Karin Koppensteiner 02.04.2021 Allgemein Keine Kommentare
BLOG ZUM BUCH: «Freundschaft Genossin» ist ein neuer Roman an dem ich schreibe. In diesem BLOG will ich einmal pro Monat über die Arbeit am Text berichten.
Die Arbeit am Text «Freundschaft Genossin» ist an einem spannenden Punkt angekommen. Einerseits schreibe ich bereits kurze Stücke für den Roman, von denen ich noch nicht weiss, wie ich sie später zu einem Ganzen verweben werde.
Zum anderen arbeite ich in meinem Büro an den unterhalb des Romans liegenden Schichten. Ich schreibe eine Schicht, wechsle zur nächsten, komme am folgenden Tag vielleicht zur ersten zurück. Die Vorbereitungen für eine lange Erzählung oder einem Roman besteht für mich darin anfangs eine Basis für diese Geschichte zu erstellen, so etwas wie ein geschriebenes Fundament. Wie viele Schreibende habe ich zwar auch – noch vom ersten Teil «Der Pilgerweg heim» – eine Beschreibung der einzelnen Charaktere, mit Alter, Eigenheiten, körperlichem Erscheinungsbild, bis hin zur Haarfarbe, Augenfarbe. Das gehört zur handwerklichen Vorarbeit. Diese Liste wird während des Schreibens erweitert, wenn neue Charaktere dazu kommen. Aus dieser ersten Exel-Datei beim ersten Teil der Trilogie hatte sich schon früh mein Wunsch nach weiterer Vorarbeit ergebe
Bei der Arbeit am Roman «Bonsai», dem zweiten Teil, schrieb ich zum Beispiel eine ausführliche Beschreibung der Kindheit von Antonin Maienfeld. Diese kurze Erzählung lag in ein Arven-Kästchen, ebenfalls Teil der Erzählung. Sie war bereit, vielleicht, im Verlauf der Entstehung von BONSAI aufgefunden zu werden, aber vielleicht auch nicht. Sie wurde nicht aufgefunden – der Protagonist John Maienfeld versucht aber selbst ein Kästchen aus Arven- oder Zirbenholz zu schnitzen.
Für «Freundschaft Genossin» habe ich von Anfang an mehrere Schichtungen, an denen ich arbeite. Ich habe die Qualität dieser Technik erkannt. Ich schreibe kurze Texte, von denen ich weiss, dass sie so nicht im späteren Roman auftauchen werden. Ich schreibe Zusammenfassungen von Büchern, die ich für das Thema recherchiere. Auch Bilder einer verstorbenen Künstlerfreundin habe ich für „Freundschaft Genossin“ im Atelier aufgehängt. Sie erinnern mich an die Verletzlichkeit und die Stärke unserer inneren und äusseren Wildnis. Das ist ein Thema, das alle drei Teile der Trilogie gemeinsam haben.
Ich schrieb aber auch kürzlich einige kurze Geschichten über «Solidarität, Politik und Utopie» aus meinem Leben. Für mich ist es eine Aufwärmübung, von der vielleicht die eine oder andere Idee später in «Freundschaft Genossin» einfliessen wird.
Hier zum Beispiel folgt eine kurzer Textauszug, wie das Buch zu seinem Arbeits-Titel kam: «Freundschaft Genosse!» in der sonnigen Küche sitzt mein Mann am Frühstückstisch und blättert in einem Buch. Ohne aufzublicken antwortet er: «Freundschaft, Genossin!» – als sei das unser selbstverständlicher Gruss. Es ist der 1. Mai. Ich hatte in der Nacht von Wien geträumt.»
Eine weitere Schicht des Fundaments besteht aus meinem vor etwa zwei Jahren wieder aufgenommenes Studium des buddhistischen Grundlagenwerks «Bodhicharyavatara» (deutsch: «Der Pfad des Bodhisattva»). Aus dem Text – entstanden im buddhistischen Indien des 8. Jahrhunderts – nehme ich konkret die Originalverse und Kommentaren und schreibe sie auf . Es sind vor allem diejenigen, von denen ich glaube, dass ich sie als «Ideen» später in das Buch einfliessen lassen kann. Ich will dabei aber jede Spur von «Religiosität» auch in «Freundschaft Genossin» vermeiden. Der Text ist ein zeitloses Werk über die menschliche Natur und wie wir unser Alltags-Leben verbessern können. Notizen für diese Schicht des geheimen Fundament mache ich mehrmals wöchentlich, mit Inspiration und Freude. Auch dafür habe ich ein Beispiel. Ich belasse die Zeilen im Englisch, ich habe keine befriedigende Version dieses extrem komplexen alten Sanskrit-Textes auf Deutsch gefunden.
8.173: And so it is that if I want contentment // I should never seek to please myself. // And likewise, if I wish to save myself, // I’ll always be the guardian of others.
8.174: To the extent this human form // Is cosseted and saved from hurt, // Just so, just so, to that degree, // It grows so sensitive and peevish.
8.175: For those who fall in such a state, // The earth itself and all it holds, // Are powerless to satisfy. // For who can give them all they grave?
Karin Koppensteiner 25.02.2021 Allgemein Keine Kommentare
BLOG ZUM BUCH: «Freundschaft Genossin» ist ein neuer Roman an dem ich schreibe. In diesem BLOG will ich mehrmals pro Monat über meine Arbeit am Text berichten.
Umherschweifen – das ist ein wirklich altmodisches Wort. Doch trifft es genau das, was ich während der Arbeit an einem großen Projekt immer wieder benötige. Manchmal gehe ich dann in einer Arbeitspause auf unserem Grundstück umher, ohne Ziel, ohne Aufgabe. So nehme ich den Druck von meinem Geist, nachdem ich während mehrerer Stunden sehr zielgerichtet gearbeitet habe.
Dieses ziellose Wandern, das ich auch gerne und lange in einer bekannten Landschaft mache, verhilft mir immer wieder zu überraschenden Ausblicken. Beispiel: Wir wohnen seit 20 Jahren in einem spätbarocken Bauernhaus im Kanton Luzern/Schweiz. Auf einer Seite geht unser Grundstück weit bergab. Früher war diese Wiese eine intensiv benutzte eine Kuhweide. Viele Hochstamm-Obstbäume sind noch geblieben, manche waren schon so alt, dass sie in den letzten Jahren gestorben sind. Die Mostbirnen-Bäume sind ebenfalls älter als 80 Jahre. Vor kurzem bin ich – als noch Schnee lag – den kleinen Bach entlang gestapft, der auf einer Seite das Grundstück abgrenzt, Blick nach unten gerichtet. Dann stand ich plötzlich vor einem dicken Baumstamm, schaute auf. Ich erkannte ihn kaum. Hatte ich ihn bisher so wenig beachtet? Dieser alte Birnbaum steht am nördlichsten Punkt unseres Grundstücks. Er ist vom Haus aus nicht sichtbar, eine Scheune verdeckt ihn. Aber trotzdem: „Wie kann es sein, dass mir dieser Baum so wenig bekannt ist?!“ Ich habe ihn an diesem Wintertag lange angesehen, von allen Seiten, die Höhlen in seinem Stamm , die Zeichen alter Bruchstellen. Auch fotografiert habe ich ihn.
Seither gehe ich regelmäßig zu dem Baum, um ihn besser kennenzulernen. Es ist Teil meiner Arbeit geworden, den Baum zu besuchen, zu beachten, die Vielschichtigkeit seines Holzwesens zu erforschen, wie und ob er sich verändert, jetzt, wo langsam der Frühling kommt. Als es nach langem Schneefall taute, sprudelten rund um den alten Baum kleine Quellen aus der Wiese. Einige Tage später waren sie wieder verschwunden.
Ob dieser mehr als einhundertjährige Birnbaum jemals in dem neuen Roman «Freundschaft Genossin» auftauchen wird, ist ungewiss. Ein Teil der Vorbereitung zu einem Schreib-Projekt besteht für mich darin, „den Boden vorzubereiten“. Ich könnte es auch so beschreiben: Ich webe einen – später vielfach unsichtbaren – Teppich aus Bildern und Geschichtsfetzen. Dieser liegt später unter der neuen, der für alle sichtbaren und lesbaren Erzählung.
Auch mein kürzlich erschienener Roman BONSAI hat Teile, die ausdrücklich nur als Vorbereitung geschrieben wurden. Zum Bespiel liegen in einem für die Geschichte erfundenen Arven-Kästchen Aufzeichnungen aus der Kindheit des Antonin Maienfeld versteckt. Ich habe sie erfunden, niedergeschrieben und nicht für den Roman verwendet. Sie blieben ein Geheimnis, bis zu seinem Roman-Tod – versteckt in einem imaginären Kästchen.
Zurück zur Arbeit an «Freundschaft Genossin»: eine weitere Vorbereitung zum Schreiben ist, wie schon im letzten BLOG erwähnt, ein buddhistischer Grundlagentext, der im 8. Jahrhundert in Indien geschrieben wurde. Das «Freundschaft» im Arbeitstitel des Romans bezieht sich zwar einerseits auf konkrete Erfahrungen mit der sozialistischen Partei im Wien meiner Kindheit, ist aber auch ein Begriff, den ich genau untersuchen will. Taugt er noch für kommende Real-Utopien?
Das Ideal des Bodhisattva im Mahayana-Buddhismus betrachte ich in der Essenz als einen sehr frühen Versuch, sich vollständig und ohne Hintertüren mit der gesamten Welt, so wie sie uns im Moment erscheint, zu befreunden. Der Titel hat also durchaus auch eine buddhistische Färbung.
Anmerkung: Ich habe vor zwanzig Jahren eine Auftragsarbeit als Übersetzerin angenommen, die mich sehr viel Zeit gekostet hat. Es ging darum einen sehr komplexen, mehr als fünfhundertseitigen Kommentar, zum neunten Kapitel des Textes „Bodhicharyavatara“ von Shantideva zu übersetzen. Damals habe ich mich mit den verschiedensten Übersetzungen des dem Kommentar zugrunde liegenden Originaltextes in Versen in westliche Sprachen beschäftigt. Das hat mir wiederum auch bei meinem persönlichen Studium und der Praxis des Dzogchen geholfen.
Im letzten Jahr habe ich eine mich inspirierende Übersetzung der Originalverse ins Englische, von der Padmakara Übersetzergruppe gefunden, dazu den zeitgenössischen Kommentar einer buddhistischen Lehrerin.
Aus diesem Buch nehme ich nun als – unsichtbare – Ergänzung meiner Recherchen und Schreibarbeit jeweils eine Strophe, die mich besonders berührt Ich schreibe sie heraus, übersetze sie für mich ins Deutsche und bleibe ein bis zwei Tage mit diesem Vers.
Für den Anfang hatte ich mir einen Vers vom Ende des Buches ausgesucht, aus der Widmung. Diesen will ich hier teilen, eigentlich ohne weiteren Kommentar, aber mit dem Hinweis, dass dieser Text, wie oben erwähnt, 1200 Jahre alt ist:
10.26
May children and the old, the weak, protectorless,
Bewildered in the wild and pathless wastes,
And those whose minds are dulled, and all who are insane,
Have pure celestial beings as their guardians.
Mögen die Kinder und die Alten, die Schwachen, die Schutzlosen,
Diejenigen, die verwirrt in unwegsamer Wildnis sind,
Auch jene, deren Geist dumpf ist oder ihm Wahn,
Mögen sie alle reine himmlische Wesen als Schützer haben.