Selbstzweifel und Ablenkung
Ablenkung
Lange Zeit ist vergangen, seit dem letzten Blog-Beitrag.
Ich hatte mich, und das nicht zum ersten Mal, vom Schreiben als Alltagsarbeit abgelenkt. Das Sich-Einfinden bei den Erzählungen, an denen ich arbeite, ist ein feiner Prozess. Seit vielen Jahren beobachte ich immer wieder wie aus einer fast zufälligen oder auch geplanten Ablenkung von der Schreibarbeit – zum Beispiel einer Projektarbeit, einem Auftrag, um etwas Geld zu verdienen, einem freiwilligen Arbeitseinsatz zum Wohl anderer, etcetera – zur «Schreibfalle» wird. Ich verliere die Kontinuität des Schreibens und damit auch, ganz langsam, die Selbstsicherheit, die sich mit diesem alltäglichen Schreiben einstellt. Zwischen drei bis fünf Stunden schreibe ich täglich, wenn ich im Fluss der Geschichte und motiviert bin.
Selbstzweifel
Selbstzweifel stellen sich manchmal ein, wenn ich mehr als einen Monat meine Arbeit unterbrochen habe. Ich habe dann im wahrsten Wortsinn den Faden verloren, aus dem das feine Gewebe einer Geschichte entsteht.
Diesmal waren es eine wunderbare Bergreise, Ferien, gefolgt von einem Freiwilligeneinsatz im buddhistischen Ambiente, die mich mehr als drei Monate vom Schreiben ablenkten.
Zwar habe ich viele starke Eindrücke und Kraft von den Reisen und Aktivitäten mitgebracht, Notizen, Fotos, Zeichnungen, doch als ich mich wieder in mein Büro setzte, musste es – schon wieder! – zuerst einmal geputzt werden, tote Fliegen lagen vor der Fensterfront, Staubbällchen flogen zart am Fussboden die Wand entlang. Dabei hatte ich doch erst vor einem Monat, bei einem Zwischenstopp zu Hause das Büro geputzt. Würde ich von nun an das Büro nur noch putzen? «Will ich wirklich diese seltsame Idee, ein Buch über Erzählungen zu schreiben weiterverfolgen?»
Waren nicht andere Ansätze für diesen dritten Teil der Trilogie des «Pilgerwegs», mit dem Arbeitstitel «Freundschaft Genossin» besser gewesen? Sollte ich neu beginnen? Oder vielleicht lieber einen Quantensprung machen und aus dem dritten Teil einen Gedichtband machen? Ich hatte in den letzten Monaten unterwegs sehr viel gelesen und war, nach langer Zeit, wieder auf die Dichte der Gedichte gestossen. Und zwar in einem Buch über die Dinge und ihr Gegenteil, den beständig vorhandenen Informationsfluss verarbeitet von künstlicher Intelligenz: «UN-Dinge» vom (deutschsprachig schreibenden) Philosophen Byung-Chul Han. In diesem findet sich auch ein Plädoyer für das Gedicht, als einem «Ding» der Literatur.
Die Kur
Es war eine mühsame Woche – ich stellte meinen Arbeitsplatz, dann mein ganzes Büro um. Am Ende brachte ich Ordnung in den grossen Schrank – alles Arbeiten, die mich immer weiter ablenkten. Ich konnte mich nicht im Arbeitsalltag des Schreibens einfinden. Als ich auf dem neuen, improvisierten Büro-Sofa sass und mich umschaute, spürte ich der Selbst-Diagnose nach: «Zu viele Selbst-Zweifel, Minderwertigkeitsgefühl». Ein gutes Hilfsmittel, wenn diese störenden, aussaugenden Ideen des «Ich kann es nicht», «Ich bin nicht gut genug», «Eine gute Karriere als Schriftstellerin habe ich grossräumig verpasst» und vieles mehr an selbstverkleinernden Gedanken auftauchen, ist Folgendes: Ich öffne eines meiner Bücher oder eines der Bücher, die ich im Laufe der Jahrzehnte übersetzt habe, und von denen Ansichtsexemplare in meinem Büro stehen.
Ich öffne das Buch an irgendeiner Stelle. Diesmal öffnete ich den «Pilgerweg heim» – las darin, wurde erfasst von dem Fluss der Geschichte, weiter- und fortgetragen auf sicheren Boden. «Was für eine wunderbare Geschichte!» dache ich und: «Ich hatte diesen Teil ganz vergessen!».
Entspannt und gestärkt Boden konnte ich danach am Schreibtisch sitzen, die Gelbfarbigkeit der Herbstblätter in der Oktobersonne geniessen, aufschauen, erste Sätze schreiben.
Sanft beginnen, mich nicht gleich überfordern, nicht gleich die «Worte auf dem Wind» schreiben wollen, oder sie «in einer Geschichtslosigkeit verharren lassen», wie ich es mir im August wünschte.
Ich holte heute die letzten beiden Erzählungen von «Freundschaft Genossin» aus dem digitalen Ordner hervor, ein erstes virtuelles Blatt öffnet sich auf dem Bildschirm: Lesen, korrigieren – dann weiterschreiben.
In diesem Blog veröffentliche ich seit Jahren Nachrichten von meiner Schreib-Arbeit. Im Moment arbeite ich an einem dritten Teil der Romantrilogie „Der Pilgerweg heim“, mit dem Arbeitstitel „Freundschaft Genossin“.
23.10.2021