen Version des Romans, der bisher den Arbeitstitel «Freundschaft Genossin» trug.
Eine tiefgehende Veränderung fand an einem Mohnblumentag statt: Umgeben von dunkelroten und orangefarbenen Blüten stand ich im unteren Teil des Gartens, stand auf der Erde, die mich und alle Menschen fraglos trägt. „Ich benötige keinen interstellaren Pass, um auf diesem Planeten Erde sein zu dürfen, keine Eignungs-Prüfung, keine Zulassung, kein Leumundszeugnis, keine Sprachkenntnisse. Diese Mutter Erde, unser wunderbarer blauer Planet, trägt mich fraglos, trägt uns alle grosszügig und ohne Unterscheidungen zwischen uns zu treffen.“ Ganz deutlich war die Erkenntnis in diesem Moment, und auch schmerzlich. Im Mohnblumenrot des Mittags stand ich unter blauem Himmel, stand lange, setzte mich auf einen der Felstritte, sass, in der Stille.
Im Schreiben wie im Gärtnern war ich in eine Sackgasse geraten. Hatte es mit dem russisch-ukrainischen Krieg zu tun? Mit der endlosen Pandemiegeschichte, mit den Trollfarmen im Internet, mit der mir neu erscheinenden Fragilität der Demokratie als Lebensform? War ich zornig, war ich traurig?
Vom Garten ging ich direkt ins Büro und schrieb einen Satz: «Ab heute bin ich Blumenschreiberin.»
Und:
«Ich will dem Garten keine Gärtnerin mehr sein!»
Ich stieg vom illusorischen Thron der Herrscherin des Gartens und des Schreibens herab – auf die Erde. Je mehr ich die Vorstellung, Gärtnerin eines Gartens zu sein aufgegeben habe, umso klarer erscheint seither im Garten das Gewebe der Welt, das glitzernde Spinnen-Netz der Kunst. Blut und Erde, Krieg und Frieden, Hunger und Rosenduft und Holz, Rucola und kleine Raupen, Lavendel, Kohlweisslinge, Nützlinge, Schädlinge, Metamorphosen, Weisheit, was noch?
Heute ist ein Gewitter aufgezogen. Blitze und Donner dauerten nur kurz, zogen weiter. Im Frühsommerregen sitze ich nun unter dem Vordach im Freien, verzaubert, im Augenblick. Als sähe ich alles zum ersten Mal. Die Felsplatten, die zwischen den Beeten durch den Garten führen, hatten anfangs dunkle Punkte von den ersten Regentropfen. Jetzt glänzen sie regennass, schimmern grünlich. Wo genau ist diese Wolke des heftigen Regens? Ist sie genau über mir, oder schon weitergezogen? Wie lange dauert es, bis der Regen nach seiner feuchten Geburt aus den Wolken bis auf dieses Stück Erde rauscht, herunter zu mir? Existiert Zeit für einen Regenschauer? Leben die die Regenwolken und ich in verschiedenen, übereinanderliegenden Welten?
Wassertropfen fallen klingend auf das Vordach. Im Garten fallen die letzten Mohnblüten unter dem Regen. Dunkelrot und nass liegen sie wie verstreute Seidenstücke.
Bis gestern war Mohnblumenzeit.
Karin Koppensteiner 10.06.2022 Allgemein Keine Kommentare
Worum geht es in meinen Blog-Beiträgen? An dieser Stelle stand bisher oberhalb oder unterhalb des Haupttextes eine kurze Beschreibung: «Meine BLOG-Beiträge sind seit dem Jahr 2020 der Entstehung meines Buch-Projektes «Freundschaft Genossin» gewidmet.» Seit einigen Tagen befinde ich mich in die Endphase der Arbeit an diesem Text. Wenige Blog-Beiträge zu diesem Buch wird es noch geben. Ist der Text fertig, beginnt eine neue Zeit für mich. Der letzte Teil der Trilogie wird dann abgeschlossen sein.
Die Mohnblüten in unserem Gemüsegarten weisen mir den Weg. Ich schreibe: «Es ist ein Tag in der Mohnblumenzeit.» Mit diesem Satz beschreibt die fiktive Autorin den Tag, an dem sie damit beginnt, die zerborstenen Kulissen des kleinen Welttheaters am Grünen See wieder zusammenzudichten.
Die Arbeit am dritten Band der Trilogie dauert nun bereits zweieinhalb Jahre, so lange ungefähr erzähle ich auch in diesem BLOG über das Projekt «Freundschaft Genossin!» Ich wollte in diesen BLOG-Beiträgen die Arbeit einer Autorin, also von mir, für die LeserInnen und für Schreib-Interessierte greifbarer machen.
«Ich will den Text endlich abschliessen!» Immer öfter in den letzten Monaten wartete ich beinahe schon ungeduldig, dass das Ende sich zeigen würde. Die Geschichten, welche die ProtagonistInnen einander im Gemüsegarten unterhalb des Seehotels erzählten, waren alle aufgeschrieben. Mit dem einen, dem zu vielten, Krieg in Europa, und den vorhergegangen, sich über Jahre hinziehenden Social-Media-Manipulationen haben sie ihre Unschuld verloren. Es hatte mir einige Tage die Sprache verschlagen.
Beinahe zufällig kamen die Rhinozerosse ins Geschehen! Sie erschienen gleichzeitig mit der heftigen Ernüchterung der Autorin: Wie kann ich in Zeiten, wo Lüge und Wahrheit verwoben erscheinen, in einer glitschigen Symbiose vereint, als unwirklich schillernde Neugeburten von schrecklichen Welten in Erscheinung tretend – wie kann ich in diesen Zeiten eine «eindeutige» Geschichte erzählen wollen?
Die Kulissen am Grünen See waren definitiv zerrissen. Sollte ich aufgeben?
Kurze Zeit später trieb eine Autorin in einem alten Boot auf dem Grünen See. «Ich sitze in dem Boot, das sonst meine ProtagonistInnen benutzen», schrieb sie, «Ich schaue zur Felswand hinüber. Alles scheint äusserlich so wie immer zu sein.»
Die surrealen Ereignisse, die zur Zerstörung des kleinen Welttheaters am kleinen See und fast aller Kulissen geführt hatten, konnte sie nur ahnen – und dokumentieren.
Damit begann im Mai 2022 eine neue Version von «Freundschaft Genossin». Eine fiktive Autorin der Geschichten meldet sich zu Wort. Sie mischt sich, sichtbar und hörbar geworden, in ihre Geschichte ein. Sie erzählt davon, wie es war, als die Rhinozerosse aus dem Wald kamen und wie es ist, Geschichten zurückerobern zu müssen, die bereits geschrieben waren. (Mehr zum Erscheinen der Nashörner kann in den beiden vorhergehenden BLOG-Beiträgen nachgelesen werden.) Eine ihrer Fragen steht am Anfang: «Wird es später noch Geschichten geben?»
Ich stellte in der Folge noch weitere Fragen: «Werden sich, in dieser Zeit surrealer Sprachfische aus dem Internet, überhaupt noch Geschichten zeigen? Oder werden sie sich vor uns Menschen verbergen, so wie es bereits die Drachen, die Weisen und die Liebenden tun?»
Eine weitere Frage, der ich begonnen hatte nachzugehen, tauchte auf als ich in meinem Arbeitstagebuch vom April blättere und mehrere Zeichnungen von Einhörnern und Rhinozerossen fand. Einem dieser Mischwesen hatte ich Flügel gezeichnet und daneben geschrieben:
«Sind geflügelte Rhinozerosse Komiker?»
The Marx Brothers
Wenig später tauchte dann für mich die Antwort auf, als ich an einem Nachmittag ganz ohne Absicht in einem bequemen Liegestuhl im Halbschatten lag und in den blauen Himmel hinaufschaute: «Ja, sie könnten Komiker sein, – anarchisch-zerstörerisch-unschuldig auf die Geschichten einwirken, ein bisschen wie die Marx Brothers.» Ich sah in der Erinnerung einige Szenen von Filmen, die ich vor vielen Jahren mit viel Aufmerksamkeit und mehr als einmal angesehen hatte.
Die fliegenden Nashörner könnten das Element der Zerstörung und Ausrottung poetisch-clownesk transformieren und so das Erscheinen jener neuen Welt vorbereiten, von dem meine jugendlichen ProtagonistInnen sagen, es könnte «die schönere Welt sein, die mein Herz kennt».
Und: Vielleicht könnten sie wirklich fliegen!?
Karin Koppensteiner 07.05.2022 Allgemein Keine Kommentare
Inspiration gehört zur Kunst – aber auch in den Alltag
Wirtschaftskrise, Klimakrise, Krieg, Elend in Afrika, in Asien, einige Jahre Covid-Pandemie, Waldbrände, Überschwemmungen, noch ein Krieg, Klimakrise. Wir leben als Kollektiv in harten Zeiten, jeder von uns ist gefordert. Improvisieren, sich bescheiden, und sich, auch politisch, nicht mehr auszukennen ist für uns verwöhnte Mitteleuropäer neu. Verschärft wird die Situation seit wenigen Jahren noch durch selbsternannte «Welterklärer» in den sozialen Medien.
Nicht nur mir, sondern auch vielen anderen Menschen, die ich kenne, fehlt es immer öfter an Inspiration. Ich fühle mich dann tagelang etwas «flügellahm». Der einzige Weg, den jede für sich persönlich aus den diversen Dilemmas finden kann, so sehe ich das, führt über Einfachheit, Klarheit, Herzensgüte, Kreativität – und Inspiration.
Eine Kursteilnehmende hat mich kürzlich während eines Workshops gefragt, wie es für mich ist, mit der Inspiration. Ob ich auch immer ein Notizheft bei mir führe, damit ich schnell alles aufschreiben kann, wenn die Inspiration auftaucht?
Ich wusste nicht so recht, was antworten. Ja, ich trage seit meiner Jugend meistens eine Art Notizbuch mit mir. Es ist ein kleines Heft, in welchem ich aber mittlerweile eher Einkaufslisten notiere, oder, beim Lesen unterwegs, Zitate aus Texten herausschreibe. Gelegentlich findet auch ein Gedicht oder ein besonderer Satz den Weg in das Heft für unterwegs.
Meine Antwort an diesem Tag fiel daher etwas dürr aus: die Kunst-Arbeit sei eben mein Beruf, da arbeite ich kontinuierlich, mit und ohne Inspiration. Und: „Man kann auch Tonaufnahmen mit dem Handy machen…“
Und die Inspiration? Ist sie wirklich nötig?
In Zeiten wie diesen scheint diese Frage fast überflüssig: Natürlich brauche ich Inspiration zum Leben! Sonst werden die Tage eine schale Angelegenheit, ein repetitives sich Einfügen in die Geschehnisse, die scheinbar von anderen diktiert werden.
Inspiration ist für mich auch eine Erfahrung von innerer Freiheit, ein Moment in welchem aus etwas, mit dem ich mich beschäftige, und für das ich keine Lösung finde, etwas Neues, Unerwartetes hervortaucht. Eine innere Weite stellt sich ein, neue Sichten, tiefes Durchatmen. Es ist ein klar erkennbares, wenn auch kurzes Ereignis. Kraft wird dadurch hervorgerufen, die sich in meiner Arbeit, in meinem Leben, ausbreitet. Danach fällt alles auf seinen Platz, wie von selbst. Geht es ums Schreiben, scheint die Geschichte sich selbst zu erzählen. Ich brauche nur zu schreiben. Menschen die mit dem Begriff «Flow», auch aus dem Sport, vertraut sind und solche Momente erlebt haben, wissen, wovon ich hier schreibe.
Ich will inspiriert sein und andere Wesen inspirieren, auch im Verlauf meines Alltags. Ich lächle, zum Beispiel. Auch in der Öffentlichkeit. Sicherlich hat meine tägliche buddhistische Praxis der letzten vier Jahrzehnte beigetragen, dass ich diese innere Weite hervorholen kann, die Freiheit, in meinem Alltag sanft aber bestimmt ja oder nein zu sagen.
Manchmal erscheinen inspirierte Momente beim Gehen oder in Gesprächen mit anderen Menschen. Beim Lesen kann ich Inspiration in Büchern finden, die mich berühren – oder sie erscheint in der Stille eines Zimmers an einem Winternachmittag. Sogar beim Kochen kann es diese Momente geben, wenn einige Zutaten, die gerade zur Hand sind, sich bereits in meiner Fantasie zu einem ungewöhnlichen Gericht kombinieren, und ich während des kreativen Zubereitens nur noch mit dem Geruchssinn die einzelnen Gewürze dazu aussuche – und es dann köstlich schmeckt.
Was benötige ich, um einen Zustand der Inspiration zu finden? Sicherlich vor allem eine entspannte Umgebung, innere Ruhe und auch ein Gefühl von Angenommen-sein in der Welt. Mich selbst annehmen, Selbstwert in dem, was ich gerade mache. Es gibt einige Orte, die ich aufsuchen kann, wenn mir die Inspiration für meine Arbeit ganz abhandengekommen ist: einen Wald, einen See, eine Stadt, ein schönes Museum, ein Museums-Café.
Vor einigen Tagen war ich an einem meiner Lieblingsorte in der Schweiz, dem Museum Rietberg in Zürich. Ich hatte gerade Zeit genug, um einige jener antiken Figuren zu besuchen, deren Betrachtung mich immer wieder berührt. Im Untergeschoss des Neubaus, in der ausgestellten Sammlung, ging ich zuerst zu den drei etwa fünfzig Zentimeter großen Tänzerinnen aus Terrakotta, ein Fund aus China. Vielleicht, weil es wirklich nur ein kurzer Besuch bei ihnen war, fielen mir diesmal die Gesichter und der Gesichtsausdruck jeder der Tänzerinnen besonders auf. Ich stand nahe bei ihren Gesichtern, durch eine Glasscheibe von ihnen getrennt.
Sie haben die Armbewegungen von Tanzenden, ihre Gesichter wirken nicht unbedingt han-chinesisch. „Die sind ja tieftraurig!“, dachte ich. Mein Herz öffnete sich beim Betrachten für einen Moment «aller Trauer». Es kam eine Welle der Zeit. Ich spürte den Gruß eines Keramikkünstlers – über mehr zwei Jahrtausende hinweg – spürte seine Trauer, erfühlte, wie er oder sie jedes dieser Gesichter mit einem eigenen Ausdruck zeitlosen Ernstes versah. Dieses berührt werden, und mich berühren lassen beim Betrachten asiatischer Tonskulpturen aus dem 3. Jhd. v.Chr. wirkt noch immer nach.
Ich sage: „Es war eine besondere Art der Inspiration.“ Sie wird, bei Gelegenheit, wenn ich an «Freundschaft Genossin» weiterschreibe, wieder hervorkommen und etwas in die Entstehung der Geschichte einbringen.
Was es sein wird, weiß ich noch nicht.
Doch ich freue mich darauf.
Diese Serie von BLOG-Beiträgen ist seit dem Jahr 2020 der Entstehung meines Buch-Projektes «Freundschaft Genossin» gewidmet.
Karin Koppensteiner 19.04.2022 Allgemein Keine Kommentare
Diese Serie von BLOG-Beiträgen ist seit dem Jahr 2020 der Entstehung meines Buch-Projektes «Freundschaft Genossin» gewidmet. Davor, seit 2014, waren andere Themen im Mittelpunkt, auch meine Workshops und Kurse.
In den letzten zwei Jahren haben wir weltweit grosse Veränderungen erlebt. Jede und jeder von uns hatte eine neue Welt im eigenen Alltag zu verarbeiten. Zuerst war es die Covid-19 Pandemie, tiefe Einschnitte in die Arbeitswelt, die schmerzliche Spaltung unserer Gesellschaft via Internet und sozialen Medien. Lügenmeldungen als Neuigkeiten, dreist, das war für mich in Mitteleuropa doch auch neu.
Auch bei mir, wie bei vielen Menschen, fand am Anfang dieser unbedingten Krise eine radikale Einkehr statt. 2020, im ersten «Lockdown» mit viel Kontemplation, Entspannung, und Ungewissheiten über die Art der Covid-19 Viren.
Als ich zu meinem Geburtstag 2022 gezwungen war, einen weiteren Krieg in mein Blickfeld aufzunehmen, einen zweiten Überfall Russlands auf die Ukraine, hat plötzlich auch die etwas schwerfällig gewordene Arbeit an «Freundschaft Genossin» unerwartete neue Dynamiken erlebt.
Die Idylle am Grünen See war gesprengt worden.
«Freundschaft Genossin» – diesen Titel hatte ich kurz vor Beginn dieses Schreib-Projekts, spielerisch, an einem 1. Mai ausgewählt. Der Titel stand am Anfang dieses Buchprojekts. Es sollte um das warme Gefühl des Herzens gehen, unerlässlich für alle Schwierigkeiten, finde ich. Freundschaft, Fürsorge für andere, Solidarität, Miteinandersein und füreinander einzustehen waren die ersten Themen für ein Buch, begonnen in einer internationalen gemeinsamen Covid-Krise. Nun hat der Titel einen doppelten Boden bekommen – die Genossen Russen machen Krieg – und was und wieviel hat das mit mir zu tun? Reicht es nun, angesichts der neuen Weltlage, die Kräfte des Herzens zu beschwören, wie in «Freundschaft! Genossin»?
Anfang dieses Jahres 2022 hatte ich eine Serie von kurzen Geschichten beisammen gehabt. Fast alle wurden von meinen Figuren direkt erzählt. Diese «Figuren» – das sind die Protagonisten aus den beiden vorhergegangenen Teilen der Trilogie, etwa John, Silvia oder Franco und neu eine Gruppe junger «KlimastreikerInnen und Rebellinnen», die ein Sommercamp am Ufer des Grünen Sees eingerichtet haben.
Jeden Abend – im Buch ist noch teilweise Lockdown wegen der Covid-Pandemie – erzählt jemand eine Geschichte – in einem idyllischen, wiederbelebten Gemüsegarten, zwischen Trockensteinmauern – umgeben von einem Gartenzaun. Eine Inspiration war sicherlich Boccaccios „Decameron“ Während der Pest-Epidemie im 14. Jahrhundert, flieht eine Gruppe junger Menschen aufs Land, in die Nähe von Florenz. Dort erzählen sie einander, leicht gelangweilt, frivole Geschichten, um am Leben zu bleiben.
Die Frivolität fehlt meinen Figuren – den jungen Rebellinen. Sie leben jetzt, nicht damals. Sie hinterfragen unsere westliche Lebensweise in ihren Erzählungen, aber sie finden dabei auch zu ihren eigenen Kraftquellen.
Für die jungen Aktivisten in ihrem Zelt-Camp gab es bittere Fragen ohne fertige Antwort. 2022 kann niemand einfach nur noch im Weltuntergang zaubern, empört sein, vegan essen und täglich stand-up-paddeln auf dem Grünen See. Und der wilde Garten, Zitat für «das Gezähmte» seit dem ersten Teil «Der Pilgerweg heim», lief plötzlich Gefahr zum Witz in einer Apokalypse des Sarkasmus zu werden.
«Sorry!», sagte ich eines Tage im März 2022 zu meinen Roman-Figuren: «Sorry, wir haben hier in der Produktion aufgrund der Weltlage ein gröberes Problem, und ich kann mich vorübergehend nicht mehr um euch kümmern.»
Ich lieh mir das Boot aus, das sonst eigentlich meine Figuren verwenden. An einem kalten Frühlingstag fuhr ich mit Walensee-Heidi hinaus auf den Grünen See. Dort, auf der Oberfläche des Grünen Sees, mit der Kraft von Felsen und Wasser, entspannte ich mich, Blick in die Wellen, ins Wasser, zur Felswand, auf den See, in die Berge.
Wie kann ich mit Sprache erzählen, die beliebig geworden ist, und, oft unerkannt immer mehr eine Propagandasprache wird? (Siehe vorhergehenden BLOG vom 7. März)
Ratlosigkeit anzuerkennen und sie sein zu lassen hilft mir immer!
«Was auftaucht: Es ist Teil meiner Welt, es darf jetzt sein!» Das ist für mich eine wichtige Übung im Umgang mit Schwierigem.
Am Tag nach dem Ausflug auf den See liess ich mich im Büro auf das Zeichnen und Malen ein. Grossformatige Blätter lagen bereit, Buntstifte, Ölkreiden, Acrylfarben.
Wortlos nahm die Inspiration ihren freien Lauf: Einige Rhinozerosse rasen in Panik quer durch das Gebiet um das ‘Seehotel’.
Als Kulissen hängt danach das verbrauchte Ambiente von «Pilgerweg heim» schief am Ufer. Der Gartenzaun, schon vorher alt und schief gewesen, ist nun kaputt. Das Ambiente aus den vorhergehenden Büchern enthüllt ihr wahres Sein, eine Kulisse – eine Illusion. Das Sommercamp ist teilweise flachgetrampelt.
Sogar die wilde Felswand oberhalb des «Seehotels» bekam einen Riss.
Auf einer der Zeichnungen betrachtet die Autorin vom See aus, in einem kleinen Boot sitzend, die Ereignisse am Ufer: Es ist das definitive Ende einer letzten Idylle.
Trotzdem werde ich den Namen der Bahnstation am anderen Seeufer auch im dritten Teil der Trilogie beibehalten: «Walden».
Ich kann die Blüten betrachten, die auf einem zerhackten Informationsfluss schaukeln. Das ist Politik, das ist Manipulation, das muss ein Irrtum sein, oder? «Radikales Staunen» über mein Nichtverstehen setzte in den Tagen nach meinem Ausflug auf den See und den Zeichnungen ein – die gewollte Ratlosigkeit setzte einen Schub kreativer Energie frei.
«Ich werde weiterschreiben, aus ganzem Herzen. Ich werde die begonnenen Geschichten in die Welt setzen, in die neue europäische Welt, wie sie jetzt ist.»
Soll das entstehende Buch weiterhin den Titel «Freundschaft Genossin!» tragen?
Wohin mit den Rhinos?
Ist das Ganze ein Theaterstück?
Welcher Krieg ist das?
Auch diese Fragen an mich selbst setzten Energie frei.
Ich lese noch einmal das unfertige Manuskript von «Freundschaft Genossin!», finde, dass der Text eigentlich schon recht gut ist – dass er aber meiner momentanen Sicht auf die Ereignisse der Welt nicht mehr genügte.
Wie geht’s jetzt weiter?
Karin Koppensteiner 07.03.2022 Allgemein Keine Kommentare
“Wahrheit ist ein Konzept und relativ», sagte der bekannte chinesische Künstler Ai Weiwei, anlässlich seiner kürzlich in Cambridge eröffnete Einzelausstellung «The Liberty of Doubt».
Portrait, verändert
Schreibe ich Lügen?
Als Kunstschaffende bewege ich mich sehr viel im Reich imaginierter oder zerlegter und neu zusammengesetzter Wirklichkeiten.
Manchmal fragen mich LeserInnen, ob es das Ziegental am Grünen See tatsächlich gibt und ich sage, nein, oder ob der Ort «Mondez» aus Bonsai real sei und ich antworte, dass ich die letzten 20 Jahre oft im Unterengadin war, Mondez aber ein erfundener Ort ist. Genau hier, in der zwielichtigen Zone zwischen «erfunden und erfunden» möchte ich mit meinem BLOG-Beitrag diesmal ansetzen.
Ich erlaube mir bei meiner Kunstarbeit Welten zu erschaffen. Die Eigenschaften von drei Menschen, die ich kenne, in eine Figur zu verwandeln und diese in ihrer neuen «Realität» zu begleiten und zu beobachten, wie sie sich weiterentwickelt. Es gibt in diesen gewebten Welten der Kunstarbeit Sackgassen und wunderbare Ausblicke, wie in der Realität auch. Doch keine meiner Figuren, oder auch die Handlungen der ersten zwei Teile der Trilogie «Pilgerweg heim», erheben Anspruch auf Wahrheit. Und doch sind sind sie auch nicht Unwahrheit. Sie sind Spiel, spontan entstandenes Gewebe einer Kunstwelt, die sich immer und immer wieder neu auflöst und neu erschafft. Oder?
Wo beginnt die Wahrheit? Und wo endet sie?
In diesem BLOG Beitrag spare ich auch die gesamte Diskussion der buddhistischen Philosophie zum Thema «Illusion» aus, sonst wird der Beitrag noch länger, als er ohnehin schon ist.
Im letzten Jahr habe ich manchmal Schwierigkeiten mit einem einfachen Wort. Es liegt an der Basis unserer westlichen Ethik und unseres menschlichen Zusammenlebens: «Wahrheit». Will ich in diesen letzten Monaten sagen: „Das ist wahr“, halte ich manchmal inne. „Wahr für wen?“. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in welcher Wahrheit und Lüge klar verschieden und getrennt voneinander waren, zwei Begriffe, die ich als Kind unterscheiden lernte. Wer log war ein Lügner.
Zürich, Wasser
Auf der Suche nach Wahrheit und ihrem Ende
Waren es die erfundenen Gräuel-Geschichten zu den Wahlen in den USA 2017 oder über die Covid-19 Pandemie, die meine feste Vorstellung einer gesellschaftlichen Wahrheit erschütterten? Jeden Monat, in welchem die Aggressivität im Narrativ in den sozialen Medien anstieg, während mir offensichtliches und auch vertuschtes Lügen als «die Wahrheit» im Internet begegneten, stieg ein zuerst nur ein vages Unwohlsein auf.
Es war im ersten Lockdown aufgrund der Covid-19 Pandemie, März 2020: Niemand wusste wirklich Bescheid über den neuen Virus, sein Verhalten, den Krankheits-Verlauf. Wir waren gerade aus Kathmandu heimgekehrt in die Schweiz. Viel Zeit verbrachte ich mit Kontemplation und viel Zeit in meinem idyllischen Büro. Wir waren die ersten im Dorf, die zu langen Spaziergängen aufbrachen, ganz allein auf Wald und Flur. Natürlich habe ich, wie fast alle, täglich im Internet recherchiert. Zum Faktencheck las ich die online Version einer Schweizer Tageszeitung, und folgte der wöchentlichen Pressekonferenz des schweizer Bundesrates am Mittwoch nachmittags per Live-Stream. Viele Neuigkeiten fand ich im Internet. Es interessierte mich vor allem, woher diese Panik der Regierungen in den ersten Wochen der Pandemie kam. Ich hatte bereits im Februar in Asien im Fernsehen die bestürzenden Bilder der Maßnahmen in den Megastädten Chinas gesehen: wie Raumfahrer bekleideten Arbeiter, die die Häuser, und sogar die Gehwege desinfizierten. Menschen, die im 15. Stockwerk wochenlang eingeschlossen bleiben mussten. Warum sollte dieses Virus so viel schlimmer sein als andere, ähnlich Viren? Im Verlauf des Frühlings hatte ich dann auf Youtube lange Interviews angesehen. Ich versuchte mir ein Bild zu machen. Ursprünglich schien die Ursache ein «Lab-Leak», ein Laborunfall im gemeinsam von Chinesen und US-Amerikanern geführten Versuchslabor in Wuhan, China zu sein. Etwas, was früher oder später passieren musste, hieß es schon seit Jahrzehnten, weshalb diese Art von Experimenten in Europa und kurz davor auch in den USA verboten worden waren. War jetzt der Moment gekommen? Wurden wir mit einer von Menschenhand manipulierten Viruskreation angesteckt?
Zürich, Wasser
Oder waren wir von einer Biowaffe bedroht? Nicht nur ich, wir alle hatten viele offene Frage. Wir durchlebten eine zuvor nicht bekannte Zeit der Unsicherheit. Zumindest wurde uns plötzlich bewusst, wie einsam und ausgeliefert sich viele von uns in der westlichen Welt fühlten, obwohl im Internet vernetzt.
Während meiner stundenlangen Recherchen im Internet tauchten spontan Informationen auf, die ich eigentlich gar nicht suchte. Ich folgte einige Zeit Sendungen eines besorgten Virologen, wo Fragen aufwarfen, die er nicht beantworten konnte und die Angst schürten. Nicht sehr hilfreich in einer Situation, die ohnehin schon völlig unklar war. Angebliche Fachleute füllten das Internet mit ihren Meinungen von Tag zu Tag schneller. Bei genauerer Betrachtung (als Ex-Journalistin weiß ich, wo ich nachhaken könnte), fand ich immer wieder hinter deren Facebook-Seite nicht die Ärzte, als die sich auf ihren kommerziellen, und, notabene bezahlten, Facebook-Seiten ausgaben.
Freunschaft, Genossin!
Als Studienobjekt kreierte ich ein Kunst-Experiment. Meine im März 2020 geschaffene kommerzielle Facebook-Seite «Freundschaft Genossin» wurde ausser den ersten Abonnenten niemals auf irgendeiner Timeline gezeigt – da ich dafür ja nicht bezahlte. Doch dieses Experiment vertiefte die Unruhe, mit der ich ab dann am gleichnamigen dritten Teil der Trilogie schrieb – ohne Wahrheit und ohne Lüge.
Ich hörte Youtube-Erzählungen über den Virus, den Lockdown, den Krankheitsverlauf, die teilweise bizarr und wie aus einem Horror-Science-Fiction-Film klangen, aber ganz bieder und überzeugt vorgetragen wurden – als «Wahrheit».
Diese «Wahrheiten» erinnerten mich an Bücher aus dem wandfüllenden Regal in einem Esoterik-Buchladen in Zürich, wo ich meine japanischen Räucherstäbchen kaufe. Dort hatte ich in den letzten Jahren schon ab und zu Bücher mit teils extrem reißerisch gestalteten Umschlägen zum Thema «Die Verschwörung gegen die Menschheit» angesehen. Es gab dort viele dutzende solcher Bücher. Schon auf dem Buchumschlag konnte ich verschiedene Szenarien erkennen, in welchen eine Gruppe von «Bösen» das Ende der Menschheit plant und herbeiführt. Diese Literatur erschreckte mich, als ich sie zum ersten Mal zur Kenntnis nahm – ich fand sie auch irgendwie belustigend. „Ist das die neue Horror-Science-Fiction Abteilung?“, fragte ich den Buchhändler. Ich glaubte, das sei etwas für eine kleine Gruppe von Weltuntergangs-Gläubigen, wie es sie seit Jahrhunderten gibt.
Das Lügen ist keine neue Erfindung
Ihre Wiedergänger fand ich während der Covid-19 Pandemie als Protagonisten zahlreicher Websites im Internet wieder. Da erst fühlte ich mich alarmiert. „Sind diese Geschichten alle erfunden, und wenn ja, von wem?“ Und: „Wer profitiert davon, wenn Teile der Bevölkerung diese Wahnsinnsgeschichten glauben?! Politiker? Eine düstere Sekte?“
Zürich, Wasser
Nirgendwo bei meiner Recherchen im Reich der superkritischen, lauten und teils hysterisch klingenden Beiträge über die «Verschwörungs-Ideen» fand ich jemanden, der auf die Probleme einging, die seit Jahrzehnten unsere Mutter Erde immer weiter unbewohnbar machen. Und die, als Folge von Überbevölkerung und globalisierter, entfesselter Wirtschaft, eine Pandemie sehr wahrscheinlich machten. Nirgendwo gab es einen Hinweis darauf, was ein einzelner Mensch Positives tun könnte, um die schwierige ökologische oder ökonomische Situation zu heilen und zu meistern. Es schien nur um Macht – und um Ohnmacht zu gehen. Überall in diesen Szenarien herrschte ein bösartiger, anklagender Tonfall.
Ich hatte begonnen Artikel von Covid-19 Zweiflern, Virus-Fachpersonen und Ärzten, die mir dubios vorkamen zu recherchieren – um an deren Quelle zu gelangen. Beispiel aus dem Jahr 2020: Eine «Praxis Dr. Helga», die kommerzielle Seite einer Ärztin auf Facebook, verbreitete haarsträubende Theorien, deren Wortwahl auf den ersten Blick nicht mit Medizin zu tun hatten. Ich verfolgte die Person durchs Internet, fand eine ähnlich klingende Praxis für Heilmassage in einem österreichischen Provinzstädtchen – mit dem Foto derselben Person. Manche «Mediziner», die die Pandemie bestritten und stattdessen eine Verschwörung dahinter vermuteten, hinterließen keine Spuren, die ich hätte zurückverfolgen können. Was aber geschah war, dass ich im Internet und besonders auf Facebook täglich immer mehr solcher Artikel und Webseiten präsentiert bekam. Ich war in eine der Echokammern der Internet-Welt geraten. Sofort hörte ich auf, solche Seiten auf Facebook anzuklicken. Erst nach einigen Wochen kehrte Friede in die Timeline meine Facebook Seite und auf Youtube ein. Außerdem sperrte ich einige Seiten, zum Beispiel deutschsprachigen russischen Medien.
Frisch aus der Troll-Farm! Noch mehr Wahrheit
Erst spät in meiner Recherche erfuhr ich mehr über die sogenannten „Troll-Farmen“, die gezielt tausende von kommerziellen Seiten mit aufwühlendem Inhalt ins Facebook setzen oder massenhaft Kommentare weiterleiten. Man könnte sie als Internet-Falschmeldungs-Industrie bezeichnen, für mich eine fremdartige und bizarre Aktivität. Bringt das Geld? Zum Beispiel die Wählerschaft in den USA wird offensichtlich seit Jahren mit absichtlich gestreuten Falschmeldungen manipuliert – was auch zum Sturm auf das tagende Parlament in den USA am 6. Januar 2021 geführt hatte. Ebenfalls geschehen vor Donald Trumps erstem Wahlsieg als Präsident. Damals gab es in der Folge parlamentarische Untersuchungen, die direkt nach Russland führten. Doch die Troll-Farmen wuchsen weiter. Ich glaube, sie leben von der Naivität der meisten Menschen, dass sie doch niemand belügen würde, oder?
Zürich, Wasser
Nicht weil Kobolde und Trolle im Internet ihr Unwesen treiben heißt der «Troll» im Wort «Troll-Farm» so. Zugrunde liegt der englische Begriff für eine bestimmte Art des Fischens: man zieht den Köder lange Zeit immer vor den Fischen her, bis einer anbeißt – das heißt „trolleying“. Auf Troll-Farmen werden zahllose falsche Internet-Identitäten erschaffen. Diese verbreiten auf verschiedenartigen, auch kommerziellen Facebook oder Internet-Seiten schockierende Nachrichten: «die Wahrheit». Alles andere ist «Lüge». Reißerische News werden so erfunden oder aufbereitet, dass sie sich direkt an die, nennen wir sie «archaischen Teile» des menschlichen Gehirns wenden, Alarm oder Abscheu erzeugend. Wenn ein Impuls in diesem Teil unseres Gehirns verarbeitet wird, muss es schnell gehen. Da zählt die Wahrheit nicht mehr, es regieren die (bewährten) Instinkte im Fall von Gefahr: Flucht oder Kampf oder Totstellen.
Als ich das alles klarer vor mir sah, konnte ich auch die verschiedenen Demonstrationen, Kundgebungen und das seltsame Welttheater während der ersten Phase der Pandemie besser einordnen. Wir waren weltweit gemeinsam in einer unverständlichen Situation, die uns alle überforderte. Die meisten Regierungen reagierten entsprechend ihrer jeweiligen politischen Kultur. Sie waren ausserdem auf ihre beratenden Fachleute angewiesen, die oft auch nicht genau wussten, was als nächstes kommen würde, oder die sich verschätzten. Manche dieser Wissenschaftler waren nicht hilfreich.
Es dauert nun bereits mehr als zwei Jahre, dass offener Unfrieden herrscht zwischen Verwandten und ehemaligen guten Freunden, dass Feindschaft in politischen Lagern stärker wird, dass brutaler Umgang miteinander immer öfter die neue Normalität ist. TROTZDEM nimmt das Lebensgefühl der Unsicherheit immer weiter zu.
Wie schon im letzten BLOG geschrieben: „Wir haben keine Normalität mehr, in die wir zurückkehren können!“ Wir konnten noch nie in die Vergangenheit zurückkehren.
Strategeme und Listen
HEUTE, wenige Tage nachdem der Krieg zwischen Russland und der Ukraine begann, verstehe ich die Troll-Farmer-Taktik besser: „Destabilisiere deinen Gegner von innen, bis Menschen nicht mehr mit anderen Menschen reden wollen, bis alles von unwiderruflichem Misstrauen durchzogen ist. Streue Unsicherheit, Lügen, und Ängste aus, schwäche die Menschen und ihre Regierungen – bis die Gesellschaft am Rande des Nervenzusammenbruchs steht.“
Hier sind wir!
Karin Koppensteiner 21.02.2022 Allgemein Keine Kommentare
Licht
Lange war Vieles unklar, wir lebten in Europa einen Ausnahmezustand, der innerhalb kürzester Zeit die bekannte Welt erfasst hatte. Nun verebbt die Omikron-Welle, in der Schweiz ist Maskentragen nicht mehr Pflicht. Wir tasten uns, einzeln und als Kollektiv etwas unsicher weiter. Was kommt jetzt? Keine Maske tragen als neue Normalität?
«Es soll nun endlich Normalität geben!», dieser eine Wunsch scheint im Moment Menschen jeden Alters zu vereinen. «Normalität» erscheint als ein sicherer Ort, wo viele Probleme wieder verschwunden sind. Werden sich in dieser «Normalität» alle Abgründe wieder schliessen, in die wir als Kollektiv, aber auch persönlich, hineingeschaut haben? Werden sich die Probleme, die wir als Menschheit in den letzten 500 Jahren geschaffen haben, von selbst lösen? Und wir in unserer Normalität weiter konsumieren? Oder werden wir auf «starke Männer» warten, die die Probleme aller lösen wollen, wie das schon vor circa 100 Jahren in Europa das letzte Mal geschah, siehe Mussolini, Hitler, Stalin.
Bei mir gibt es keinen Wunsch nach «Normalität». Ich habe mich selbst, mein direktes Umfeld, meine Lebensweise und meine Überzeugungen, während der letzten 24 Monate genau beobachtet. Ich war zu Beginn der Pandemie wieder neugierig auf Politik, verfolgte Pressekonferenzen, erinnerte mich an einen Bericht des ‚Club of Rome‘ aus den 1970er Jahren, las viel, hörte mir (anfangs noch) an, was die Freunde und Bekannten über diese Epidemie sagten. Erschreckend, wie viele sie verneinten. So als könnte man ein grosses Problem wegsprechen?
Ich habe aber auch den Sturm auf das Capitol in den USA in den Medien verfolgt, war wirklich verstört davon. Hält sich nicht fast jeder von uns für «normal»? Es waren «normale Bürger», die sich von einem Politiker so weit haben aufhetzen lassen, dass sie zu allem fähig schienen. Als ein Mob stürmten «ganz normale Bürger» eine Parlamentssitzung in den USA, überwältigt von Manipulation und Lügen. Wie wird eine Diktatur im 3. Jahrtausend aussehen? Und was hat der Konsum der relativ neuen sozialen Medien für einen Anteil an dieser Bodenlosigkeit, die ich auch persönlich in Gesprächen während der Pandemie oft erlebte? Grenzen zwischen richtig und falsch, menschlich und unmenschlich, Wahrheit und Lüge schienen zeitweise aufgelöst.
Wenn es «nach der Pandemie» für mich einen «neuen Alltag» geben kann, dann nur, indem ich radikaler als vorher lebe. Indem ich mich als schreibende Medizinfrau den Wunden zuwende, die ich, die Menschen und meine Umwelt haben. Weiser als bisher, liebevoller als bisher – aber auch unbeugsamer als bisher.
Die ersten zwei Teile der Trilogie «Der Pilgerweg heim», vor acht Jahren begonnen, wurde in einer anderen historischen Epoche unseres Anthropozäns geschrieben. Das kann ich jetzt sagen, mit etwas Abstand zu den Ereignissen der letzten zwei Jahre. Zwar sind im ersten Teil, «Der Pilgerweg heim», innere Transformation und radikale Einkehr das Thema, ebenso wie Heimat, Fremdsein und Altern das Thema, und «die Wildnis». Doch nun – ernüchtert von uns allen – ist mein «Kleines Welttheater am Grünen See», mein Marionettentheater, wo ich die Fäden ziehe und dazu singe, Vergangenheit. Es wird keine «Normalität am Grünen See» mehr geben.
Deshalb verändere ich in diesen Tagen und Wochen die Form von «Freundschaft Genossin». Nach einigem Zweifeln kommt die Freude! Ich spüre den naiven Enthusiasmus des Neubeginns, der mir ein wenig abhandengekommen war und den jeder kennt, der/die den eigenen Pfad für ein Projekt gefunden hat. Ich bewege mich auf meinem Pfad, meinem lebendigen, pulsierenden Pilgerweg, den ich immer wieder verliere, und auch wiederfinde, im Garten meines Schweizer Lebens. Draussen – irgendwo – die Wildnis.
Gefallene Engel, Porzellan, KK 2010
Karin Koppensteiner 04.02.2022 Allgemein Keine Kommentare
Cornell (14), der jüngste im Camp und Piet (18), sein älterer Bruder – diese Beiden gibt es schon längere Zeit in der Dramaturgie von «Freundschaft Genossin», dem Roman, an dem ich gerade schreibe. Ihre «Figuren» habe ich bereits handschriftlich notiert und immer wieder ergänzt. Beispielsweise: „Cornell ist ein überbegabter Schulversager, kann noch nicht wirklich lesen. Er ist fast durchscheinend, hellhäutig, blond, schlaksig, hat riesige helle Augen, ist der jüngste im Camp. Er verlässt seine Welt des „Gamens“ für einige Salatpflanzen im Gemüsegarten. Dort findet er nachts den Vollmond und wird zum Poeten.“ Für ihn habe ich die Geschichte „Erzählung unter dem Regenmond“ geschrieben – meine Homage an den japanischen Regisseur Kenji Migoguchi.
Weitere Figuren sind ebenfalls schon Teil der Geschichte: «Tai», zum Beispiel, wurde von einer gesichtslosen jungen Frau (18) innerhalb eines Kapitels zu einer lebendigen Figur, die in der Folge die Geschichte mitbestimmte. Sie erzählt Adelheid einmal in einem Kapitel von ihrer Mühe beim abendlichen Zusammenkommen der «Klima-CamperInnen» im Seehotel und entpuppt sich dabei als weitgereistes junges Mädchen mit wilder Natur und dem tiefen Leiden eines vaterlosen Teenagers.
Der Text «Freundschaft Genossin» soll im Februar schnell weiterwachsen. Ich habe lange genug experimentiert, nun ist es Zeit, zu handeln – in diesem Fall: zu schreiben. Einige Geschichten sind zwar schon als Ideen oder Notizen vorhanden, aber noch nicht fertig geschrieben oder zu wenig ausgearbeitet.
In den letzten Tagen wollte ich mich aus diesem Grund endlich wieder «der Exel-Datei» zuwenden und die bereits aufgetauchten Figuren der «Klima-CamperInnen am See» festschreiben. Von denjenigen, die bereits Namen hatten, kannte ich bereits teilweise die Statur, Haarfarbe, Augenfarbe, falls nicht, überlegte ich, versuchte mir die Figur vorzustellen. In eine weitere Rubrik der Datei schreibe ich kurze Angaben zu bereits bekannten Charakter-Eigenschaften, eine weitere mit der Geschichte der Figur und Eigenheiten.
In der Datei ging ich auch die Figuren durch, die ich aus dem ersten Teil der Trilogie «Der Pilgerweg heim», erschienen 2015, kopiert und übernommen hatte. Ich las aufmerksam, was die speziellen Merkmale von – beispielsweise – Franco sind. Ich hatte seine „Adlerschnabel-Nase“ vergessen, aber nicht seine Art, sich oft wie ein Komiker zu bewegen, und auch nicht seine Herzensgüte. Er wird in diesem dritten Teil der Trilogie einige Jahre älter sein – ich rechnete nach – ist er zur Zeit 75? Als ich diesen Teil der Arbeit beendet hatte, kam der nächste Schritt, der etwas Mut benötigte. Meine Aufgabe war es, noch einige Figuren zu erfinden, damit eine heftigere Dynamik entstehen kann, oder Wellen, auf denen ich die Geschichten fertig schreiben kann.
Zu Beginn des Projekts «Freundschaft Genossin», 2020, hatte ich mir die jeweils zehn am meisten verwendeten Vornamen, sowohl männliche wie weibliche, aus einem Namensregister der Geburten aus den Jahren von 1999 – 2003 herausgesucht.
Aus dieser Liste wollte ich vorgestern Vormittag noch einige Namen für die Figuren auswählen, die noch schemenhaft und zum Teil namenlos waren. Die also noch ein Schattendasein fristeten, noch nicht wirklich ihren Auftritt gehabt hatten, in «Freundschaft Genossin!»
Zu Lili und Joshua, die, ebenso wie die oben erwähnten drei schon eigene Geschichte (im Buch) geschrieben hatten, suchte ich nun die dramaturgisch passenden:
Leila, Tai’s kleine Schwester kommt mit deren Mutter Brigitte und der Grossmutter «JoNonna» nur gelegentlich aus der Stadt an den See. Martin und Rosmarie sind Figuren aus dem «Pilgerweg heim». Sie suche ich in der kopierten alten Exel-Datei, verändere die Altersangaben. Sie haben drei Kinder, nur von einem weiss ich noch den Namen: Heidi. Die anderen beiden finde ich in der Datei – Altersangaben ändere ich. Sie sind die Familie Biobauern auf dem Hof, der in der Nachbarschaft des «Seehotels» ist. Dort, bei ihnen wohnen und arbeiten in einem Bergbauern-Projekt Freiwillige den Sommer über: einer heisst nun Finn – er ist ein ausgestiegener Landschaftsgärtner, ein körperlich starker junger Mann in den Zwanzigern. Die zweite Freiwillige auf dem Hof ist Lili, eine unzufriedene Biologiestudentin, die zu Albträumen neigt und gerne in die Felsen klettern geht. Sie hat bereits ein ganzes Kapitel für sich bekommen. Lili hat «Die letzte Geschichte» erzählt. Die ist mir gut gelungen.
Am Ende des Vormittags hatte ich ein Trüppchen neu Erfundener vor mir und war erleichtert.
Die neu benannten und erst kürzlich mit dem Fleisch der Eigenschaften versehenen Figuren heissen: Klara, Greta, Ida und Daniel. Damit die Geschichte von den Kids im Klima-Camp am Grünen See nicht zu sehr ins mittelständische Idyll abgleitet (soweit in diesen Pandemie-Zeiten noch irgendwo ein Idyll verortet werden kann), ist Greta, 20, arbeitende Botanik-Studentin, Tochter von italienischen Einwanderern und Daniel ist 17, Kantonsschüler, ein strebsamer, stiller Sohn bosnischer Einwanderer, beide «mit dem Auftrag beladen, es später besser zu haben».
Ich freue mich schon auf die Arbeit mit all den neuen Charakteren – die nächste Woche werde ich Überstunden machen, so viel auf einmal fällt mir ein. Die neue Dynamik der Geschichte ist – was die vielen Ideen betrifft – bereits im vollen Gang. Es ist wie Tauchgang in klarem Wasser.
Karin Koppensteiner 12.01.2022 Allgemein Keine Kommentare
Es begann etwa 1975. Als junge Filmstudentin in Westberlin lieh ich mir Bücher und Schallplatten in der Bibliothek aus. Als ich für meinen ersten Dokumentarfilm recherchierte, entdeckte ich in den Sommerferien in Wien die kühle Lesehalle der Österreichischen Nationalbibliothek. Ich verbrachte viele Wochen dort, mit Blick auf den Burggarten. Damals waren es noch Zettelkasten, nicht Computersuchmaschinen, mit denen ich Themen suchte und fand – und immer mehr! Ich benutzte damals die Schubladenschränkchen mit den Archivkarten auf denen Themen und Stichwörter aufgetippt waren. So fand ich Zugang zu den teils sehr alter Bücher, die, bestellt, jeweils am nächsten Tag für mich zum Lesen vor Ort bereit lagen. Ich glaube, damals habe ich mich zum ersten Mal «in den Büchern verloren». Anstatt, wie eigentlich geplant, kontinuierlich an dem Film-Projekt weiterzuarbeiten und zu schreiben, las ich tagelang, machte gelegentlich Notizen oder Fotokopien, kam von einem Thema zum nächsten.
In den letzten Winterwochen war mir etwas ganz Ähnliches passiert: «Freundschaft! Genossin», der dritte Band der Trilogie «Der Pilgerweg heim» spielt sich Grossteils in einem umzäunten Gemüsegarten ab. Dort werden Geschichten erzählt. Unterhalb jeder der Geschichten vibriert ein Thema.
Da eine meiner Leidenschaften die Erforschung der Pflanzenwelt ist, gelangte ich über die Lektüre von Büchern immer tiefer in das Phänomen Gaia, jene in sich selbst existierende natürliche Oberfläche unseres Planeten, die sich ständig regeneriert und neu hervorbringt. Im Grenzbereich zwischen Biologie und Philosophie fand ich mich an einem Tag in einer Abenddämmerung lesend wieder, schaute auf, und dachte: «Jetzt hab’ ich mich bald überlesen» – und es fühlte sich ein klein wenig so an, wie zu viel Sachertorte auf einmal gegessen zu haben – Moment der Überfülle! Ideen anderer, Wörter in verschiedenen Sprachen, Hinweise, Zitate von Texten aus anderen Jahrtausenden. Lynn Margulis, Timothy Morton, Emanuele Coccia, Philosophie, Evolution, Pflanzenleben, Bakterien, Fashion Changers – das Gebiet ist breit und dehnt sich in alle Richtungen weit aus
Ein kleines Lob auf das «Objekt Buch» will ich hier noch anfügen. Bücher haben mich mein ganzes Leben begleitet. Oft fand ich entscheidende Hinweise auf Lebensfragen in Büchern. Aber auch im Gespräch mit belesenen Menschen sind mir neue Fenster aufgegangen. Ich habe nie zum elektronischen Buch gewechselt. Den Luxus, meine Zeit mit einem Buch – oder einem Stapel Büchern – einer Teekanne und einer Tasse Tee an einem Wintertag lesend (und auch Notizen machend) zu verbringen, möchte ich in meinem Alltag nicht missen.
Ich höre oft das Argument, man hätte doch immer weniger Zeit zum Lesen. Lesen ist für mich eine Gewohnheit, die ich aufgeben und mir auch wieder angewöhnen kann. Etwas weniger Zeit für etwas anderes aufgewendet, bedeutet dann, eine halbe Stunde lesend, mit einem Buch, zu verbringen. Mache ich das täglich, ist es nach einigen Tagen keine Frage mehr, ob ich eine Stunde Zeit zum Lesen finde.
Einige der Bücher, die ich in den letzten Wochen und Monaten gelesen, oder teilweise gelesen habe, zeigen die Fotos. Diejenigen des Philosophen Byung-Chul Han und «Interbeing» von Thich Nhat Han fehlen hier, sie habe ich schon in älteren Blogbeiträgen vorgestellt. Nun werde ich wieder mehr schreiben.
ÜBRIGENS: unterhalb dieses Blogbeitrags befindet sich der unterstrichene Text: Vorheriger Artikel. Draufgedrückt – geht es rückwärts ins Archiv der Blog-Beiträge bis hin zum allerersten – Anfang Januar 2015.
Karin Koppensteiner 27.12.2021 Allgemein Keine Kommentare
Zutiefst miteinander verwoben sein
Der Begriff «Interbeing», ist ein neuer und komplexer Fachbegriff. Ursprünglich vom vietnamesischen Mönch und späterem Friedensnobel-Preisträger Thich Nhat Hanh geprägt, oder «erschaffen» wird dieser Begriff mittlerweile breit gestreut in Philosophie, Ökologie, Ökonomie und Tiefenökologie und deren Mischgebieten verwendet. Die von Thich Nhat Hanh in den Neunzehnhundertsechzigerjahren während des Vietnamkrieges ins Leben gerufene Bewegung nannte er «Order of Interbeing», deutsch: «Orden des Inter-Seins». Es geht dabei um «Engaged Buddhism», also «Buddhismus, der eingreift». Schon öfter habe ich mich gefragt, warum dieser Begriff so populär geworden ist, obwohl nicht sehr klar scheint, was er eigentlich bedeutet. Denn eigentlich mischt sich Buddhismus nicht ein.
In diesem BLOG-Beitrag will ich Einblick geben in die Art, wie meine tägliche Arbeit als Kunstschaffende vor sich geht, wenn ich gerade nicht schreibe. Denn ich lese und studiere fast täglich einige Stunden. Für mich ist «ständiges Weiterlernen» so wichtig wie meine Nahrung. Zum Schreiben gehört für mich das Lesen. Ich lese sehr viel über Philosophie, Buddhismus, Ökologie. Der Begriff «Interbeing» tauchte in den vergangenen Jahren vielerorts auf. Ich finde ihn in der ökologischen Ökonomie des Charles Eisenstein ebenso wie in der «Tiefenökologie» bei Joanna Macey, in philosophischen Essays und bei Ankündigungen von Achtsamkeits- oder Meditations-Retreats.
Der Begriff «Interbeing» begleitet mich seit Jahrzehnten. Er ist sicherlich durch die wissenschaftliche Erklärung der «Systemtheorie» erweitert und dadurch bekannter geworden.
Ich hatte das Glück beim Umzug von «garudabooks», der Buchhandlung meines Mannes, in der Abteilung für alte Bücher, eine erste englischsprachige Fassung der Statuten und Grundlagen für den «Order of Interbeing» zu finden. So konnte ich mir ein direktes Bild davon machen, wie der Zen-Meister Thich Nhat Hanh diesen Begriff ursprünglich verwendete und was er genau damit meint. Als ich das Buch in mein Büro mitnahm und darin las, machte ich mir für meinen Ordner «Material für Freundschaft Genossin» Notizen und Exzerpte. Dabei kam mir die Idee, Teile davon in diesem Blog zu veröffentlichen. Für diejenigen, die mehr über meine Arbeit erfahren wollen ist das sicherlich ebenso interessant wie für jene, die sich für das Konzept, den Begriff «Interbeing» interessieren. Deshalb beschreibe ich kurz, was dieser Begriff «Interbeing» alles zu bieten hat. Es sind Auszüge aus dem ersten Kapitel dieses Buches «The meaning of tiep hien»
Tiep hien ist ein vietnamesischer buddhistischer Begriff, für den es scheinbar keine andere Übersetzung in westliche Sprachen gab als «Interbeing». Er besteht aus tiep, was soviel wie «in Kontakt oder Berührung sein mit» bedeutet, und auch: «fortsetzen». Der Begriff hien kann als «Erkenntnis» oder auch «etwas jetzt hier tun» übersetzt werden.
Das, womit wir «in Kontakt sein» sollten, ist die Realität, lese ich in der Beschreibung des Autors über seine Wahl der Übersetzung und der Begriffe. Und zwar im Kontakt mit der Realität der Welt und der Realität unseres Geistes. Wer sich dieser Realität bewusst ist und in Verbindung steht mit den Prozessen, die sich innerlich auf unserer geistigen Ebene abspielen, kommt früher oder später in Berührung mit dem was wir unsere wahre geistige Fähigkeit nennen könnten, «True Mind» in der englischen Version der Übersetzung. Zu viele Menschen, so heisst es, unterscheiden zwischen einer inneren Welt des eigenen Geistes und der Welt «draussen». Doch diese Welten seien keinesfalls getrennt. Mit der Realität der Welt in Kontakt zu sein bedeutet, mit allem, was rund um uns besteht, in Kontakt zu sein, mit Glück und Leiden. Zusammenfassung: «Wenn wir die Welt verstehen, verstehen wir auch unseren Geist. Das wird die «äussere Einheit von Geist und Welt genannt».
Was das Konzept von «Fortsetzung» betrifft, so bedeutet tiep zwei Stricke zusammenzubinden, um daraus ein noch längeres Seil herzustellen. Hier gehe es um die ‘Ausweitung der Laufbahn der Erleuchtung, die mit den ersten Buddhas und Bodhisattvas begonnen hat’.
Hien bedeutet «zu verwirklichen», nicht in der Welt von Doktrinen und Ideen gefangen zu sein, sondern stattdessen Verwirklichung und Mitgefühl als Realität zu leben. Es bedeutet nicht, zuerst zu handeln, sondern zuerst sich selbst zu verändern. Wenn wir Freude und Glück mit anderen teilen wollen, dann ist es notwendig, dass zuerst Freude und Glück in uns selbst entstehen.
«Hier und jetzt tun» ist der vierte der Begriffe, aus denen «Interbeing» ursprünglich besteht. Nur der gegenwärtige Moment steht uns als unsere Realität zur Verfügung. Der Friede, nach dem wir uns sehnen, befindet sich nicht in einer fernen Zukunft, sondern ist etwas, das wir nur im gegenwärtigen Moment verwirklichen können.
Quelle: «Interbeing. Fourteen Guidelines for Engaged Buddhism” Thich Nhat Hanh, Parallax Press 1987
Karin Koppensteiner 06.12.2021 Allgemein Keine Kommentare
«Wer schweigt, macht sich mitschuldig.»
«Tränendes Herz»
Fast zwei Jahre lang habe ich mich zu Covid-19 öffentlich nicht geäussert. Auch privat habe ich, nach einigen unangenehmen Erfahrungen mit Bekannten, dieses Thema aus dem Gespräch möglichst ausgeklammert. Es war mir auch peinlich, welch bizarre Dinge manche Menschen erzählten, über die Pandemie und die Welt. Erschreckt haben mich die unhaltbaren Videos und Facebook-Beiträge, die ich zugesendet bekam und die meiner journalistischen Recherche nicht standhalten konnten.
Vor einigen Tagen habe ich meine Meinung zum Schweigen bezüglich Covid-19 geändert. Und das kam so:
An einem dunkler Abend Anfang Dezember telefonierte ich via Internet-Telefonie mit meiner Freundin Zara. Wir hatten uns, auch wegen Covid-19, lange nicht getroffen. Es war schon etwas spät, 21.00. Ich sass im Luzerner Bergland in meiner warmen Arbeitskammer im Lehnstuhl. Zara ist seit Monaten auf einer kleinen kroatischen Insel im Mittelmeer, in ihrem Ferienhaus. Sie sass in der Küche und sagte gleich anfangs es gehe ihr eigentlich gut, aber – «Ich kann nicht nach Wien zurück» – dort aber lebt sie. In Österreich ist im Moment «Lockdown». Obwohl die Ärztin sei, sagte Zara gleich zu Beginn, verstehe sie immer weniger, was es mit dieser «Plandemie» (!) auf sich habe. «Oh, je!», dachte ich. Auf solchen «Insider-Jargon» der Verschwörungsphantasten und ImpfgegnerInnen reagiere ich mittlerweile innerlich stark mit Abwehr. Zara will sich nicht gegen Covid-19 impfen lassen. Seit kurzem hat sich ihre Weigerung etwas abgeschwächt, sie hofft auf baldige Zulassung eines der Tot-Impfstoffe. Nun aber kommt der Winter, die Weihnachtszeit: «Wenn ich nach Wien reisen will, kann ich dann später nicht mehr weg. Denn in Wien wird auf alle Fälle auch weiterhin Lockdown für nicht Geimpfte sein!» Zaras Zorn schwappte unüberhörbar durch den Lautsprecher. Ich spürte, wie sich mein Magen langsam verkrampfte. Ich spürte auch die Enge ihres momentanen Lebens, wie sehr sie sich isoliert hat, die Ausweglosigkeit.
An diesem Abend habe ich mich auf eine «Impf-Diskussion» eingelassen, eigentlich rutschte ich mehr hinein, fragte nach, hörte zu, sagte meine Meinung. Auch warum ich mich hatte impfen lassen:
Den Begriff «Wir» wollte ich in die Diskussion einbringen. «Wir Menschen haben weltweit ein gemeinsames Problem: das Virus». «Wir versuchen doch alle gemeinsam, jede auf ihrem Platz, uns in dieser Pandemie zurecht zu finden, uns zu informieren, zu überleben, dabei dürfen wir aber auch die anderen Menschen nicht vergessen!» Dieser Versuch ein «Wir» mit Zara zu finden, in das Boot einer alten Freundschaft zurückzukommen, ein «Wir Menschen, alle gemeinsam» für uns in diesem Gespräch aufzubauen, zerschellte in den Wellen von Anklagen, auch gegen mich.
Eineinhalb Stunden später war ich völlig zermürbt von Zaras Welt. Ich verstand nicht, wie eine weit gereiste Ärztin eine solche enge Weltsicht von «Schuld sind nur die anderen» hatte annehmen können, anstatt zu sehen, dass das Virus, dass die weltweite Pandemie unser Problem ist. Eine tiefe Kluft entstand zwischen uns, und ich versuchte sie nicht mehr schönzureden. Ich war genervt und dachte: «Warum sind die alle nur so selbstgerecht?» Ich baute an der Kluft, die sich auftat, kräftig mit.
«Diese Kluft», sie verläuft ja mittlerweile durch die ganze Gesellschaft, war nun zwischen Zara und mir. Ich hatte diesen Graben ebenso aufgerissen, wie Zara. Denn schon während des Gesprächs dachte ich einmal: «Mit so jemandem will ich eigentlich keinen weiteren Kontakt mehr haben!» Dieser Gedanke verstörte mich, machte mich in der Nacht kurz schlaflos, ich diskutierte im Traum weiter, hoffte auf eine Lösung. Jedoch war jede Diskussion ergebnislos. Am darauffolgenden Morgen war ich nachdenklich, traurig, ratlos. «Wird der Austausch zwischen Menschen, wie wir ihn jetzt kennen, bald eine Seltenheit werden?»
Meine Motivation, mich impfen zu lassen, war ursprünglich nicht nur mich zu schützen, sondern beizutragen, dass die Pandemie weltweit weniger dramatisch werden könnte. Ob’s stimmt, werden wir erst später erfahren, und wie auch immer es ist, niemand ist schuld!
Mein erster Impftermin war am 1. Mai. Besser hätte ich meine Solidarität mit den vielen Menschen, die weniger gute Voraussetzungen als wir hier in der Schweiz haben, was Gesundheitssystem und Unterstützung im Krankheitsfall betrifft, nicht ausdrücken können. Fand ich zumindest. Ich hoffte, damit einen Beitrag zu leisten, dass möglichst wenige Menschen wegen Covid-19 leiden müssten. Ich hatte mit meinem ganzen Körper, und nach Recherchen über mrna Impfstoffe und reiflicher Rücksprache mit meinem Herzen, auf ein «Wir Menschen» gesetzt. Und ich würde es wieder tun!
Zusatz:
Mir ist noch wichtig hinzuzufügen, dass ich mich seit mehr als vierzig Jahren fast ausschliesslich homöopathisch behandeln lasse. Ich gehe zu Allgemeinmedizinern, die auch Komplementär-Medizin anwenden. Ich kenne die Theorie der Immunisierung durch Erkrankung und würde mich nicht impfen lassen, wenn es nicht unbedingt notwendig ist.
Dieser BLOG ist eigentlich der Entstehung meines neuen Buches «freundschaft genossin» gewidmet. Nachdem ich diesen Blog-Beitrag geschrieben hatte, habe ich mich entschieden, auch in dem Buch noch viel konkreter über die diversen Sichtungen in der Pandemie zu schreiben.
Karin Koppensteiner 29.11.2021 Allgemein Keine Kommentare
«Ohne Resonanz ist man auf sich selbst zurückgeworfen und für sich isoliert. Der zunehmende Narzissmus wirkt der Resonanzerfahrung entgegen. Die Resonanz ist kein Echo des Selbst. Ihr wohnt eine Dimension des Anderen inne. Sie bedeutet Zusammenklang. Depression entsteht am Nullpunkt der Resonanz. Die heutige Krise der Gemeinschaft ist eine Resonanzkrise. Die digitale Kommunikation besteht aus Echokammern, in denen man in erster Linie sich selbst sprechen hört. Likes, Friends and Follower bilden keinen Resonanzboden. Sie verstärken nur das Echo des Selbst.» (Seite 19/20) BYUNG-CHUL HAN «VOM VERSCHWINDEN DER RITUALE», Original Deutsch, bei Ulstein, 2019
Dieses Zitat habe ich einem der drei Bücher von Byung-Chul Han entnommen, die ich in den letzten Wochen gelesen habe. Es hat mir geholfen, meine Kunstarbeit neu einzuordnen – in die Welt der alltäglichen Ereignisse. Verliere ich dieses Gefühl des Verbunden-Seins mit den Ereignissen, mit der Welt, kann auch die Transformation nicht stattfinden, die in der Kunstarbeit für mich so unentbehrlich ist.
Dann kann es geschehen, und ist mir schon passiert – dass ich in einer schicken Geschichte feststecke, von der ich denke, dass da schon so viel Arbeit drinsteckt, dass ich die Geschichte schon irgendwie hinbiegen kann. Es war mir wieder passiert, in den letzten Wochen. Spät erkannte ich, dass ich nicht mehr mitschwinge, mit dem, was ich schreibe, dass es Zeit für eine kreative Pause war, dass ich schon lange nicht mehr in Resonanz mit der Welt geschwungen hatte. Wir haben auch Covid-19 Krise, es ist nicht so einfach entspannt zu schwingen….
Dieser Tage fand ich mich langsam wieder im Schreiben ein, an meinem Arbeitsplatz, im umgebauten Bienenhaus. Es ist Spätherbst, der erste Schnee ist gefallen. Nachdem ich die letzte Version des Romans «Freundschaft Genossin» definitiv verworfen hatte, – endlich! – bin ich wieder neugierig geworden. Energie und Freude am Arbeiten sind zurück. Wieder einmal habe ich erfahren, dass im Schaffensprozess auch die Krisen nicht ausgespart werden können. Ich erinnere mich, wie es diesmal begonnen hatte: Im Sommer noch schrieb ich tagelang einige Kapitel um, die mir eigentlich nicht mehr gefielen. Ich empfand es so, als wäre ich aus diesen Texten herausgewachsen. Oder auch so, als wäre ich mit einigen Teilen der Geschichte in die falsche Richtung gegangen. «Kopfgeburten» nenne ich das, wenn das Herz beim Arbeiten nicht mehr im Gleichklang mit dem Tun ist, wenn mein eigenes Schreiben mich nicht mehr zu überzeugen vermag. Krisen sind Teil des Wachstumsprozesses, ein Teil der schöpferischen Arbeit. Das klingt gut, aber in Wirklichkeit steckte ich fest.
Wie gerufen kamen «andere wichtige Dinge» zwischen mich und mein Schreib-Projekt «Freundschaft Genossin». Als ich drei Monate später wieder zur Schreibarbeit zurückkehrte, war ich am ersten Tag im Büro, anstatt neugierig und aufmerksam, sehr schlecht gelaunt. «Sehr verstimmt» gibt den Zustand vielleicht am besten wieder. Als ich in mich hineinspürte musste ich zugeben: Ich war schon seit einiger Zeit nicht mehr in Ressonanz mit mir selbst gewesen. Aber: die Schwierigkeit erkennen ist eines, aus der Sackgasse wieder herauskommen das andere. Ich konnte nicht mehr in die alte Schreibspur zurück. Es war Zeit zum Aufmerken, Innehalten. Bücher anderer Autoren zu lesen hilft; Zeit zur Ruhe zu kommen, keine einzige neue Verpflichtung mehr einzugehen ist Voraussetzung für einen guten Neuanfang.
«Warten wie eine Jägerin auf Worttiere» ist mir als Bild dazu eingefallen.
Sie kamen, pelzig, geheimnisvoll, unaufdringlich, sie wurden auf friedliche Art eingefangen. Manche wurden gezähmt, manche blieben wild. So wie ein Wort der dunklen Nacht: «Lichtwurf».
Lichtwurf
«Freundschaft Genossin» ist ein neuer Roman an dem ich schreibe. In diesem BLOG berichte ich über die Arbeit am Text.
Karin Koppensteiner 23.10.2021 Allgemein Keine Kommentare
Ablenkung
Lange Zeit ist vergangen, seit dem letzten Blog-Beitrag.
Ich hatte mich, und das nicht zum ersten Mal, vom Schreiben als Alltagsarbeit abgelenkt. Das Sich-Einfinden bei den Erzählungen, an denen ich arbeite, ist ein feiner Prozess. Seit vielen Jahren beobachte ich immer wieder wie aus einer fast zufälligen oder auch geplanten Ablenkung von der Schreibarbeit – zum Beispiel einer Projektarbeit, einem Auftrag, um etwas Geld zu verdienen, einem freiwilligen Arbeitseinsatz zum Wohl anderer, etcetera – zur «Schreibfalle» wird. Ich verliere die Kontinuität des Schreibens und damit auch, ganz langsam, die Selbstsicherheit, die sich mit diesem alltäglichen Schreiben einstellt. Zwischen drei bis fünf Stunden schreibe ich täglich, wenn ich im Fluss der Geschichte und motiviert bin.
Selbstzweifel
Selbstzweifel stellen sich manchmal ein, wenn ich mehr als einen Monat meine Arbeit unterbrochen habe. Ich habe dann im wahrsten Wortsinn den Faden verloren, aus dem das feine Gewebe einer Geschichte entsteht.
Diesmal waren es eine wunderbare Bergreise, Ferien, gefolgt von einem Freiwilligeneinsatz im buddhistischen Ambiente, die mich mehr als drei Monate vom Schreiben ablenkten.
Zwar habe ich viele starke Eindrücke und Kraft von den Reisen und Aktivitäten mitgebracht, Notizen, Fotos, Zeichnungen, doch als ich mich wieder in mein Büro setzte, musste es – schon wieder! – zuerst einmal geputzt werden, tote Fliegen lagen vor der Fensterfront, Staubbällchen flogen zart am Fussboden die Wand entlang. Dabei hatte ich doch erst vor einem Monat, bei einem Zwischenstopp zu Hause das Büro geputzt. Würde ich von nun an das Büro nur noch putzen? «Will ich wirklich diese seltsame Idee, ein Buch über Erzählungen zu schreiben weiterverfolgen?»
Waren nicht andere Ansätze für diesen dritten Teil der Trilogie des «Pilgerwegs», mit dem Arbeitstitel «Freundschaft Genossin» besser gewesen? Sollte ich neu beginnen? Oder vielleicht lieber einen Quantensprung machen und aus dem dritten Teil einen Gedichtband machen? Ich hatte in den letzten Monaten unterwegs sehr viel gelesen und war, nach langer Zeit, wieder auf die Dichte der Gedichte gestossen. Und zwar in einem Buch über die Dinge und ihr Gegenteil, den beständig vorhandenen Informationsfluss verarbeitet von künstlicher Intelligenz: «UN-Dinge» vom (deutschsprachig schreibenden) Philosophen Byung-Chul Han. In diesem findet sich auch ein Plädoyer für das Gedicht, als einem «Ding» der Literatur.
Die Kur
Es war eine mühsame Woche – ich stellte meinen Arbeitsplatz, dann mein ganzes Büro um. Am Ende brachte ich Ordnung in den grossen Schrank – alles Arbeiten, die mich immer weiter ablenkten. Ich konnte mich nicht im Arbeitsalltag des Schreibens einfinden. Als ich auf dem neuen, improvisierten Büro-Sofa sass und mich umschaute, spürte ich der Selbst-Diagnose nach: «Zu viele Selbst-Zweifel, Minderwertigkeitsgefühl». Ein gutes Hilfsmittel, wenn diese störenden, aussaugenden Ideen des «Ich kann es nicht», «Ich bin nicht gut genug», «Eine gute Karriere als Schriftstellerin habe ich grossräumig verpasst» und vieles mehr an selbstverkleinernden Gedanken auftauchen, ist Folgendes: Ich öffne eines meiner Bücher oder eines der Bücher, die ich im Laufe der Jahrzehnte übersetzt habe, und von denen Ansichtsexemplare in meinem Büro stehen.
Ich öffne das Buch an irgendeiner Stelle. Diesmal öffnete ich den «Pilgerweg heim» – las darin, wurde erfasst von dem Fluss der Geschichte, weiter- und fortgetragen auf sicheren Boden. «Was für eine wunderbare Geschichte!» dache ich und: «Ich hatte diesen Teil ganz vergessen!».
Entspannt und gestärkt Boden konnte ich danach am Schreibtisch sitzen, die Gelbfarbigkeit der Herbstblätter in der Oktobersonne geniessen, aufschauen, erste Sätze schreiben.
Sanft beginnen, mich nicht gleich überfordern, nicht gleich die «Worte auf dem Wind» schreiben wollen, oder sie «in einer Geschichtslosigkeit verharren lassen», wie ich es mir im August wünschte.
Ich holte heute die letzten beiden Erzählungen von «Freundschaft Genossin» aus dem digitalen Ordner hervor, ein erstes virtuelles Blatt öffnet sich auf dem Bildschirm: Lesen, korrigieren – dann weiterschreiben.
In diesem Blog veröffentliche ich seit Jahren Nachrichten von meiner Schreib-Arbeit. Im Moment arbeite ich an einem dritten Teil der Romantrilogie „Der Pilgerweg heim“, mit dem Arbeitstitel „Freundschaft Genossin“.
Karin Koppensteiner 02.09.2021 Allgemein Keine Kommentare
Erzählen auf dem Wind
Stille – wie drücke ich Stille aus – im Erzählen mit Worten?
Wie im vorhergehenden Blogbeitrag über die Entstehung des neuen Romans «freundschaft genossin», versuche ich auch hier zu beschreiben, wie ich mich im Erzählen einer Geschichte übe. Eine Geschichte schreiben will ich, so leicht, wie auf eine Brise Wind gesprochen .
Im «Maiskorn» erzählt «die neue Frau» Nora eine Verflechtung von Geschichten aus der Vergangenheit. Die Vergangenheit kommt dadurch nicht zurück. Aus unserer Vergangenheit sind uns vage Bilder geblieben, Gesichter längst Verstorbener, Eindrücke, Gerüche, Kinder. Alles wird erzählt. Ich bin die Erzählerin, die erzählt, wie jemand anderer erzählt, was ich erzählen möchte. Bilder verweilen kurz, innerlich in Schwebe, auch Klangbilder, während die Protagonisten jeder einzelnen Geschichte von «freundschaft genossin» ihr Erzählen fortsetzen und immer wieder alles ins Leben rufen. Sie erzählen einander die Welt, eine bessere Welt, eine alte Welt, eine stille oder eine laute Welt.
Kaum je befinden sie sich dabei in der Gegenwart. Ist es ihr Abschweifen in die Vergangenheit, das die Welt nicht neu erschafft? Kann eine neue Art des Erzählers die Welt verändern?
Die Erzählenden im Kapitel «Maiskorn», lauschen gelegentlich, innehaltend im Fluss der Wörter, so wie ich jetzt: hinhören auf die leisen Töne, etwa wie der Wind im Gelb der Maisblüten klingt, die Melodie der Pappeln am Bach, das langsame Schwinden der Grillengesänge im September, eine Fremdsprache, und wieder ein Flugzeug hoch am Himmel.
Um diese Spannung der Stille im Worteflechten halten zu können, tut es mir manchmal gut, einfach wegzugehen. Ich nehme mir einen halben Tag frei.
Kreativität will immer wieder genährt sein. Ich fahre an einem Nachmittag vom Bauernland weg, spontan und planlos, an einen Ort, der mich inspiriert – ich fahre «in die Stadt». Diesmal ist es, wieder einmal, das Rietberg Museum in Zürich, wo ich lande.
Eine alte chinesiche Holzfigur, grösser als ich selbst.
Die Bronze-Statuen aus dem Himalaya-Raum, bis ins 8. Jahrhundert zurückdatiert, strahlende Stille.
Ich verliere mich im Tanz der alten Tonfiguren,
tanze mich durch tausende von Jahren, durch mich, in die Welt.
BLOG ZUM BUCH: «freundschaft genossin» ist ein neuer Roman, an dem ich schreibe. In diesem BLOG berichte ich über das Arbeiten am Text.
Karin Koppensteiner 07.08.2021 Allgemein Keine Kommentare
Es ist ein Regentag, ein kühler Sommermorgen Anfang August in der Deutschschweiz, ich frage mich: was ist schon wieder alles zwischen mich und die Kunstarbeit gekommen? Es war nicht nur etwas, sondern viel, es war eigentlich: mein Sommerleben; und eine unerwartete Übersetzungsarbeit, dazu noch ein Projekt in Italien, ich habe mir schon wieder zu viel aufgehalst, «zu viel zu tun».
Die Tage wechseln immer wieder Windrichtung. In den letzten Wochen hat sich mein Leben stark nach Aussen orientiert. Ich war innerlich und äusserlich «unterwegs», aber nicht «in den Ferien». Ich befinde mich jetzt wieder in Schongau, an meinem Schreibtisch. Am Buchprojekt «Freundschaft Genossin» habe ich seit Langem nicht mehr geschrieben, auch nicht auf dem Laptop, der doch immer dabei war. Gelesen habe ich, zu den Hauptthemen des Buches, beispielsweise Charles Eisensteins Buch «Klima».
Vorgestern war eine kalte Regennacht, ich habe schlecht geschlafen. Das Grenzgehen zwischen Tag und Traum lösten sich gestern früh in Erschöpfung auf. Hatte ich mich unter den vielen Regenfällen am Vortag erkältet? Es sind diese Lebens-Momente, in denen sich der sachlich so gut verwaltete Alltag kurz auflöst, eine kleine Krise entsteht, bleibt, ist scheinbar endlos, geht vorbei. Heute kam eine Öffnung für den kreativen Fluss – scheinbar mühelos. Ich beginne wieder zu notieren, dann, zu schreiben, ein weiteres Kapitel für «Freundschaft Genossin». Dazu notiere ich den Umriss des Kapitels, einige Stichworte, beispielsweise «Maiskorn».
In «Freundschaft Genossin» geht es ja darum, was eine Gruppe von Menschen einander erzählt. Sie rufen die Welt hervor mit ihren Erzählungen – eine neue Welt, eine Welt des Herzens.
In diesem Kapitel «Mais» will ich mich mit der «Zartheit», der «Weglosigkeit» der gesprochenen Sprache des Erzählens beschäftigen. Es ist das rein mündlichen Erzählen, ohne Schrift, wie es zehntausende von Jahren lang übermittelt wurde. Und darüber werde schreiben ich in diesem Kapitel.
Heute allerdings mache ich mich auf, um «Mais» zu finden, zu studieren, zu zeichnen. Der Maiskolben, den ich finde ich noch unreif. Ich hatte vergessen, wie feuchter Mais riecht, fremd, vertraut, herb.
Im eben begonnenen Kapitel «Mais» ist es Nora, die erzählt. Ihre Geschichte entfaltet sich aus einem Maiskorn:
«Spurlos verschwunden sind die Gesänge der Menschen, die hier lebten. // Spurlos verschwunden ist auch das, was sie einander erzählten, in tausenden Jahren. // Spurlos ist die lange Geschichte der Menschen, wenn sie keine handfesen Dinge zurücklassen. // Ein Hauch alten Sagens ist noch hier, das tut gut. // Geblieben sind einige Körner Mais.»
BLOG ZUM BUCH: «Freundschaft Genossin» ist ein neuer Roman an dem ich schreibe. In diesem BLOG berichte ich über die Arbeit am Text.
Karin Koppensteiner 10.07.2021 Allgemein Keine Kommentare
Das was wir einander erzählen formt die Art, wie wir unsere Kultur wahrnehmen und erschaffen. Diese Meinung vertritt der Biologe und Mitbegründer der Systemtheorie Humberto R. Maturana in einigen Essays in dem Buch, das ich gerade lese. «Liebe und Spiel. Die vergessenen Grundlagen des Menschseins» ist 1993 im Auer-Verlag erschienen.
Das Buch ist zwar schon dreissig Jahre alt, doch für mich ist es heute, in Pandemie-Zeiten, so aktuell wie damals. Ich bin seit ihrem Entstehen von der Systemtheorie fasziniert. Sie hat sich im 21. Jahrhundert durchgesetzt und weiterentwickelt. Bis heute ist sie für mich ein ein wichtiges Instrument nicht nur zum philosophischen, sondern auch im alltäglichen Verständnis der Welt, in der ich lebe und in er ich Problemen begegne – einem Baum, einer Gruppe Menschen, mir selbst im Spiegel.
Was für mich als Geschichtenerzählerin in diesem Buch «Liebe und Spiel» interessant und wichtig ist, sind die Beschreibungen von Maturana wie Kultur entsteht. Er vertritt die Sicht, dass sie aus einer fortgesetzten Konversation in den letzten drei Millionen Jahren entstanden ist. Bereits im Vorwort wurde meine Neugierde geweckt, da «Freundschaft Genossin», der neue Roman, an dem ich schreibe, unter anderem das «Sich-gegenseitig-etwas-Erzählen» zum Thema hat. Schon beim Lesen des Vorworts spürte ich: hier habe ich lang benötigte Inspiration gefunden! Deshalb widme ich der Lektüre dieses Buches auch diesen BLOG-Beitrag über das Entstehen eines Romans.
Aus der Einleitung: «Wir gehen davon aus, dass alles, was wir Menschen tun, in Sprache geschieht, verflochten mit einer bestimmten Form des Emotionierens. Dass das, was wir tun, ein bestimmtes Netzwerk von Konversationen bestimmt.
Aus diesem Grund nehmen wir an, dass die Geschichte der Menschheit nicht bestimmt wurde von materiellen Möglichkeiten, Naturschätzen, Ideen, Werten oder Symbolen, sondern von menschlichen Wünschen, von menschlichem Emotionieren. Materielle Naturschätze, Ideen, Werte oder Symbole sind das, was sie für uns sind. Sie sind nicht aus sich selbst heraus. Naturschätze sind Naturschätze weil wir es wünschen, weil wir sie als Naturschätze unterscheiden, indem wir von ihnen als Naturschätze sprechen.»
«Um den Verlauf unserer Geschichte als menschliche Wesen verstehen zu können, müssen wir den Verlauf der Veränderung menschlichen Emotionierens betrachten, und um den Verlauf der Veränderung menschlichen Emotionierens erschliessen zu können, müssen wir auf den Verlauf der Geschichte der Konversationen blicken, die durch die veränderte Emotionierung erklärt wird.»
Im Weiteren fand ich in dem Buch Betrachtungen der kreisförmigen Entstehung unseres Menschseins als Folge unseres Wünschens und veränderter «Konversationen».
Im Glossar wird der Begriff der «Konversation» folgendermassen beschrieben:
Die Verflechtung von Sprachhandlung und Emotionieren, in der sich alle menschlichen Tätigkeiten ereignen. Wir menschliche Wesen leben in Konversationen, und alles, was wir tun, ereignet sich in Konversationen.»
Ich schreibe hier so ausführlich darüber, weil ich in Gesprächen mit Lesern meiner Bücher bemerkt habe, dass viele von den «Lesenden» glauben, ein Buch entsteht spontan als eine Geschichte, die aus der Autorin, dem Autor, hervorsprudelt und dannach noch ein wenig überarbeitet wird. Zumindest in meinem Schaffensprozess, aber soviel ich auch aus persönlichem Austausch, oder aus den Arbeitstagebüchern vieler Kunstschaffender weiss, ist der Prozess sehr vielfältiger und es dauert oft lange Zeit, bis ein Thema, eine Inspiration, eingekreist und verarbeitet ist.
Ich beginne bei meiner Kunst-Arbeit mit einigen Vorgaben oder Wünschen. Oft sind es nur Wünsche und Ahnungen davon, was ich Erzählen möchte. Oft sind ganz am Anfang auch noch einige sehr vage Ideen dabei, beispielsweise im «Pilgerweg heim», dass ich die Thematik des Kinderbuchs «Heidi» in derselben Landschaft, in der die Handlung des Kinderbuchs angesiedelt ist, ins 21. Jahrhundert und mit älteren Menschen nachspielen wollte. Im Verlauf der ersten Skizzen beim Schreiben eines neuen Projekts verlieren sich dann einige der Ideen, andere werden konkret, neue kommen dazu. Danach kann es sein, dass ich auf mehr Inspiration warte, weil ich spüre, dass für die Fertigstellung noch ein wesentlicher Teil fehlt.
Im Falle dieses Buches «Liebe und Spiel» blicke ich nach der Lektüre aus einer neuen Richtung wieder auf «Freundschaft Genossin». Vor Kurzem erst habe ich beschlossen, dass diese Art des Zusammenseins, der Akt des «einander-etwas-Erzählens» im Mittelpunkt des neuen Buches stehen wird.
Regenwolken, Juli 2021
An diesem Punkt bin ich nun angekommen, inspiriert von der «Kulturgeschichte des Erzählens», wie ich sie in dem oben beschriebenen Buch gefunden habe. Sie weist weit über das einfache Sprechen oder Schreiben hinaus, dorthin, wo ich oft hinziele, wenn ich schreibe: in den unsichtbaren Bereich vielfältig verflochtener Energien, der uns als Einzelnen und auch als Gesellschaft nährt.
In diesem und den vorhergehenden BLOG Beiträgen erzähle ich von dem Prozess zu erzählen, der das Schreiben eines Romans begleitet.
Karin Koppensteiner 24.06.2021 Allgemein Keine Kommentare
Wilder kalifornischer Mohn
Wildnis und Garten sind als Themen für die Roman-Trilogie, an der ich seit 2013 arbeite, sehr wichtig.
Im «Pilgerweg heim», dem ersten Teil, sprechen im Kapitel «Silvias wilder Garten» zwei Frauen über die Wildnis der Liebe, Zäune, Übertretungen, und den Garten. Sie sitzen dabei auf einer Trockensteinmauer, in einem «wilden Garten», am Grünen See.
Anfügen möchte hier aber auch, dass es mir auch um die Wildnis unserer kollektiven und individuellen Gefühle geht, die archaischen Wurzeln unserer Gefühlswelt und ihre Zivilisation. Und ihr Abdrängen in die Abgründe, den Schatten, in «das Andere», das Unbewusste. Was so ein kollektives Verdrängen von wirklichen Gefühlen wie Angst und Unsicherheit bewirken kann, haben wir im letzten Jahr sehr eindrücklich gemeinsam erfahren: das natürliche Gefühl der Angst angesichts von Ungewissheit und Gefahr wird in Kontrolldenken, in Sündenbock-Suche und vieles andere Bizarre umgewandelt. Und was das Unterdrücken der Liebe als eine gemeinsame Lebensform bewirkt, sehen wir an dem, was wir unserer Mitwelt antun, der Natur im weiteren Sinne, dem Wasser und letztendlich uns selbst als Menschheit.
In «Bonsai» taucht, als Symbol wieder eine Pflanzenform auf: die brutal-künstlerische Form des wurzelbeschnittenen Zucht-Bonsais und seine Wildform, ein jahrzehntelang Überlebender in Felsspalten, die kaum genügend Nährstoffe enthalten. In «Bonsai» habe ich mich sehr ausgiebig mit den Alpen beschäftigt, auch als einer Kultur-Landschaft und nicht zum ersten Mal. Die Frage nach der «Wildnis der Alpen» war auch bei dieser Arbeit gestellt. Im gesamten Alpenraum, auch in der Schweiz, waren in der letzten Eiszeit viele Täler mit Gletschern bedeckt. Mit der Erwärmung sind die Alpen schnell wieder besiedelt worden, zuerst von wandernden Jägern. Und die Berge sind, von den halbnomadisch lebenden Viehhirten, schon sehr früh bis weit hinauf an die Baumgrenze bewirtschaftet (= zivilisiert) worden. Später dann vom Alpen-Tourismus und dem Alpinismus.
Seit einigen Wochen bereits bin ich innerlich auf der Suche nach einem noch fehlenden Erzählstrang für meine Arbeit «Freundschaft Genossin». Das ist der Arbeitstitel des Romans, an dem ich im Moment arbeite. Mir fehlten noch einige starke Symbole, einige Erlebnisse und Sinneseindrücke, die auf der «unterirdischen Ebene der Schreibarbeit» das Ihre tun würden. Erst wenn ich sie klar gespürt und gesichtet habe, das weiss ich, kann ich für das Buch die endgültige Form finden. «Etwas wichtiges fehlt noch, es wird sich erst zeigen.» Das bedeutet: zur Ruhe kommen, betrachten, warten, die Sinne offenhalten und – vor allem! – den Moment der Inspiration erkennen und mit allen Sinnen erleben, wenn die Inspiration auftaucht.
Ich habe eine sehr intuitive Art, Teile einer Geschichte zu finden und dann, wie mit einem Beutestück, gleich zu schreiben zu beginnen. Wenn diese Teile sich nicht zeigen, muss ich einfach Geduld haben, mich darauf einschwingen, dass es Zeit ist, etwas Neues, Unerwartetes zu finden. Manchmal hilft es, Orte aufzusuchen, an die ich sonst nicht gehe.
Pflanzenhäuser im Botanischen Garten in Zürich/Schweiz.
Gestern war es endlich so weit: In Zürich, im neuen Botanischen Garten. Kurz vor dem Ausbruch von Gewittern, in diesem künstlich angelegten Garten, mit Pflanzen aus der ganzen Welt, hatte ich plötzlich das Gefühl auf einer oberirdisch liegenden Goldmine zu stehen. «Hier ist der Platz, an dem die Geschichte von «Freundschaft Genossin»verläuft.»
Papier-Maulbeerbaum
Mehr gibt es im Moment dazu nicht zu sagen, ich stelle noch einige Fotos aus dem Botanischen Garten Zürich zu diesem BLOG-Beitrag.
BLOG ZUM BUCH: «Freundschaft Genossin» ist ein neuer Roman an dem ich schreibe. In diesem BLOG will ich über die Arbeit am Text berichten.
Karin Koppensteiner 12.06.2021 Allgemein Keine Kommentare
BLOG ZUM BUCH: «Freundschaft Genossin» ist ein neuer Roman an dem ich schreibe. In diesem BLOG will ich über die Arbeit am Text berichten.
Arbeiten an einem Roman ist Arbeit wie jede andere auch. In den vergangenen Monaten setzte ich mir für die Schreibarbeit täglich einen Zeitbereich von etwa vier Stunden. Für die anderen Arbeiten, zu der beispielsweise auch dieser Blog gehört, oder das Organisieren und Vorbereiten der Kurse, aber auch eine experimentelle Facebook-Seite, die ich mittlerweile wieder still gelegt habe, sowie für Emails gebe ich täglich weitere ein bis drei Stunden her.
Für diesen dritten Teil der Trilogie mit Arbeitstitel «Freundschaft Genossin» habe ich keine Abgabe-Frist. Von mir aus würde ich das Buch Ende 2021 fertig für das Lektorat haben. Das Thema ist aktuell, wie immer experimentiere ich viel, trotzdem möchte ich das Buch gerne bald abschliessen.
Mit einiger Dringlichkeit und Eile schreibe ich heute – offline – diesen neuen Blog-Beitrag für die Entstehungsgeschichte des Romans. Ich werde ihn später ins Internet hochladen. Der erste Beitrag des Monats ist ausgefallen. Warum?
Ich habe meine Arbeit unterbrochen und bin einfach weggefahren. Die während der letzten Covid Pandemie-Wellen lange gewünschten «Ferien», dieser Wunsch «Endlich Tapetenwechsel!» ist Wirklichkeit. Wieder, wie schon im letzten Herbst (siehe Blogbeitrag im September 2020), habe ich mich in eine Hütte ohne Internet und Telefonanschluss zurückgezogen. Diesmal gemeinsam mit meinem Mann. Wir geniessen die Nähe, die uns die kleine Grundfläche der Steinhütte vorgibt – 16m2 unten, 16m2 oben, eine steile Treppe zwischen den beiden Räumen. Viel freier Raum ist in der Natur draussen, das wilde Land eines buddhistischen Zentrums als Nachbar, freundschaftliches Land. Die Wildschweine sind schwarz, das Stachelschwein treffen wir erst gegen Mitternacht, die Rehe bellen, eine helle Eule jagt auch tagsüber, gleitet in geringer Höhe über die grasigen Hügel, die Macchia. Die Schafherde eines Nachbarn, dessen Haus weit weg ist, wird mittlerweile von sechs grosse Hirtenhunden begleitet. Ich beobachte Hunde und Herde fast täglich. Es ist faszinierend wie die Maremmanen scheinbar ohne Kommando die grosse Herde leiten (und schützen).
Eigentlich wollte ich in der vergangenen Woche hier weiterarbeiten. Laptop, Bücher, Notizhefte waren bereit, zwei Bücher zum Lesen waren mitgekommen. Das eine Buch ist «Klima» von Charles Eisenstein, deutsche Version, das zweite «Training in Tenderness» von Dzigar Kongtrul Rinpoche. Während einiger Tage voller Gewitter, Regen und Regenbogen las ich gelegentlich, dabei wurde die Zeit immer langsamer. Eine vertraute, tiefe innere Ruhe erschien und blieb. Einfachheit im hier-Sein bestimmt die Tage, Ambitionen klangen ab wie Zahnschmerzen. Immer weniger kamen innere Kommandos wie: «Müssen, Sollen, Wollen». Stattdessen war ich in einem Raum der Ruhe und auch der Müdigkeit angekommen.
Da erst bemerkte ich, wie auch mir die Unsicherheiten der Covid-19 Pandemie, samt allen Variationen, Kraft gekostet haben. Das Navigieren zwischen öffentlichen und privaten Meinungen, mir Eingestehen, immer wieder, dass ich selbst nicht Bescheid weiss, aber sicherlich keine Sündenböcke benötige, das Recherchieren in Wissenschafts-Reports, die Impf-Entscheidung, das freundliche und bestimmte Wiedersprechen, wenn liebe Bekannte plötzlich in Internet-Echokammern der Paranoia abglitten. Alles das hat offensichtlich mehr Kraft gekostet, als ich eigentlich zur Verfügung hatte. Nun kann ich müde sein.
Manchmal wurde in dieser kurzen und dramatischen Vergangenheit des letzten Winters auch das Schreiben mühevoller. Die Inspiration kam immer wieder zurück, weil in diesem dritten Teil der Roman-Trilogie mein Thema «Unsere gemeinsame neue Welt» ist. Das «Wir» steht im Mittelpunkt dieses dritten Teils. Diese «Neue Welt» gestalte ich im Erzählen, bewusst: «Freundschaft Genossin» ist mein Betrag zum inneren Wachstum aller, auch meiner selbst. Ich erfreue mich an dieser Arbeit, meine Fürsorge und Liebe sprudelt über die Geschichte in meine Mitwelt. Kritik wird pointiert gesetzt, klar, und doch, nebenbei, innerhalb einer Geschichte.
Allerdings hatte ich bei unserer Abreise nicht mit dieser Müdigkeit gerechnet. Ich habe ihr nachgegeben, von ihr gekostet, sie kuriert, ausgeschlafen. Viele der Freunde hier in Italien sind von den mehr als einem Jahr Pandemie sehr mitgenommen. Es hat hier strengere Regeln gegeben, als in der Schweiz, und dramatischere wirtschaftliche Konsequenzen. Ich spüre auch ihre Unsicherheit, ihre Verwandlung, Traurigkeit, wilder Mut?
Langsam kommt die Sonne hervor.
Noch einige Tage hier, im «Parco Naturale» mit dem Dickicht der Gräser und grünen Pflanzen, den wilden Tieren, nachts mit dem Gesang der Nachtigall, dann kehre ich zurück in mein Büro in die Schweiz. Die Arbeit am Roman wird wieder Fahrt aufnehmen. Ich sehe ein grosses Boot mit geblähten Segeln schnell über das Wasser gleiten.
Karin Koppensteiner 12.05.2021 Allgemein Keine Kommentare
Auf unserem Stück Land steht ein alter Apfelbaum. Von seinem Stamm stehen rechts und links noch zwei Teile, wie Stelzen, seine Mitte ist leer. Schaue ich durch diese weite Öffnung im Stamm, ergibt sich ein Bild dahinter, ein Rahmen, ein Blick auf die Wiese: grün, grün, Löwenzahn.
Der alte Apfelbaum blüht wieder. Die Blüten kamen schnell, kaum sichtbar war vorheriges Knospen. Scheinbar direkt und unmittelbar erschienen sie aus den knorrigen Ästen. Die meisten Äste und Zweige des Baums blieben kahl. Auf einem bereits abgestorbenen Hauptast zeigte sich an der Spitze eines dürren Zweiges, der sich flechtenüberzogen in die schüttere Krone hinauf streckt, eine einzige Blüte. Kostbarkeit des Lebens: Mit weit auseinander gestreckten Blütenblättern, weissrosa, oder apfelbaumblütenrosa, hob sich die Blüte gegen den blauen Himmel ab.
Diese Blüte ist mir Nachricht vom Sieg der Schönheit und des Lebens, auch im Niedergang. Dieser alte Baum ist seit Jahren langsam am Absterben. «Bäume sind in ihrem Leben sehr langsam!», habe ich in einem Baum-Buch gelesen. Im vergangenen Jahr, es war der Quarantäne-Frühling 2020, ereignete sich in der Wärme, ganz ohne Flugzeuge im Himmel, mit Stille, in der Natur wildes Blühen auf diesem Baum. Weissrosa Blüten, große Fülle auf dürren Zweigen, Versprechen des Lebens, bedingungslos.
Dieses Jahr ist der Baum beinahe tot. «Bäume sterben auch langsam», steht in demselben Baum-Buch. Die Blüten zeigen die letzte Baumkraft. In jenen Teilen der harten Struktur, wo noch ungehindert Wasser fliesst, ist der Apfelbaum noch lebendig, als Teil einer grösseren Gemeinschaft. Noch immer pulsiert das Leben ihn ihm, wenn auch anders, als ich es verstehe.
Was der alte Baum im Baumgarten, mir mitteilt? «Ich bin nicht allein. Ich bin Teil dieses großen Ganzen.» Er vermittelt mir in einem Augenblick die Sicht ferner Galaxien, das Hiersein vieler Mineralien und chemischen Substanzen, des Reichs der Tiere. Während ich an einen der beiden stelzenartigen Stammteile gelehnt die Nähe des Baumes suche und finde, turnt ein kleiner Vogel, es ist keine Meise, laut zilpend, nahe vor meinem Gesicht auf und ab. Ich weiss, er will mich von seinem Nest ablenken. Später verstehe ich: Das Vogelnest ist gut versteckt in einer Baumhöhle des Apfelbaums, die ich gar nicht bemerkt hatte. Dort wo die Stammteile sich wieder vereinigen und gleichzeitig die ältesten, die Hauptäste abzweigen wächst grünes Moos auf der nassen Rinde. Dort irgendwo sehe ich die den kleinen Vogel mit Wurm im Schnabel verschwinden. Ich habe die kleinen Äpfel vergessen, die im letzten Jahr auf den vertrocknenden Zweigen hingen. Fortgesetztes Leben, und vielleicht wird es auch dieses Jahr noch einige lebendige Äste mit Äpfeln auf diesem Baum geben. Äpfel sind mein Lieblingsobst, sie sind mir wirkliche Nahrung, auf allen Ebenen. Ihr Duft, ihr nasses Fruchtfleisch, die vielfarbigen Schalen, gelber Apfel; roter Apfelbaum Leben.
Bäume und andere Pflanzen, das ganze Pflanzenreich soll wichtiger Protagonist im neuen Romanprojekt «Freundschaft Genossin» werden. Die Recherche findet im Garten statt….. und ich habe mir bisher viel zu wenig Zeit für den Baum genommen. Ich sagte: ‘Ich werde über den Apfelbaum schreiben, den alten, der schon so hohl ist und fast tot.’ Ist es, dass mich sein Alter, seine raue Aststruktur, die abgestorbenen Teile, die Flechten auf den dünnen Zweigen, das Moos, die Löcher, ist es, dass alles das mir hinfällig vorkommt, morbid im wahrsten Wortsinn? Will ich nicht so genau hinschauen? Ist mir seine Art Apfelbaum zu sein zu sehr fremd? Ja, das auch. Könnte ich mich vor dieser Fremdheit retten mit einem Haiku oder einem gelehrigen Zitat: «Der Apfelbaum ist ein Apfelbaum ist ein Apfelbaum»?
Heute, unter tiefliegenden grauen Wolken an einem kalten Maientag, gehe ich zurück in den Baumgarten, zurück auf die Wiese. Ich nehme mir noch einmal Zeit für «den alten Baum, den sterbenden Apfelbaum». Still stehe ich, nahe am Stamm, komme zur Ruhe. Ruhe wie der Baum – er ist so tief verwurzelt in der Erde.
«Ob ich lebe oder sterbe, ist nicht so wichtig. Ich bin Teil von allem. Ich bin ein winziger Mikrokosmos im glänzenden Netz des Lebens. Ich bin nicht wichtig und nicht unwichtig, ich werde, ich bin da, ich vergehe.»
Ja. Warum erlebe ich mich selbst nur so selten als selbstverständlich als Teil eines Ganzen?
Das Äussere betrachten, die Rinde, die leeren Höhlungen im Stamm. Die Bakterien und Kleinstlebewesen, die Protoctisten und Pilze, die auf der Haut des Baumes leben, kann ich nicht sehen. Die Meise musste sich lärmend in mein Blickfeld manövrieren, bis ich auch ihr Leben als Teil des Baums wahrnehmen konnte. Was kann ich sehen, wenn ich den Apfelbaum sehe?
Anfangs wollte ich nur die Apfelbaumblüte vor blauem Himmel sehen. Das war mein Wohlfühlbild, das bekanntes Schönheits- und Naturdenken bedient. Ich wollte nicht die rosa-lilagetönten Schuppen der Rindenhaut an den Höhlungen des Stammes sehen. Ich wollte gar nicht so gern in den hohlen Stamm schauen. Ich weiss aus meinem Baum-Buch, es sind dort viele Arten von Pilzen dabei sich vom sterbenden Baum zu ernähren, den Baum dabei von innen immer weiter aushöhlend. Wieso will ich diese Pilze und Zwischenwesen, diese Bakterien und Viren nicht als Leben wahrnehmen?
Warum dachte ich: «Der Apfelbaum blüht und stirbt!», während er mürbe, schwarz und hell vor mir steht, wortlos?
Diese Serie von BLOG Beiträgen zur Entstehung von «Freundschaft Genossin» soll auch dazu beitragen, dass LeserInnen über die Entstehung eines Romans oder einer Geschichtensammlung besser informiert sind.
Karin Koppensteiner 30.04.2021 Allgemein Keine Kommentare
Eine neue Figur für «Freundschaft Genossin» taucht auf.
Während ich Skizzen zu einem der Themen des neuen Romans schreibe – es geht um den verwilderten Gemüsegarten am Grünen See – erscheint spontan und plötzlich eine neue Roman-Figur. Seine poetische Beschreibung einer Regennacht fällt mir auf. Ich schreibe weiter: Es ist eine noch unsichere Stimme, die erzählt. Wer ist er? Er ist noch sehr jung – ich weiss gleich, er wird Cornell heissen. Ich habe im Internet eine lange Liste der gebräuchlichsten Namen zwischen 2000 und 2005 für Jungen und Mädchen angesehen. Dann habe ich je zehn Namen ausgesucht, für meine jungen ProtagonistInnen im Seehotel-Camp, den Klima-Streikern. Der Name Cornell war nicht dabei.
Er heisst also Cornell, sein älterer Bruder heisst Piet, auch dieser Name steht nicht auf der wohl vorbereiteten Liste. Cornells Eigenschaften finden sich langsam ein, im Verlauf eines Tages des Schreibens und bei der Gartenarbeit. Denn bei der Gartenarbeit sinnt ein Teil von mir noch fast unbemerkt der neu gesponnenen Geschichte nach. Ich hatte sofort eine tiefe Sympathie für ihn: Cornell, der mit vierzehn noch immer nicht richtig lesen kann. Cornell, der in der Welt des «gamens» hängen geblieben ist und der doch seine Mitwelt auf eine für sein Alter ungewöhnlich differenzierte Art erlebt. Nun, da er mit seinem älteren Bruder und anderen am See campiert und aus seiner Welt des «gamens» ausgestiegen ist, sitzt er bei Regen am Gemüsebeet, allein, im Dunkeln. Er sitzt verwundert, dann kommt der Mond.
Die Figur des Cornell hat mir das Herz wieder für die Poesie des Schreibens geöffnet. Cornell ist im Moment eine Schlüsselfigur, zumindest für mich, die Schreibende. Er ist das Bindeglied zu den zarten, den schwer einzugrenzenden Erlebnissen in der Natur.
Ich habe mir in einem Teeladen in Zürich ein Buch gekauft. «Zeichen der Stille». Es ist die Autobiographie einer französischen Kunstmalerin. Das Buch ist 2004 in der Schweizer Edition Spuren erschienen. Das nenne ich einen Longseller. Fabienne Verdier reiste im Jahr 1983 als Stipendiatin nach China, nach Chongqing in Sichuan, um Malerei zu studieren. Mit einem Meister, der ihr die, damals in China noch als reaktionär und daher verpönt geltende Kalligrafie fast im Verborgenen lehrte, studierte sie viele Jahre vor Ort.
Ihre Beschreibung der Kunst der Kalligrafie und Landschaftsmalerei der chinesischen Poeten beleuchtet hell und ganz unvorbereitet meine eigene Art zu arbeiten, wie ich sie beim Romanschreiben der Trilogie entwickelt habe.
Ruhe, Rückzug, dann tiefes Erleben einer Landschaft steht für mich am Beginn, im Verlauf der Kunstarbeit wird «Natur» und «Wildnis» zur wichtigen Protagonistin und verwandelt sich gleichzeitig, wird essentiell in den Buchstaben, die Geschichten malen.
Manchmal kommt beim Lesen von « Zeichen der Stille» ein «Aha!»-Moment auf unerwarteten Wegen. Die Lektüre dieses Zeitzeugnisses aus dem China der frühen 1980er Jahre, das als nach der Kulturrevolution innerlich zerbrochen beschrieben wird, ist sehr spannend und wühlt mich auf. Bei den Stellen, wo es um Rollbilder mit kalligrafierter Poesie und Malerei geht, sehe ich meine Arbeit der letzten Jahre in einem anderen Licht: Stille war mir ganz wichtig, die Stille in der Landschaft.
Über ihren alten Kalligraphie-Meister schreibt die Autorin Verdier: «Er zeigte mir Bücher mit alten Landschaftsmalereien. Das Gerüst der Welt und die Essenz des Dunstes wurden durch die Feinheit und die Transparenz der Lavur hindurch sichtbar. Allmählich führte er mich von der Kalligraphie zur Landschaft: ‘Anders als die westliche Landschaftsmalerei ist die chinesische Malerei kein Abbild der uns umgebenden Wirklichkeit. Die Ähnlichkeit interessiert uns nicht; sie ist etwas für vulgäre Geister. Natürlich’, begann Meister Huang von Neuem, ‘gebrauchen auch wir unsere Berge und Täler als Inspirationsquelle, genauso wie die Zeichen der Schrift. Es bleibt eine Beziehung zur Realität bestehen. Diese stellt jedoch nur eine Art Alphabet dar, mit dessen Hilfe wir unsere innere Vision kreieren, den Lebensgeist des Berges oder der Landschaft, die wir darstellen wollen.’»
Vor Kurzem machte ich einen Ausflug an den Walensee. Diese Landschaft, in der ich zu Beginn dieses Jahrtausends viel Zeit verbrachte, war die ursprüngliche Inspiration für das literarische Abbild, die Bergwelt des «Grünen Sees» sowohl im «Pilgerweg heim», als auch, in einer kurzen Episode in «Bonsai». Als ich an diesem kalten Frühlingstag am Walensee ankam, war ich wieder, immer wieder, beeindruckt von der Felswand, welche die Kurfirsten direkt vom See her hoch aufragend bilden. Der See lag ungewöhnlich still, das tiefe Wasser leuchtete in verschiedenen Farben von Saphiergrün bis Flaschengrün unter dem blauen Himmel. Wieder fuhr ich mit dem Fährschiff von Murg hinüber nach Quinten, wie früher sehr oft.
Doch mein «Grüner See», die ideale Landschaft, die aus der Inspiration entstanden war, schien mir nun, mit etwas Abstand von einigen Jahren, farbiger und noch reizvoller als das Original. Für mich könnte der «Grüne See» nun überall in den Alpen sein.
Der von mir geschaffene «Grüne See» im Buch hat sich vom See in der betretbaren Landschaft getrennt. Er ist zu ein Kunst-Gebilde geworden.
Und das ist gut so.
Karin Koppensteiner 15.04.2021 Allgemein Keine Kommentare
Gestern habe ich zum Arbeiten mein Atelier verlassen und bin für einen Tag an den Grünen See gefahren. In Zeiten der Covid-19 Pandemie bin ich immer seltener unterwegs, doch gestern zog es mich trotz Kälte hinaus. Seit mehr als zwanzig Jahren ist dder Walensee für mich Inspiration. Das Ufer unterhalb der Felsen, die auf dem Foto zu sehen sind, war für viele Jahre Ort für Meditation und Rückzug, auch fürs Schreiben. Ich wollte den Ort wieder aufsuchen, um zu spüren, zu ertasten und zu überlegen, ob ich zur Fertigstellung des dritten Romans der Trilogie vielleicht wieder einige Zeit in Quinten verbringen sollte.
Auch heute wieder kam der Moment von „einfach SCHÖN“!“ Auf der Überfahrt von Murg nach Quinten. Vom Fährschiff gestiegen bin ich in Au. Dort ist noch immer der einzig verwüstet wirkende Ort an diesem Ufer. Dort, wo früher das alte Landgasthaus stand, das abbrannte, weiden Geissen auf dürrem Grund.m Auch sind dort ehemalige und neue Anlegestellen für Boote, die Schiffstation. Ein Miniaturlaster für Wegarbeiten fuhr vom Schotter am Ufer hinauf für Arbeiten auf dem Wanderweg. An diesem Platz war ursprünglich das „Seehotel“ angesiedelt. Ich schaue, fotografiere, bemerke, dass das Ufer an dieser Stelle kleinräumig ist, sich erst weiter nördlich wieder öffnet, sich einen Hang hinaufzieht, Richtung Felsen, neue Bäume und Sträucher sind gewachsen.
Schon beim Gehen am anderen Ufer wurde ich wieder von der überwältigenden Anwesenheit von Fels und Wasser, dem Schutz, den ich dort empfinde. Auch die Freude an einem autofreien Ort zu sein, das Geräusch des Wassers und erste Grillen auf einem steilen und sonst noch fast grünlosen Weinberg.
Ich spürte die Nahrung der Felsengöttin, die ich schon länger vermisste.
Auf einem warmen Stein sitzend, im Windschatten eines größeren Felsen sitzend Mittagessen: Humus & ein Weggli. Phu Erh Tee aus der Thermoskanne.
Auf den See hinaus schauen, direkt auf Fels am Ufer sitzend. Das Geräusch des Wasser auf den Steinen – vertraut, doch auch ein Sehnsuchtstauchen in der Vergangenheit. Erinnerung an Zeiten, als ich früher hier schrieb. „Der Pilgerweg heim“ wurde in einer Hütte hier am See begonnen und zehrte von vielen Wochen des Aufenthalts am Felsufer – bereits in den Jahren davor. Mittlerweile bin ich mit meiner Arbeit aber auch als Person sesshaft geworden, zu Hause angekommen. Auch was meine Arbeit betrifft bin ich am Liebsten in meinem Atelier, ich muss nirgendwo hin, um den dritten Teil der Trilogie zu beenden. Trotzdem, das spüre ich an diesem Nachmittag mehrmals, sind einige Plätze Kraftorte für mich. So richtig bemerkte ich das erst in den Träumen der auf meinen Ausflug folgenden Nacht, als ich wieder zu Hause in Schongau war.
Während ich bei der Überfahrt mit dem Fährschiff die Hänge bis hinaus zu den Felsen betrachtete, die noch Schnee bedeckten Einschnitte, auf denen auch einige Bäume wachsen, vielleicht hinter Felsen kleine, fast unerreichbare Täler versteckt liegen, erinnerte ich mich, wie viel Inspiration und Kraft hier gefunden hatte. Ich habe diese Erfahrung angenommen und eine ideale, eine wunderbare Landschaft, vor allem im „Pilgerweg heim“ daraus gemacht. Eine wiedererzählte Landschaft voller Zeichen und Medizin. Diesen hier – den realen, sich über über wenige Kilometer hinstreckenden Hügeln unterhalb der Felsberge – fehlt der Zauber, die Magie, den sie in meinen Büchern haben. Und das ist auch gut so.
«Freundschaft Genossin» ist ein neuer Roman an dem ich schreibe. In diesem BLOG will ich mehrmals pro Monat über meine Arbeit am Text berichten.
Karin Koppensteiner 02.04.2021 Allgemein Keine Kommentare
BLOG ZUM BUCH: «Freundschaft Genossin» ist ein neuer Roman an dem ich schreibe. In diesem BLOG will ich einmal pro Monat über die Arbeit am Text berichten.
Die Arbeit am Text «Freundschaft Genossin» ist an einem spannenden Punkt angekommen. Einerseits schreibe ich bereits kurze Stücke für den Roman, von denen ich noch nicht weiss, wie ich sie später zu einem Ganzen verweben werde.
Zum anderen arbeite ich in meinem Büro an den unterhalb des Romans liegenden Schichten. Ich schreibe eine Schicht, wechsle zur nächsten, komme am folgenden Tag vielleicht zur ersten zurück. Die Vorbereitungen für eine lange Erzählung oder einem Roman besteht für mich darin anfangs eine Basis für diese Geschichte zu erstellen, so etwas wie ein geschriebenes Fundament. Wie viele Schreibende habe ich zwar auch – noch vom ersten Teil «Der Pilgerweg heim» – eine Beschreibung der einzelnen Charaktere, mit Alter, Eigenheiten, körperlichem Erscheinungsbild, bis hin zur Haarfarbe, Augenfarbe. Das gehört zur handwerklichen Vorarbeit. Diese Liste wird während des Schreibens erweitert, wenn neue Charaktere dazu kommen. Aus dieser ersten Exel-Datei beim ersten Teil der Trilogie hatte sich schon früh mein Wunsch nach weiterer Vorarbeit ergebe
Bei der Arbeit am Roman «Bonsai», dem zweiten Teil, schrieb ich zum Beispiel eine ausführliche Beschreibung der Kindheit von Antonin Maienfeld. Diese kurze Erzählung lag in ein Arven-Kästchen, ebenfalls Teil der Erzählung. Sie war bereit, vielleicht, im Verlauf der Entstehung von BONSAI aufgefunden zu werden, aber vielleicht auch nicht. Sie wurde nicht aufgefunden – der Protagonist John Maienfeld versucht aber selbst ein Kästchen aus Arven- oder Zirbenholz zu schnitzen.
Für «Freundschaft Genossin» habe ich von Anfang an mehrere Schichtungen, an denen ich arbeite. Ich habe die Qualität dieser Technik erkannt. Ich schreibe kurze Texte, von denen ich weiss, dass sie so nicht im späteren Roman auftauchen werden. Ich schreibe Zusammenfassungen von Büchern, die ich für das Thema recherchiere. Auch Bilder einer verstorbenen Künstlerfreundin habe ich für „Freundschaft Genossin“ im Atelier aufgehängt. Sie erinnern mich an die Verletzlichkeit und die Stärke unserer inneren und äusseren Wildnis. Das ist ein Thema, das alle drei Teile der Trilogie gemeinsam haben.
Ich schrieb aber auch kürzlich einige kurze Geschichten über «Solidarität, Politik und Utopie» aus meinem Leben. Für mich ist es eine Aufwärmübung, von der vielleicht die eine oder andere Idee später in «Freundschaft Genossin» einfliessen wird.
Hier zum Beispiel folgt eine kurzer Textauszug, wie das Buch zu seinem Arbeits-Titel kam: «Freundschaft Genosse!» in der sonnigen Küche sitzt mein Mann am Frühstückstisch und blättert in einem Buch. Ohne aufzublicken antwortet er: «Freundschaft, Genossin!» – als sei das unser selbstverständlicher Gruss. Es ist der 1. Mai. Ich hatte in der Nacht von Wien geträumt.»
Eine weitere Schicht des Fundaments besteht aus meinem vor etwa zwei Jahren wieder aufgenommenes Studium des buddhistischen Grundlagenwerks «Bodhicharyavatara» (deutsch: «Der Pfad des Bodhisattva»). Aus dem Text – entstanden im buddhistischen Indien des 8. Jahrhunderts – nehme ich konkret die Originalverse und Kommentaren und schreibe sie auf . Es sind vor allem diejenigen, von denen ich glaube, dass ich sie als «Ideen» später in das Buch einfliessen lassen kann. Ich will dabei aber jede Spur von «Religiosität» auch in «Freundschaft Genossin» vermeiden. Der Text ist ein zeitloses Werk über die menschliche Natur und wie wir unser Alltags-Leben verbessern können. Notizen für diese Schicht des geheimen Fundament mache ich mehrmals wöchentlich, mit Inspiration und Freude. Auch dafür habe ich ein Beispiel. Ich belasse die Zeilen im Englisch, ich habe keine befriedigende Version dieses extrem komplexen alten Sanskrit-Textes auf Deutsch gefunden.
8.173: And so it is that if I want contentment // I should never seek to please myself. // And likewise, if I wish to save myself, // I’ll always be the guardian of others.
8.174: To the extent this human form // Is cosseted and saved from hurt, // Just so, just so, to that degree, // It grows so sensitive and peevish.
8.175: For those who fall in such a state, // The earth itself and all it holds, // Are powerless to satisfy. // For who can give them all they grave?
Karin Koppensteiner 17.03.2021 Allgemein Keine Kommentare
BLOG ZUM BUCH: «Freundschaft Genossin» ist ein neuer Roman an dem ich schreibe. In diesem BLOG will ich mehrmals pro Monat über die Arbeit am Text berichten.
In der vergangenen Woche habe ich wenig geschrieben, sondern vor allem gelesen, allerdings zu den Themen, die mich für den Roman beschäftigen. Ein kleines Taschenbuch in englischer Sprache war dabei: «Training in Tenderness» von Dzigar Kongtrul. Es ist ein Buch mit modernen Erklärungen zu Basisübungen im Buddhismus. Im Untertitel kommt der Begriff «Radical Openness of Heart» vor. Das ist es, worum es unter anderem in «Freundschaft Genossin» gehen soll.
Die Lektüre hat mich inspiriert. Es entstanden, fast nebenbei, einige Text-Skizzen. Sie sind in einem verlassenen wilden Gemüsegarten am Grünen See angesiedelt. «Silvias wilder Garten» ist schon im ersten Teil der Trilogie, «Der Pilgerweg heim» ein Symbol der Trennung und Wiedervereinigung von Wildnis und Zivilisation. Zwei der Protagonistinnen, Silvia und Nora, führen dort ein langes Gespräch über die verlorene Wildnis des Herzens.
Auch im neuen Roman ist «der Garten» für mich nicht nur Symbol für Erdung und Fruchtbarkeit, sondern auch ein Ort, wo erzählt werden kann, wo Worte sich einfinden, wo sich unser archaisches Erleben mit Zivilisation verbindet. Mehr will ich aber über den verwilderten Gemüsegarten in «Freundschaft Genossin» jetzt noch nicht schreiben.
Dieser BUCH-BLOG, als ein Versuch das neue Buch-Projekt von Anfang an zu begleiten, ist etwas zweischneidig. Kürzlich hatte ich das Gefühl, diesen rohen, noch sehr verletzlichen Text zu früh ins Rampenlicht geholt zu haben, vor seiner Geburt schon. Deshalb will ich mich in diesem BLOG, aber auch auf der Facebook Seite «Freundschaft Genossin» mehr auf den Prozess des Schreibens konzentrieren und weniger auf den dabei entstehenden Text.
Ein zweites Buch, in welchem ich in den vergangenen Tagen gelesen habe, ist ein grosser Bildband mit wunderschönen Fotos: «Das geheime Leben der Bäume». Obwohl ich mich über die etwas sehr schnoddrige Schreibe des Förster-Autors manchmal ärgere, finde ich – vielleicht gerade deshalb? – neuen Zugang zu Bäumen, zum Wald. Oft geht es dabei auf erfreulich sachliche Art um ein weiteres Thema, das im Buch-Projekt im Mittelpunkt steht: wie alles mit allem verbunden ist. Vom Buddhismus bis hin zu den neuen Wissenschaftstheorien ist man sich darüber einig: nichts ist ohne etwas anderes möglich.
Bäume, Blumen, Büsche, Gräser, sie sind seit meiner Kindheit wichtige Freunde und Begleiterinnen. Gutes Beispiel sind die Schneeglöckchen rund um unser Haus: plötzlich, meist Anfang März, tauchen die ersten aus der Wiese und unter dem Schnee hervor. Sie bringen die Idee des Frühlings in mein Leben, wenn noch Winter ist. Ich bewundere sie, vor allem die allerersten, gehe sie täglich besuchen, beachte sie, pflücke einige für eine winzige Vase, trage sie im Haus umher, immer dorthin, wo ich gerade bin. (Auf dem Foto ist auch eine Schneeflocke, rechts oben.)
Pflanzen werden, das habe ich auch als eine der Vorgaben für den Roman von Anfang an beschlossen, ebenfalls wichtiger Teil des Romans sein. Sie werden immer wieder in Erscheinung treten, auf mannigfaltige Art und Weise, auch als Helfer.
Unseren bereits zwanzigjährigen hochstämmigen Bambushain will ich in die Geschichte aufnehmen, verwandelt und auf wundersame Weise an den Grünen See transkomponiert. (Auf dem Foto oben ist er durchs Fenster zu sehen.) Oft im letzten Winter, der so lange war, habe ich den Bambus-Blättern im Wind durch die Fenster zugesehen. Immer wieder waren sie auch tageweise niedergedrückt von Schneelasten. Manche von den Riesengräsern sind zerbrochen. Die meisten aber haben sich immer wieder aufgerichtet und stehen auch jetzt in verschiedenen Grüntönen leuchtend in den Sonnenstrahlen, wenn ich aus dem Fenster schaue. Wind regt sich heute nur in ihren Spitzen.
Karin Koppensteiner 05.03.2021 Allgemein Keine Kommentare
BLOG ZUM BUCH: «Freundschaft Genossin» ist ein neuer Roman an dem ich schreibe. In diesem BLOG will ich mehrmals pro Monat über die Arbeit am Text berichten.«
Wenn etwas Kunst ist, dann soll man besonders schauen. Ich weiss aber nicht, wie ich da schauen muss.» Es ist der Satz eines Kindes. Diese Aussage beinhaltet beides: Das Kind weiss bereits, dass es eine erlernte, eine vorgegebene Art gibt, etwas als Kunst zu betrachten. Und es weiss, dass dafür nicht vorbereitet ist. Doch weiss ich, als Schriftstellerin, mehr über Kunst? Weiss ich «wie ich das schreiben muss?»
Wenn ich ganz entspannt und in mir verankert bin, dazu leicht und spielerisch, wenn ich an einem Tag meiner selbst sicher bin, dann, kann es sein, dass sich an Orten, wo ich schon oft war, neue Sichten der Welt enthüllen. Während einer Stunde «absichtslosen Schlenderns durch Zürich» fand ich diese Bilder auf der Wasseroberfläche des Schanzengrabens in Zürich – als eine spontane Transformation der Alltagswelt – zur Stärkung und als Inspiration.
Was geschieht, wenn ich durch Bilder, Menschen, Emotionen inspiriert bin, hängt von meiner inneren Verfassung ab. Bin ich gerade offen und bereits, hinzusehen. Bin ich risikofreudig? Habe ich die spielerische Kraft das, was ich im Inneren oder Aussen wahrnehme, so sein zu lassen, wie es gerade ist? Ist es mir möglich in eine Dimension der Ideen, starken Emotionen, Erinnerungen einzutreten? Habe ich Zeit dafür? Fühle ich mich sicher und geerdet? Wird es mir gelingen einfach loslassen, die Kontrolle über das, was möglich und das was unmöglich ist, kurzfristig aufgeben – und einfach zu schreiben?
Im Moment ist das Schreiben bei «Freundschaft Genossin» leider etwas in den Hintergrund gerückt. Zu sehr habe ich mich auf einem Nebenschauplatz engagiert: Der neuen Facebook Seite mit gleichem Namen: «Freundschaft Genossin». Es begann spielerisch, experimentell vor mehr als einem Monat. Was wird möglich sein, fragte ich mich beim Ausfüllen der Formulare, beim Befüllen dieser Facebook-Seite. Nun: nichts ist möglich, wenn ich nicht bezahle. Das wurde mir im Tag nach meinem ersten Beitrag auf der neuen Seite vermittelt. «Sie könnte an einem Tag 879 Personen mit ihrem Produkt oder Ihrem Anliegen erreichen – für nur Fr. 25.-». Ich begann auf das Spiel einzugehen, allerdings ohne zu bezahlen. Ich rief alle Formulare auf, die ich zum Herausfiltern meiner Zielgruppe ausfüllen sollte. Doch ich hatte weder etwas zu «verkaufen», noch ein «Anliegen», das ich meiner Zielgruppe näher bringen möchte. Ich wollte über ein Kunst-Projekt schreiben und mit dem Medium Facebook spielen. Ich lernte allerdings aufgrund der vielen Formulare in wenigen Tagen, und davon war ich schon sehr fasziniert, wie einfach und schnell man mit einer solchen Facebook-Seite reisserisch aufgemachte Lügen an genau herausgesuchte Zielgruppen senden könnte.
Wie ein Kind hatte ich mit dieser Website zu experimentieren begonnen, in der Hoffnung, auch auf diesem Weg das Entstehen des neuen Romans zu dokumentieren. Natürlich war ich mir bewusst, wo ich war, ich habe auch eine private Facebook-Seite. Natürlich hatte ich auch einen Plan, der mit Politik zu tun hatte, als ich die neue Seite in die Facebook-Welt setzte. Doch wie ganz am Anfang dieses BLOG-Beitrags geschrieben: Ich wusste, wie dieses Kind, nicht sehr genau, wie die Spielregeln sind.
Daher habe ich beschlossen, mich wieder meinem «Kerngeschäft» zuzuwenden: dem Schreiben eines neuen Textes.
Ich bleibe im Moment noch beim «Leitmotiv» für meine neue Arbeit, dem Arbeitstitel: „Freundschaft, Genossin!!
Karin Koppensteiner 25.02.2021 Allgemein Keine Kommentare
BLOG ZUM BUCH: «Freundschaft Genossin» ist ein neuer Roman an dem ich schreibe. In diesem BLOG will ich mehrmals pro Monat über meine Arbeit am Text berichten.
Umherschweifen – das ist ein wirklich altmodisches Wort. Doch trifft es genau das, was ich während der Arbeit an einem großen Projekt immer wieder benötige. Manchmal gehe ich dann in einer Arbeitspause auf unserem Grundstück umher, ohne Ziel, ohne Aufgabe. So nehme ich den Druck von meinem Geist, nachdem ich während mehrerer Stunden sehr zielgerichtet gearbeitet habe.
Dieses ziellose Wandern, das ich auch gerne und lange in einer bekannten Landschaft mache, verhilft mir immer wieder zu überraschenden Ausblicken. Beispiel: Wir wohnen seit 20 Jahren in einem spätbarocken Bauernhaus im Kanton Luzern/Schweiz. Auf einer Seite geht unser Grundstück weit bergab. Früher war diese Wiese eine intensiv benutzte eine Kuhweide. Viele Hochstamm-Obstbäume sind noch geblieben, manche waren schon so alt, dass sie in den letzten Jahren gestorben sind. Die Mostbirnen-Bäume sind ebenfalls älter als 80 Jahre. Vor kurzem bin ich – als noch Schnee lag – den kleinen Bach entlang gestapft, der auf einer Seite das Grundstück abgrenzt, Blick nach unten gerichtet. Dann stand ich plötzlich vor einem dicken Baumstamm, schaute auf. Ich erkannte ihn kaum. Hatte ich ihn bisher so wenig beachtet? Dieser alte Birnbaum steht am nördlichsten Punkt unseres Grundstücks. Er ist vom Haus aus nicht sichtbar, eine Scheune verdeckt ihn. Aber trotzdem: „Wie kann es sein, dass mir dieser Baum so wenig bekannt ist?!“ Ich habe ihn an diesem Wintertag lange angesehen, von allen Seiten, die Höhlen in seinem Stamm , die Zeichen alter Bruchstellen. Auch fotografiert habe ich ihn.
Seither gehe ich regelmäßig zu dem Baum, um ihn besser kennenzulernen. Es ist Teil meiner Arbeit geworden, den Baum zu besuchen, zu beachten, die Vielschichtigkeit seines Holzwesens zu erforschen, wie und ob er sich verändert, jetzt, wo langsam der Frühling kommt. Als es nach langem Schneefall taute, sprudelten rund um den alten Baum kleine Quellen aus der Wiese. Einige Tage später waren sie wieder verschwunden.
Ob dieser mehr als einhundertjährige Birnbaum jemals in dem neuen Roman «Freundschaft Genossin» auftauchen wird, ist ungewiss. Ein Teil der Vorbereitung zu einem Schreib-Projekt besteht für mich darin, „den Boden vorzubereiten“. Ich könnte es auch so beschreiben: Ich webe einen – später vielfach unsichtbaren – Teppich aus Bildern und Geschichtsfetzen. Dieser liegt später unter der neuen, der für alle sichtbaren und lesbaren Erzählung.
Auch mein kürzlich erschienener Roman BONSAI hat Teile, die ausdrücklich nur als Vorbereitung geschrieben wurden. Zum Bespiel liegen in einem für die Geschichte erfundenen Arven-Kästchen Aufzeichnungen aus der Kindheit des Antonin Maienfeld versteckt. Ich habe sie erfunden, niedergeschrieben und nicht für den Roman verwendet. Sie blieben ein Geheimnis, bis zu seinem Roman-Tod – versteckt in einem imaginären Kästchen.
Zurück zur Arbeit an «Freundschaft Genossin»: eine weitere Vorbereitung zum Schreiben ist, wie schon im letzten BLOG erwähnt, ein buddhistischer Grundlagentext, der im 8. Jahrhundert in Indien geschrieben wurde. Das «Freundschaft» im Arbeitstitel des Romans bezieht sich zwar einerseits auf konkrete Erfahrungen mit der sozialistischen Partei im Wien meiner Kindheit, ist aber auch ein Begriff, den ich genau untersuchen will. Taugt er noch für kommende Real-Utopien?
Das Ideal des Bodhisattva im Mahayana-Buddhismus betrachte ich in der Essenz als einen sehr frühen Versuch, sich vollständig und ohne Hintertüren mit der gesamten Welt, so wie sie uns im Moment erscheint, zu befreunden. Der Titel hat also durchaus auch eine buddhistische Färbung.
Anmerkung: Ich habe vor zwanzig Jahren eine Auftragsarbeit als Übersetzerin angenommen, die mich sehr viel Zeit gekostet hat. Es ging darum einen sehr komplexen, mehr als fünfhundertseitigen Kommentar, zum neunten Kapitel des Textes „Bodhicharyavatara“ von Shantideva zu übersetzen. Damals habe ich mich mit den verschiedensten Übersetzungen des dem Kommentar zugrunde liegenden Originaltextes in Versen in westliche Sprachen beschäftigt. Das hat mir wiederum auch bei meinem persönlichen Studium und der Praxis des Dzogchen geholfen.
Im letzten Jahr habe ich eine mich inspirierende Übersetzung der Originalverse ins Englische, von der Padmakara Übersetzergruppe gefunden, dazu den zeitgenössischen Kommentar einer buddhistischen Lehrerin.
Aus diesem Buch nehme ich nun als – unsichtbare – Ergänzung meiner Recherchen und Schreibarbeit jeweils eine Strophe, die mich besonders berührt Ich schreibe sie heraus, übersetze sie für mich ins Deutsche und bleibe ein bis zwei Tage mit diesem Vers.
Für den Anfang hatte ich mir einen Vers vom Ende des Buches ausgesucht, aus der Widmung. Diesen will ich hier teilen, eigentlich ohne weiteren Kommentar, aber mit dem Hinweis, dass dieser Text, wie oben erwähnt, 1200 Jahre alt ist:
10.26
May children and the old, the weak, protectorless,
Bewildered in the wild and pathless wastes,
And those whose minds are dulled, and all who are insane,
Have pure celestial beings as their guardians.
Mögen die Kinder und die Alten, die Schwachen, die Schutzlosen,
Diejenigen, die verwirrt in unwegsamer Wildnis sind,
Auch jene, deren Geist dumpf ist oder ihm Wahn,
Mögen sie alle reine himmlische Wesen als Schützer haben.
Karin Koppensteiner 17.02.2021 Allgemein Keine Kommentare
Das Jahr 2021 habe ich mit einem Experiment begonnen: Ich versuche, den einsamen Prozess des Schreibens zu dokumentieren, allerdings natürlich nur sehr punktuell. Es geht um mein neues Buch, dritter Band einer Trilogie, mit dem Arbeitstitel «Freundschaft Genossin».
Mit dem BUCH-BLOG dokumentiere ich die Entstehung eines Romans. Ich habe das Experiment auch auf eine gleichnamigen Facebook-Seite ausgedehnt: Freundschaft Genossin @fraukoppensteiner.
Was ich versuche, ist das Gegenteil des Schreibens im klassischen Elfenbeinturm. Schon der Anfang der Geschichte, der Entstehungsprozess, ist laut, nicht still. Das hat sicherliche auch mit der Covid-19 Pandemie zu tun und unserer kollektiven Erfahrung des Rückzugs.
In den letzten Monaten von 2020 war ich mit BONSAI beschäftigt, den Korrekturen im Layout, dem Warten auf das Buch, der Mithilfe beim Vermarkten, Video-Lesungen, Zoom Lesungen. Es war schwierig unter Pandemie-Bedingungen mit geschlossenen Buchhandlungen das Buch zu seinen Lesern zu bringen.
Und nun kommt sie fröhlich daher, sagt «Freundschaft Genossin», die Muse, sie ist diesmal mein inneres Kind, das habe ich schon herausgefunden, seit ich mit der Arbeit begann. Seit fast einem Jahr trage ich neue Ideen mit mir herum, ab und zu taucht etwas auf, eine Idee, einige Sätze, ich notiere, sinniere, träume. „Freundschaft Genossin“ kommt auf die Welt.
In den letzten Wochen sortierte ich bereits vorhandenes Material, das sich angesammelt hatte, Notizen.
Ich durchsuchte auch mein Fotoarchiv – alte Schwarzweiss Fotos schickten mich auf Zeitreisen.
Zu Beginn einer langen Kunst-Arbeit finde ich es nicht nötig, mich zu disziplinieren oder vor Ort einzufinden. Es ist zu früh, um in einen kontinuierlichen Arbeitsfluss einzutreten. In dieser Phase des Sammelns und Sortierens, erster Schreibversuche und der Recherche, ist das fruchtbare Chaos erlaubt. Es ist ein wenig, wie einen Hefe-Teig zubereiten: Alle Zutaten müssen zusammenkommen, nur so laufen chemische Prozesse ab. Ich gebe mir selbst den Raum unerwartetes zu entdecken, neue Perspektiven für mich zu öffnen.
Beispiel: wenn ich Hausarbeit mache, oder, wie kürzlich, einen Pullover stricke, dann sehe ich mir gleichzeitig YouTube Videos an. Meistens sind es Vorträge. Plötzlich tauchen ganz unerwartete Querverbindungen zu meinen Themen auf. Diese Themen, haben sich im letzten Jahr langsam zusammengefunden.
Themen-Liste – wie strahlende Blüten
- Wie ist es, wenn Menschen, so wie ich es in Wien als Kind erlebt habe, einander mit «Freundschaft Genosse» (oder jetzt, zB «Hello brother!») grüssen? Die Essenz davon ist das Wort «Freundschaft!» oder Verwandtschaft, also nicht «Verschwinde!» oder «Lass mich in Ruhe!» oder das distanzierende Schweizer«Grüezi!».
- Die alte Utopie des sozialistisch agierenden Kollektivs.
- Die Generation der kritischen, spirituellen und/oder politischen Avantgarde der 1960er/70er Jahre trifft auf die sehr jungen «Klima-Streiker» und «Rebellen» (zB «Extinction Rebels»). War ich doch selbst einmal Rebellin.
- Was können diese so unterschiedlichen Altersgruppen einander geben?
- Meine Kindheit in einer sozialistisch-kommunistischen Arbeiterfamilie in Wien.
- Das andere wichtige Wort aus meiner Kindheit und Jugend, das mir als ein Schlüsselwort für 2021erscheint ist das Wort«Solidarität».Ich will es aus meiner Erfahrung/Lebensgeschichte hervorholen und beobachten.
- «Bodhicharyavatara»von Shantideva. Das ist ein buddhistischer Text aus Indien, dem 8. Jhd. Studien, Themen, Exzerpte = Die Lebensweise eines Bodhisattva als gelebte und aktive Freundschaft mit allen Lebewesen.
- Globale Situation Pandemie Covid-19 und Mutationen.
- Schön wäre, könnte ich mehr über Viren und Bakterien lernen, das will ich schon lange. Lynn Margulis’ Buch aus den 1990ern: «Die andere Evolution» hat mich vor etwa einem Jahr auf diese Spur gebracht.
Orte der Handlung Noch nicht entschieden.
Aus den ersten Ausflügen zur Inspiration und aus den ersten Skizzen scheint sich als Ort der Handlung wieder «Das Seehotel» am grünen See herauszukristallisieren. Anmerkung für die BLOG-LeserInnen: «Das Seehotel» ist ein frei erfundener Ort an einem konkret existierenden Bergsee. Dort ist der «Der Pilgerweg heim» (Teil 1) grösstenteils angesiedelt.
Personen Wird das Seehotel noch einmal Ort der Handlung, dann wird es wohl noch immer von Adelheid und Franco bewohnt sein wird. Für die Jugendlichen will ich recherchieren, da freue ich mich drauf. Ich habe in meinem Umfeld leider keine jungen, verletzlichen «Extinction Rebels».
Erstes Vorgehen
Internet-Recherche zu den Themen «Klimastreik» und «Extinction Rebellion». Dass ausgerechnet zu Beginn dieser Arbeit, Anfang Januar 2021, eine Zoom-Begegnung zwischen SH 14. Dalai Lama und Greta Thunberg stattfindet, freut mich. Diese Begegnung, auch mit den Wissenschaftlern, drückt genau das aus, worum es in dem Text gehen soll – die Querverbindungen zwischen vielen kraftvollen und herzlichen alten Traditionen und neuen Bewegungen.
In meinem Büro-Computer habe ich schon drei Ordner für die neuen Texte und auch für diesen BLOG angelegt. Steht alles mit rotem Punkt markiert auf dem Desktop.
Der erste materielle Kartonordner steht auch schon da: mit Blumen bedruckt, aus Italien mitgebracht. Darin habe ich die ersten ausgedruckten ersten Texte gesammelt.
* Wichtig: ich habe bereits einen neuen USB Stick aus der Verpackung geholt. Darauf wird die jeweils letzte Version von «Freundschaft Genossin» täglich abgespeichert und ausserhalb des Büros deponiert.
Einmal monatlich soll dieser BLOG ZUM BUCH erscheinen. Ich freue mich sehr wenn möglichst viele an kreativer Arbeit Interessierte diesen Blog lesen, davon inspiriert werden – und ihn auch weiterempfehlen.
Karin Koppensteiner 08.02.2021 Allgemein Keine Kommentare
Meine neue eröffnete Facebook Seite «Freundschaft Genossin» betrachte ich als ein künstlerisches Experiment und als Teil meiner Schreib-Arbeit am gleichnamigen Roman.
Diese Seite entwickelt sich gerade zu einem für alle – auch für mich – sichtbaren Ausdruck des Dilemmas der Künstlerin. Ich habe mir für das Experiment mit der neuen Facebook-Seite drei Monate Zeit eingeräumt. Eröffnet habe ich die Seite am erstem Februar 2021. Aber schon jetzt weiss ich, sehr vielschichtig kann dieses Experiment leider nicht werden. Ich kann sie nicht einfach zur Kommunikation mit Interessierten verwenden.
Die Firma Facebook schlägt mir seit dem zweiten Tag der Existenz dieser neuen Seite vor, sehr wohlmeinend, ich solle doch meine Reichweite im Publikum erweitern, indem ich bezahlte Werbung schalte. Ich solle doch die von mir verkauften Artikel einem interessierten Kundenkreis bekannt machen, oder die Zielgruppe meiner Botschaften besser erreichen.
Nun habe ich – während ich ein Buch schreibe – weder etwas zu verkaufen, noch habe ich eine konkrete Botschaft für eine Zielgruppe. Selbst wenn ich bezahlte Werbung machen wollte – ich wüsste nicht, wen umwerben. Die zukünftigen LeserInnen eines Buches, dessen Erscheinungsdatum ungewiss ist?
Diese Facebook Seite zeigt mir auch, dass ich nicht in die Kategorie Verkäufer oder Käuferin – auch von Botschaften – eintreten kann und will. Ich passe damit nicht in unsere Konsumgesellschaft, die Gesellschaft der Käufer und Verkäufer – auch von Kultur. Ich könnte mich nun als Verweigerin der Konsum-Gesellschaft vermarkten. Geht aber, bei ehrlicher Betrachtung meiner Situation in dieser Facebook-Seite auch nicht. Ich finde in meiner momentanen Arbeit des Schreibens wirklich nichts zu verkaufen oder bewerben. Kunst-Arbeit ist ein Prozess von Entspannung, Können, Disziplin, Mut und Gnade, ein sehr privater Prozess.
Erste Erfahrung mit meiner neu erstellten, kommerziellen Facebook-Seite eröffnen mir, fast von selbst, auch einen Einblick in die Welt der Fake-News, die unseren Planeten im Moment oftmals im Griff zu haben scheinen – auch in der Ovid-19 Pandemie. Jedermann und jede Frau kann so eine Seite in kurzer Zeit erstellen und erfundene, als Wahrheit und Neuigkeiten deklarierte Inhalte darauf verbreiten. Je mehr von diesen kostengünstigen Werbeeinheiten man schaltet, desto weiter die Reichweite. Je genauer man dabei für Facebook die Zielgruppe der Werbung definiert, umso mehr Menschen erreicht man. Wenn nun eine ganze Gruppe von Menschen, jeder einzeln eine Facebook Seiten erstell und alle Seiten mit ähnlichen erfundenen Inhalten mehrmals täglich gefüttert und massiv und kostengünstig beworben werden, dann könnte diese Gruppe ihre Inhalte weit verbreiten, uns alle beeinflussen. Unser menschliches Gehirn hat Teile, die sehr einfach wahrnehmen: je öfter ich etwas höre, wahrnehme, lese, mit anderen diskutiere, umso wahrer wird es für diesen Teil der Wahrnehmung im Gehirn. In dieser Grenz-Zone der gemeinsamen Realität arbeiten auch wir Künstler. Es war noch nie ein bequemer Aufenthaltsort für den Geist.
Was ich als Künstlerin wahrnehme zeichne ich auf – es entstehen Geschichten und Bilder. Der Arbeits-Prozess ist Transformation oder Umwandlung, wie in der Alchemie. Ob mein Medium dabei Schrift, Bild oder Skulptur ist, ist sekundär und hängt einerseits von den Fertigkeiten ab, andererseits vom Projekt. Bei diesen künstlerischen Arbeits-Prozessen bleibt vielleicht manchmal am Ende eines Tages nichts übrig, Luft oder einige wieder verworfene Seiten beschriebenen Papiers. Manchmal geschieht aber auch ein Wunder: die Seiten bestehen unverändert, die Skulptur spricht.
Dies geschrieben und auf meinem Buch-Blog veröffentlicht, setze ich heute mit Freude die Arbeit an den ersten Seiten und Kapitel von «Freundschaft Genossin» fort. Ein so frisch geborener Text muss im Verborgenen wachsen. Erst viel später werde ich kurze Auszüge aus diesem neuen Buch veröffentlichen.
Das nächste Mal möchte ich in diesem BUCH-BLOG erzählen, warum ich gerade diesen Arbeitstitel für ein Buch gewählt habe, das sich viel mit Ökologie und dem Altwerden beschäftigt. Es hat etwas mit der innersten, einer aufrechten Geisteshaltung zu tun. «Freundschaft, Planet Erde!»
Karin Koppensteiner 01.02.2021 Allgemein Keine Kommentare
Mission Statement
Im literarisch-experimentellen Projekt «Freundschaft Genossin» will ich wieder auf verschiedenen Ebenen forschen. Wie schon bei der Arbeit an den beiden vorhergegangenen Teilen der Roman-Trilogie «Der Pilgerweg heim» und dem kürzlich erschienenen «Bonsai» beginne ich mit wenigen Vorgaben und beobachte, wie sich der Arbeitsprozess entwickelt. Diesmal will ich mich mehr mit der aktuellen sozio-politischen Situation beschäftigen, in der wir leben. Ich mische mich als Schriftstellerin ins Tagesgeschehen ein. Ausdruck davon ist auch die neu erstellte Facebook Seite «Freundschaft Genossin», die sich aber noch bewähren muss.
Themen, die von Anfang an für mich in diesen dritten Teil der Trilogie gehören, die Antrieb für mein Schreiben sind: Kollektiv, Solidarität, bewusste und unbewusste Verbundenheit verschiedener Generationen, Friedensarbeit.
Buddhistischer Grundlagentexte für diesen dritten Teil sind das Bodhisattvacharyavatara von Shantideva, ein buddhistischer Text aus dem Indien des 6. Jahrhunderts und verschiedene Kommentare dazu.
Bücher die ich für mein neues Projekt studierte sind von der Biologin Lynn Margulis – Evolutionstheorie und Gaia-Theorie, Charles Eisenstein – Ökonomie und neuer Ansatz zur Tiefen-Ökologie und Klimachaos. Verschiedene Bücher/Texte zum Thema Ökologie (vor allem: des Waldes) und über Bakterien habe ich teils schon gelesen, teils sind sie noch auf der Leseliste für die kommenden Monate.
Es geht mir bei dieser neuen Kunst-Arbeit darum zu erkunden, wie wir Menschen des beginnenden 21. Jahrhunderts in der Schweiz unsere tiefen sozialen Bedürfnisse nach Verbundenheit, oder Eingebunden-Sein ins Umfeld und die dazu gehörende innere Freundlichkeit nähren, oder eben nicht.
Übungen aus dem Buddhismus: während der Arbeit an diesem Buch, für den Schreibprozess und als dessen Ergänzung praktiziere intensiver als sonst verschiedene Übungen zum Mitgefühl, das sind eigentliche Grundlagenübungen der Ethik, die ich sowohl in Meditations-Sessions aber vor allem im Alltag vermehrt anwenden will, ebenso wie meine tägliche Dzogchen Praxis.
Karin Koppensteiner 25.01.2021 Allgemein Keine Kommentare
TRAILER
Nach dem Erscheinen von BONSAI gab es für mich keinen direkten Austausch mit Publikum, keine Lesungen. Ab und zu nehmen wir eine kurze Lesung mit Video auf. Ein Buch loszulassen ist auch Teil des Schaffensprozesses. BONSAI ist nun seit zwei Monaten auf seiner Reise zu den Menschen, unter erschwerten Covid-19 Bedingungen. Ich spüre nach einigen Monaten Schaffenspause wieder genug Kraft, um mein nächstes Schreib-Projekt anzugehen.
Das Arbeits-Jahr 2021 beginnt für mich in meinem Bienenhaus-Atelier mit einem Experiment. «Freundschaft Genossin» ist der Arbeitstitel des neuen Buch-Projektes. Intensiv an einer Blog-Serie darüber zu arbeiten ist Teil der Vorgabe an mich.
Während ich mir überlegte, wie ich diesen BUCH BLOG gestalten sollte, fand eine Zoom-Begegnung zwischen SH. Dalai Lama, einigen Wissenschaftlern und Greta Thunbergstatt. Weil es genau um diese Thematik in «Freundschaft Genossin» gehen soll, hat mich dieser Zufall sehr gefreut. Es geht um Begegnung von verschiedenen Welten, die Interaktion von zwei unterschiedlichen Generationen mit ganz verschiedenartigen Erfahrungen und Hintergrund, die einander im Austausch bereichern könnten.
BLOG ALS KUNST?
Wird es Menschen interessieren, die Entstehungsgeschichte dieses Buch-Projektes in einem BLOG mit zu verfolgen? Wird es mir gelingen, den Prozess des Schreibens interessant zu dokumentieren? Kann dieser BLOG die Mauer um den Elfenbeinturm der Schreibenden durchsichtig machen – vielleicht in ein Netz aus Verbindungen verwandeln? Werden verschiedene Zeiten und Räume zueinander finden?
Anfang Februar werde ich damit beginnen, den Schreibprozess selbst darzustellen und zu dokumentieren. Ob es einfach ein gutes Arbeits-Tagebuch wird? Oder könnte mehr entstehen, etwas ganz Eigenes, vielleicht ein Internet/Blog-Buch?
Der nächste Eintrag auf diesem BUCH BLOG am 1. Februar 2021 wird bereits das erste Mal die Entstehungsgeschichte von «Freundschaft Genossin»dokumentieren. Drei- bis viermal im Monat wird der BUCH BLOG danach Neues aus der Schreib-Werkstatt erzählen. Es ist ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Ich freue mich sehr darauf.
Karin Koppensteiner 14.01.2021 Allgemein Keine Kommentare
Die BLOGBEITRÄGE über die «Kunst zu leben -Kurse» sind beendet. Ab Februar beginne ich mit einem BLOG-EXPERIMENT: Ich werde die Entstehung des nächsten Buches mehrmals monatlich in BLOG-BEITRÄGEN dokumentieren. Bevor ich mit diesem BLOG in eine neue Phase übertrete, möchte ich mir aber noch einiges von der Leber schreiben:
«Menschen-Liebe» als Motivation das Schwierige auszuhalten.
Elf Monate haben wir nun Pandemie-Alarm». Diese Pandemie immer noch von den wirtschaftlichen, sozialen und ethischen Bedingungen, in denen sie entstanden ist, abgetrennt zu betrachten führt in Orientierungslosigkeit. Vorübergehende Orientierungslosigkeit und Unsicherheit auszuhalten, gehört zum Repertoire einer stabilen Psyche. Doch nun dauern die schwierigen Zeiten an, sind nicht mehr «eine Krise», sondern immer mehr «etwas Unbekanntes». Ich schaue mich um und nehme Angst, Unsicherheit, Schuldzuweisungen ohne Ende wahr, von Liebe ist nicht die Rede.
Wohin Aktionismus aufgrund von Orientierungslosigkeit und Existenzangst führt, wissen wir, wenn wir betrachten, was im 20. Jahrhundert zum zweiten Weltkrieg geführt hat.
Populistische Politiker nutzen jetzt, ebenso wie damals, die seit Jahren wachsende Orientierungslosigkeit und Ängstlichkeit ungebildeter oder wenig gebildeter, mutloser Menschen auf der ganzen Welt aus. Sündenböcke sind immer schnell gefunden, Verschwörungs-Theorien machen sich breit. Alternative Weltenmärchen werden gesponnen und ermutigen ihre Anhänger. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kamen in solch märchenhaften Fahrwassern die faschistischen Diktatoren Europas, einer nach dem anderen, an die Macht. Hinter ihnen, gut getarnt, machte die kapitalistische Wirtschaftselite gute Geschäfte. Im Krieg zuerst, und nach der Zerstörung des Krieges im Wiederaufbau großer Teile Europas, entstand die Idee eines Wunders: des „Wirtschaftswunders“, Basis der Mythen, alles Wirtschafts-Mythen, unserer neuen Zeit.
Die bereits im Berichten von Think-Tanks ab den 1970er Jahren vorausgesagte Entwicklung auf unserer Erdoberfläche ist eingetreten. Das Klima-Chaos, der vorausberechnete Anstieg der Meeresspiegel, die hemmungslose Überbevölkerung, die unbedachte Übernutzung der auf diesem Planeten natürlich vorhandenen Ressourcen.
Wir sind mitten in einer Pandemie namens Covid-19. Auch die Politiker, nicht nur die Wissenschaft und das Gesundheitswesen, sind überfordert. Jeder einzelne Mensch ist im Moment überfordert, das Kollektiv ist überfordert. Welche Geschichten vom Leben sollen wir einander erzählen? Was ist mit der Liebe, der Fürsorge, der Hingabe? Die erwünschte Sicherheit ist nicht mehr vorhanden.
Hier finde ich, sollte die Leserin dieses BLOGS innehalten und kurz überlegen: „Glaube ich, dass alles, was uns bedroht, individuell und als Gruppe, „kontrollierbar“ sein muss oder es je war?
Wichtige Begriffe in den Medienberichten sind seit Monaten „die Sterblichkeit“, sogar „Über-Sterblichkeit“, die bei den meisten Menschen Angst auslösen. Angst können wir in einer solchen Situation überhaupt nicht gebrauchen! „Die Sterblichkeit“ kommt mit dieser Virus-Krankheit in das Leben der Konsumgesellschaft, so als wären wir durch diesen Virus plötzlich und zum ersten Mal damit konfrontiert, dass jeder von uns sterblich ist, anfällig für Krankheit und Tod. Auch hier möchte ich die Leser dieses BLOG kurz dazu anregen, darüber nachzudenken, ob sie irgendjemanden kennen, der vor 150 Jahren geboren wurde und noch immer lebt?! Reich, arm, Könige, Nonnen, Filmstar oder Politiker, Bergbauern, Seefahrer, Juwelenhändler, Mörder, Einsiedler, gute Menschen, schlechte Menschen, alle sind bei ihrer Geburt mit einem gesegnet: der 1000% Gewissheit, dass sie sterben werden. Dieses unkontrollierbare Grundrecht, Teil unserer Geburt, untilgbarer Teil unseres Mensch-Seins ist es, den Zeitpunkt des eigenen Todes nicht zu kennen. Das aus dem Leben einer Gesellschaft kollektiv auszublenden ist bizarr. Doch es ist notwendig, denn Menschen die sich ihrer Sterblichkeit immer bewusst sind, werden ihr kostbares und begrenztes LEBEN wahrscheinlich nicht einfach vergeuden. Und wahrscheinlich auch nicht die kostbare Erde, auf der sie leben.
Verbirgt sich auch etwas noch Unbedachtes in dieser neuen Viruserkrankung? Trägt die Befürchtung von Politik und Gesellschaft „das Gesundheits-System“ könnte „an den Anschlag kommen“, trägt die Angst man müsste Menschen zu Hause oder in ihren Zimmern in Altersheimen sterben lassen, ein Geheimnis, eine noch unentdeckte Wahrheit über unsere momentane Situation in sich? Ich versuche, hier weiter zu forschen:
Wie viele Jahrhunderte unserer Menschheitsgeschichte sind die Regierungen europäischen Staaten bereits verantwortlich für die Gesundheit und Krankheit, für das Leben jedes Einzelnen? Ich will an dieser Stelle kurz an unsere gemeinsame Menschheitsgeschichte erinnern, die hunderttausende von Jahren, die bereits hinter uns liegen. Mit Kommunikation und im Austausch untereinander haben wir Menschen schon sehr lange auf der Erdoberfläche gelebt.
Zu Beginn der Industrialisierung, vor etwa 300 Jahren, waren es die Unternehmer, die für ihre Belegschaft kleine Häuser zur Verfügung stellten, damit diese vom Land in die Kleinstadt oder Stadt zur Lohnarbeit zogen. Mildtätige kirchliche Einrichtungen gab es für Notleidende und Kranke – sonst waren für die Not die Großfamilien zuständig.
Im Laufe der Entwicklung von Big Business haben sich die Unternehmen zu einem großen Teil der Verantwortung für ihre Mitarbeiter und die Mitwelt, in der sie Reichtum erwirtschaften, entledigt. Die Ausbeutung durch Kolonialismus will ich hier nur kurz erwähnen. Seit etwa 150 Jahren ist nun vor allem der Staat für Menschen und Mitwelt zuständig und verantwortlich. Nur so konnten die großen Betriebe ungestört von ethischen Überlegungen auf Gewinnmaximierung wirtschaften. Sie hatten ihre Verantwortung an die Politiker weitergereicht. Besonders krass wurde diese Entwicklung speziell Ende des 20. und im 21. Jahrhundert, wo der Aktienwert einer Firma für alle sichtbar und vollständig von der Verantwortung für Ethik, die Mitwelt und ihre Bewohner abgekoppelt wurde. Nun führt er, scheinbar getrennt von der Realwirtschaft, ein Eigenleben, das übrigens, wie das Virus auch, außerhalb unserer Kontrolle liegt, aber darüber wird nicht gesprochen.
Es scheint mir, dass wir alle gemeinsam, Wissenschaftler, Bauern, Politiker, Ärzte, Hedge-Fund Manager, Fahrrad-Boten, Firmendirektorinnen, Lehrerinnen, Kinder, Mitwelt, Tierwelt, gerade an die Grenzen unserer bekannten Möglichkeiten kommen und uns die Situation, in die unsere Gesellschaft und jeder Einzelne sich befindet, vorübergehend entgleitet. Es ist meine Entscheidung, ob ich mich in dieser Extrem-Situation entspanne und den Ort der Liebe in mir aufsuche, oder ob ich ins Schattenreich wahnwitziger Ideen absinke.
Wir haben keine Schöpfungsmythen für die moderne Welt in der wir heute leben. Da wir Menschen aber auch Schöpfungsmythen brauchen wird ein solcher Mythos immer, wenn im letzten Jahrzehnt alles zusammenzubrechen droht, wieder erzählt, und zwar von multinationalen Konzernen, Banken, Politikern, Medien: dass wiralle nur und ausschließlich von diesem momentanen westlichen Wirtschaftssystem profitieren können. Ist es in Gefahr, sind wir alle in Gefahr. Daher müssen wir es bis zur Selbstverleugnung unterstützen – echte Helden eben. Mitgefühl und Liebe sind für Weicheier, die nichts von der Welt verstehen. Wer diese Geschichte nicht miterzählt ist entweder Verräter oder naiver Hohlkopf. Wenn alle erkennen würden, dass dieser Mythos nicht für das Wohlbefinden von uns Menschen gemacht ist, dass wir uns seit geraumer Zeit in einer globalen Wirtschaftskrise befinden, hätte sich dieses Narrativ unseres Wohlstandes ohne Preis selbst ad absurdum geführt. Großbanken und Fluglinien erhalten in Europa immer wieder Milliarden an „Rettungsgeldern“, die sie nur sehr teilweise in den großen Steuer-Topf eingezahlt hatten, mit der Begründung „unser System würde sonst zerfallen und zu viele Arbeitsplätze verloren gehen“. Doch Widerspruch regt sich, regt sich schon lange.
Diejenigen, die von diesem Narrativ unserer Welt profitieren, könnten bald dastehen wie der nackte Kaiser im Märchen „Des Kaisers neue Kleider“.
Was wäre wenn wir unsere gegenwärtige Geschichte neu erzählten? Ich fange im Kleinen an, mit einigen wenigen Menschen. So wie ich es im «Pilgerweg heim» und in «Bonsai»versucht habe. Was ist, wenn wir alle unsere Geschichte neu erzählen? Der Sozial-Philosoph Charles Eisenstein hat in seinen Büchern vorgeschlagen, uns selbst eine neue Geschichte der Menschheit zu erzählen: Abstand zu nehmen von der alten Geschichte des Mangels, in der jeder versuchen muss, so viel wie möglich für sich zu ergattern.
Meine Aufgabe als Künstlerin sehe ich seit Jahrzehnten, und auch in meinem neuen Projekt «Freundschaft Genossin» darin, einfache Erzählungen einer utopischen Gesellschaft zu finden, des bewussten Miteinanders in einer liebevollen Welt, in der eigentlich für alle genug vorhanden ist – außer für die Unersättlichen.
Karin Koppensteiner 26.11.2020 Allgemein Keine Kommentare
Soeben ist BONSAI, mein neuer Roman, erschienen. Es hat fünf Jahre gedauert, von der Entscheidung den zweiten Teil der Trilogie zu beginnen, bis zur Veröffentlichung. Mit eingerechnet ist dabei die Zeit, in der das Manuskript weggelegt wurde, ich eine Übersetzungsarbeit annahm, oder auch die immer wieder fälligen radikalen Kürzungen und einmal beinahe ein Neubeginn.
Aus eigener Erfahrung mit LeserInnen, aber auch von Kurs-Teilnehmenden, weiss ich, dass von allen Arten des Kunst-Materials die Worte, der Rhythmus und die Magie des Schreibens am meisten unterschätzt werden.
In der westlichen Welt lernen wir sehr früh schreiben. Das Schreiben und das Lesen ist etwas Grundlegendes, etwas, das jeder Erwachsene in Europa benötigt und beherrscht. Daher möchte ich gleich hier klar unterscheiden, mit einem Beispiel: die Malermeisterin, welche die Wand meines Zimmers mit wunderbarem Petrolblaugrün anstreicht, beherrscht zwar das Handwerk des Farbenmischens, kennt die verschiedenen Anstriche, weiss über den Untergrund und die Farben bescheid. Doch wird sie deshalb nicht ohne Vorbereitung eines Tages selbstsicher daran gehen, ein Acrylgemälde im Format 2 x 3 Meter anzufertigen. Sie wird wahrscheinlich sagen: „Vielleicht sollte ich erst Malen lernen?“
Hingegen begegne ich sehr vielen Menschen, die sich vorgenommen haben, kreativ zu schreiben, vielleicht sogar «ein Buch», ohne sich vorher eingehend mit der Arbeit des Schreibens zu beschäftigen. Es herrscht auch die (oft nicht ausgesprochene) Meinung, ein Buch sei wahrscheinlich so etwas wie ein sehr langer Schulaufsatz oder eine weiter ausgedehnte Matura-Arbeit.
Es heißt oft: Wer literarisch schreiben will, soll möglichst viel Literatur lesen. Was nach der Lektüre vieler «wichtiger Werke» passieren kann ist: 1. Man versucht unbewusst den Stil des Lieblingsdichters zu kopieren und schafft es nicht. 2. Man schreibt wie sein eigener Literaturkritiker oder jemand aus der Lesegruppe – ist also ständig innerlich am beurteilen, ein Flow kann sich so nicht einstellen. 3. Das hindernisreichste Hindernis allerdings ist ein anderes: Wer kein Herzensanliegen hat, über das unbedingt geschrieben werden muss, ja, geschrieben werden muss, unbedingt, wird bald das Interesse am Schreiben verlieren. Denn die vielen Stunden von schreiben und wieder ausstreichen brauchen Durchhaltevermögen. Ohne dieses brennende Verlangen eine bestimmte Geschichte, eine Herzensangelegenheit, in Form eines Schriftwerks zu erzählen und in die Welt zu bringen, wird die Idee schnell wieder verdunsten.
Literarisches Schreiben ist Arbeit. Wer sich dem nicht stellen will, wird bald wieder aufgeben. Damit das nicht geschieht, biete ich Kurse zum «Autobiografischen Schreiben» an und «Schreib-Coaching». Ich versuche dabei, die Teilnehmenden aus ihrer «Komfort-Zone» heraus und an die frische Luft zu holen. Wer in die eigene Kraft kommen will, benötigt Herausforderung.
Beim Schreib-Coaching betrachten wir in der ersten Stunde des Kennenlernens das Ziel der Klientin und eine mögliche Zeitspanne für das Erreichen des Zieles. Dann kommen die vielen Hausaufgaben, die Aufforderung täglich zu üben.
Das ist der Schreibweg, wunderbar!
Karin Koppensteiner 14.11.2020 Allgemein Keine Kommentare
Heute widme ich diesen Blog-Beitrag der Buchproduktion. Wie wird aus einem fertig geschriebenen Text ein Buch?
Viele Menschen, die Bücher lesen, wissen wenig über die Herstellung und den Vertrieb des Buches, das sie soeben lesen. Heute schreibe ich über die materiellen Gegebenheiten für diejenigen, die Bücher schreiben.
Ich betrachte meine Arbeit als die einer Erzählerin. Als solche möchte ich das Erzählte gehört, oder besser noch gelesen wissen. Eine Geschichte, ein Roman, das ist für mich ein Geschenk an die Welt – und das Geschenk soll ankommen. Geschenk ist es deshalb, weil, wie ich gleich berichten werde, das, was ich schreibe, keinen realen Gegenwert in der materialistischen Welt des Geldes findet. Und zwar deshalb:
Als Autorin hatte ich ab 1993 einen Literatur-Agenten, bis dieser sich altershalber zurückzog. Da war ich selbst schon fast 60. Nun ist es so, dass eine nicht sehr bekannte Autorin vom Verlag bei einer Buchpublikation ein Autorenhonorar von etwa 10 – 15% des Buchpreises zugeschrieben bekommt. Ist es ein Taschenbuch mit Auflage 1000 Stück, von denen jedes 20.- CHF oder Euro kostet, ergibt das, falls alle Kopien verkauft werden, ein Honorar von 2000.- CHF oder Euro. Die Agentur erhält einen Anteil dieses Autorenhonorars, ca. 3-5%, also eigentlich nicht sehr viel. Falls die Autorin einen Bestseller landet, hat sich die Investition für die Agentur gelohnt. Agenten sind gut vernetzt und investieren gerne in junge Talente, da besteht die Möglichkeit einer jahrzehntelangen immer erfolgreicheren Geschäftsbeziehung.
2014 – nach einigen erfolglosen Versuchen eine neue Agentur zu finden – bot ich meinen Roman «Der Pilgerweg heim» großen Verlagen an. Denn diese sind die einzigen, deren Buchauflagen hoch sind – wo ich also auch die Chance auf mehr Einkommen durch den Verkauf des Buches habe. Vor allem aber bringt das Prestige, in einem grossen Verlag ein Buch zu veröffentlichen, und das Marketing des Verlagshauses, die Aufmerksamkeit der Medien. Was sich wieder auf die Verkaufszahlen auswirkt. Unaufgefordert eingesendete Manuskripte werden von Verlags-Voluntären mit einem Formbrief versehen und wieder an mich zurückgesendet. Eigentlich gibt es für unaufgefordert eingesandte Manuskripte kein Recht auf Rücksendung oder Antwort.
«Mein Geschenk an die Welt» trifft also auf eine harte kommerzielle Maschinerie. Im Verlagswesen befinden sich zwar viele Menschen, die Bücher gerne haben, Menschen, die glauben zu wissen, was ein guter Text ist. Sie wissen, was ihr Verlag in diesem Moment an Texten braucht. Feinfühlige und gebildete Menschen füttern eine Maschinerie, für die sie arbeiten und die ich als Autorin mit meinem «Geschenk» füttere. Diese Verlags-Maschinerie ist kommerziell ausgerichtet. Viele Verlage sind in den letzten Jahrzehnten zugrunde gegangen und wurden als Hüllen von grossen Verlagshäusern aufgekauft und weiter verwertet. Nach Aussen existieren sie weiter, mit eigenen Namen, doch sie sind ohne Wissen der Leser, Teil eines Imperium geworden.
Entscheide ich mich also bei einem der mittelgroßen Verlagshäuser im deutschsprachigen Raum zu publizieren, gehört dieses meist einem großen Konzern. Ich muss, bevor ich einen Text einsenden darf, im Voraus einige Fragen beantworten, mit einem druckfähigem Foto von mir: Habe ich Instagramm und Facebook? Wie viele Follower/Freunde? Kann ich Kurse geben? Bin ich bereit Internetauftritte zu machen? Und – jetzt kommt der Knackpunkt: Bin ich bereit 300 Exemplare meines Buches bei Erscheinen des Buches abzunehmen? Da ich rechnen kann weiss ich, dass diese 300 Exemplare in etwa den Druckkosten entsprechen. Ich soll also den Druck für mein Buch, schön verkleidet, selbst bezahlen, damit mein Text in einem mittelkleinen Verlag mit klingendem Namen veröffentlicht wird. Das Buch bliebe dann maximal zwei Jahre im Buchhandel erhältlich. Danach wird die Restauflage entsorgt. Diese könnte ich dann zu einem Spezialpreis ebenfalls kaufen. Vorteil ist – auch diese mittelgroßen Verlage haben gute Marketing-Abteilungen und ich kann durch sie bekannt werden .
Als ich mich 2014 entschlossen hatte, nach einer langen Pause wieder ein Buch zu publizieren – den ersten Band der Trilogie Der Pilgerweg heim, habe ich mich mit den verschiedenen Möglichkeiten beschäftigt. Im Hintergrund hatte ich mein eigenes Wissen zum Thema kleine Verlage und deren Vertriebssysteme. Alle Angebote, die ich damals von mittelgrossen oder kleinen Verlagen erhielt, waren darauf ausgerichtet, sich nicht nur meinen über viele Jahre gewachsenen Text, also meine Arbeit, beinahe gratis einzuverleiben, sondern auch darüber zu bestimmen, ob er relativ schnell wieder von der Erdoberfläche verschwinden würde. Den Druck sollte ich zum grossen Teil – indirekt durch Buchabnahmen – auch noch bezahlen.
Daher habe ich mich entschieden, die Trilogie einem winzigen Verlag in der Schweiz anzuvertrauen, der keine Bezahlung für das Verlegen des Buches von mir verlangt und der die Bücher so lange in der Backlist behält, wie Exemplare verfügbar sind. Leider hat er keine eigene Marketing-Abteilung. Um Werbung muss auch ich mich bemühen.
Das Foto zeigt den Druck des Einbandes vom ersten Band der Trilogie «Der Pilgerweg heim», 2015, auf einer Buchdruckmaschine.
BONSAI. Roman. erscheint im November 2020 im Garuda Verlag Schweiz
Bestellen können Sie das Buch in Ihrer Buchhandlung oder direkt beim Verlag:
ISBN 978 3 906139 38 8 // Softcover, 202 Seiten // Schongau 2020, € 17.90 // CHF 19.80
Garuda Verlag // CH-6288 Schongau, Schweiz // info@garudabooks.ch // shop.garudabooks.ch
Karin Koppensteiner 15.10.2020 Allgemein Keine Kommentare
Im Blog vom September habe ich über meinen Rückzug an einen wilden Ort in der Südtoskana berichtet. Der Roman BONSAI ging in Produktion, ich hatte noch kein neues Projekt begonnen. Auch einen der Gründe für den Rückzug habe ich genannt: ich wollte in meinem Zustand der Ratlosigkeit verweilen. Nicht mehr genau zu wissen, wo und wie ich in unserer momentanen historischen Situation – an der Grenze des wirtschaftlich möglichen Wachstums – mich selbst wiederfinde. Wie gehe ich in meinem Alltag mit den Begrenzungen durch den Covid-19 Virus um?
Ich wollte sehen, ob Inspiration, ob Neues in mein Leben tritt, wenn ich still verweile. Für diejenigen, die mit Kontemplation nicht vertraut sind, kann ich es mit einem anderen, vielleicht geläufigeren Bild beschreiben: Zu sitzen wie eine Jägerin und darauf warten, dass das Beutetier sich zeigt. Auch wollte ich einer offenen Frage betreffend die Kunst nachgehen, die mich beschäftigt:
Wie kann ich, wie können wir einander, Anfang des 21. Jahrhunderts noch einfach Geschichten erzählen? Ich bin überzeugt davon, dass sie nötig sind, doch ich frage mich: wie erzählen?!
In den vergangenen Wochen war ich sehr viel allein. Ich hatte einfache Begegnungen mit Tieren, mit Menschen, mit Freunden, mit mir selbst. Das Beobachten der Schafherde, die jeden Morgen mit den Hirtenhunden an unserem Haus vorbeizieht, hat mir ebenso die Kraft zur Veränderung gegeben, wie der grosse Himmel und die wilden Gewitter – und natürlich meine Meditations-Praxis des tibetischen Buddhismus.
Ich hatte endlich Zeit ein Buch zu lesen, das schon längere Zeit auf dem Stapel meiner ungelesenen Bücher lag: Charles Eisenstein: «Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich».
Was mich an der Herangehensweise des US-amerikanischen Ökonomen und Philosophen Charles Eisenstein interessiert ist, dass er unsere Welt, die moderne wie die archaische, als von den Geschichten abhängig beschreibt, die wir über sie/diese Welt/uns selbst erzählen. Er teilt unsere kollektive Weltsicht, auch die der Geschichtsschreibung, ein in eine «Geschichte des Getrennt-Seins» (unser Geschichtsverständnis der letzten 2000 Jahre) und in eine Geschichte des «Interbeings» (des voneinander abhängigen Erscheinens der Phänomene), in dem sich alles als mit allem verbunden herausstellt.
Was immer wieder aus dem Erzählten und Reflektierten in diesem Buch hervorkommt, ist, dass er unser/mein/sein Verständnis der Welt abhängig macht davon, welche Art der Geschichte wir – uns selbst und einander – von einem bestimmten Ereignis erzählen. Und vor allem auch, mit welcher Absicht und wie wir uns unser Leben selbst erzählen.
Dieser Ansatz ist für mich sowohl als politischen Menschen, wie auch als Geschichtenerzählerin sehr inspirierend und passt zu meiner buddhistischen Weltsicht. Sicherlich hat der Autor auch Inspiration in der der buddhistischen Philosophie gefunden, wie viele andere unserer zeitgenössischen Wissenschaftler.
Aus der Inspiration dieser Lektüre ergaben sich verschiedene neue Sichten für mich, die ich hier gerne teilen möchte:
Indem ich eine Geschichte auf meine neue Art erzähle, als Heilung und der Nahrung für die Menschen auf diesem Planeten, trage ich direkt zu einer neuen Geschichts-Erfahrung der LeserInnen bei. Es hat mich gestärkt mir vorzustellen, dass meine Geschichten, dass die Mühe, die es mir manchmal bereitet, etwas so zu schreiben, das für mich relevant ist, auch diese Art von Früchten tragen wird. Die Erzählstränge werden, wie Fäden in eine Weberei, eingeflochten sein in eine grössere Erzählung, von uns Menschen. Es wird eine Erzählung sein, die ich jetzt noch nicht kenne, die wir aber alle dringend benötigen.
Schliesslich habe ich für mich, im Verlaufe der letzten Wochen, einen neuen Zugang zu meiner Arbeit und der Gabe des Schreibens gefunden:
«Ich schreibe lebenswichtige Nahrung für Menschen. Meine Geschichten sollen guter Proviant sein für alle diejenigen, die aufbrechen, in neue Zeiten.»
Karin Koppensteiner 19.09.2020 Allgemein Keine Kommentare
In den letzten Monaten habe ich keinen Tagebuch-Kurs mehr gegeben. Doch ich habe einen Roman zu Ende geschrieben, der bald publiziert sein wird. Deshalb habe ich beschlossen, mich auch in diesem BLOG für neue Themen zu öffnen.
Seit langer Zeit gebe ich hier Ratschläge und Tipps zum autobiographischen und dem Tagebuch schreiben. Der Blog war nicht nur für die Teilnehmenden an meinen Kursen gedacht, sondern für alle am Tagebuchschreiben Interessierte.
Nun will ich das Thema wechseln.
Deshalb habe ich mich für einen Monat in unser winziges Häuschen mitten in der Wildnis der Süd-Toskana zurückgezogen. Ich sehe viel mehr Tiere hier als Menschen, Tiere aller Art.
Vom ländlichen Bauernhof in Schongau in die Wildnis eines Hochtales im Naturschutzgebiet des Monte Labro ist ein grosser Schritt. Natur ist nicht gleich Natur. Wildschweine, Wölfe, Stachelschweine, Hirsche und Skorpione – als Nachbarschaft – sind sie mir wenig vertraut. Das trockene, karstige Bergland, die Schafherden, Esel, die wenigen Blüten, viele Stacheln. Diese Wildnis hier nicht nur zu ertragen, sondern mich in sie hineinbegeben, das ging langsam. Nachts sitze ich nun draussen und schaue ins Universum. Im Ohr habe ich ein Gewebe aus Zikaden-Klang und dazwischen sind die Solisten: Grillenlieder.
«Bonsai», zweiter Band einer Trilogie über das Älterwerden, Utopie des Herzens und die Wiedergeburt des Glücks, ist fertig geschrieben und lektoriert und wird gerade gelayoutet. Das Buch und das Hörbuch sollen beide Anfang November erscheinen. Ich habe etwas vollendet, ich lasse los. Jetzt ist Zwischenzustand, Stille, Alleinsein.
Bevor ich weiter schreibe will ich innehalten, mich nach Innen wenden, mich aufs Spiel setzen, nachfragen im Universum meiner Träume.
Mir ist beim Schreiben während der Corona-Pandemie wieder eine dringliche Frage aufgetaucht, nicht zum ersten Mal: Wie kann ich, wie können wir einander, Anfang des 21. Jahrhunderts noch einfache Geschichten erzählen? Ich bin überzeugt davon, dass sie nötig sind, doch ich frage mich: wie?!
2020 hat mich an die Grenze des klar Erzählbaren gebracht, zu viele Schichten schienen aufeinander zu kleben:
Der Lock-Down im vergangenen Frühling war ein entscheidender Rückzug für viele von uns. «Es war wie Weihnachtsfeiertage ohne Ende», so beschrieb es eine Bekannte kürzlich, «alles und alle kamen zur Ruhe, es wurde ganz still in der Stadt – wochenlang». Der Grund, war tragisch: die Covid -19 Pandemie verursachte und verursacht noch immer weltweit Angst, Leiden und viel Unsicherheit. Gleichzeitig also erlebten wir im März Gegensätzliches: «Gefahr im Verzug = Adrenalinspiegel hochfahren und Kampf- oder Flucht- Mechanismus einschalten» und «Einkehr = Herzrhythmus und das vegetative Nervensystem runterfahren, Stille». Wir mussten uns über Monate hinweg einem – auch körperlichen – Paradox stellen, das fast ohne Ausweichmöglichkeit ist. Wer meditieren kann, war dafür gut vorbereitet.
Die innere und äussere Stille, die ich persönlich pandemiebedingt zwischen März und Juni erlebte, war etwas, das ich lang ersehnt hatte. Ich empfand eine Entspannung in der Unsicherheit, die ich mir so nie zu wünschen gewagt hätte. Ich sollte zu Hause bleiben, ich sollte zu allen Menschen Abstand halten, ich sollte ruhig sein und mich entspannen, ich durfte nicht reisen, durfte nicht ins Ausland. Auch Familienbande schienen in der Gesellschaft nicht mehr wichtig, auch nicht, wenn es ans Sterben ging.
Von Außen betrachtet verlief mein Leben ähnlich wie sonst auch. Am Morgen machten wir gemeinsam eine Stunde Meditations-Praxis. Mein Atelier/Büro liegt direkt neben dem Wohnhaus. Ich arbeitete dort weiter wie immer. Zu Mittag traf ich meinen Mann in der Küche zum Essen, abends dachten wir gemeinsam über die Welt nach oder durchsuchten das Internet nach Information zur Orientierung über Gesundheit, Politik, Wirtschaft und Philosophie. Nach sechs Wochen erlebte ich eine zunehmende Abwehr gegen die widersprüchlichen Informations-Fluten.
Unser Gemüsegarten wurde in diesem Frühling intensiver bepflanzt wie in den Jahren davor. Wir gingen öfter als sonst in den Wald wandern. Ich backte mehr Kuchen als sonst. Virtuelle Zoom-Räume kam als Treffpunkt auf, wir sassen mit vollen Weingläsern vor dem Computer am Küchentisch und prosteten Menschen zu, die weit entfernt oder in anderen Ländern waren, teilten Ängste, Informationen und Sorgen. Das kleine Kamera-Auge oberhalb des Bildschirms wurde zu einem Tor in die (Cyber-) Welt.
Auf die Zeit im Ausnahmezustand folgte die herannahende ungewisse Zukunft, schwebend wie ein Ballon manchmal, oder schwer wie ein Kampfbomber aus Beton, je nach Weltsichten, die sich, wieder über Internet, überall hereindrängten.
Offen und überwältigt – so möchte ich meinen Zustand der letzten Monate beschreiben.
Und dieses Lebensgefühl der Überwältigung zog sich auch in die Kunst-Arbeit hinein.
Wie, bitte wie, soll ich schreiben? Im Internet-Stil, whatsapp Nachrichten gleich? Soll ich nur noch Meinungen und Gegenmeinungen schreiben? Welche Geschichten kann ich noch erzählen, wenn Fake-News als gelungenes Stilmittel zum vervollkommnen einer Lügengeschichte daherkommen? Was tun, wenn Videos so perfekt gefälscht werden können, dass es nicht mehr auffällt. Wann bin ich «modern»?
Was ist anders, wenn ich eine Geschichte erfinde? Wie schreiben, wenn Sprache fast nur noch zur Manipulation verwendet wird? Wie kann ich mir in Zeiten der 20 Sekunden Aufmerksamkeits-Spanne eines Lesers für einen Text die Naivität leisten, eine Geschichte von Utopien zu erzählen, vom Glauben an die Realität der Welt? Und das über Stunden?
Ratlosigkeit kann eine grossartige Ressource sein.
Meine Dzogchen Praxis ist eine Kraftquelle, die mir dabei hilft, nicht immerzu ins Beurteilen der Weltlage und auch nicht meiner eigenen Ratlosigkeit zu verfallen. Gegensätzliche Welten, ich kann euch ertragen!
Heute sitze ich am Küchentisch in dem kleinen Haus in der Toskana, wohin ich mich zurückgezogen haben, um freiwillig ratlos zu sein und mich in Kontemplation zu üben.
Ich weiss, es ist ein Luxus, den ich auch meinem Alter zu verdanken habe. Doch, weil ich mir die Ratschläge noch nicht ganz abgewöhnt habe: Ich kann nur allen Menschen, denen es möglich ist, raten, sich ratlos, liebevoll mit sich selbst und anderen und mit offenem Herzen zurückzuziehen. Wo auch immer die laute Stille der Wildnis ist, geh dort hin, übe dich in Meditation, empfinde die Freiheit des Augenblicks.
Karin Koppensteiner 07.08.2020 Allgemein Keine Kommentare
Tagebuch schreiben kann auch eine Kunstform sein, Dokumentation des Einfachen. Ich dokumentiere einen Moment der Inspiration oder beschreibe einfach das, was ist. Ein veröffentlichtes Tagebuch könnte man als Vorläufer der YouTuber-Kultur betrachten. Ich schrieb eine Zeitlang ein «Pflanzen-Tagebuch», hier ist ein Auszug daraus:
In meinem Gemüsegarten gibt es viele Welten für sich, Tierwelten, Erdwelten, unterirdische Welten, Pflanzenwelten und Zwischenwelten. Ein Universum ist jenes der Klettergurken. Kreativ und scheinbar ungebremst wuchern sie, wenn genug Wasser und Bodennahrung vorhanden ist. In einem Geschäft kaufe ich Gurken (lat. Cucumis sativus) aus dem ewigen Glashaus eher nicht. Meine kleinen Cornichon-Pflanzen jedoch finden jedes Jahr wieder Platz im Gemüsegarten. Sie ranken sich wie reine Poesie um von mir gestaltete Gerüste aus Bambusstöcken, in einem Jahr, oder aus Haselholz, in einem anderen Jahr.
Gurken sind Beeren, erfahre ich in Wikipedia, nicht ganz zu meiner Überraschung, und zwar «Panzerbeeren». Ihre Schalen sind ja oft hart, ganz anders als die Schalen der schwarzen Johannisbeeren, die heute am Gartenzaun überreif an den Ästen ihres Strauches hängen.
Meine kleinen Gurken haben nicht nur eine hell-dunkel gestreifte Schale, oder sind dunkelgrün wie Tannennadeln, sie haben auch feste Stacheln. Stacheln, die biegsam sind und zäh, die in meiner Handfläche hängen bleiben wenn ich die Gurken zu heftig von ihrem Strauch wegreiße. Diese Stacheln wasche ich von der Schale einer Gurke weg, bevor ich sie über meine Lippen hinwegziehen lasse, die süssen, kleinen, saftigen schmackhaften Cornichon-Stückchen, direkt auf meine Zunge, hinein in meinen Mund, ungeschält.
Was ihren Namen betrifft, Gurke, so kommt er angeblich aus dem Slawischen – oder aus dem Mittelgriechischen. Das bedeutet, dass die Gurken wahrscheinlich bei uns in Mitteleuropa bis ins 16. Jahrhundert unbekannt waren. Kein deutschsprachiges Wort für eine fremde Frucht. Es gibt seltsame alte Namen für diese grüne Beere: «Umurke», das war in Wien noch gebräuchlich, als ich ein Kind war. «Gugummere» wurde sie in der Schweiz genannt, und im süddeutschen Raum „Guckummer».
Die Botaniker haben eine Gurkentheorie, nach der die Urahnen aller Gurken ursprünglich aus einer Wildform in Indien gezüchtet worden war, vor etwa 2000 Jahren. Abweichungen von dieser Theorie liefern Genetiker. Ihre Theorie lautet, dass die einzige Gurke mit ähnlicher Genetik wie unsere Gartengurke aus Afrika stammt. Weil Indien und Afrika die letzten 2000 + Jahre etwas weit auseinander liegen und Wissenschafter sich ungern Blößen geben, wird die Herkunft nicht besonders erwähnt. Man bleibt vage im Osten – Balkan oder Griechenland – dort liege der Ursprung der Gurke.
Meine Meditation vor dem Gurkengerüst ist einfacher: Die Gurke ist hier, sie wächst. Alles ist so vollkommen – die kleinen gelben Blüten, schon borstig auch sie, die haarigen Blätter und Ranken, die kratzigen Stengel und Stengelchen; die winzigen und die kleinen Gurken, die größeren und sogar ein wenig zu früh gelbrandig geworden Blätter im Gewirr der Pflanze.
ANREGUNG ZUM SCHREIBEN: Nimm ein Ding oder einen Teil aus deinem alltäglichen Leben und schreibe über einen längeren Zeitraum hinweg täglich darüber. Als Beispiel habe ich hier einen Auszug aus dem «Pflanzen-Tagebuch» veröffentlicht, das ich 2017/18 über die Pflanzen in meiner Umgebung – Sommer & Winter – geschrieben hatte.
Karin Koppensteiner 08.07.2020 Allgemein Keine Kommentare
Wenn ich erkläre, was meine Kurse von anderen Schreib-Kursen unterscheidet ist der Schlüsselbegriff dabei «Meditation».
«Meditation», so wie ich sie erlernt habe und seit 40 Jahren täglich praktiziere, greift auf das zurück, was bereits vorhanden ist. Um zu meditieren, müssen wir nichts hinzufügen oder neu erschaffen. Alle großen spirituellen Traditionen der Erde haben Methoden entwickelt, damit jeder Mensch mit dem eigenen wahren Wesenskern (wieder) in Kontakt sein kann.
Warum sollte ich mit meinem Wesenskern in Kontakt kommen wollen? Die Antwort, die ich für mich selbst gefunden habe, ist folgende: Die Quelle der Kreativität und der Lebenskraft jedes einzelnen Menschen liegt oft im Verborgenen. Manchmal geschieht spontane Annäherung an diese Kraftquelle, man spricht dann vom Zustand des «Flow», davon ein «Flow-Erlebnis» gehabt zu haben. Tiefe Gefühle des Eins-Seins werden sowohl von Extrem-Sportlern, Bergsteigern, Marathonläufern, als auch von Künstlern als Momente kurzen Eins-Seins beschrieben. Das ist eine tiefe Erfahrung, jedoch nicht Meditation.
Meditierende können in diesen Zustand nach einiger Übung anfangs bewusst ein- und wieder austreten. Später lernen sie, im stetigen und bewussten Kontakt mit dem eigenen, tiefen Wesen zu leben. Alle, die einmal persönlich erlebt haben, wie viel Energie frei wird, wenn die alten Denkmuster und Blockaden plötzlich überlistet sind, weiß, worauf ich hinaus will:
Ein spontaner Durchbruch ins Reich der eigenen kreativen Potenziale ist immer eine prägende Erinnerung. Doch oftmals bleibt es bei kurzer Berührung mit diesem Zustand. Dann übernehmen die alten Denkmuster wieder die Führung: „Ich bin eben nicht begabt.“ – oder: „Ich bin eben nicht begabt genug.“
Erleben wir den kraftvollen, schöpferischen Zustand, einen spontanen Durchbruch, nicht als einzigartiges Ausnahmegefühl, sondern als ein feines Netz kleiner, positiver Erfahrungen, oder wie einen Busch voll verborgener Beeren, die wir nur zu pflücken brauchen, dann ist die Wirkung auf das Leben nachhaltig. Danach kann diese Erfahrung des So-Seins besser in den Alltag integriert werden. Langsam können sich im Laufe der Zeit neue Glaubenssätze bilden, wie etwa: „Alle Früchte stehen mir zur Verfügung. Ich bin genauso begabt, wie alle anderen. Vielleicht sollte ich mich ein wenig mehr anstrengen, als ich gedacht habe.“
Kreativität kann durch regelmäßige Meditation, irgendeine Art der Meditation, wohlgemerkt, genährt und gestärkt werden. Wichtig dabei ist, dass diese Meditation eine erprobte Form hat. Direkt und auf freudvolle Art soll sie wahrhaft den eigenen inneren Wesenskern kontaktieren. Sind wir authentisch, fliesst die Quelle der Lebenskraft und so auch der Schaffenskraft, ungehindert. Dort finden wir den Ort der Selbstheilung. Jeder, der diesen geheimen Ort in sich selbst findet, findet ihn auch gleichzeitig für alle anderen, für die Welt. Das ist eine Form wunderbar nachhaltiger Evolution.
Ich beginne bei mir, ich beginne heute.
Wer will sich nicht gerne direkt, liebevoll und sorglos selbst ausdrücken? Und gleichzeitig das in die Welt bringen, was hier dringend gebraucht wird: liebevoller und schöpferischer Umgang mit der Lebensenergie aller.
In diesen Zeit der Corona-Pandemie, in der sich auf unserem Planeten sichtbar und unaufhaltsam so viel verändert, werden genau diese kreativen Eigenschaften des Lebens und der Kunst zu Überlebens-Werkzeugen.
Mit Meditation und kreativer Alltagsbewältigung öffnen wir Wege zu unserer eigenen Quelle der Kraft. Und – wenn wir Glück haben – stoßen wir dabei auch noch auf die unendlichen Energie-Reserven die uns als Menschheit kollektiv zur Verfügung stehen.
Ich freue mich auf gemeinsame Arbeits-Stunden bei den Kursen im 2. Halbjahr 2020. Gemeinsam machen wir uns wieder auf den Weg hin zu unseren kollektiven und persönlichen Kraft-Quellen.
Meine Kurse nehmen gerade eine neue, pandemiegerechte Form an:
*) Das bedeutet – weniger Teilnehmende;
*) Einige Übungen werden, wegen des neuen Sicherheitsabstands, gegen andere ausgetauscht;
*) Ich arbeite an einem Live-Webinar (ab September)
*) Ab September biete ich weiterhin Einzel-Sitzungen für das Buch-Coaching an, neu auch via Zoom
*) Die Kurse zum Autobiographischen Schreiben als Kurzfassung in Einzel-Sitzungen, sowohl via Zoom als auch «Live».
Karin Koppensteiner 24.05.2020 Allgemein Keine Kommentare
Schon mehrmals bin ich in meinen Blogs darauf eingegangen, wo ich die Unterschiede sehe zwischen dem Tagebuch schreiben und dem autobiographischen Schreiben. Zum Beispiel im Blog von August 2019. Vor allem, wenn das Tagebuch in seiner Form als „Mental Health Tool“ zur Anwendung kommt, also einfach gesagt, als hilfreiches Ventil in Extrem-Situationen, unterscheidet es sich wesentlich von einer Geschichte, die ich für Publikum über mein Leben schreibe. Ein Tagebuch ist etwas intimes, ich schreibe nur für mich. Erst und ausschließlich wenn ich mich entschieden habe, Teile meiner Geschichte öffentlich zu machen, wechsle ich die Perspektive und die Art des Erzählers (Narrativ). Von einem Schreiben das ausschliesslich subjektiv und nach innen gerichtet war – das Tagebuch – werde ich eine moderate Form von «Zensur» anwenden, die davor hinderlich ist.
Für die Öffentlichkeit schreibend und auch zu einem bestimmten Thema, hat nicht mehr alles in meiner Geschichte Raum. Ich werde bestimmte Dinge, Zustände oder Sichtweisen nicht mehr alle preisgeben. Auch werden bestimmte Personen, die ich so schützen will, im autobiographisch Geschriebenen nicht mehr vorkommen, eventuell nur noch mit geändertem Namen. Ein Perspektivenwechsel ist vollzogen: ich schaue nicht mehr nach innen und schreibe alles direkt so auf, wie es für mich ist. Ich schreibe, nach aussen schauend, auf mein mögliches Publikum. Das Foto zeigt mich bei einer Ausstellung von Yoko Ono in London. Jeder Besucher durfte einen Lebenswunsch an einen der kleinen Wunschbäume hängen. Dieses Foto kann ich sowohl völlig subjektiv als Tagebuch-Eintrag beschreiben, aber auch im Stil des autobiographischen Schreibens. In dem Fall werde ich vielleicht auch nicht mehr den Wunsch aufschreiben, den ich damals auf den Zettel schrieb.
Übung der Woche: Schreibe einen kurzen, ehrlichen und authentischen Tagebuch-Eintrag, zum Beispiel über ein denkwürdiges Frühstück, das dir in Erinnerung geblieben ist. Danach versuche dieselbe Geschichte noch einmal niederzuschreiben. Diesmal mit der Idee, diese Geschichte zu veröffentlichen. Achte dabei genau auf die Gefühle, die beim Schreiben auftauchen.
Im zweiten Halbjahr 2020, nach der Corona-Krise, werde ich sowohl direkt und online via Zoom, als auch im gewohnten Format einer Zusammenkunft an einem Ort, Kurse für »Autobiographisches Schreiben» anbieten.
Karin Koppensteiner 15.05.2020 Allgemein Keine Kommentare
Ein Tagebuch zu führen kann unterstützend und reinigend wirken, besonder natürlich in schwierigen Momenten. Wir befinden uns kollektiv mit der sogannten Corona-Krise in unsicheren Zeiten. Doch was tun, wenn frau, umgeben von ungewöhnlichen Ereignissen, einfach verstummt? Keine Lust auf Tagebuch-Eintrag? Die täglich neu versuchte und anstrengende Anpassung an neuartige und unbekannte Lebensumstände – individuell wie kollektiv – können wie ein schwankender Boden erlebt werden, anstrengend und furchterregend. «Dazu fällt mir nichts mehr ein!», sagte mir kürzlich eine ehemalige Kursteilnehmerin.
Was tun also, wenn die Worte fehlen, wenn die Inspiration oder auch die Motivation Tagebuch zu schreiben auf Grund gelaufen ist?
Wie kann man dann weiterhin ein Tagebuch führen?
Für das Reisetagebuch gibt es dafür eine gute Methode, die wir vielleicht auf dieser seltsamen Corona-Reise auch anwenden können. Was tun, wenn frau auf einer Asienreise überwältigt und überfordert abends in einem zu kalten Zimmer Tagebucheinträge über die Kulturschocks des vergangenen Tages machen will, aber kein brauchbarer Satz auftaucht? In diesem Fall ist es hilfreich, nur die wenigen Wörter, die freiwillig auftauchen, aufschreiben, das schönste Erlebnis, oder einfach, was ich gegessen haben. Vielleicht ist auf diese Weise das eigene Erleben an diesem Tag am würdigsten ausgedrückt? Andere Möglichkeit ist, in ein kleines Notizbuch oder ins Handy Sätze und Ideen genau dann aufzuschreiben oder aufzusprechen, wenn sie gerade auftauchen, unverzüglich.
Oder ganz anders: Vielleicht macht es in solchen Situationen mehr Freude, Dinge ins Tagebuch kleben: Zettel, Fotos, Schnur, Pflanzensamen, Zeitungsfotos, Drucksachen in fremder Sprache und Schrift, Bahntickets, was immer an dem Tag wichtig war. Es sind diese mit Gefühlen und Erinnerung aufgeladenen Gegenstände, die wenigen Worte, die noch fallen können, die uns wieder mit uns selbst verbinden. Auch die Träume der Nacht aufzuschreiben, kann hilfreich sein. Für diese wortkargen Tage habe ich immer einige Farbstifte zur Hand, denn ich zeichne gerne. Natürlich können es auch Fotos, mit dem Handy aufgenommen, wie Skizzen, oder Wasserfarben, Ölkreiden und Bleistifte sein. So können Bilder, Symbole oder Buchstaben auftauchen, unerwartet. Wichtig ist es, dabei klar vor Augen zu haben, worum es geht. Und das ist, die kreative, die auf die Welt antwortende Seite unserer Persönlichkeit weiterhin zu nähren und zu stärken.
Anregung der Woche: Führe dein Tagebuch einen oder mehrere Tage lang, wie oben beschrieben, mit Gegenständen. Natürlich darf auch das eine oder andere Wort dazwischen gestreut sein. Falls die Gegenstände zu sperrig sind, kann ein grosses Zeichenblatt oder ein Stück Karton die Rolle der Tagebuch-Seite übernehmen. Viel Freude beim Versuch, ein wortkarges Tagebuch zu führen.
Karin Koppensteiner 25.04.2020 Allgemein Keine Kommentare
Nun ist Tagebuchschreiben wichtiger als je zuvor!
Ein Tagebuch kann ein höchst wirksames Mittel sein, fast möchte ich sagen: eine Medizin, um Herausforderungen ganzheitlich anzugehen. Alles, was benötigt wird, ist Papier und Stift, oder ein Computer zum schreiben.
Wer authentisch aufzeichnet, was sie/ihn gerade bewegt, öffnet damit einen Durchlass zwischen dem sprachlich orientierten Intellekt und tieferen, emotional gefärbten, Schichten des eigenen Wesens. Diese Durchlässigkeit zwischen unseren verschiedenen Seins-Ebenen ist oftmals blockiert, besonders wenn wir verunsichert sind. Was geschieht, wenn dieser Durchgang wieder freier wird? Selbstheilung geschieht! Neue Sichten eröffnen sich! Ganz von selbst, manchmal unbemerkt, verändern wir unseren Blick auf die Ereignisse, die uns bewegen. Grundprinzip: Alles darf sein, ich darf es aufschreiben, es gibt Raum dafür im Tagebuch. So erweitert sich im Alltag die Widerstandsfähigkeit gegen Stress.
In meinen Kursen biete ich immer auch an, eine kleine Meditation zu erlernen. Und ermuntere alle, die bereits meditieren, ihre eigene Meditation aufmerksamer und öfter in den Alltag einzubauen. Gute Meditation eröffnet ebenfalls diesen eigenen weiten Raum. Scheinbare Widersprüche können sich dann auch einfach auflösen. Ebenso wie beim Tagebuch schreiben, kann die Lebensqualität als besser erlebt werden, reicher, und die Möglichkeit, sich selbst auszudrücken als authentischer.
Ich werde in nächster Zeit öfter als vorher einen Blog-Beitrag veröffentlichen. Damit möchte ich Impulse setzen, für die diejenigen, die sich der Herausforderung des Tagebuchschreibens stellen möchten, ebenso wie für jene, die bereits Tagebuch schreiben.
ANREGUNG DER WOCHE: Versuche möglichst oft den Sonnenuntergang zu beobachten, zu sitzen, einfach zu sein, ohne viel zu denken. Danach, wenn möglich, einen Tagebuch-Eintrag machen, vielleicht sind es nur drei Zeilen.
In diesen Covid-19 Pandemie Zeiten biete ich Einzelstunden via Internet an. Auch relativ kurzfristige Vereinbarungen sind möglich. Anfragen bitte mit Email senden.
Karin Koppensteiner 15.04.2020 Allgemein Keine Kommentare
Als die grosse Welle der Corona-Pandemie über die Welt flutete
habe ich mich, wie viele Menschen, bereit dazu oder nicht, notgedrungen oder freiwillig – zurückgezogen. Da ich seit vierzig Jahren (meist) im Home-Office arbeite hatte ich keine grossen Umstellungsschwierigkeiten, was das Arbeiten betrifft. Der offensichtlich gewordene, deutlich unübersichtliche Zustand der Welt hat mich erschüttert. Angesichts der vielen Theorien und Schuldzuweisungen wollte ich mich vorübergehend öffentlich nicht mehr äussern. Mein Alltag wurde immer einfacher im selbstgewählten inneren Rückzug. Tägliche Meditation-Sitzungen haben mein Herz erleichtert und geöffnet. Ich habe die Zeit des ersten Frühlings benutzt, um ein jahrelang beinahe fertiges, immer wieder liegengebliebenes Projekt zu Ende zu bringen.
Der Roman BONSAI. WILDNIS DER ALPEN von Karin Koppensteiner ist nun beendet. Ich bin in regem Austausch mit der Lektorin via WhatsApp und E-Mail für letzte und vielleicht wichtige Änderungen. Guten Tag Welt, ich bin zurück!
Einfach Sein
Karin Koppensteiner 04.03.2020 Allgemein Keine Kommentare
Kurze Beschreibung des Kurses zum Thema: Tagebuch
Geschichten zu erzählen ist ein hervorragender Weg, wie man sich um das eigene Selbst kümmern kann. Tagebuch zu schreiben hilft uns die Themen zu erkennen, um die unser Leben kreist. Es sind ja oft alte tiefgründigen Familien-Mythen vom Leben, die ich im Alltag neu belebe.
Mit veränderter Aufmerksamkeit und wachsendem Mitgefühl für mich selbst und meine Welt, kann das Tagebuch-Schreiben zu einem Prozess der Befreiung aus alten Mustern führen. Ich betrachte, was ist. Anstatt automatisch zu handeln betrachte ich.
Im Erzählen unseres Alltags, dem autobiographisches Schreiben, so wie ich es verstehe, können wir uns darin üben, nicht immer innerlich sofort Partei zu ergreifen, wenn wir vor einem Zwiespalt stehen. Im Tagebuchschreiben werde ich zum Zeugen meines Lebens. Damit setze ich mich selbst frei, verändere meine Position im Mandala meines Alltags.
Viele von uns leben mit der naiven psychologischen Erwartung, dass unser Leben und unsere Beziehungen zu Anderen irgendwann einmal einfach und gut sein würden.
Beim Tagebuch schreiben können wir lernen, die Schwierigkeiten und die komplexen Verhältnisse in unserem Alltag zu sehen, zu würdigen und einfach zu belassen, wie sie sind – vorerst.
Im Kurs versuche ich Erfahrungen zu vermitteln, wie es sich anfühlt, wenn wir unser Herz weit genug öffnen, um die Gegensätze und Paradoxe unseres Alltags so Sein zu lassen, wie sie sind.
Im Kurs versuche ich einen Bogen zu spannen: beginnend im Körperlichen und endend im tiefen fraglosen Sein. Jede Übung übernimmt eine Funktion, die helfen soll, die eigenen alltäglichen Wahrnehmungsmuster deutlicher wahrzunehmen und zu beschreiben.
Das Kursziel ist es, direkt zu erfahren, wie einfach schreiben ist, wenn es spontan und aus dem Moment heraus geschieht. Je weniger Filter ich vor die eigene Wahrnehmung setze, umso authentischer und einfacher kann ich notieren, was ist. Das ist ein guter Beginn für das Tagebuchschreiben. So kann jeder nach dem Kurs täglich zu Hause weiterschreiben. Denn nur die Übung macht die Meisterin.
Karin Koppensteiner 02.02.2020 Allgemein Keine Kommentare
Mein Studien-Thema bleibt auch im Jahr 2020 vorläufig, «Biographie und Autobiographie». Im Moment bin ich in Kathmandu. Ein Freund sendet uns den Hinweis auf einen Vortrag. Wir fahren mit dem Taxi durch die extrem luftverschmutzte Stadt bis nach Boudha und hören 2 ½ Stunden einer Wissenschafterin zu, deren Studien ich extrem faszinierend finde.
Cècile Ducher hat zehn Jahre lang Quellenforschung in alten tibetischen Texten betrieben, um die verschiedenen «Schichten» der Biographie von Marpa, dem Übersetzer freizulegen. Er lebte im Tibet des 10. Jahrhunderts und reiste mehrmals von Tibet nach Indien, um von dort buddhistische Texte – und deren Verständnis – übersetzt nach Tibet zurückzubringen. Die erste Biographie von ihm wurde im 12. Jahrhundert verfasst, davor war sie mündlich überliefert worden. Viele Lebensbeschreibungen dieses bekannten Meisters folgten. Je nach sozial-politischer Situation wurden in seinen verschiedenen Biographien über die Jahrhunderte hinweg bis ins 20. Jahrhundert starke Veränderungen vorgenommen; Teile seiner Lebensgeschichte wurden weggelassen, neu angeordnet oder überproportional betont.
Es ist eigentlich das gleiche, was wir machen, wenn wir über uns selbst schreiben – im Tagebuch oder in autobiographischen Skizzen. Es muss kein Jahrtausend vergangen sein, doch wir lassen weg oder schmücken manches aus, erinnern und – oder eben auch nicht – ziehen Bekanntes hervor und schrecken vor Vergessenem, unserer Schattenseite, zurück.
Das autobiographische Schreiben kann eine neue Herausforderung sein, sich selbst zwischen Wahrheit und Traum angesiedelt wiederzufinden, in fremden oder bekannten Welten.
So entsteht die Möglichkeit immer heimischer zu werden in der eigenen Autobiographie.
Karin Koppensteiner 15.01.2020 Allgemein Keine Kommentare
Kreatives Schaffen ist immer auch ein Geschenk an die Welt
Mitten im Wald macht einer der Waldarbeiter seit Jahren aus Baumstämmen Figuren.
Öfter schon habe ich im Vorbeigehen gedacht: diese Arbeiten sind ein gutes Beispiel, um Kreativität zu erklären. Sie sind ein Geschenk des Schöpfers an sich selbst und an die Welt.
Hier geht jemand mit einfachem Werkzeug ans Holz und erschafft eine Skulptur. Sie ist von Anfang an fest verwurzelt im Boden, steht im Wald, fernab der Dörfer und Städte. Sie ist zu keinem Gebrauch bestimmt, keine Handelsware, niemand wird sie rühmen. Der Waldarbeiter hat offenbar Freude an seinem Schaffen – Freude – die aus seinem Tun zurückstrahlt und im Wald einen eigenen Raum schafft. Er ist mit Hingabe am Prozess des Sägens und Hackens, mit sichtlich wacher Aufmerksamkeit, denn die Figuren sind sehr präzise gestaltet.
Der Bauer-Waldarbeiter schafft mit seinen Skultpuren Weite zwischen den Bäumen des Waldes, einen Platz mit eigener Bedeutung. Wahrscheinlich genießt er, während er hackt, schnitzt und sägt, die offene Weite, das Gefühl von Freiheit, einfach das zu erschaffen, was ihm gerade Freude macht.
Stichwörter zum Thema Kreativität: Sich viel Zeit nehmen // Freude haben // Freude aus dem Tun zurück bekommen // Hingabe an den Prozess des Erschaffens // Gegenwärtig-Sein // Aufmerksamkeit // offene Weite // Gefühl von Freiheit // Achtsamkeit mit dem Material // Spielen // das fertige Objekt ist keine Handelsware // der Welt ein Geschenk machen//
Karin Koppensteiner 09.11.2019 Allgemein Keine Kommentare
Beim autobiografischen und beim Tagebuch-Schreiben kann es sein, dass wir uns sehr stark nach Innen wenden, uns vor allem auf uns selbst beziehen. Für einige Zeit kann das gut sein, doch ab einem bestimmten Punkt scheint es mir wichtig, sich als Schreibende auch als Teil einer größeren Welt zu erkennen.
In der philosophischen Betrachtungsweisen des Buddhismus gibt es ein gutes Beispiel, wie wir uns davor bewahren können, eine Situation zu stark durch die eigene Brille zu betrachten:
Ich bin für viele verschiedene Menschen immer jemand anderer –Tochter meiner Eltern, Mutter meiner Kindern, Schwester dem Bruder, Geliebte, Geschäftsfrau, Ehefrau meinem Mann, Großmutter den Enkeln, Nachbarin, Cousine, Politikerin, beste Freundin, Feindin. Wie kann ich also mit Sicherheit sagen, dass ich nur «eine Mutter» bin oder einfach «die Feindin», oder nur und ausschließlich «Tochter»?
Jeder Einzelne von uns ist einer von 7 Milliarden Menschen auf diesem schönen Planeten Erde. Jeder von uns begegnet seiner Welt auf ganz eigene Art und Weise.
«Ich bin die Augen meiner Welt!» bedeutet, sich des vielschichten Universums der Gedanken und Wahrnehmungen bewusst zu sein, in dem wir leben. Das ist nicht nur für das Schreiben wichtig.
Die Übung «Commons» im Kurs «Selbstausdruck als Quelle der Kraft» soll mithelfen, diese Vielfalt offen zu integrieren.
Karin Koppensteiner 26.09.2019 Allgemein Keine Kommentare
Eine Whatsapp Gruppe der ich mich sehr verbunden fühle, hat den Namen «Pilgrims».
Wir gründeten sie auf einer konkreten Pilgerreise, die wir gemeinsam durch Ost-Tibet, Kham/Sechuan organisierten. (Siehe Foto: ein Piktogramm das verhindern soll, sich den Kopf anzustossen.) Mehr als ein Jahr ist seither vergangen, doch wir senden einander noch immer kurze Notizen oder Fotos als «Pilgrims».
Durch mein Leben zu pilgern, speziell durch bestimmte Tage, die mir besonders schwierig oder widerspenstig erscheinen, erleichtert mir den Alltag sehr.
Eine Arbeits-Notiz, von mir von Hand auf ein Stück Papier notiert und nun neben dem Schreibtisch hängend lautet: „We are pilgrims in the lands of imperfection.“ Zu deutsch: „Wir pilgern durch das Land der Unvollkommenheit.“
Diese Art, mich als Pilgerin, sowohl in meinen Alltag als auch in der Welt im Grösseren zu erleben, bringt Achtsamkeit mit sich. Das Wandern, das sich durch eine Situation durch begeben, hat etwas beruhigend wahrhaftiges. Es erinnert mich daran, dass alles, was geschieht vergänglich ist, und ich mich nicht zu lange an einem einzigen inneren (Ärger zum Beispiel) oder äußeren (Dataquest Dietikon) Ort aufhalten will.
Als Pilgerin erlebe ich: das Frühstück, das Schreiben, den Gang durch den Wald, die Autofahrt zum nächsten Markt, Computerquerelen ohne hilfreichen Support, die Reise hunderte Kilometer auf einer Autobahn, Zusammenkunft mit Freunden, das Meer – und meine Kunst-Arbeit.
Im besten Fall – hier kommt wieder das Pilgern ins Spiel – komme ich meinen ursprünglichen Sein dabei immer näher. Das ist die Essenz jeder Pilgerreise. So entsteht nachhaltige Selbstliebe und Selbstfürsorge, ohne Hintertüren.
Danke an alle Pilger, die mit mir gemeinsam auf diesem Planeten pilgern!
Karin Koppensteiner 20.08.2019 Allgemein Keine Kommentare
Das ist eine Frage, die mir immer wieder gestellt wird. Deshalb versuche ich sie hier kurz zu beantworten, auch für mich selbst. Grundlage der Ideen für die Übungen in meinen Kursen ist, dass jede unserer kreativen Handlungen aus demselben Gebiet in und um uns entsteht. Sie werden sozusagen von der gleichen Quelle gespeist.
In meinen Workshops sind zwar verschiedene Themen vorgegeben: <Tagebuch schreiben als Quelle der Kraft> oder <Reisetagebuch> oder <Einfach erzählen>. Doch ich versuche bei jedem Kurs anfangs klar darzustellen, wo unser momentaner Ausgangspunkt ist und wo wir uns während des Kurses gemeinsam hinbewegen wollen.
Ein Sprichwort sagt: „Alle Wege führen nach Rom“.
Was meine Workshops betrifft, so sehe ich dieses Bild umgekehrt: Aus einer Kraftquelle können viele Bäche und daraus wieder Ströme entstehen.
Deshalb machen wir uns mit der Quelle unseres authentischen Schaffens vertraut. Dann können wir Tagebuch schreiben, Foto-Notizbücher führen, autobiografisch nur für uns selbst Schreiben. Oder auch unsere Lebensgeschichte für unsere Kinder oder Enkel aufschreiben. Es kann auch eine Geschichte für ein größeres Publikum entstehen.
Einmal mit dieser immer vorhandenen inneren Quelle in Kontakt gekommen, fließt das Wasser der Schaffenskraft ungehindert. Im kreativen Akt entspannen wir uns, erweitern wir unsere Möglichkeiten, überraschen wir uns selbst und die anderen.
Haben wir einmal diese Quelle entdeckt, können wir – auch auf Durststrecken – immer wieder zu ihr zurückkehren.
Karin Koppensteiner 02.08.2019 Allgemein Keine Kommentare
Der wesentliche Unterschied zwischen dem Tagebuchschreiben und einer Erzählung besteht darin, dass im Tagebuch keine Fiktion aufgebaut werden soll.
Während ich in einer italienischen Autobahnraststätte einen Capuccino trank, schaute ich auf den Bildschirm, der vor mir auf einer Säule angebraucht war. Es liefen sehr kurze Werbefilme. In wenigen Sekunden und mit wenigen Aufnahmen wurde da eine Geschichte erzählt: Glückliche und schöne Menschen in einer sehr sonnigen Landschaft geniessen dieses ganz bestimmte Produkt.
Das ist eine gute Möglichkeit, den Unterschied der Erzählweise in einem Tagebuch und in einer Erzählung zu erklären:
1) Erzähle ich für jemandem anderen eine Geschichte, lege ich die Beschreibung so an, dass der Leser oder die Zuhörerin dazu gebracht wird, die Geschichte auf die Art zu verstehen, wie ich sie verstanden haben möchte. Ich erzeuge mit Wörtern Bilder, die ihrerseits wieder Bilder und Assoziationen im Leser auslösen. Ich manipuliere die Wörter, um die Welt dorthin zu erzählen, wo ich sie – für die Leserin, den Leser – haben will. Das ist die Grundlage jeder Erzählung.
2) Im Tagebuch lasse ich die Gedanken und Beschreibungen von Ereignissen, die spontanen Gedichte oder die Skizzen von Orten einfach fliessen. Ich schreibe ohne Beschönigungen und ohne etwas wegzulassen. Ich schreibe nur für mich selbst und für niemanden anderen. Möglicherweise werde ich das Tagebuch auch nie wieder ansehen. Es geht um den Akt des Schreibens selbst und um Bewusstwerdung.
Natürlich schreiben wir im Tagebuch aus der Perspektive unseres momentanen Selbstbildnisses. Doch das kann sich ändern. Die Übungen in meinen Tagebuch-Kursen sind darauf ausgelegt, inneres Wachstum zu fördern. Das Risiko neuer Blickwinkel auf sich Selbst wird gesucht.
Ein spannendes Abenteuer kann dann beginnen!
Karin Koppensteiner 15.07.2019 Allgemein Keine Kommentare
«Mein Wahrnehmen» – es geschieht in einem vielschichtigen Prozess, der mit Lernen, Erziehung und Lebenserfahrung zu tun hat. Seit langem schon gibt es Theorien und Philosophien über Wahrnehmung und Sprache. Man denke nur an Wittgenstein, zum Beispiel. Um Sprache zu prozessieren benötigen wir einen menschlichen Körper, Bildung und Ausbildung des Gehirns, funktionierende Nervenzellen, Training, einen Wortschatz und trotzdem – es erscheint mir manchmal wie ein Wunder: Ich sehe einen Aprikosenbaum voller Früchte, die orangefarben, oval, in Blättern versteckt am Holz des Baumes hängen. Danach kann ich das aufschreiben, doch zuerst ist direktes Wahrnehmen.
Im letzten Winter habe ich die Welt oft farblos erlebt, misstönig und stumpf, ohne wundern, die Farben schon etwas abgeschabt. ‚Eine leichte depressive Verstimmung?’ habe ich mich im Februar gefragt, ‚oder Müdigkeit?’ Jetzt – fünf Monate später – lese ich darüber in meinem Tagebuch. Ich sitze an einem Regentag in meiner Juli-Welt. Sie ist in ganzer Vielfalt lebendig vorhanden, einfach, direkt und voller Details wahrnehmbar. Mit allen Sinnen kann ich diese Welt erleben: Gerüche (Viehgülle und Lindenblüten), Temperatur (eher kühl), Geräusche (Stille, gelegentliches Blattrauschen). Der Blick geht aus meinem Atelier durchs schmale hohe Fenster in eine Vielfalt grüner Blätter verschiedener Bäume und Büsche (wilde Pflaume, Haselnuss, Kirschbaum, Holunder, Zwetschkenbäumchen, dahinter Gras).
Hier sind die Farben und Empfindungen des Sommers. Ist es andere Wortwahl als im Winter? Sommerbilder entstehen durch Schrift: das kühle Seewasser auf der Haut beim Schwimmen. Die Wasseroberfläche entlangschauend, mich schwimmend fortbewegend im See. Weithin ist flaschengrün, ich bin darüber, ich bin darin. Ein Moment innerer Stille, noch einer, wohlsein. Schauen ohne sagen, schauen ohne beurteilen. War es so, als ich ein Kind war? Ich kenne dieses wortlose Schauen von meinen Meditations-Sitzungen. Dann ist Eigenraum um jede Erscheinung, Ding, Wort, Gedanken, Traum. Wie gestern über den flaschengrünen Wellen des Halwilersees.
Radikale Übung zum Ausprobieren in den Sommerferien: Nimm den Dingen ihre Wörter weg. Gib dem, was du wahrnimmst nicht sofort und automatisch einen Namen/Etikett. Verzögere das Einordnen der wahrgenommenen Dinge. Versuche sie nicht auf Anhieb zu verstehen und einzuordnen. Sei einfach da und nimm direkt wahr, DAS WAS JETZT IST! Und dann schreib darüber!
Im Frühling, bei einem Spaziergang am Erusbach, habe ich mit diesem Experiment begonnen: ‚Ich halte im gehen inne, bleibe stehen und schaue. Etwas ist wunderbar violett. ‚Blüten‘, ‚das sind keine Veilchen‘. ‚Es sind Taubnesseln‘. Ich kann nicht mehr zurück, in die wilde Farbe, die ich soeben entdeckte – sobald ich sie mit «Taubnesseln»benenne. Nachdem sie schon ihre vorsprachliche Farbenpalette zu mir hinauf gestrahlt haben, war diese unsprachliche Farbe verloren.‘ Es sind ja nur Taubnesseln?‘
«Doch glühten mir Augenblicke lang im Aprilgras ihre zarten Blüten namenlos wie Orchideen im Urwald.»
Karin Koppensteiner 20.06.2019 Allgemein Keine Kommentare
Beim autobiographischen Schreiben und beim Tagebuch-Schreiben kann es leicht geschehen, dass wir uns eher den schwierigen oder unerfreulichen Aspekten unseres Alltags oder unseres Lebens schreibend zuwenden. Das ist auch wichtig, denn dort, bei den für uns unerfreulichen Teilen, liegt auch unser Potential für persönliches Wachstum.
Damit der Prozess des inneren Wachstums nicht einseitig wird, damit es nicht geschieht, dass wir uns in schwierigen Zeiten in eine Opferrolle hinein stilisieren, sollten wir Ausgleich mit der Freude schaffen.
Dafür habe ich zwei Übungen für meine Schreib-Kurse entwickelt, die sich ganz der Freude zuwenden. Eine sehr kurze Übung machen wir während des Kurses. Die andere kann als Aufgabe zu Hause – mit Ruhe und Freude erledigt werden – es ist das Aufschreiben der persönlichen «Freuden-Biographie».
Freude und Inspiration gehören für mich zusammen. Freude kann ich willentlich aufsuchen, ich kann mich in eine Situation kleiner Freude begeben, kann tägliche, kleine Freuden-Oasen schaffen. Inspiration entsteht aus Freude – ist aber oft unpünktlich, kommt nur, wann es Zeit für sie ist. Die inspirierten Momente in unserem Alltag sind jedoch ebenfalls sehr wichtig. Wir können die Inspiration mit der Übung in täglicher Freude anlocken.
Es ist wichtig unsere Verletzungen und Hemmungen zu kennen ist. Doch ebenso wichtig ist es unsere Stärken zu kennen, die Oasen des Glücks im Alltag zu finden oder wiederzufinden. Mit der »Freuden-Biographie» entdecken wir, wo Freude und Inspiration in unserem bisherigen Leben angesiedelt waren.
Für mich kommen Freude und Inspiration in meinem Garten, in den Pflanzen, den Blüten und Früchten zusammen, im Wunder von Wachstum, vom Absterben und vom wieder Hervorkommen.
Karin Koppensteiner 22.05.2019 Allgemein Keine Kommentare
Diesmal gibt es hier im Blog anstatt eines theoretischen einen praktischen Beitrag: Ich veröffentliche einen Tagebuch-Eintrag aus meinem Arbeitstagebuch.
Warum ich schreibe und Keramik mache Schongau, 22. Mai 2019
Geschichten zu erzählen, das ist mein Beruf. Ich mache das, seit ich neunzehn Jahre alt war. Manchmal benötigen die zu erzählenden Geschichten einen «Rahmen», der zu groß für mich ist. Beispielsweise beim Filmen – da waren die Produktionskosten und –Bedingungen zu komplex und finanzaufwendig für meine Möglichkeiten. Deshalb habe ich mit dem Filmemachen aufgehört. Es hat mich, als Arbeiterkind im Wien der 1950er Jahre aufgewachsen, überfordert.
Damit kam ich nach der Filmakademie mit etwa 23 wieder zurück beim Schreiben. Die kurzen „Rock-Lieder“ der frühen 1980er Jahre sollten vor Publikum vorgetragen werden, mit Musik. Ich bemerkte nach den ersten Performances, dass es mich nicht nach «einem Auftritt» verlangte – im Gegenteil.
Beim Schreiben von einem Artikeln und anderen kurzen Stücken, bis hin zum Roman, bleibt «mein Gesicht verdeckt» – ich kann in einer Anonymität arbeiten, die mir gut tut, in der ich mich ganz der Geschichte widmen kann.
Aber in der Kunst des Schreibens – jenseits vom Journalismus, wo ich Auftragsarbeiten machte – bin ich selbst die Auftraggeberin. Ich selbst soll also dafür sorgen, dass die Geschichten zu ihren LeserInnen finden. Für ein Jahrzehnt hatte ich einen Literaturagenten, das hat mir das Schreiben einfacher gemacht. Kommt noch dazu, dass, je grösser die Form, also in dem Falle, je länger das Textformat – Extremform: Roman – umso länger sind die Perioden des Alleinseins beim Arbeiten. Das fertige Ergebnis wird erst nach Monaten oder Jahren das erste Feedback finden.
Es erscheint mir heute rückblickend notwendig und wirkt logisch, daß ich vor 19 Jahren «zur Erde zurückgekehrt bin». Ich begegnete den Keramik-Skulpturen des damals in der Schweiz lebenden Koreaners Seung Ho Yang in einer Galerie. Sie weckten meine neue Leidenschaft: bald begann ich Lehm, Tonerde, zu Werkstücken zu formen und im offenen Feuer zu brennen. Dabei absolvierte ich eine fast dreijährige Ausbildung. Ich war zu sehr professionelle Künstlerin, als dass ich mich meinem neuen Medium ohne entsprechender Wertschätzung, sprich Unterricht, zuwenden wollte.
Ab der Jahrtausendwende begann für mich eine Zeit, in der ich Werkstücke herstellen konnte, die schnell sichtbar wurden und für sich selbst standen. Skulpturen erzählen keine Geschichten, sie definieren einen Raum.
Irgendwann fehlte auch wieder das Schreiben. Geschichten, die ich sah, wollte ich erzählen. Es ist ein völlig anderes Arbeiten erzählend Geschichten und ihre Darsteller in die Welt zu setzen, als Skulpturen in einen Raum. Das Buddhi-Projekt begann auf diese Weise. Ich wollte nicht mehr zwei getrennte Kunstschaffens-Welten haben und sie separat betreten müssen.
Seit dem Frühlingsanfang gibt es in meinem Studio im ehemaligen Bienenhaus einen Neuanfang – ich habe in das Büro – ein Schreibtisch mit Computer, ein Schrank, Regale- noch einen zweiten großen Tisch gestellt. Dort soll, nach langer Pause, wieder Keramik entstehen – doch nur für mich, im kleinen Rahmen.
Die Geschichten folgen dem Ding nach – in der Skulptur. Während die traumhaften Geschichtswolken der Kunst des Schreibens vorauseilen.
Karin Koppensteiner 03.05.2019 Allgemein Keine Kommentare
Schon im letzten Blogeintrag habe ich das Thema der letzten Monate – «Meditation und Schreiben» – ausklingen lassen. Im Moment will ich mich anderen Aspekten des Tagebuch-Schreibens zuwenden, beispielweise dem Betrachten «unerledigter Geschäfte».
Mai am Walensee, Schweiz
„Tagebuch schreiben kann doch jeder“, sagte mir eine Bekannte. Irgendwie stimmt das – und auch wieder nicht. Natürlich kann jede und jeder auf ganz eigene Art und Weise die Seiten eines Tagebuches mit Phantasien und Fakten, Zeichnungen und Fotos über die eigene Befindlichkeit füllen.
Doch gehen wir darüber weit hinaus, wenn wir das Schreiben eines Tagebuchs in die Quelle alltäglicher Kraft verwandeln wollen. Dann ist Authentizität gefordert, Mut, Selbst-Reflexion und der Wunsch nach lebendigem Austausch mit denjenigen Schichten unserer Biographie, die für uns nicht ganz leicht zugänglich ist. Als «Mental Health Tool» kann das Tagebuch nur fungieren, wenn wir ihm diese Kraft zusprechen und uns entsprechend geschickt mit dem Tagebuchschreiben beschäftigen.
Getrocknete und gefärbte Algen, Ozean/Welt.
Hier setzen meine Kurse an: Willst du mehr und intensiver in dich hineinlauschen? Willst du deinen Alltag in neuem Licht sehen? Willst du dich von dir selbst und deiner Weisheit überraschen lassen?
Wer alle diese Fragen mit „Ja“ beantworten kann, wird bei meinen Kursen zum Thema: «Tagebuch- und autobiographisches Schreiben» Inspiration und Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten finden. Vielleicht öffnen sich dadurch neue Türen in unbekannte Selbst-Landschaften.
Karin Koppensteiner 17.04.2019 Allgemein Keine Kommentare
Wenn ich erzähle, dass ich begonnen habe Kurse zum Tagebuch-Schreiben zu geben, erfahre ich meist zwei Arten von Reaktion: 1. „Tagebuch schreibe ich schon immer. Das muss man doch nicht lernen!“ 2. „Tagebuch – in Zeiten der social media, wo ich mich dauernd beschreibe?“ Beide Reaktionen gehen knapp an dem vorbei, was ich mit meinen Kursen bezwecke. Ich ziele an die Wurzel des Menschseins, auf unsere archaische Seite.
„Wer bin ich? Wohin führt mein Weg? Wie stehe ich in der Welt?“ Unser Bedürfnis autobiografisch zu erzählen entspringt einem tiefen menschlichen Bedürfnis nach Verortung und Zugehörigkeit. Sich diesen Fragen ehrlich zu stellen ist der Beginn einer fruchtbaren Beziehung zur eigenen – vielleicht verschütteten – Kreativität. Einmal entdeckt und gefördert, wird sie zu einer neuen Lebensader im Strom des alltäglichen Lebens.
In den Tagebuch-Kursen versuche ich eine Lebens- und Schreibhaltung zu vermitteln, die angstfrei mit dem eigenen Blendwerk umgeht. Mehr als bloße Schreib- oder Kreativitätsrechniken unterrichte ich eine Lebenshaltung, die in sich ruhend, sich selbst reflektieren kann und darf. Der Kurs ist ein Impuls, ein Anfang, um unseren Alltag, oder schwierige Kapitel unseres Lebens, authentisch und meditativ zu betrachten und zu beschreiben. So kann das Schwierige zur Kraftquelle werden. Im spielerischen Aufschreiben wird das eigene Sein nachhaltig erlebt und angenommen.
Bringe den Atem, den Körper, das Erinnern, unseren sprunghaften Geist und unser ganzes Wohlsein in den gegenwärtigen Moment. Geschrieben wird das, was ist, jetzt:
Tagebuch-Notiz: Am Ende der Nacht – ein Tag. Nach dem Regen – Sonnenlicht. Ein spätes Frühstück in der Küche. Offenes Fenster – Meise, Zaunkönig, Amsel.
Karin Koppensteiner 27.03.2019 Allgemein Keine Kommentare
Hier ist der Auszug aus einem Kapitel des Buches, an dem ich gerade schreibe. »Khampa» ist der Arbeitstitel. Es basiert teilweise auf dem Reisetagebuch, das ich im August/September 2018 auf einer Reise durch Kham/Osttibet führte.
Der bisherigen Realität entglitten wir immer weiter. Wenig später fuhren wir auf der Suche nach dem geheimen Ort, den Anweisungen der Bauern folgend, die wir anfangs noch getroffen hatten, hoch hinauf, auf einem unbefestigten Feldweg zwischen die Felsen. Ich hatte Durst. Doch auch diese Empfindung schien weiter entfernt als sonst. Das Trinkwasser war beinahe zu Ende gegangen, auf der langen Autofahrt über die engen Straßen aus Stein und Sand. Der Tee in den Thermoskannen war ausgetrunken. Wir hatten zu wenig Proviant zum Essen mitgenommen. Es sollte nur ein kleiner Umweg werden. Doch hier, in den weiten Tälern von Kham, gibt es keine kleinen Umwege. Das Land ist so viel weitläufiger, höher und mächtiger als in Europa, in den Alpen. Der Talgrund, wo wir anfangs einer schmalen Straße, die einem gewundenen Flusslauf entlangführte folgten, befindet sich bereits auf 3800 m Seehöhe. Immer wieder mündeten Flusstäler in das Haupt-Tal. Welches der Seitentäler sollten wir nehmen, das dritte, das fünfte? Überall führen Wege bergauf. Es gab keine Strassenschilder oder Wegweiser. Ab und zu begegneten wir Motorradfahrern, die aus einem der Seitentäler herunter kamen. Dort oben lebten also Menschen, irgendwo, wie weit, wie nah?
Mehr darüber, wie ein Reisetagebuch zur zusätzlichen Quelle der Inspiration werden kann, erfahren Sie in meinen Kursen ab April in Zürich und Schongau LU.
Karin Koppensteiner 10.03.2019 Allgemein Keine Kommentare
Wenn ich etwas direkt aus dem Herzen mitteile, nenne ich das «spontanen Selbstausdruck». ‚Hemmungslosen Nabelschau‘ hat dabei ebenso Platz wie literarischer Wutanfall – im Tagebuch ist das möglich. ‚Rücksichtsloses Abladen von Gefühlen oder Gedanken‘ – solange es im Tagebuch geschieht, kann das zwischendurch recht heilsam sein. Denn die einzige Leserin des Tagebuches ist in der Regel die Schreibende.
Ich habe den Begriff «Selbstausdruck» für die Arbeit mit dem Tagebuch gewählt, um zu sagen, dass es wichtig ist mit dem eigenen Selbst in Kontakt zu sein, um überhaupt zu spüren was gerade los ist – Innen und Außen. Nur so ergibt sich die Möglichkeit, das auch direkt auszudrücken. In meinen Kursen gibt es dafür gezielte Übungen. Eine von vielen ist das „Vision-Board“. Das ist eine freie Assoziation mit Bildern, Wörtern und Zeichnungen – gleich direkt hinein ins Tagebuch.
Das Bild hier daneben zeigt ein Beispiel zum Thema «In die Welt lauschen».
«Spontanen Selbstausdruck» unterscheide ich allerdings vom «Kunst machen». Bei der transformativen Arbeit eines Künstlers ist der spontane Selbstausdruck zwar die Basis, doch wird im Arbeitsprozess bewusst und professionell für eine Öffentlichkeit gearbeitet. Eine erste Idee, ein direktes Gefühl werden im künstlerischen Prozess umgewandelt und der Gesellschaft wird am Ende ein Arbeitsprodukt präsentiert.
Ganz anders ist es beim Tagebuch. Darin wird ausdrücklich nicht für die Öffentlichkeit geschrieben. Frau schreibt und folgt ihrer eigenen Logik. Mann hat viel Freiraum. Des Tagebuchs erste Aufgabe ist jenseits der Verwertbarkeit – es ist zuerst einmal so etwas wie Psychohygiene. Im Tagebuch kann frau sich frei ausdrücken, mit neuen Ideen spielen, auf Reisen Gefühle der Unsicherheit in einer fremdartigen Kultur verarbeiten, oder jeden Morgen die Träume der Nacht aufschreiben – oder Mandalas zeichnen, wie das C.G. Jung in seinen Tagebüchern machte.
«Spontaner Selbstausdruck» in Wort oder Bild ist keine Begabung, obwohl er manchen Menschen leichter fällt als anderen. Man braucht einfach etwas Übung und gute Anleitung.
Wer mehr darüber erfahren will ist bei den Tagebuch-Kursen in Zürich, Zollikon oder Schongau/Luzern herzlich willkommen.
Karin Koppensteiner 21.02.2019 Allgemein Keine Kommentare
Ich möchte mich dem Thema Meditation und Tagebuchschreiben weiter annähern. Warum biete ich in meinen Kursen an, Meditation, Stille und autobiografisches Schreiben zu verbinden?
Es tauchten kürzlich Fragen auf, wie: „Was ist dieser «authentische Zugang» zu mir selbst? Was hat das mit «Spiritualität» zu tun? Und wozu brauche ich die?“ Gute Fragen, gute Antworten:
Schreiben – auch autobiografisches und Tagebuchschreiben – ohne authentischen Zugang zur tiefen Wahrnehmung von eigener Befindlichkeit, Gefühl und Bedürfnissen ist Zeitverschwendung. Ohne Selbstkontakt beschreibe ich im Tagebuch bestenfalls eine Welt, die nicht wirklich etwas mit mir zu tun hat und über Probleme mit anderen, die auch nicht wirklich mit mir zu tun haben. Was ich schreibe erscheint dann sogar mir selbst belanglos oder schal. Ich höre nach einigen Tagen wieder auf ein Tagebuch zu führen. Der Kontakt zu den tieferen Schichten meiner Existenz habe ich damit erfolgreich verhindert.
Ist mir hingegen «meine Spiritualität» wichtig, dann suche ich Einheit hinter dem Kaleidoskop der alltäglichen Ereignisse. Viele Menschen finden einen Vorgeschmack, eine Annäherung an diese Ganzheit, in der Natur der Bergwelt, im Sport oder in der Sexualität. Manche geübte Meditierende finden sie überall, in innigem Dasein, ohne Suche nach äußeren Reizen.
In der «Meditation» bin ich bewusst ganz mit mir, so wie ich mich gerade vorfinde, mit dem Lärm meiner Gedanken, dem juckenden Unterarm und dem Straßenlärm von draußen. Bleibe ich dabei, alles so zu belassen, wie es ist, und einfach mit mir da zu sein wo ich bin, kann langsam oder schnell eine tiefe Ruhe einkehren. Beschrieben haben es Menschen mit: „Ich bin bei mir angekommen“ oder: „Noch vorhin war ich so unruhig und gehetzt, jetzt scheint mir das alles nicht mehr so wichtig. Es ist schön einfach hier zu sitzen“.
Dann kann ich das Heft aufschlagen, aus dem Fenster oder in meine Traumwelt schauen und alles aufschreiben, was gerade ist oder was mir durch den Kopf geht. Einfach so. Vielleicht in einer wunderbaren Wintervollmondnacht.
«Spontaner Selbstausdruck – Meditation – Schreiben» das sind weiterhin die Themen dieser Serie von Blog-Beiträgen.
Karin Koppensteiner 10.02.2019 Allgemein Keine Kommentare
«Buddhi», Tonfigur, Darstellung des Weisheitsaspekts
Machen Sie sich jemals über Ihre eigene spirituelle Befindlichkeit Sorgen? Ist ihr spirituelles Wohlbefinden im Gleichgewicht?
Gesundheits-Vorsorge betrifft im Allgemeinen den eigenen Körper, das was gesehen und gemessen werden kann. Auch das, was geistig als gesund gilt, ist mehr oder weniger allgemein bekannt. Behandlungen, sowohl für körperliche als auch für geistige Erkrankungen können wir erhalten. Doch wie viele Menschen haben sich über eine mögliche spirituelle Erkrankung Sorgen gemacht?
Wir leben in einer Zeit, in der vielen Menschen nicht klar ist, ob sie spirituelles Wohlbefinden benötigen. Ich finde, wir sollten uns nicht nur um unsere körperliche und geistige Gesundheit kümmern, sondern auch um die spirituelle. Meine Aussage löst möglicherweise bereits innere Unruhe bei der Leserin aus. Das wiederum kann zu neuen Fragen führen.
Spirituelles Sein? Was ist das? Ich versuche hier eine Annäherung:
Als praktizierende Buddhistin nähre ich mein spirituelles Leben mit einer Vielzahl an alten, wohlerprobten Praktiken, die ich im Laufe von Jahrzehnte von wunderbaren Lehrern erlernt habe. Ich habe sie ebenso lange und täglich geübt. Ohne Wohlwollen, Güte, Respekt und Hingabe ist Spiritualität wie ein hohles Ei, auch das habe ich gelernt.
Dank meiner Spiritualität kann ich jenseits von Extremen ganz sein, Erfahrungen jenseits von Zeit und Raum machen. Dank ihr habe ich Zugang zu meinem Menschsein. Habe Zugang zu jenem Teil von mir, der sich unendlich weiter entwickeln kann, der ahnt, dass zwischen Leben und Tod keine scharfe Grenze gezogen ist.
Doch hat Spiritualität, wie ich sie verstehe, nicht unbedingt mit Religion zu tun. Obwohl jede Religion in ihrem Kern alte Traditionen für den Zugang zur eigenen Spiritualität besitzt. Ist Religion jedoch ein Wegweiser in irgendeine Art von Herrschertum oder Extremismus, hat sie ihre Spiritualität und daher ihren Wert für uns Menschen verloren.
Mittels aktiver und gesunder Spiritualität kann ich mich auf tiefgründige und vollkommene Art mit der Welt verbunden fühlen.
Vielleicht könnte man sagen, gelebte gesunde Spiritualität ist das Gegenteil von dem Lebensgefühl der Isolation? Fehlt Spiritualität, oder ist sie krank – was kann sie ersetzen? Fernsehen, Fernreisen, Feindbilder?
Karin Koppensteiner 27.01.2019 Allgemein Keine Kommentare
Die Morgen-Meditation, das Tagebuchschreiben, eine Holzkiste gefüllt mit alten Fotos – das sind drei gute Bestandteile eines Rezeptes für authentisches Schreiben.
Die Morgen-Meditation verhilft zu einem ausgeglichenen und offenen Zustand. So schreibt sich die eigene Befindlichkeit fast von selbst ins Tagebuch. Nachdem ich meine Träume der vergangenen Nacht und Ideen dazu aufgeschrieben habe, genieße ich eine Tasse Tee und schaue aus dem Fenster. Ich brauche den richtigen Moment des „Absprungs“, um mich nun mit meinem nächsten Vorhaben zu beschäftigen – ich möchte eine Kiste mit Fotos öffnen, weil ich etwas Bestimmtes suche. So eine verschlossene Kiste ist manchmal wie die Büchse der Pandorra.
Eigentlich suche ich Fotos von der Eröffnungsfeier meines ersten, damals noch gemieteten, Ateliers in Schongau. Erinnerung über Erinnerung liegen da: zuoberst Fotos von Lesungen am Walensee und in Zürich, darunter liegen einige wenige Fotos mit Meer, einer Insel in Südamerika, wann war das, 2002? Eine Serie Fotos vom Keramikofenbau in Zürich, und viele Fotos von meinen Teetassen und gebrannten Buddhi-Figuren liegen dicht aneinander. Das Buddhi-Projekt…. Die Foto-Drucke, große und kleine, sind in Schichten gelagert, wie Sandstein oder Löss. Lang lag alles still aufeinander, wurden nicht bewegt. Ich hebe immer mehr Fotos aus der Schachtel. Schließlich treffe ich auf eine Juwelenmine mit den Fotos, die ich gesucht habe.
Unerwartet blickt mich das Gesicht meiner Tochter an. Es ist mit Farbspritzern bedeckt. Ich erinnere mich: sie hatte mir damals das Ausmalen des Ateliers zum Geburtstag geschenkt. Es war kalt, März vielleicht? Vieles in meinem Leben war anders als jetzt. Elisha hat sich verändert, ich habe mich verändert. Wir waren 16 Jahre jünger. Dieser Rutsch ins Älterwerden berührt mich, ich lege das Bild vor mich auf den Tisch, spüre in mich hinein. Stille. Wie war das Erleben damals für mich, wie ist es heute? Ich nehme das Tagebuch hervor, entspanne mich und schreibe einen Bogen über die Zeit, schreibe die weißen Farbspritzer, Kälte und Liebe, schreibe hinweg über die unsichtbaren Jahre.
Auch weiterhin ist das Thema der Blogeinträge Meditation und Kunst.
Karin Koppensteiner 06.01.2019 Allgemein Keine Kommentare
Punkt für Punkt, Schritt für Schritt, Zeitpunkt um Zeitpunkt. Viele Menschen verstehen die Zeit als eine Linie, den Moment, in dem wir jetzt sind als einen Punkt auf dieser Linie. Was, wenn die Zeit aber als eine Kugel betrachtet würde? Wieder ist der Moment, in dem wir uns befinden ein Punkt. Punkt.
Durch angeleitete und erprobte Meditations-Techniken lernen wir diesen Moment, das hier und jetzt, konkret werden zu lassen. Zeit wird zur konkreten Erfahrung. Wir treiben nicht mehr in Phantasien, was wir in der Vergangenheit hätten anders machen sollen, und beschäftigten uns auch nicht mit Projekten für die Zukunft. Im gegenwärtigen Moment sind wir hier und wir tun, was wir tun.
Ein Freund erzählte mir, dass er Autofahren als gute Meditations-Übung ansieht: „Beim Autofahren muss ich ohnehin immer präsent sein, so kann ich auf der Autobahn üben, wie stabil meine Meditation ist. Kann ich sie beibehalten, im Straßenverkehr?“ Gegenwärtig im Moment entspannt verweilend, können wir autofahren, mit unseren Kindern spielen, Skulpturen machen, Gartenarbeit erledigen oder – eben auch schreiben.
Dem Fluss des Schreibens folgen ist die hohe Kunst des Schreibens. Bereits im Tagebuch können wir üben, ganz gegenwärtig das aufzuschreiben, was uns gerade jetzt bewegt, durch den Kopf geht, das Herz erwärmt. Für innere Zensoren ist da weder Zeit noch Raum.
So kommen wir unser wirklichen Befindlichkeit, uns selbst, näher. Das ist der Schreib-Weg.
Karin Koppensteiner 20.12.2018 Allgemein Keine Kommentare
Das Thema der Blogeinträge der nächsten Monate ist, wie schon angekündigt, Meditation und Kunst.
Meditation bringt aus der Stille Bewegung hervor. Sich zurückzuziehen bringt den geschäftigen Geist zur Ruhe. Das klingt wie ein Gegensatz, ist aber keiner.
Um aus dem vollen Brunnen der Kreativität schöpfen zu können, muss man zuerst einmal in der Lage sein, diesen Brunnen zu finden. Im Alltag glauben wir manchmal, wir müssten nur „alles unter Kontrolle“ haben, dann könne ja nichts schief gehen. Manchmal, etwa wenn wir pünktlich zu Terminen erscheinen, oder das Auto im Straßenverkehr souverän lenken wollen, ist diese Kontrolle auch nützlich.
Stehen wir allerdings vor neuen Herausforderungen und unser altes Repertoire, unsere Erfahrungen, reichen nicht mehr aus, kann es hilfreich sein, sich erst einmal aus dem Geschehen zurückzuziehen. „Ich meditiere jetzt ein bisschen“, nennen das manche. Rückzug, Alleinsein, Stille, aus dem Fenster schauen, ein Vollbad im Halbdunkeln – irgendwann beruhigt sich der Geist. Die Gedanken verlangsamen sich, die innere Hektik lässt nach. Nur – das ist noch lange nicht«Meditation». Das ist einfach „sich abregen“, als Gegensatz von „sich aufregen“.
Meditation bedeutet für mich, alte, seit langem überlieferte Meditations-Techniken anzuwenden, um mit tiefen Schichten meines Menschseins wieder in Kontakt zu kommen. Diese Techniken sollten, nachdem sie erklärt wurden, auch geübt werden. Während des Übens kann es anfangs schwierig sein, innerlich zur Ruhe zu kommen. Die Gedanken schwirren durcheinander, wie nie zuvor. Oder besser: wir bemerken plötzlich, wie viele Gedanken gleichzeitig schwirren können. Beachten wir sie nicht, wird auch die Bewegtheit weniger. Neue Ebenen, bisher unbekannte Welten werden sichtbar und erfahrbar.
Tief durchatmen, Stille. Dann – ein Gedanke taucht auf, fliegt auf, wie ein Vogel, verschwindet. Stille.
Karin Koppensteiner 04.12.2018 Allgemein Keine Kommentare
Das Thema der Blogeinträge der nächsten Monate ist, wie schon angekündigt, Meditation und Kunst. Deshalb möchte ich die neue Serie mit der Definition von Meditation beginnen. Ich habe den Begriff absichtlich weit gefasst, da es auf unserem Planeten viele authentische Quellen von Meditation gibt, jenseits von Religion oder Kultur.
Was ist Meditation?
Zum Einstieg möchte ich hier kurz beschreiben, was ich als «Meditation» betrachte.
Ich fasse diesen Begriff sehr weit und sage: Meditation ist für mich eine Zeit der Einkehr. Ich kehre in einen tiefgründigen Teil von mir selbst zurück, der jenseits von Zeit und Raum existiert. Meditation bedeutet für mich diesen Ort in mir kennenzulernen, zu kultivieren, den Raum zu erweitern, wunderschöne, unerwartete aber auch erschütternde Erfahrungen dabei zuzulassen.
Nach vierzig Jahren Ausbildung bei hervorragenden tibetischen Dzogchen Meistern und intensiver persönlicher Praxis des tibetischen Buddhismus, nenne ich diesen Raum nicht beim Namen. Und zwar einfach deshalb, weil er jenseits von Namen und Wörtern vollkommen vorhanden ist. Regelmässiger und offener Zugang zu diesem Ort findet einzig in der Meditation statt, anfangs formell, in kurzen oder längeren Zeitspannen. Später kann Meditation auch den Alltag durchdringen und damit eins werden. Meditation kann laut oder leise, bewegt oder ganz still sein. Für Anfänger auf dem Weg sind die ersten Schritte voller Enthusiasmus. „Beginners Mind“ wird diese erste Phase der Erfahrungen und meditativen Erlebnisse auch genannt. Bald nach den ersten Monaten oder Jahren der Übung in Meditation kommt eine Kreuzung: wer Meditation als Wellness betreiben will, verweilt in eine der vielen neuen Schulen für Meditations-Wellness.
Tür in Kham, Osttibet, Foto: KK
Diejenigen, die intuitiv verstehen, dass der Pfad der Meditation aus Gold ist und doch ein steiniger sein kann, folgen den alten authentischen Lehrwegen. Dabei treffen wir immer wieder auf uns selbst und das ist nicht immer angenehm. Manchmal stockt auch der meditative Lebensweg, wir sind erschöpft, wollen nicht mehr weiter, wozu auch? Dann – nicht aufgeben! Weitergehen, sich selbst im Spiegel erblicken, nichts tun.
Immer wieder geht eine Türe auf. Auch wenn sie vorher verschlossen war.
Karin Koppensteiner 14.11.2018 Allgemein Keine Kommentare
Seit fast drei Jahren schreibe ich in unregelmäßigen Abständen einen Blogeintrag auf dieser Website.
Der erste Blogeintrag ist vom 02.01.2015. Seither beschäftige ich mich durchgehend mit dem Schreiben. Anfangs mehr mit dem Erscheinen des Romans «Der Pilgerweg heim», den Erfahrungen bei meinen Lesungen. Im Lauf der Monate bin ich dann häufig auf den kreativen Prozess des Schreibens eingegangen.
Im letzten Jahr war das Tagebuch – sowohl als Kunstform wie auch als Report eigener Befindlichkeiten – im Vordergrund. Einige Monate intensiver Auseinandersetzung waren speziell der Form des «Reisetagebuches» gewidmet. Reisetagebücher lesen, das Reisetagebuch meiner Tibet-Reise schreiben, einen entsprechenden Kurs «Das Reisetagebuch» konzipieren.
Für diesen Blogeintrag habe ich als Thema «Rückblick» und «Wo stehe ich jetzt?» gewählt. Für heute habe ich mir vorgenommen, die Abfolge der Blogs, angefangen beim ersten bis jetzt zu betrachten und mir zu überlegen, ob ich für die Zukunft etwas ändern will. Ich habe es mir in meinem Büro bequem gemacht und blättere in den Blogeinträgen zurück. Es gibt Tee, Ruhe, einen bequemen Sitzplatz vor schöner Aussicht aus dem Fenster. Als ich fertig gelesen habe sortiere ich einen Bücherstapel auseinander, der seit einer Woche auf dem Fußboden steht. Eigentlich mache ich das, um zur Ruhe zu kommen. Nun stelle ich mir die wichtige Frage: Will ich weiterhin bloggen? Die Antwort kommt innerlich, sofort, spontan: „Ja“. Wie häufig möchte ich in Zukunft den Blog veröffentlichen? „Häufiger als bisher.“ Möchte ich einen neuen Schwerpunkt setzen, habe ich ein neues Anliegen, das mich inspiriert? Nun kommt erst einmal keine spontane Antwort. Nicht weil es an Ideen fehlt. Es ist mehr, dass ich zu viele habe. Ich schreibe einige auf, gehe dann hinaus ins Freie und schaue mich um. «Quittenkorb».
Nein, keinen Gärtnerblog. Obwohl ich Pflanzen für meinen Lebensraum unbedingt brauche, auch Obstbäume. Ich gehe auf der Wiese vor dem Büro auf und ab. Stehe manchmal einfach da, eine Tasse Tee in der Hand und schaue, denke vor mich hin, betrachte das Laub auf der Wiese.
Was ich hier weiter oben beschreibe ist ein wichtiger Teil des kreativen Prozesses. Bei einer Neuorientierung meine ich, ist er unerlässlich. Diesen Prozess der Kreativität versuche ich in meinen Schreibkursen anzuregen und zu vermitteln, dass er täglich genährt werden muss. Und zwar mit Selbstfürsorge und Geduld. Am Ende des Arbeitstages habe ich übrigens auch eine Entscheidung getroffen die mich befriedigt. Ich werde in meinen Blogbeiträgen in den nächsten Monaten einen neuen Schwerpunkt setzen: «Meditation & Kreativität» – nicht nur beim Schreiben.
Karin Koppensteiner 28.10.2018 Allgemein Keine Kommentare
Mit viel bedrucktem Papier in Aktenordnern und Mappen habe ich mich für ein verlängertes Wochenende ins Unterengadin zurückgezogen. In Abgeschiedenheit und Stille will ich entscheiden, welches die Endfassung von BONSAI wird, einer Geschichichte an der ich seit drei Jahren immer wieder schreibe. Ich möchte abschliessen, um Neues beginnen zu können. Die verschiedenen Versionen zwischen 2016 und 2018 ergeben etwa 250 A4 Seiten zu lesen. Einiges kann ich schon auswendig. Nach zwei Tagen ist das Chaos von „Copy & Paste“ vollkommen. Ich muss hinausgehen! In der Zwischenzeit hat es eine Nacht lang geschneit und der Strom war zeitweise ausgefallen. Am Spätnachmittag des Sonntags gehe ich eine kleine Alpstrasse entlang. Der Schnee, auf den es tagsüber geregnet hat, wird aquamarinweiss. Das ist ein seltener Moment. Ich will ihn auskosten, anstatt weiter grübelnd durch die Landschaft zu gehen. Diesen ersten Schnee will ich spüren, kosten. Ich nehme eine grosse Handvoll und werfe ihn aufwärts. Der Ball zielt hinauf in den blaugrauen Abendhimmel und kommt dann direkt auf mich zurück. Ich fange ihn, unversehrt landet er in meinen Händen. Ein Moment des Glücks – etwas ist von selbst gelungen. Nun kann ich wieder zurück ins Dorf gehen, mich an den Tisch setzen und weiter arbeiten.
Unterwegs fotografiere ich noch dieses Sgraffito über dem Fenster eines Engadinerhauses. Der kleine Vogel wird von etwas grösserem, einem mysthischen Vogelgeschöpf, genährt.
Karin Koppensteiner 09.10.2018 Allgemein Keine Kommentare
Authentisch und aus mir selbst heraus die Welt beschreiben – so will ich mein Tagebuch führen. Das klingt einfach und wer es versucht hat weiss wie komplex dieses Vorhaben ist. Wir brauchen zuerst den richtigen Platz. Es kann ein winziges Tischchen sein (wie hier auf dem Foto im Hotelzimmer im tibetischen Derge, Kham auf meiner Tibetreise vergangenen Sommer), wo ich jede Stunde des Alleinseins nutzte, um mein Reisetagebuch zu führen. Die tägliche Menge an Sinneseindrücken, emotionalen und spirituellen Erfahrung, war manchmal fast zu gross und so war ich froh, konnte ich mich zum Schreiben zurückziehen. Eine zweite wichtige Voraussetzung um authentisch zu schreiben ist es mit sich selbst, mit den tieferen Schichten der eigenen Person in Kontakt zu sein. Sonst kann es geschehen, dass frau einen banalen Schulaufsatz statt eine Reportage der eigenen Befindlichkeit und Wahrnehmungen ins Tagebuch schreibt. Unzufrieden damit geben Viele wieder auf und sagen: „Tagebuch schreiben ist schon gut, aber ich schaffe es nicht.“
Eine einfache Übung, um an einem solchen Punkt weiterzumachen ist folgende: Sitzen, sich entspannen, vor allem die Hände, Arme und Schultern. Ungekünstelt ein- und ausatmen. Dem eigenen Atem zuhören. Danach: sich sanft umschauen. Ein weiterer Schritt, wenn das nicht genügt, um wieder in guten Selbstkontakt zu kommen ist dieser: Sich umsehen und die Dinge, die man wahrnimmt, benennen, mit ihrer Farbe und Form. Also zum Beispiel: ‚Stehlampe, grau, Lampenschirm elfenbeinfarben‘. Fortfahren für etwa zwei Minuten. Das ist nur eine geistige Lockerungsübung, wir lassen sie bald wieder hinter uns. Danach kann man wieder zum eigenen Atem, dem Sitzen, der Befindlichkeit an dem Ort, wo frau gerade ist zurückkehren. Gelingt das diesmal, dann einfach den Faden wieder aufnehmen und – Tagebuch schreiben.
Authentisch zu schreiben bedeutet nicht, dass alles gut ist und schön klingt. Es geht darum, das zu Schreiben, was gerade bewegt, oder im Vordergrund steht. Gerade die Untiefen und Risse in unserer Welt sind es, die uns oft sehr beschäftigen. Speziell wenn wir auch die Rückseite der Dinge wahrnehmen wollen.
Karin Koppensteiner 13.09.2018 Allgemein Keine Kommentare
Auf unserer Reise in einem Pkw mit Fahrer und Übersetzer durch Osttibet sind mir immer wieder alte idyllische Vorstellungen über die Bewohner von Kham durch den Kopf gegangen. Bald war ich in der Gegenwart angekommen, die alten Vorstellungen/Bilder waren vergessen. Ich bin Widersprüchen, Stolz und Strassenbau, verschmutzen Flüssen, grossen Khampa-Hochzeitsfesten im Hotel, Sehnsuch und motorradfahrende Mönchen begegnet, reitenden Hirtennomaden und goldenen Tempeldächern. Die extreme Weite der Bergwelt auf dem Dach der Welt hat mich für immer verändert.
Täglich fand ich ich mich ohne Referenzpunkt wieder – öffnete meine Wahrnehmung und war im Neuland. Die Suche nach der Idylle gab ich auf. Zuerst waren es die Fotos, die eine Metapher für das Viele, das ich erfuhr, aber nicht aussprechen konnte und wollte, ausdrückten. Das Femde, das Schweigen, eine Mauer.
Ich fand «Die Türe» als Öffnung in der Wand, später noch den Spalt, den Riss als Ausdruck dessen, das mich bewegte und beunruhigte. Natürlich habe ich versucht, viel von dem zu fotografieren, was mir begegnete. Doch vor allem waren es Mauern und Öffnungen in Mauern, denen zunehmend meine künstlerische Aufmerksamkeit galt. Wie diese Lehmwand mit Tür in Adzom Gar in der Präfektur Gandze.
IM AUGUST 2018 UNTERNAHM ICH MIT MEINER FAMILIE EINE PILGERREISE DURCH KHAM/OSTTIBET. GEPLANT WAR, DASS ICH VON UNTERWEGS MEINEN BLOG WEITERFÜHREN WÜRDE. DIE REALITÄT WAR GANZ ANDERS ALS ERWARTET, UND DOCH WUNDERBAR. ICH VERÖFFENTLICHE ALSO HIER IN KÜRZEREM ABSTAND EINIGE DER BLOGEINTRÄGE (AUS TIBET) IM NACHHINEIN.
Karin Koppensteiner 08.09.2018 Allgemein Keine Kommentare
Mein Leben ist ein Pilgerweg geworden. Jeder Tag ist eine Station und bringt mich oft wieder an einen neuen Ort. Jeder Platz, den ich verlasse, bleibt unwiderruflich zurück. Der Ort und der Lebenstag: habe ich ihn vergeudet, zu wenig geschätzt, oder habe ich alles vollkommen erlebt und geschehen lassen? Schließlich ist der Tag vergangen. Gemeinsam mit dem Ort und dem Tag haben wir uns zur Geschichte unserer Reise gewandelt. Ich reise weiter.
Am 18. August kommen wir auf unserer Fahrt nach Derge in Ost-Tibet, wo wir einige Tage verbringen werden. Die kleine Stadt ist der nordwestlichste Punkt unserer Reise und eines unserer wichtigsten Ziele.
Versteckt zwischen alten Wohnhäusern, in engen Gasssen, liegt ein kleiner Thangton Gyalpo Tempel. Der Eingang ist tagsüber offen. Die kleine Gonpa sei, so heisst es, während der Kulturrevolution vor Zerstörung bewahrt worden: die Anrainer füllten den Raum mit Getreide auf und erklärten den Bau zum Kornspeicher.
Im August 2018 unternahm ich mit meiner Familie eine Pilgerreise durch Kham/Osttibet. Geplant war, dass ich von unterwegs meinen Blog weiterführen würde. Die Realität war ganz anders als erwartet, und doch wunderbar. Ich veröffentliche also hier in kürzerem Abstand einige der Blogeinträge (aus Tibet) im Nachhinein.
Karin Koppensteiner 09.07.2018 Allgemein Keine Kommentare
Die Linde
Bei der Heimkehr von einem Spaziergang. An einem frühen Sonntagmorgen im Juli. Hinter mir ging gerade die Sonne auf, wie aus dem Wald hervortauchend. Als ich unter der blühenden Linde zu unserem Hof ging hörte ich im Vorbeigehen über mir ein webendes Summen. Es war ungewöhnlich, stark und schien überall zu sein. Ich blieb stehen, blinzelte in die Sonne und lauschte. Es waren unzählige Bienen – ein Bienenlied – überall. Ich schaute hinauf und blickte in eine Welt, die ich nicht betrete, obwohl sie so nahe ist: Die Baumkrone unserer alten Linde. Sie hat einen dicken Stamm und auch die Äste sind bis hoch hinauf – vielleicht zwanzig Meter über mir? – noch so stark wie Baumstämme.
Die Bienen, der Duft der Blüten, der schon die ganze Nacht hindurch ins Haus gedrungen war, der Boden auf dem ich stand – alles war diese eine Linde in einem Moment. Nicht einfach ein botanisches Ereignis, sondern mehr, ein durchscheinendes und mich durchdringendes System „Natur“.
Die Bewegung der Bienen klang wie ein Chor; nicht menschlich. Der Duft der tausenden von Lindenblüten war in mich eingedrungen; nicht nur durch die Atemwege.
Lange blieb ich unter den weit ausladenden Ästen stehen. Ich versuchte diesen Klang der – meist unsichtbaren – Bienen mit meinem Handy aufzunehmen.
Doch blieb mir später nur die Erinnerung an das Linden-Dasein, außergewöhnliches starkes tierisches pflanzliches liebliches wildes.
An diesem Tag begann ich diese Linde, diesen einen uralten Baum, in meinem Tagebuch zu beschreiben. Titel: Annäherung an einen Baum.
Karin Koppensteiner 28.06.2018 Allgemein Keine Kommentare
«Die Welt mit neuen Augen sehen» ist eine gute Übung, um sich von unbewusst eingeübten Betrachtungsweisen zu lösen. Das, was gerade erscheint, erhält eine neue Tönung.
Als ich mit 18 mit dem Schreiben anfing, habe ich mich oft mit einem Notizheft an ungewöhnliche Orte begeben. Und habe dann Augen, Ohren und alle Sinne geöffnet für das, was gerade in dem Moment meine Wahrnehmung der Welt war. Bahnfahren ist dafür sehr gut. Alles ist in Bewegung und ich sitze bequem und schaue. Ich schaue nach draussen, die Landschaft verändert sich ununterbrochen. Ich schaue in den Bahnwaggon, höre Handygespräche mit, die mich nicht ineressieren. Das Aufschreiben verändert die Wahrnehmung noch einmal, etwa der Gesichter, der Mimik meines Gegenüber.
40 Jahre später erinnerte ich mich bei der Vorbereitung meiner Schreibkurse an diese Art des Auf-Schreibens. Ich wollte noch am selben Tag in meinem indischen Lieblingsrestauant schreiben:
Mit Hunger, Füllfeder und Notizheft fuhr ich zu dem Wohnwagen, der am Rande einer Landstrasse steht. Die Mittagspause in den Betrieben der Umgebung war bereits vorbei. Es war nur noch ein Gast da. Er blätterte in einer Zeitung und schob sich gleichzeitig mit der Linken immer wieder eine Gabel voll mit Essen in den Mund.
Das Vorzelt des Küchenwagens ist im Laufe der Jahre zu einer kleinen Essstube ausgebaut worden. Ich setze mich auf eine der Bänke, neben die Wand mit der Blumentapete. Es gibt täglich frische südindische Küche. Über die Theke bekam ich aus dem Wohnwagen von Herrn Shri, der dort auch kocht, einen runden weisser Teller gereicht: in der Mitte Reis, rechts Mungbohnen-Curry und links Lammcurry. Es schmeckte phantastisch.
Nach dem Essen holte ich Heft und Feder hervor und begann zu schreiben.
Karin Koppensteiner 11.06.2018 Allgemein Keine Kommentare
Heute habe ich viel geschrieben und viel meditiert. Dann kam der Regen. Später wieder die Sonne. Zum Sonnenuntergang ging ich hinunter zum Weiher, um nach den beiden Fischen zu sehen. Und vielleicht etwas zu fotografieren: das hohe Gras im Abendrot.
Heute war ein Tag, an dem manches erscheint, das sich sonst verweigert, unsichtbar bleibt, nicht hervorkommt. Zum Beispiel einige Seiten des Romans, den ich nach drei Jahren noch einmal von vorne zu beginnen bereit bin. Weil er mir einfach nicht gelingt. Und plötzlich, wie von selbst, fallen diese ersten Seiten als Rahmen um die ohnehin beinahe fertige Geschichte.
Es gibt solche Tage und wenn ich mich ihnen hingebe, erscheinen manchmal kleine Wunder. Wie heute Abend, am Weiher, bei Sonnenuntergang.
Karin Koppensteiner 28.05.2018 Allgemein Keine Kommentare
Da Ende Mai mein Sommer-Kursprogramm in Schongau beginnt, überarbeite ich dieser Tage einige Kursblätter und amüsiere mich mit den vielen Werkzeugen, mit denen ich den Kurs-Teilnehmenden authentisches und kreatives Schreiben vermitteln kann.
Hier ist der erste Teil eines Kursblattes zum authentischen Schreiben:
Der Stein Beispiele für die verschiedenen Möglichkeiten innerhalb einer Kreativitäts-Übung
Aufgabe:
- Bevor du losgehst halte inne. Dann streife ohne vorherigen Plan durch eine Landschaft – denke dabei nicht viel nach. Steige aus deinen Alltagssorgen aus. Sei offen für das, was dir begegnet. Da liegt, neben dem Weg beispielsweise, ein Objekt – sagen wir es ist ein Stein, der dich besonders anzieht. Es sind sogar zwei Steine. Ihre Oberflächen sehen aus, als würden sie sich gegenseitig spiegeln.
- Du beschließt, mit diesem Fundstück zu deinem Schreibplatz zurückzukehren, und eine kurze Kreativitäts-Übung damit zu machen.
- Setze dich hin, öffne das Schreibheft, lege den Stift bereit, entspanne dich. Atme tief durch, betrachte dein Fundstück erneut.
- Was siehst du wenn du die Steine betrachtest? Entstehen innere Bilder oder Klänge? Oder ist das Objekt einfach rätselhaft? Lasse es auf alle Sinne wirken.
Danach folgen (auf dem Kursblatt) noch einige Hinweise und Erklärung zur Umsetzung dieser Übung – doch die erfährt man erst im Kurs selbst.
Erster Termin: 31. Mai 2018. Siehe dazu auch den Menüpunkt Kursprogramm 2018.
Karin Koppensteiner 21.04.2018 Allgemein Keine Kommentare
«Ein Tagebuch schreiben» ist der Titel eines neuen Kurses, den ich im vergangenen Winter entwickelt habe. Dabei entstand auch, fast nebenbei, eine kurze Anleitung zum Schreiben eines Tagebuches. Diesen Leitfaden erhält, wer an einem Kurs „Ein Tagebuch schreiben“ teilnimmt.
Eine der Übungen aus diesem Kursprogamm möche ich mit den LeserInnen dieses Blogs teilen. Sie ist ganz einfach auszuführen und verändert den Tag.
Nehmen Sie einige Blatt Papier oder Ihr Tagebuch zur Hand und beginnen Sie eine Liste zu schreiben.
Das Thema für diese Liste ist: Alles das, was mir seit meiner Geburt Gutes geschehen ist.
Finden Sie eine Stunde ohne Verpflichtungen an einem ruhigen Ort. Kommen Sie zur Ruhe. Sie können eine kleine Meditation machen, falls Sie mit irgendeiner Art von Meditation vertraut sind. Dann erinnern Sie sich an etwas, das Ihnen erst kürzlich Freude bereitet hat. Was genau war es? Dass der Frühling da ist? Dass sie bemerkt haben, wie wunderbar es ist in einem Land mit Redefreiheit zu leben? Oder dass sie lieben? Oder dass Ihr Lieblings-Apfelbaum blüht?
Schreiben Sie, ganz ohne literarische Ambitionen, diese Liste aller Dinge und Umstände, die in Ihrem Leben gut sind oder waren. Fangen Sie zum Beispiel an mit: «Es ist sehr gut in meinem Leben, dass ich an einem ruhigen und schönen Ort lebe.» Setzen Sie dann fort, ohne viel nachzudenken. Lassen Sie zu, dass viele Sätze entstehen, die Sie vielleicht selbst überraschen. Und freuen Sie sich darüber, wenn die Liste am Schluss fünf Seiten lang ist.
Viel Freude!
Karin Koppensteiner 08.04.2018 Allgemein Keine Kommentare
Es war an einem kalten Wochenende. Da hatte ich diese sehr gute Idee. Vielleicht war es beim Spazierengehen. Plötzlich bewegte sich die Geschichte, an der ich schon seit drei Jahren arbeite. Sie hatte mit dieser Eingebung einen stabilen Rahmen, der für die großen Emotionen gefehlt hatte. Was für «große Emotionen»?
Es war das erste Mal, dass ich mich an die etwas altmodische Erzählform – die Novelle – heranpirschte. «Der Bonsai» ist die Geschichte vom Tod eines alten Mannes, erzählt von Gion, dessen Sohn. John/Gion ist eine Nebenfigur im ersten Teil der Trilogie „Der Pilgerweg heim“, die 2015 erschienen ist.
Die rettende Idee war: Zwei Menschen sind auf einer langen Gebirgs-Wanderung (Himalaya, Alpen?), werden von ungewöhnlich heftigem Wetter überrascht, nehmen Zuflucht in einer Herberge, bleiben dort einen Tag und zwei Nächte und reden. Das ist nicht wirklich ein neuer Plot. Und: während es stürmt und schneit und eisregnet, erzählt der eine – Gion – dem Freund und Weggefährten Ludwig die Geschichte vom Leben und Tod seines Vaters, von den Monaten in denen er ihn begleitete, von sich, von dem (nun selbst schon grauhaarigen) Kind, dass er dem Vater war.
Es ist eine alte Geschichte. Einem Traum gleich sollte engmaschig und in kurzer Zeit erzählt werden.
Als ich anfing, Textproben aus den bereits bestehenden Kapiteln von «Bonsai» herauszukopieren, sie neu zusammenfügte, mit neuem Text verband, vor allem mit Dialog und dann las, wurde ich unsicher. Es war nicht nur, dass es sehr viel mehr Mehr-Arbeit ergab, die bereits bestehenden Texte in eine – wenn auch lose – Dialogform zu bringen.
Auf diesen ersten zehn Probeseiten wurde mir noch etwas anderes klar:
Wenn ein Mensch einem anderen erzählt, wird vieles nicht gesagt. „Man erwähnt nicht alles.“ Und das, was dem anderen nicht zugemutet und nicht erzählt werden wird, könnte schon auch interessant sein. Das Ausgelassene könnte durchscheinen, hervorquellen.
«Bonsai» ist wieder eine Geschichte über Grenzen und über das ‚darüber Hinausgehen’. Diesmal ist es die «Grenze des Todes». Es ist auch eine Geschichte des Verschwiegenen, des Schweigens, das überlebt werden kann.
Heute bin ich, nach einigen Tagen der Arbeit und des Spielens damit, wieder von der neuen Idee abgekommen. Doch die verworfenen Seiten, die Tage des Irregehens sind nicht verlorene Zeit. Sie bereichern unsichtbar die Geschichte die nun weitergeht, reicher in jedem Fall.
Karin Koppensteiner 22.03.2018 Allgemein Keine Kommentare
Nach einer anstrengenden Zeit mit der Übersetzung eines längst überfällig und zweimal über den Termin hinaus verschobenen Buches geniesse ich die neue Freiheit im Atelier.
Ich darf Cellospielen, und lerne die Landschaft der Musik neu kennen. Keine Schrift, nur Klang. Seit Jahresbeginn schon arbeite ich nebenbei auch daran, neue Kurse zu entwickeln. Nun ist der Leitfaden geschrieben, viele ausprobiert, altbewährte Übungen eingebaut. Das Thema ist – von der Knospe, über die Blüte zur Frucht. In einem Kurs geht es um das «Tagebuch-Schreiben», im zweiten um «Biographisches Schreiben».
Ab Morgen arbeite ich auch wieder daran, den Roman mit dem Arbeitstitel „Bonsai“ fertigzustellen. Ich habe einige Szenen, mehr als ein Kapitel, sowie einen ganzen Erzählstrang entfernt. Es soll mehr Ruhe und Klarheit in die novellenartige Erzählung einziehen. Mittlerweile denke ich dabei immer wieder an einen fast leeren Raum, Stil Zen. Doch das ist neu, bisher war der Raum nur sehr groß – die Bündner Alpen.
Nachdem das unfertige Manuskript gut aufgeräumt ist, viele Buchstaben weggeputzt wurden (delete) – beginne ich nach einigem Zögern und ersten Anläufen mit einer Sicherheit, die mich selbst erstaunt, den Text weiter zu kürzen. Aber genau das ist ein wichtiger Teil des Schreibprozesses.
Karin Koppensteiner 10.01.2018 Allgemein Keine Kommentare
Boot, Hülle, Walnuss, Schale, Schutz, Materie, Bild, Gefäß, Nußschale, Schädel, Holz. Eine halbe Walnuss-Schale habe ich auf einem Spaziergang auf der Erde liegend gefunden.
Ein Wort, ein Bild, können Ausgangspunkte für eine Reise ins Universum sein. Im Prozess des kreativen Schreibens führen Assoziationen und Wortgebilde in einen freien Raum. Wir sind frei, dort zu gestalten, was wir wollen. Hier im Blog sind Sie nun mitten in eine der Übungen für kreatives oder biografisches Schreiben geraten.
Nuss oder Boot, es steht Ihnen frei gleich jetzt hier eine kurze Geschichte der Nuss zu erfinden, oder über eine Schutzhülle zu schreiben.
Sie können aber in Ihrer Phantasie auch das kleine Boot besteigen und in die Weiten ihrer Vergangenheit hinübergleiten, fasziniert vom Fahren auf dunklen Wassern, hellen Wellen oder dem Fließen der Zeit.
Mehr zu erfahren über meine speziellen Anleitungen zur Kunstarbeit oder zum biografischen Schreiben gibt es im Kursprogramm 2018, Menüpunkt: KUNST ZU LEBEN KURSE.
Karin Koppensteiner 28.10.2017 Allgemein Keine Kommentare
Kürzlich schrieb ein bekannter Autor in einer großen Schweizer Tageszeitung eine Art Essay über das fast absichtslose Herumstreifen im Internet. Darin nimmt er Bezug auf das bereits seit Langem gepflegte, und noch immer beliebte Vor-Sich-Hingeben, auch Flanieren genannt.
Im Gegensatz zu einem Wanderer, der schnell von A nach B gelangen will geht ein Flaneur aus Lust am Gehen, durchquert langsam ein Stück Landschaft. Es gibt bei dieser Art des Gehens Zeit für Entdeckungen, für Steifzüge der Gedanken, tagträumen, und immer wieder auch Zeit für das Stehenbleiben, sich Umblicken, Schauen, Riechen, Genießen.
Nun ist die Idee des Schreibers jenes Essays, in modernen Zeiten wie den unseren flaniere man/frau durch das Internet, anstatt durch die Natur. Man browse von einer Seite zur nächsten, habe dabei ähnliche Erlebnisse des „Findens“, des „Genusses“ wie ein Spaziergänger.
Am darauffolgenden Tag mache ich einen Waldspaziergang: langsam und genüsslich die Gerüche des nassen Laubes einatmend, ein Orchester der Klänge von Blättern unter meinen Füßen. Erstes Sonnenlicht hinter den Bäumen, fast schon hellblau, der Himmel. Ich blickte auf den Weg. Vielgestaltige Blätter, gezackte, rote, gelbe, braune, runde, zerrissene. Ich weiss, dass in meinem Gehirn eine riesige Anzahl von Nerven am Auswerten der Daten ist. Dasselbe macht meine Kompakt-Kamera, die ich vor mich halte, das elektronische Auge. Blicke auf den Weg, während ich gehe. Das ist, was das Kamera-Auge wahrnimmt und reproduziert.
Karin Koppensteiner 07.10.2017 Allgemein Keine Kommentare
Unter dem Dachvorsprung durchgehen, auf grünen Grashalmen. Über in der Nachtkälte gefallenem Farn stehenbleiben. Einen roten Apfel im nassen Gras finden, darunter eine Nacktschnecke.
Neben der alten Pappel gehen, über gelbes Laub. Bei ihrem Stamm rauscht das Bachwasser.
Auf orangeroten Kirschbaumblätter gehen, auf Aprikosenbaumblättern, auf Ahornblättern, auf Birnbaumblättern, auch.
Zum Weiher hinunter gehen. Die letzte Seerose suchen – vergebens. Die Felsen sind nicht mehr warm. Doch finden die Füße lautgelbe Birnen zwischen Grashalmen: „Swaschschswasch!“
Immer höher steigt die Morgensonne in den Himmel. Oder: immer tiefer hat sich die Erde verneigt.
Auf dem Feldweg gehen, die Herde betrachten. Sonnenstrahlen fallen warm auf mich und auf das Fell der Kuh. Muh!
Karin Koppensteiner 22.08.2017 Allgemein Keine Kommentare
Aus der sonnenstrahlenden Lichtheit, aus der Hitze der Marchfeldebene herüberkommend, bewege ich mich hinein in das Rauschen der Silberpappeln. Jetzt bin ich in der Lobau. Im Reich der alten Donauarme! Fast schon vergessen ist die trockene Hitze dicht über den weiten Feldern, die ich vorher durchquert habe. Die Empfindungen dieses Sommertages führen direkt in den weiten Raum der Erinnerung. Weit hinter mir der Asperner Löwe.
Warmer Wind auf meinen nackten Armen. Wie damals, in meiner Kindheit. Ich esse Eis im Eissalon am Biberhaufenweg. Es ist derselbe kleine Vorgarten, wo ich mit meinen Eltern als Fünfjährige Halt gemacht hatte. Begehrlich durch die Glasscheibe in die Kühltruhe guckte. Farben: Melonengelb, Pistaziengrün, Schokoladebraun. Zarter Geruch des Rahms, kalt.
Im Weitergehen: verschwunden sind die niedrigen Häuschen am Straßenrand. Ich habe sie vor einigen Jahren in Südrumänien wiedergefunden. Vision einer vergangenen Welt, die fünfhundert Kilometer weiter nach Südosten gewandert war und dort Gegenwart ist. Ärmliches Leben mit staubigen Straßenrändern.
Heute, hier, auf der Ostseite Wiens, ist gleichzeitig der vollkommene Sommertag meiner Kindheit – sorgloses Schauen. Jetzt sind die kleinen Häuser, die damals hinter Holzlattenzäunen tief in ihre Gemüsegärten versunken erschienen aufgestockt zu stattlich-hässlichen Ein- oder Zweifamilienhäusern. Oder sie sind verschwunden und es stehen elegante niedrige Wohnblocks da, in Gärten, wo vorher wilder Wein wuchs.
Mühlwasser: Ich erkenne den Klang der Bäume über der vom Wind gewellten Oberfläche. Und atme Wassergeruch. Wind biegt das Schilf. Wellen in der Mitte des grünen Wassers, blühende Seerosen. Hinein: süßes Wasser, leicht auf der Haut.
Karin Koppensteiner 05.08.2017 Allgemein Keine Kommentare
Wer meinem monatlich veröffentlichen Blog zum Schreiben folgt hat bemerkt, dass seit einigen Monaten die Beiträge sehr spärlich waren. Es war Zeit für Veränderung. Ich bin viel gereist, habe neue Menschen und neue Orte kennengelernt, altbekannte besucht, mit Freude Zeit mit Familie und alten Freunden verbracht. Während dieser Zeit habe ich die Arbeit mitgenommen, für einen Verlag ein anspruchsvolles Buch, eine Übersetzung aus dem Englischen lektoriert. 360 Buchseiten, wobei ich mit dem linken Zeigefinger am Originaltext, Zeile für Zeile überarbeitete – eine Arbeit die länger dauerte als vorgesehen.
In dieser Zeit hat der Roman in sich geruht. Neue Perspektiven haben sich entwickelt. Zum Beispiel ist mir klar geworden, dass ich zu viele Erzählstränge in den Text hinein verwoben habe. Dass ich mindestens einen, eventuell sogar zwei entfernen will. Ich weiss auch genau, wann ich mir die Auszeit nehme, um dieses Werk mit dem Arbeitstitel „Bonsai“ zu Ende zu bringen. Das wird im kommenden Spätherbst sein. Für mindestens einen Monat ziehe ich mich dann ganz von der Aussenwelt zurück. Bis dahin mache ich kleinere Änderungen, der Text ist ja „beinahe fertig“. Aber vorher gibt es noch ein weiteres Buch, das ich, als Brotarbeit, lektorieren werde.
Weil ich die Künstlerin in mir nicht verhungern lassen will, habe ich vor einigen Tagen in Wien beschlossen, einige „Fingerübungen“ zu schreiben, kleine Texte über Wien, meine Wurzeln in Wien, das Selbstverständliche Sein, das der Ort meiner Kindheit mir gibt. Diese kleinen „Sprachskulpturen“ kann ich auch zwischendurch machen.
Deshalb widme ich mich im Spätsommer und Herbst dieses Jahres kleinen Schriftzügen über Wien, Eastside.
Karin Koppensteiner 27.03.2017 Allgemein Keine Kommentare
„Bonsai“ ist der Arbeitstitel des Textes, an dem ich nun schon fast zwei Jahre arbeite.
Zuerst dachte ich, es wird wieder ein Roman. Jetzt aber versuche ich mich an einer altmodischen aber kurzen Form der Erzählung: einer Novelle. Es ist die Phase, wo ich die Geschichte „zu Ende erzähle“. Eine freudvolle und anstrengende Zeit liegt vor mir.
Für mich ist die Arbeit im Moment eher so, wie eine Skulptur zu machen: Material wegnehmen, woanders Text hinzufügen. Aber doch vor allem: Text streichen. Es erleichtert mir die Arbeit, dass ich nicht nur eine neue Form, sondern auch eine gewissen Stärke oder Disziplin in die Geschichte einbringen will. Ich spüre, wenn die Teile der Geschichte ihre letztendliche Form annehmen – es entsteht kurz in meiner Wahrnehmung so etwas wie ein intuitives „Ja!“.
Vor einem Jahr ist „der Bonsai“ in der Erzählung aufgetaucht. Wie das manchmal so ist, beim Schreiben. Eine Figur taucht auf, ungebeten, spontan. Ich weiß in der Regel bald, diese Figur soll bleiben und das Ihre zur Geschichte beitragen – oder: für diese Figur ist jetzt kein Platz mehr. Nur war die Figur eine Pflanze – ein Bonsai eben, ein kleiner Baum. Und sie sollte bleiben.
„Tragbare Landschaft“ wird ein Bonsai in der japanischen Tradition auch genannt. Das und vieles Anderes habe ich bei einem Bonsai-Kurs am vergangenen Wochenende gelernt. Denn ich wollte im Laufe der Arbeit am Text auch immer mehr über Bonsai wissen.
Erde & Wurzeln & Baum
„Das ist eine Recherche“, so habe ich mir den Kurs spontan zugestanden. Seit vergangenem Sonntag habe ich nun ganz praktische Kenntnisse – auch über die Wurzeln, dem unterirdischen Leben eines Miniatur-Baumes.
Wird das Symbol dadurch stärker für die Geschichte, tragfähiger?
Das werden die nächsten Tage und Wochen zeigen.
Denn jetzt ist Frühling in der Schweiz. Es ist die Zeit des Wachstums für Pflanzen, Blüten, Blätter, Buchstaben und Wörter!
Karin Koppensteiner 29.01.2017 Allgemein Keine Kommentare
Ich befinde mich auf einer Insel im Atlantik. Ein alter Traum ist in Erfüllung gegangen: den Winter auf einer Insel im Meer zu verbringen. Ich habe viel Zeit, nicht nur um zu scheiben und zu lesen, sondern auch, um über das Schreiben nachzudenken. Es ist mit dem Schreiben manchmal wie mit dem Wandern oben in den Lavabergen.
Die Landschaft ist mir oft fremd. Manchmal ist es schwierig, den Weg, den ich eingeschlagen habe, überhaupt noch wahrzunehmen. Zu schroff oder felsig erscheint das Gelände vor mir. Das ist der Moment, habe ich gelernt, um innezuhalten, stehen zu bleiben, sich umzusehen. Wohin hat mich mein Weg geführt? Was kann ich hier erfahren?
So war es auch heute, in einer Schlucht oben, in den Bergen. Wäre ich zielstrebig weiter gegangen, um mein Ziel zu erreichen, ich hätte sie nicht wahrnehmen können. Ich war stehen geblieben, betrachtete die schwarzen Lavasteine am Wegrand, genoss die Sonnenwärme auf dem Rücken. Jede Spalte oder Höhle zwischen den Felsen hatte ihre eigene Farbschattierung, rötlich. Die Mandelbäume am Rande der Schlucht standen in Blüten. Ein Teil dieses Felsentales ist ein ausgetrocknetes Bachbett, in dem aber bereits wieder kleine Büsche wachsen. Auch ein weißer Plastikeimer war irgendwann angeschwemmt worden, und ist zerstört liegen geblieben, zwischen Felsbrocken, bleich, fast schon Teil der Natur.
Bachbett und Weg sind klar voneinander unterschieden, das kann ich nach der Ruhepause sehen. Und weiter gehen.
Als ich den Fuß wieder auf den Weg setzte, blendete mich ein gelber Lichtstrahl. Ich fand – die Distel. „Genau so“, dachte ich, als ich die strahlende, zitronengelbe Erscheinung ihrer Blüte, fast schon unter meinen Füssen, wahrnahm, „genau so überraschend ist es manchmal mit dem Schreiben!“
Karin Koppensteiner 26.12.2016 Allgemein Keine Kommentare
Ein halbes Jahr hat mich das Leben als Geisel genommen. Ich habe mich nicht gewehrt. Es hat mich vom Schreiben und vom Skulpturen machen, von der Kunst also, weg gehalten.
Alle Lebenskraft habe ich gebraucht, meinen Gefährten durch eine lebensbedrohliche Krankheit zu begleiten, ihm und auch mir Kraft, Mut und Genesung aus den Tiefen unserer Kraftreserven zu schöpfen, den individuellen und den kollektiven. Manchmal habe ich geweint, schon morgens, vor Erschöpfung.
Jedes Wort, das ich schrieb, erschien mir zu viel, aufdringlich, laut, unangemessen dem dunklen Raum, den ich durchquerte. Schweigen, Stille, Ruhe. Das Herz tat mir oft weh, in der Ohnmacht mit den Schmerzes meines Liebsten.
Ich erinnere mich heute an eine Sommernacht, in der ich ausgelaugt nach einem Tag im Krankenhaus auf unserem großen Grundstück saß, allein in hereindämmernder Nacht. Eine Füchsin kam, es dauerte sicherlich eine halbe Stunde bis sie näher kam. Ich hatte Zeit sie zu beobachtete, ihre Anwesenheit als Trost zu geniessen. Langsam, langsam kam sie, um Kirschen, die vom nahen Kirschbaum gefallen waren, vom Boden zu fressen. Irgendwann kamen auch zwei kleine Füchse, doch sie blieben weiter weg. Die Füchsin umrundete mich, nahm mich wahr, beachtete mich nur aus den Augenwinkeln, ging später wieder ihrer Wege. Verschwand in der Dunkelheit der Nacht.
Baum, Licht und Leiter
Weihnachten 2016
Mein Mann ist wieder aus der Dunkelheit ins Licht getreten, hat sich langsam, ganz langsam erholt. Genießt das neu geschenkte Leben. „Wir sind alt geworden, ohne dass wir es richtig bemerkt hätten“, sage ich zu ihm, „wie ist das so schnell passiert?“. Wir waren immer zu beschäftigt, um es zu bemerken, denke ich. Nun, in der Überraschung des neu gefundenen Lebensabschnitts, schaue ich mich erstaunt um: Es ist schön hier, das ist mein Leben. Was hat sich geändert? Im Schreiben bin ich wahrhaftiger geworden, kompromissloser, aber auch im Alltag.
Ich nehme den beinahe fertigen Roman, den ich vor einem halben Jahr zur Seite gelegt habe wieder hervor. Es geht um einen Abschied, eine Vater-Sohn-Geschichte, es geht um Alter, Liebe und Tod. Ja, ich könnte eine Novelle daraus machen. Dieser zweite Teil der Trilogie wird wahrscheinlich eher kurz, wie der Arbeitstitel schon andeutet: „Bonsai“.
Karin Koppensteiner 29.06.2016 Allgemein Keine Kommentare
Viele Wege führen in den Schreib-Stau
Wir leben in einem 250 Jahre alten Luzerner Bauernhaus mit Geschichte und Staub, davor liegt ein wunderschöner Garten mit viel Arbeit drin. Wann immer wir umbauen, brauchen wir „kleine Handwerkerbetriebe“ die schiefe Wände und schiefe, niedrige Decken nicht aus dem Konzept bringen. Solche Betrieb werden immer seltener. Sie sind altmodisch und brauchen „etwas länger“. Nach einer Arbeitswoche haben die Schreiner diesmal herausgefunden, dass, um die Decke optimal isolieren zu können, ich am besten den Kleiderschrank ausräume und sie ihn auseinander schrauben. Das ist nur ein Beispiel.
Das Ziel der Umbauten ist, dass meine 1 1/2 Südzimmer, in dem ich vor 14 Jahren im ersten Enthusiasmus über das uralten Holz habe Sandstrahlen lassen, jetzt wieder eine staub- und kältedichte Decke bekommen. Ausserdem habe ich in der kleinen Kammer ein Arvenholzmöbel in die Wand einbauen lassen, und dahinter winterfest isolieren. Nachdem ich zwei Woche lang wegen Schreinerarbeiten meine Zimmer nicht bewohnen konnte, kam endlich der sogenannte „Gipser“, spachtelt die Fugen, das musste trocknen, draussen regnete es tagelang. Dann wurde Rohverputz auf die neuen Deckenplatten zwischen den uralten Balken gemacht, und der musste dann wieder trocknen, bevor der Maler kommen konnte.
Dafür ließen einige Handwerker hundert Fliegen ins Haus, weil sie anstatt der von ihnen selbst montierten mobilen Fliegengitter-Fenster die anderen öffnen, diejenigen, die keine Fliegengitter haben. Und weil das ganze in einem regnerischen und kalten Juni passierte, kamen alle Fliegen die bei Albert, das ist der Nachbar mit strahlend weissem Haarschopf, im Kuhstall keinen Platz mehr haben zu uns und saßen überall. Am Liebsten in der Küche und auch auf dem Computer, während ich versuchte, trotz Hämmern und Nachfragen der Arbeiter zwischendurch zu arbeiten.
Ich habe den grossen Küchentisch als Bürotisch benutzt , das ging manchmal stundenweise ganz gut. Aber ich schreibe nicht „stundenweise“ an einem Roman. Dafür hatte ich endlich Zeit, im Computer meine Mailbox aufzuräumen. Ein digitaler Hausputz, sozusagen. Die Fliegen rannten dabei meine Arme entlang.
Ruhe ist heute ins Haus zurück gekehrt. Ich habe gestern den Kleiderschrank mit den übrigens bei dieser Gelegenheit gleich neu in terrakottarosa gestrichenen Türen – nochmals fünf Tage Wartezeit – eingeräumt. Alles in allem war ich zwei Wochen ohne Kleiderschrank und vier Wochen ohne meine Zimmer. Weil Umbau Anwesenheit verlangt, war ich auch selten in meinem Atelier und ebenso oft blieb meine Arbeit liegen.
Seit 35 Jahren arbeite ich mehrheitlich freiberuflich und oft auch mit Büro zu Hause. Das ist praktisch, man steht morgens nicht im Stau und der ökologische Fussabdruck ist kleiner. Aber es hat einen grossen Nachteil: wann immer zu Hause Aufruhr ist, Umbau, grosser Besuch oder ähnliches, staut sich die Arbeit auf dem Schreibtisch.
Und die Freude, heute endlich wieder ungestört arbeiten zu können, lässt sich durchaus mit der Freude einer Autofahrerin vergleichen, die nach einstündigem Stau endlich wieder im Schneckentempo die Autobahn entlang fahren kann.
Karin Koppensteiner 01.06.2016 Allgemein Keine Kommentare
Nichtsnutz
„Diese Künstler – liegen viel herum, gehen spazieren, sind auf Reisen. Und ab und zu malen sie ein Bild“ Das ist ein Standart-Vorurteil, das viele, auch gebildete Menschen haben, die das dann etwas feinsinniger ausdrücken würden. Und es stimmt! Um in den Urgrund allen kreativen Schaffens einzutauchen, und Perlen neu auf die Welt herauf zu tauchen, braucht es die Muße, die Weltliebende haben, ob sie nun Künstler genannt werden oder nicht.
Als ich im Alter von zwölf Jahren entschied „Künstlerin“ zu werden, war mir nicht klar, auf was ich mich da eingelassen hatte. Künstler wollen die Welt ja nicht „verhübschen“ oder im alten Gang bestätigen, Künstler experimentieren das Leben und loten unser aller Grenzen aus. Gehen ein wenig weiter. Aus dem Urgrund des Alltäglichen werden Wunder hervorgezaubert, neue Wege gefunden, das Maß voll machen. Und so gibt auch Zeiten des Wartens auf den richtigen Augenblick, in dem die Perlen am Grund aufblitzen und die Schwimmerin in den geheimem See hinuntertaucht, ohne Furcht.
Wozu diese Perlen, wozu die Geschichten, die Bilder, die mit Realität und Traum gleichermaßen spielen, die Filme und Erzählungen die uns weinen und lachen machen? Die sind doch zu nichts nutz. Stimmt!
Doch stelle ich mir eine Welt vor, in der es keine Menschen mehr gibt, die wahrhaftig erzählen, die nach Form ringen wie nach Luft, die Bildfolgen als Musik komponieren, Schauspielern Aufgaben geben, die diese an den Rand ihrer Möglichkeiten und noch weiter bringen. Hinaus, über sich selbst hinaus und in die Gefilde des Transzendenten. Wenn alle diese Menschen aufhören würden, ihre Arbeit zu tun und erschlafften? Würde ich in einer solchen Welt die Letzte sein wollen, die „perlentaucht“? Ja.
Deshalb sitze ich an diesem wunderbaren Maientag und schreibe vom Gehen unter Tannen im nassen Regenwald, aus dem das grünste Moos sich erhebt. Immer wieder, kehre ich zum Erzählen zurück.
Möglicherweise ist es – Nichtsnutz.
Karin Koppensteiner 24.03.2016 Allgemein Keine Kommentare
Ein Mann in der Krise
Ein Mann, 60, fällt langsam aus seiner Karriere als beachteter Theaterregisseur in Deutschland – „Aber ich war nie einer von den wirklich Großen – weiß auch nicht warum.“ Er befindet sich, ein halbes Jahr nach der Trennung von seiner Frau und Assistentin allein mit seinem todkranken Vater in einem Haus in den Schweizer Bergen, im tiefen Schnee.
„Du bist so ein Egoist, du hast doch noch nie in deinem Leben für jemanden gesorgt“, sagt Nora, seine Ex-Frau am Telefon, als ihr John von seinem Entschluss berichtet, den Vater in seinen letzten Lebensmonaten zu begleiten.
„Er ist mir zwar immer fremd gewesen, doch ich kann ihn jetzt nicht alleine lassen, er ist mein Vater.“ So begründet John Maienfeld, der in Mondbach, dem Heimatort seines Vaters, wieder zu Gion wird, dem Schweizer mit Wurzeln in den unwirtlichen Bergen Graubündens, seinen Entschluss, beim greisen Vater zu bleiben. Nach einem kurzen Weihnachtsbesuch will er nicht mehr nach Frankfurt – in sein altes Leben – zurück kehren.
„Es ging immer nur um Liebe“, wird er einige Monate später in der Grabrede für seinen Vater schreiben, „die mögliche und die unmögliche. Keine von beiden war besser.“
Das ist eine kurze Zusammenfassung des Romans mit dem Arbeitstitel Die Wildnis der Alpen, an dem ich seit etwa einem Jahr arbeite.
Foto aus der Serie: „Das Buddhi Projekt“, 2011, Multimedia: Keramik im Feuer, Video
Karin Koppensteiner 26.01.2016 Allgemein Keine Kommentare
Frau schreibt Mann
Am Ende des ersten Bandes der Trilogie Der Pilgerweg heim war für mich ganz klar, dass ich das nächste Werkstück aus der Perspektive des Mannes schreiben würde. Sein Name ist Gion, das ist rätoromanisch, oder John. Er war der meist abwesende Ehemann Noras, Teil der hippen Kulturszene Frankfurts im ersten Band. Im zweiten Teil kehrt er in sein Vaterland Schweiz zurück.
Viel schwerer als erwartet fällt mir dieser Perspektivenwechsel. Ich bin die Icherzählerin John. Es ist Neugier, Spiel, aber auch Herausforderung und Freude in diesen Monaten der Schreibarbeit. Es ist wie ein Tanz der Vorstellungen, die sich vermischen.
An dieser Schnittstelle von – anderer Mensch, Menschenmann, Menschenfrau – betreibe ich also im Moment meine Studien. Besonderes Vergnügen hat mir die Bekanntschaft mit einem in die Schweiz zurück gekehrten Theaterschaffenden gemacht, der bei unserer Konversation mit einer straffen Leichtigkeit vom Schwyzerdeutschen in hessisch-deutsche Aussprache und wieder zurück gefallen ist „Das soll der John auch machen!“, habe ich sofort gedacht.
Karin Koppensteiner 10.12.2015 Allgemein Keine Kommentare
Die verschwiegene Geschichte
Es ist Dezember. Seit Kurzem schreibe ich wieder. Mich in die Routine des täglichen Schreibens einzufinden ist mir diesmal schwer gefallen. Jetzt aber bin ich schon mitten in der Geschichte aus den Alpen. Ich sortiere nicht mehr Informationen, lese keine Sekundärliteratur mehr. Ich schreibe, scheibe, schreibe. Wie gut mein Arbeitsplatz eingerichtet ist, stellt sich jetzt heraus. Denn ich sitze wieder stundenlang am Tisch vor dem Computer. Ich versuche die Schultern zu entspannen, Hüften und Lendenwirbelsäule an der richtigen Stelle nach vorne zu knicken. Ab und zu weiche ich auf das Sofa aus, mit dem Laptopkissen auf dem Schoß.
Wenn ich mich erzählend im Fluss der bereits skizzierten Geschichte befinde, geht die Arbeit schnell voran und nach einem solchen Tag habe ich abends das Gefühl von Leichtigkeit, bin zufrieden. Vorgestern, als ich einen Ausdruck der schon korrigierten ersten Textteile gelesen habe, geriet der Fluss des Schreibens ins Stocken:
Es tauchten beim Lesen der Geschichte Unstimmigkeiten auf, wahrscheinlich weil ich eine der Hauptfiguren dieses eben entstehenden Romans nicht einschätzen kann. Eignet sich die Figur des Antonin als ein Geheimnisträger? Sie ist mir nicht ambivalent genug. Seit zwei Tagen arbeite ich deshalb noch einmal die Beschreibungen der Hauptfiguren durch. Heute früh um sieben hatte ich dann die Idee, wie ich die Vater-Sohn Geschichte dieses entstehenden Romans für mich greifbarer machen könnte. Ich begann die Geschichte von Antonins Trauma zu schreiben. Diese soll aber nicht im Roman erzählt werden.
Um die Figur vielschichtiger zu machen, will ich eine Geschichte in die Geschichte einbauen. Heute schreibe ich seit dem frühen Morgen an dieser Geschichte, acht Seiten sind es bisher. Sie soll mir als Hintergrund dienen. Heute Abend wird sie fertig sein. Wie in ein altes Kästchen verschlossen, soll diese Beschreibung aus Antonins Kindheit meinem Schreiben über Antonin zugrunde liegen. Wie große Flusskiesel am Boden eines Gebirgsbaches wird sie zwar den Lauf des Erzählflusses formen aber nicht selbst hervor treten. Das jedenfalls, ist meine Idee. Ob sie wertvoll ist, werden die nächsten Kapitel der Rohfassung des Romans mit dem Arbeitstitel „Wildnis“ zeigen.
Karin Koppensteiner 16.11.2015 Allgemein Keine Kommentare
Perspektivenwechsel
Etwas, das mein Schreiben immer wieder beflügelt und manchmal die LeserInnen verwirrt, etwas, das ich aber weder in meinem Leben noch in meiner Kunstarbeit missen möchte, ist ein Perspektivenwechsel.
Er öffnet neue Sichtweisen, kann festgefahrene Geschichten wieder aufbrechen und ins Leben zurück bringen. Die Sichtweise abrupt ändern und damit die eigenen sicheren Meinungen hinterfragen bringt auch Vergnügliches, Spielerisches, wenn das Schreiben eine allzu ernste Angelegenheit zu werden droht.
Diesmal hat mich eine kurze Reise in die Toskana aus dem Alltag geholt. Schon in den überfüllten italienischen Zügen musste ich immer wieder Perspektiven wechseln. Eine Teamsitzung übers Wochenende, eine Projektarbeit an der ich teilnehme, haben mich auf einen Berg in Italien gebracht, an einen Ort, wo ich vor mehr als 20 Jahren lebte und arbeitete.
Heute Nachmittag hatte ich endlich Zeit für einen Spaziergang – etwas, was man hier nicht wirklich macht, denn man fährt mit dem Auto, um sich fortzubewegen. Ich begab mich zu Fuß in eine Welt kleiner Wege und landwirtschaftlicher Straßen und noch kleinerer Straßen zwischen den Olivengärten, verwilderten Feldern und Weinbergen. Es wurde geerntet. Fünf Bauern schnitten bei der Olivenernte auch gleich die überzähligen Äste ab. Sie lagen auf Haufen, mit ihren silberfarbenen Blättern. Ein Korb mit Lebensmitteln und einer Weinflasche stand im Schatten eines Olivenbaums.
Dieses plötzlich Woanders-Sein empfinde ich als einen wichtigen Teil der Kunst-Arbeit. Vor allem wenn, wie so oft, die alten, sicheren Wege verlassen werden müssen, damit frisch gefundene Worte und Bilder wie Zeichen in jungfräulichen Sand gesetzt werden. Vergänglich, ernsthaft, geträumt, gespielt. Sonnenuntergang zwischen Olivenzweigen. Gut.
Karin Koppensteiner 04.11.2015 Allgemein Keine Kommentare
Kuh & Kunst
Heute früh lag Nebel unten im Seetal. Ich ging unter hellblauem Morgenhimmel. Dann erschien die Sonne hinter dem Wald. Bald werden die Kühe nicht mehr so oft auf der Weide sein. Ich wollte sie noch vor dem Schneefall mehr beachten, beobachten, Fotos machen. Gestern am Morgen waren sie eingehüllt in Nebel, vereinzelt standen sie im nassen Gras, in der Klangwolke, die aus der Glocke um ihren Hals entsteht.
Recherchieren, nenne ich meine Morgenspaziergänge diese Woche. Recherchieren habe ich seinerzeit auf der Filmakademie gelernt. Mein Berufsleben lang war ich manchmal in Bibliotheken, wenn ich an einem Thema gearbeitet habe. Und in den letzten Jahren natürlich auch viel im Internet. Für den Roman an dem ich jetzt arbeite, habe ich von Anfang an eine Recherche „in den Alpen“ geplant, Aufenthalt in Hochtälern, eine Suche nach Bildern und Geschichten direkt draußen. Am Berg, vielleicht in einem Museum.
Im Moment beschäftigte ich mich den Kühen. Denn aus dem Thema „Schweizer Alpen“ kommen mir die Kühe entgegen. Im Sommer sah man sie hoch im Gebirge, nahe ihrer Alp. Dort wirkten sie frei und kräftig. Jetzt sind sie mit ihren Hirten in die Täler zurückgekehrt. Diese großen Tiere, die, über Jahrtausende im Alpenraum beheimatet, in der Schweiz zur „Milchkultur“ gehören, sie sind fast selbstverständlich, hier, auf dem Lande, wo ich lebe. Mir bereitet ihr Anblick, der Geruch, das Geräusch des Grasens, das sie machen, ein Gefühl des Reichtums. Je grösser die Herde ist, die ich sehe, umso sicherer fühle ich mich. „Im Land wo Milch und Honig fließt“ – ist das hier?
Jetzt sitze ich am Computer an meinem Schreibtisch. Bevor ich weiter an dem Kapitel über den Kuhstall schreibe, den John in der Nachbarschaft besucht, schreibe ich diese Zeilen, diesen Blog, als Fingerübung und kleinen Bericht über die Kunst des Schreibens.
Karin Koppensteiner 30.10.2015 Allgemein Keine Kommentare
Das Noch-nicht-Schreiben
Ich habe mich in den letzten Wochen zurück gezogen, um Kraft zu sammeln.
Es wird Zeit über das Skizzieren des neuen Romans hinaus zu gehen. „Der zweite Band“ ist seit einem halben Jahr in Arbeit. Zuerst war ein kleiner Beginn, ich schrieb einige erste Seiten, die mir zeigten: „Oh, die Geschichte kommt!“ Daraus folgen dann erste Entscheidungen, Gedanken beim Gehen oder Autofahren, Tagträumen an heißen Sommertagen. Nachsinnen über die Wegrichtung, ausgeschnittene Zeitungsartikel, Orientierungen – ja so könnte es gehen. Danach kam die Zeit des Ausprobierens und des totalen Zweifels, ein neuer Charakter tauchte im ersten Kapitel auf, wurde ebenfalls angezweifelt, verworfen und im zweiten Kapitel habe ich ihn wieder hervorgeholt, skizziert, mit Buntstiften gezeichnet. Es ist ein schwerer Fall.
Ich habe mich in den letzten Monaten auch zu oft ablenken lassen und mich tagelang mit anderem als dem Schreiben beschäftig. In den Momenten des kreativen Überflusses habe drei neue Charaktere und Teile einiger Kapitel mit dramatische Szenen im Hochgebirge geschrieben, die sofort viele neue Fragen aufwarfen. Es gab Wochen, da habe ich nur gelesen und recherchiert, habe Ideen, Plots, mögliche Nebenhandlungen und Ortsbeschreibungen notiert. Immer wieder auch meine Motivation hinterfragt. Den in dieser ersten Phase entstandenen Stapel A4 Blätter habe ich vor kurzem in einen hellgrünen Aktenorder geheftet.
Auf dieser Sammlung steht außen als Beschriftung: WILDNIS. Das ist der Arbeitstitel des neuen Romans. „Wie schaffst du es, die „WILDNIS“ in einem Aktenordner zu archivieren?“, fragte mein guter Freund, als er auf einem Tisch den neuen Ordner fand. Ja, wie schaffe ich das? Was mich oft am meisten inspiriert, sind offene Widersprüche. So wie das Wortpaar: „Alpen-Wildnis“.
Karin Koppensteiner 02.09.2015 Allgemein Keine Kommentare
Wo ist die Wildnis im Wald?
Kleiner heller Staub weht um mein Gesicht.
Ich bin im Wald an einem jener Plätze, an dem ich schon oft Inspiration und Ruhe gefunden habe. Auf einer breiten Wurzel sitze ich, an eine alte Tanne gelehnt, bin einfach da, schweigend, meinen Gedanken nachfolgend, oder auch nicht. Der zweite Band der Trilogie „Der Pilgerweg heim“ hat unter anderem als Thema die Alpen, Natur und Wildnis. Meine langen Spaziergänge durch den Wald sollen mir helfen, das Thema richtig „anzugehen“.
Wieder fällt der weißliche Staub vor mir nieder, und noch einmal. Wie feine Schleier sinkt er durchs Morgenlicht. Was ist das? Ich stehe auf. In Augenhöhe finde ich längliche Löcher im Stamm des Baumes, an den gelehnt ich vor mich hin geträumt habe. Aus jedem der Löcher weht immer wieder eine Prise Staub hervor.Bei noch näherer Betrachtung finde ich schwarze Ameisen, die den Staub aus dem Baum werfen. Es sind Waldameisen bei einer Art von Arbeit, deren stumme Betrachtung mir eine unbekannte Welt öffnet und sie doch gleichzeitig verhüllt. Prise um Prise Holzstaub weht vor mir durch die kühle Morgenluft, sinkt nieder. Erst jetzt bemerke ich, dass neben der Tanne am Waldboden bereits ein Hügel dieses feinen Holzstaubes liegt. Lange stehe ich vor diesen geheimnisvollen Schlüssellöchern ins Innere des Baums. Betrachte die schwarzen, vom Holzstaub mehligen Beine, Köpfe und Leiber der Ameisen, die, durch meine Betrachtung unbeirrt, Stäubchen um Stäubchen aus dem Baum werfen. Sie kommen zum Ausgang der Höhlen und werfen ihre feinen Lasten ab, drehen sich um, verschwinden, andere kommen, werfen ihre Staublast ab, verschwinden sofort wieder. Sie machen keine Pause, sie schauen nicht verträumt hinaus in den Wald.
Ich glaube, sie bemerken meine Anwesenheit nicht, weil ich in einer anderen Welt lebe. In einer Nicht-Ameisenwelt, für sie unsichtbar. Für Momente habe ich Teil an der Wildnis des Waldes.
Genährt von ihrer Anwesenheit setze ich mich wieder auf die Wurzel, lehne mich an den Baumstamm und mir scheint fast, als könnte ich die Ameisen jetzt beim Graben tief im Stollen ihres Baumes hören. Langsam schwebt heller Staub durchs Morgenlicht, vorbei an meinem Gesicht, sinkt nieder, auf den Waldboden vor mir, den duftenden.
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Karin Koppensteiner 04.08.2015 Allgemein Keine Kommentare
WILDNIS
Heute, an diesem warmen Sommermorgen, ging ich durch den Wald. Bin nur wenige Schritte vom Weg abgezweigt und dorthin gegangen, wo die Tannen dicht nebeneinander wachsen. Hier riecht es noch mehr nach Wald als auf dem breiten Waldweg. Wie ich diesen Wald-Geruch beschreiben könnte? Herabgefallene Tannennadeln, die auf dem Boden, unterstützt von Pilzen, eine Schicht des Vermoderns und des Neubeginns bilden. Feuchtigkeit, Teppich der Dunkelheit des Waldes, auf dem ich still gehe. Jetzt stehe ich zwischen den dicht wachsenden Baumstämmen. Etwas knackt. Dort hinten kommen drei Rehe aus dem Grünen, dem hellen Gebüsch. Sie gehen auf mich zu, dann seitwärts, hin und her zwischen den Stämmen der Tannen. Wie Scherenschnitt-Figuren heben sie sich vom Morgenlicht ab, das hinter den Tieren leuchtet. Der Bock mit den schönen kleinen Hörnern geht knapp hinter einem Reh, die Schnauze riecht an ihrem Hinterteil. „Aha!“ denkt es in mir, “deshalb bemerken sie mich nicht, sie sind abgelenkt.“ Abgelenkt von seinem wilden Trieb läuft der wohlgenährte Rehbock hinter einem der beiden Rehe her. Angelockt von ihrem Geruch, der ihm nur eines mitteilt: „Komm! Komm!“ Es ist ungewöhnlich viel Bewegung im Halbdunkel zwischen den dicht stehenden Baumstämmen. Jetzt springt er auf sie, Bewegung, dann ist es vorbei. Einfach, tierisch, wild. Als Betrachtende stehe ich schon lange unbeweglich an einen Baumstamm gelehnt. Die drei Waldtiere kommen näher.
Eines der Themen (Gedanken-Gebilde), über die ich in meinem neuen Roman meditiere, ist der Begriff der „Wildnis“. Im ersten Teil der Trilogie, dem im Frühling veröffentlichten Roman „Der Pilgerweg heim“, fand dieses Thema keinen Platz mehr. Es kommt dort nur einige Male kurz hervor, zum Beispiel im Kapitel „Silvias Garten“.
Diesmal habe ich „Wildnis“ zu einem der Kern-Wörter meiner Schreibarbeit gemacht. Wie wird Wildnis definiert? Was ist mir wild? Habe ich Wildnis in mir? Wo finde ich – die ich im Schweizer Mittelland lebe – Wildnis in meiner unmittelbaren Umgebung? Unter Wasser, in den Seen und Flüssen, unter einem uralten, lange am gleichen Ort gelegenen Holzbrett? In den Alpen, oberhalb der Baumgrenze? Dort ist noch an vielen Orten eine kaum genutzte Wildnis, zwischen Fels, Geröll, Pflanzen, die in diesen rauen Höhen noch leben können. Im Hochgebirge bin ich immer wieder erschreckt angesichts der scheinbaren Unbedingtheit der Landschaft, die nur bei Schönwetter einladend ist. Ansonsten aber leicht zur Todesfalle werden kann. Ist es das, was Wildnis ausmacht, das Risiko des möglicherweise Unbewältigbaren?
„Der Wald“ scheint uns oft so ein letzter Ort der Wildnis sein. Ich beschreibe ihn in meiner momentanen Arbeit als „versuchte Wildheit“. Denn auch dieser Wald, wie ich ihn in der Schweiz kenne, ist, außer in den Nationalparks, durchwegs benutzt, und wenn einige Hektaren Waldes hier sich selbst überlassen würden, entstünde nicht unbedingt gleich „Wildnis“ darin. Nutzwälder sind es, die ich auf meinen frühmorgendlichen Spaziergängen durchstreife. Es sind ordentlich aufgeräumten Waldstücke, zum Teil lieblich, zum Teil dunkel, mit wenig Gebüsch oder Blumen im Untergrund. Sind die Rehe, die ich heute früh beobachtet habe, in dieser „versuchten Wildnis“ so etwas wie die Haustiere des Waldes?
Karin Koppensteiner 11.05.2015 Allgemein Keine Kommentare
Noch was zum Thema „Lesungen“
Im Mai hatte ich nur zwei Lesungen geplant. Der Monatsplan ist randvoll mit anderen beruflichen Verpflichtungen. Deshalb die Zurückhaltung. In Steinhausen im Kanton Zug gibt es ein riesiges Einkaufszentrum, das einer schweizer Supermarkt-Kette gehört. „Toll“, dachte ich, als mir zwei Termine für Lesungen dort, in einer Art Kulturforum, angeboten wurden. Am Samstag war es soweit. Am Vormittag fuhr ich mit dem Auto quer durch die Deutschschweiz. Es war schwierig, einen Parkplatz in einem der drei, an die Einkaufszone angebauten Parkhäuser zu finden. So viele Menschen in Autos waren dort unterwegs! Auf zum Kauf! Ein Einkaufszentrum voll mit potentiellen Lesern und Zuhörern meiner Geschichte – phantastisch.
Den Ort für die Lesung konnte ich zuerst nicht finden. Es gab keinerlei Hinweis-Schilder. Nachdem ich auf einem Förderband durch zwei Etagen mit Geschäften gefahren war, und überall so viele Menschen unterwegs waren, aber kein Kulturforum zu sehen war, fragte ich schliesslich in einer Buchhandlung nach. Ich solle den Zeichen Richtung Toiletten folgen. Gleich im Seitengang um die Ecke wurde ich fündig: grosse Glasschiebetüren gaben den Blick frei in einen grossen Raum, sachlich, hell, wohlproportioniert, ohne Fenster. Bilder hingen an den Stellwänden und an der Wand – das muss der Kulturraum sein. Und so war es. Gleich gegenüber von der öffentlichen Toilette und dem Ausgang in eines der Parkhäuser bog ich in den hellen Raum ab. Ein Tisch mit Wasserglas und Stuhl, und auch Sitzplätze für Zuhörer waren bereits vorbereitet. Man hiess mich willkommen.
Ich mache es kurz: niemand von den unendlich vielen Menschen, die sich im Einkaufszentrum vergnügten, fand den Weg in den „Kulturraum“. Ich las, fast allein, vor kleinstem Publikum, hinter Glas, wie in einem Aquarium, umspült von den Wogen des Konsums. Das ist auch eine Erfahrung, sage ich mir, wenn mir sowas passiert.
Karin Koppensteiner 14.03.2015 Allgemein Keine Kommentare
Lesungen: In der vergangen Woche habe ich an zwei Abenden aus dem Buch „Der Pilgerweg heim“ öffentlich vorgelesen. Einmal in Zürich im Atelier einer Schmuck- & Objekt-Künstlerin und einmal in einem Buchladen in Hochdorf im Kanton Luzern. Wenn ich lese, kommt mir die Stimmausbildung, die ich vor 35 Jahren gemacht habe zugute. Ich kann mich darauf verlassen, dass ich weiss, wo und wann ich atmen sollte. Der Text bekommt klangliche Kontur, wenn ich ihn im meinem Büro oder auch in der Natur draussen probelese. Ich mache mit dem Bleistift kleine Zeichen in den Text. Hier Pause, hier schneller, hier langsamer werden. Später, während ich dem Publikum den Roman vorlese, wird aus einem visuellen Ereignis, dem Objekt Buch, das man mit sich herumtragen kann, ein stimmliches: eine tönende Performance. Ich geniesse diese Verwandlung des Textes und freue mich an der guten Atmosphäre, die ich in den beiden, so verschiedenen Vortragsorten gemeinsam mit den Zuhörern erzeugt habe. Das Lesen macht mir wirklich Freude und kommt gut bei den Zuhörern an. Gestern haben wir beschlossen, auch ein Hörbuch des Romans im Verlag heraus zu bringen.
Karin Koppensteiner 04.03.2015 Allgemein Keine Kommentare
Inspiration: Immer wieder werde ich gefragt, wo ich die Inspiration für den Roman Der Pilgerweg heim gefunden habe. Dann beginne ich zu erzählen. Je mehr Ebenen ich aufzähle, zum Beispiel von der Idee einer alten „Heidi“ erzähle und der an der Konsumwelt krank gewordenen Nora, als Wiedergängerin der Klara aus dem Kinderbuch, umso mehr wird auch mir klar, wie viele Welten ich während der Erschaffung der Geschichte in Gedanken durchwandert habe. Wichtig waren dabei auch Gegenstände, die mir begegnet sind, als ich noch an der Struktur der Geschichte feilte. Dieses Buch beispielsweise fand ich in meiner Liebling-Buchhandlung in Wien. Es ist ein grosser, schwerer Bildband: „Asian Theatre Puppets. Creativity, Culture and Craftsmanship“. Ich habe es anfangs fast täglich durchgeblättert, tagsüber lag das Buch oft aufgeschlagen neben dem Arbeitstisch. Es hat sicherlich entscheidenden Einfluss darauf gehabt, dass Nora, die ja in den ersten Kapiteln des Romans komplett an den Fäden ihrer unbewussten Geschichten fest hängt, an einem Buch über asiatisches Puppentheater schreibt.
Karin Koppensteiner 06.02.2015 Allgemein Keine Kommentare
Die erste Buchpräsentation von Der Pilgerweg heim auf der MS Rigi, dem Kulturschiff neben dem KKL in Luzern ist bereits wieder Vergangenheit. Ich sitze nicht mehr vor dem Mikrophon. Die vielen Menschen, die vor mir sassen und den Ausschnitten aus dem Roman zuhörten, sind wieder nach Hause gegangen. Mit den ersten fremden Zuhörern ist der Roman in die Welt hinaus entschwebt. Er gehört nicht mehr zu mir, sondern nimmt seine eigene Lebensform an: ein Buch kann man auch als Briefbeschwerer benutzen, es ist Medium, ein altes Transportmittel einer immer wiederkehrenden Geschichte über Leben und Tod, Liebe und Verdruss, Erleuchtung und Schneesturm. Wenn ich jetzt dem schönen roten Buch irgendwo in unserem Haus begegne, weil es da auf einem Tischchen liegt, am frühen Morgen schon, dann ist doch noch immer ein Wundern da, und Freude, über die schöne grüne Schrift auf dem Einband.
admin 20.01.2015 Allgemein Keine Kommentare
Mitte Januar 2015: Der Einband des Buches „Die Pilgerreise heim“ wurde von meinem langjährigen Freund Stephan (antart) aus Österreich gestaltet, einem Künstler der seit Jahrzehnten wunderbare Bilder macht. „Erinnerst du dich noch an das Bild, das ich einmal vor 30 Jahren von dir hatte – so ein Rot möchte ich, und etwas ikonographisches, tibetisches, wie deine Buddha-Reihen, ein Zeichen, das sich wiederholt. Und dann habe ich noch ein Selbsportrait in einem Verkehrsspiegel von mir, während im Hintergrund der Zug vorbeifährt.“ Das waren meine Vorgaben per Telefon im vergangenen Sommer an den Gestalter. Der letzte Entwurf für das Buch–Cover machte mich sehr glücklich: Er war ein Kunstwerk für sich. Letzte Woche ging der vielfarbige Bucheinband im letzten Durchlauf durch die Druckmaschinen: der Schriftzug ist hellgrün und bei Mercantil Druck AG im Thermorelief-Verfahren gedruckt. Dabei wird – wie bei Email – die heisse Farbe (des Schriftzugs) mit Puder berieseln und das Papier wird zusätzlich noch einmal in einem langen Tunnel kräftig anheizt. Am Schluss erscheint die Schrift am Ende des Tunnels erhaben. Im Bild werden gerade die 1600 Kopien vom Drucker in kleinen Haufen zum Trocknen ausgelegt.
Karin Hutter 05.01.2015 Allgemein Keine Kommentare
„Samsara kann man nicht reparieren“ – das war einer der Sätze, die ich zuerst auf mein Storybord geschrieben habe, damals, vor mehr als zwei Jahren, als ich aus einigen Skizzen und Tagebucheintragungen die Geschichte ihren Lauf nehmen ließ. Ich hatte beschlossen, meinen vierten Roman zu schreiben. Der Arbeitstitel war Die Puppenmacherin und die Protagonistin der sich entfaltenden Geschichte war anfangs Silvia, die Keramik-Künstlerin. Alles fing im Wald im Hochgebirge an. Während die Geschichte sich entfaltete, bewegten die Ereignisse die Geschichte ins Tal, an den Grünen See. Die schönsten Momente der Arbeit waren für mich, als ich ganz hinter den gefundenen Ereignissen zurück treten konnte und einfach schreiben. Dann warf ich einen Schatten an die Felswand, im gleissenden Licht der Wintersonne. Und die Worte waren Worte und Material zugleich. Auch sie mussten erst langsam ihre Magie wieder erlernen: Wasser auf Stein, Wasser auf Holz.
admin 02.01.2015 Allgemein Keine Kommentare
Über die Wirklichkeit
Ein Tor führt zu ganz unterschiedlichen Wirklichkeiten. Unsere Augen sind solche Tore, jeder nimmt mit den eigenen Augen ihre oder seine ganz persönliche Version der Realität wahr. Meine Wirklichkeit ist anders in Vergangenheit eingebettet, erlebt und hinterfragt als Ihre, die Sie diese Zeilen jetzt lesen. Wenn ich mich von einer Geschichte finden lasse, lasse ich mich von etwas ganz Bestimmtem berühren, und arbeite doch gleichzeitig mit Material, das für alle sichtbar ist. Mit etwas Muße und meditativer Betrachtung öffnen sich in diesem Prozess plötzlich Türen zu unerwarteten Welten. Wenn ich schreibe, erfinde ich Zwischenwelten, die sich manchmal als ein würziger Boden kollektiver Bilder zeigen. So würde ich meine Arbeit des Erzählens beschreiben, falls mich jemand fragen würde.