Resonanz und Echokammern
«Ohne Resonanz ist man auf sich selbst zurückgeworfen und für sich isoliert. Der zunehmende Narzissmus wirkt der Resonanzerfahrung entgegen. Die Resonanz ist kein Echo des Selbst. Ihr wohnt eine Dimension des Anderen inne. Sie bedeutet Zusammenklang. Depression entsteht am Nullpunkt der Resonanz. Die heutige Krise der Gemeinschaft ist eine Resonanzkrise. Die digitale Kommunikation besteht aus Echokammern, in denen man in erster Linie sich selbst sprechen hört. Likes, Friends and Follower bilden keinen Resonanzboden. Sie verstärken nur das Echo des Selbst.» (Seite 19/20) BYUNG-CHUL HAN «VOM VERSCHWINDEN DER RITUALE», Original Deutsch, bei Ulstein, 2019
Dieses Zitat habe ich einem der drei Bücher von Byung-Chul Han entnommen, die ich in den letzten Wochen gelesen habe. Es hat mir geholfen, meine Kunstarbeit neu einzuordnen – in die Welt der alltäglichen Ereignisse. Verliere ich dieses Gefühl des Verbunden-Seins mit den Ereignissen, mit der Welt, kann auch die Transformation nicht stattfinden, die in der Kunstarbeit für mich so unentbehrlich ist.
Dann kann es geschehen, und ist mir schon passiert – dass ich in einer schicken Geschichte feststecke, von der ich denke, dass da schon so viel Arbeit drinsteckt, dass ich die Geschichte schon irgendwie hinbiegen kann. Es war mir wieder passiert, in den letzten Wochen. Spät erkannte ich, dass ich nicht mehr mitschwinge, mit dem, was ich schreibe, dass es Zeit für eine kreative Pause war, dass ich schon lange nicht mehr in Resonanz mit der Welt geschwungen hatte. Wir haben auch Covid-19 Krise, es ist nicht so einfach entspannt zu schwingen….
Dieser Tage fand ich mich langsam wieder im Schreiben ein, an meinem Arbeitsplatz, im umgebauten Bienenhaus. Es ist Spätherbst, der erste Schnee ist gefallen. Nachdem ich die letzte Version des Romans «Freundschaft Genossin» definitiv verworfen hatte, – endlich! – bin ich wieder neugierig geworden. Energie und Freude am Arbeiten sind zurück. Wieder einmal habe ich erfahren, dass im Schaffensprozess auch die Krisen nicht ausgespart werden können. Ich erinnere mich, wie es diesmal begonnen hatte: Im Sommer noch schrieb ich tagelang einige Kapitel um, die mir eigentlich nicht mehr gefielen. Ich empfand es so, als wäre ich aus diesen Texten herausgewachsen. Oder auch so, als wäre ich mit einigen Teilen der Geschichte in die falsche Richtung gegangen. «Kopfgeburten» nenne ich das, wenn das Herz beim Arbeiten nicht mehr im Gleichklang mit dem Tun ist, wenn mein eigenes Schreiben mich nicht mehr zu überzeugen vermag. Krisen sind Teil des Wachstumsprozesses, ein Teil der schöpferischen Arbeit. Das klingt gut, aber in Wirklichkeit steckte ich fest.
Wie gerufen kamen «andere wichtige Dinge» zwischen mich und mein Schreib-Projekt «Freundschaft Genossin». Als ich drei Monate später wieder zur Schreibarbeit zurückkehrte, war ich am ersten Tag im Büro, anstatt neugierig und aufmerksam, sehr schlecht gelaunt. «Sehr verstimmt» gibt den Zustand vielleicht am besten wieder. Als ich in mich hineinspürte musste ich zugeben: Ich war schon seit einiger Zeit nicht mehr in Ressonanz mit mir selbst gewesen. Aber: die Schwierigkeit erkennen ist eines, aus der Sackgasse wieder herauskommen das andere. Ich konnte nicht mehr in die alte Schreibspur zurück. Es war Zeit zum Aufmerken, Innehalten. Bücher anderer Autoren zu lesen hilft; Zeit zur Ruhe zu kommen, keine einzige neue Verpflichtung mehr einzugehen ist Voraussetzung für einen guten Neuanfang.
«Warten wie eine Jägerin auf Worttiere» ist mir als Bild dazu eingefallen.
Sie kamen, pelzig, geheimnisvoll, unaufdringlich, sie wurden auf friedliche Art eingefangen. Manche wurden gezähmt, manche blieben wild. So wie ein Wort der dunklen Nacht: «Lichtwurf».
«Freundschaft Genossin» ist ein neuer Roman an dem ich schreibe. In diesem BLOG berichte ich über die Arbeit am Text.
29.11.2021