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Schreiben über das Schreiben

19.04.2022 Allgemein Keine Kommentare

 

 Diese Serie von BLOG-Beiträgen ist seit dem Jahr 2020 der Entstehung meines Buch-Projektes «Freundschaft Genossin» gewidmet. Davor, seit 2014, waren andere Themen im Mittelpunkt, auch meine Workshops und Kurse.

 

In den letzten zwei Jahren haben wir weltweit grosse Veränderungen erlebt. Jede und jeder von uns hatte eine neue Welt im eigenen Alltag zu verarbeiten. Zuerst war es die Covid-19 Pandemie, tiefe Einschnitte in die Arbeitswelt, die schmerzliche Spaltung unserer Gesellschaft via Internet und sozialen Medien. Lügenmeldungen als Neuigkeiten, dreist, das war für mich in Mitteleuropa doch auch neu.

Auch bei mir, wie bei vielen Menschen, fand am Anfang dieser unbedingten Krise eine radikale Einkehr statt. 2020, im ersten «Lockdown» mit viel Kontemplation, Entspannung, und Ungewissheiten über die Art der Covid-19 Viren.

Als ich zu meinem Geburtstag 2022 gezwungen war, einen weiteren Krieg in mein Blickfeld aufzunehmen, einen zweiten Überfall Russlands auf die Ukraine, hat plötzlich auch die etwas schwerfällig gewordene Arbeit an «Freundschaft Genossin» unerwartete neue Dynamiken erlebt.

Die Idylle am Grünen See war gesprengt worden.

«Freundschaft Genossin» – diesen Titel hatte ich kurz vor Beginn dieses Schreib-Projekts, spielerisch, an einem 1. Mai ausgewählt. Der Titel stand am Anfang dieses Buchprojekts. Es sollte um das warme Gefühl des Herzens gehen, unerlässlich für alle Schwierigkeiten, finde ich. Freundschaft, Fürsorge für andere, Solidarität, Miteinandersein und füreinander einzustehen waren die ersten Themen für ein Buch, begonnen in einer internationalen gemeinsamen Covid-Krise. Nun hat der Titel einen doppelten Boden bekommen – die Genossen Russen machen Krieg – und was und wieviel hat das mit mir zu tun? Reicht es nun, angesichts der neuen Weltlage, die Kräfte des Herzens zu beschwören, wie in «Freundschaft! Genossin»?

Anfang dieses Jahres 2022 hatte ich eine Serie von kurzen Geschichten beisammen gehabt. Fast alle wurden von meinen Figuren direkt erzählt. Diese «Figuren» – das sind die Protagonisten aus den beiden vorhergegangenen Teilen der Trilogie, etwa John, Silvia oder Franco und neu eine Gruppe junger «KlimastreikerInnen und Rebellinnen», die ein Sommercamp am Ufer des Grünen Sees eingerichtet haben.

Jeden Abend – im Buch ist noch teilweise Lockdown wegen der Covid-Pandemie – erzählt jemand eine Geschichte – in einem idyllischen, wiederbelebten Gemüsegarten, zwischen Trockensteinmauern – umgeben  von einem Gartenzaun. Eine Inspiration war sicherlich Boccaccios „Decameron“  Während der Pest-Epidemie im 14. Jahrhundert, flieht eine Gruppe junger Menschen aufs Land, in die Nähe von Florenz. Dort erzählen sie einander, leicht gelangweilt, frivole Geschichten, um am Leben zu bleiben.

Die Frivolität fehlt meinen Figuren – den jungen Rebellinen. Sie leben jetzt, nicht damals. Sie hinterfragen unsere westliche Lebensweise in ihren Erzählungen, aber sie finden dabei auch zu ihren eigenen Kraftquellen.

Für die jungen  Aktivisten in ihrem Zelt-Camp gab es bittere Fragen ohne fertige Antwort. 2022 kann niemand einfach nur noch im Weltuntergang zaubern, empört sein, vegan essen und täglich stand-up-paddeln auf dem Grünen See. Und der wilde Garten, Zitat für «das Gezähmte» seit dem ersten Teil «Der Pilgerweg heim», lief plötzlich Gefahr zum Witz in einer Apokalypse des Sarkasmus zu werden.


«Sorry!», sagte ich eines Tage im März 2022 zu meinen Roman-Figuren: «Sorry, wir haben hier in der Produktion aufgrund der Weltlage ein gröberes Problem, und ich kann mich vorübergehend nicht mehr um euch kümmern.»

 

 

Ich lieh mir das Boot aus, das sonst eigentlich meine Figuren verwenden. An einem kalten Frühlingstag fuhr ich mit Walensee-Heidi hinaus auf den Grünen See. Dort, auf der Oberfläche des Grünen Sees, mit der Kraft von Felsen und Wasser, entspannte ich mich, Blick in die Wellen, ins Wasser, zur Felswand, auf den See, in die Berge.

Wie kann ich mit Sprache erzählen, die beliebig geworden ist, und, oft unerkannt immer mehr eine Propagandasprache wird? (Siehe vorhergehenden BLOG vom 7. März)

Ratlosigkeit anzuerkennen und sie sein zu lassen hilft mir immer!

«Was auftaucht: Es ist Teil meiner Welt, es darf jetzt sein!» Das ist für mich eine wichtige Übung im Umgang mit Schwierigem.

Am Tag nach dem Ausflug auf den See liess ich mich im Büro auf das Zeichnen und Malen ein. Grossformatige Blätter lagen bereit, Buntstifte, Ölkreiden, Acrylfarben.

Wortlos nahm die Inspiration ihren freien Lauf: Einige Rhinozerosse rasen in Panik quer durch das Gebiet um das ‘Seehotel’.

Als Kulissen hängt danach das verbrauchte Ambiente von «Pilgerweg heim» schief am Ufer. Der Gartenzaun, schon vorher alt und schief gewesen, ist nun kaputt. Das Ambiente aus den vorhergehenden Büchern enthüllt ihr wahres Sein, eine Kulisse – eine Illusion. Das Sommercamp ist teilweise flachgetrampelt.

Sogar die wilde Felswand oberhalb des «Seehotels» bekam einen Riss.

Auf einer der Zeichnungen betrachtet die Autorin vom See aus, in einem kleinen Boot sitzend, die Ereignisse am Ufer: Es ist das definitive Ende einer letzten Idylle.

Trotzdem werde ich den Namen der Bahnstation am anderen Seeufer auch im dritten Teil der Trilogie beibehalten: «Walden».

Ich kann die Blüten betrachten, die auf einem zerhackten Informationsfluss schaukeln. Das ist Politik, das ist Manipulation, das muss ein Irrtum sein, oder? «Radikales Staunen» über mein Nichtverstehen setzte in den Tagen nach meinem Ausflug auf den See und den Zeichnungen ein – die gewollte Ratlosigkeit setzte einen Schub kreativer Energie frei.

«Ich werde weiterschreiben, aus ganzem Herzen. Ich werde die begonnenen Geschichten in die Welt setzen, in die neue europäische Welt, wie sie jetzt ist.»

Soll das entstehende Buch weiterhin den Titel «Freundschaft Genossin!» tragen?

Wohin mit den Rhinos?

Ist das Ganze ein Theaterstück?

Welcher Krieg ist das?

Auch diese Fragen an mich selbst setzten Energie frei.

Ich lese noch einmal das unfertige Manuskript von «Freundschaft Genossin!», finde, dass der Text eigentlich schon recht gut ist – dass er aber meiner momentanen Sicht auf die Ereignisse der Welt nicht mehr genügte.

 

Wie geht’s jetzt weiter?

 

 

 

19.04.2022

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