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08.08.2022 Allgemein Keine Kommentare

 

Kürzlich schrieb ich für mich Zusammenfassungen der drei Teile der Trilogie: «Der Pilgerweg heim», «Bonsai» und vom unvollendeten Teil 3 «Freundschaft Genossin». Meine Gedanken zu diesem dritten Teil der Trilogie veröffentliche ich hier.

 

Neue Perspektiven: Die Fotos in diesem Beitrag sind Fotografien einer rosa Rosa, die ich nachts fotografierte. Ich machte die Aufnahmen, ohne auf die Verschlusszeit der Kamera zu achten. Die erscheinenden Bilder haben mir eine neue Sicht auf das Phänomen Bild geschenkt, auf das, was hinter der offenbaren Realität an Sichtungen für mich zu finden ist. Diese «Verschiebung von Wahrnehmung» hat mich ispiriert und neu mit meinen Kraftquellen in Verbindung gebracht.

Ich hatte anfangs nur eine vage Vorstellung des Themas dieses dritten Teils der Trilogie, Titel «Freundschaft Genossin», als ich im Winter 2020/2021 die Arbeit begonnen habe. Es sollte eine Sammlung von Erzählungen werden. «Das Kollektiv», «Wir Menschen gemeinsam», «Freundschaft und Solidarität» als Lebensthemen und Utopien, um die Gesellschaft vor ihrer vor hunderten  von Jahren begonnenen und nun rasend gewordenen Selbst-Zerstörung zu bewahren. Idee: Junge und Alte bündeln ihre Kräfte gemeinsam in einer kraftvollen Bewegung, für nachhaltigen Wandel in der Gesellschaft.

Zu Beginn der Arbeit nahm ich Orte der Handlung und einige Figuren aus den Teilen 1 «Der Pilgerweg heim» und 2 «Bonsai» wieder hervor: Den Grünen See, das Seehotel, Adelheid und Franco, und John, das Boot, die Felswände. Am Grünen See wollte ich ein Gruppenereignis in Romanform inszenieren, eventuell ein Theaterstück im Roman? Junge KlimastreikerInnen, BiologInnen und die Alten vom Grünen See erzählen einander Geschichten von einer schöneren Welt, die ihre Herzen bereits kennen. Sie treffen sich dazu in einem alten Garten, den die Jungen neu anlegen, während draußen in der Welt, am anderen Seeufer, Pandemie und zum Teil Ausgangsbeschränkung herrscht.

Doch bald verstörte mich, die ich täglich die Zeitung, aber auch andere Medien als Quelle der Information benutzte, die Spaltung meiner Umgebung und scheinbar auch ganzer Länder in sich verhärtende Gruppen: Vax und No-Vax, Geheimbündler, Verschwörungsgeschichtenerzähler, Angstbessessene, gewaltbereite Fascho-Mysthiker, Surfer auf der Welle der Unsicherheit, um nur einen Teil des Spektrums zu nennen. Die westliche Welt zerfiel innerhalb kurzer Zeit in offizielle Gruppen von «Überlegenen versus Idioten» in allen Lagern. Der Tonfall wurde immer gewaltbereiter. Information, bisher ein Schlüssel zur Kenntnis von Tatsachen, mutierte zu einfacher Lüge, bewusste oder weniger bewusste. Immer öfter wurden nur einzelne Tortenstücke aus der sogenannter Realität ans Licht geholt und zu Tode kritisiert. Angeheizt von Falschmeldungen aus Trollfarmen und Bots, viel Ängstlichkeit, bewusst gesteuertem Informationschaos und allgemeiner Verwirrung wurde die Welt, vor allem die der Internetmedien, zu einer Art Vorhölle der Emotionen. Ein Krieg lag in der Luft. Anstatt gemeinschaftlicher Anstrengung zur Überwindung der multiplen Krisen, anstatt das unglaubliche, das unübersichtliche und möglicherweise nicht mehr zu rettende Weltgetriebe zu betrachten, zerfiel die Welt vor mir in eine Art geistige und emotionale Sektenkultur!

Die von mir begonnenen – und beinahe schon zu Ende erzählten – Geschichten vom Grünen See wirkten dagegen naiv, unrealistisch und hoffnungslos altmodisch. Liebe, was ist das?

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, und vor allem das Narrativ, mit welchem der Überfall gerechtfertigt wurde, brachte das Schreiben am dritten Band der Trilogie endgültig zum Stillstand. Meine Sprache hatte jeden Wert, jede Fähigkeit zur Wahrhaftigkeit verloren, zumindest vorübergehend. Deshalb legte ich «Freundschaft Genossin» zur Seite, zuerst nur abwartend. Nach einigen Monaten war klar, dass ich entweder etwas ganz anderes schreiben wollte – als Antwort auf das aktuelle Weltgeschehen, das mich sehr beschäftigte, oder gar nichts mehr. «Freundschaft Genossin» im Licht der neuen akuten Ereignisse gespiegelt erschien mir blauäugig und naiv.

Statt zu schreiben las ich sehr viele, teils philosophische  Bücher, und  begann immer mehr Zeit in meinem verwilderten Gemüsegarten zu verbringen – auf der Erde sitzend, oder stehend, Wachsen und Aufblühen und Verwelken betrachtend, manchmal auch fotografierend oder filmend. Ich ging über unser Grundstück, saß irgendwo im Heu, hörte den Grillen zu.

„Ich werde jetzt Blumenschreiberin“ schrieb ich eines Tages in mein Arbeitstagebuch, und: „Vielleicht werden ja zwischen den von mir geschriebenen Blumen, Gräsern und Bäumen einige meiner Figuren wieder auftauchen können – vielleicht aber auch nicht.“

 

 

 

 

Im Juni 2022 begann ich spontan mit einem neuen Versuch: Das Schreiben selbst, das Arbeitstagebuch, wurde zum Thema, und die Pflanzen, mit denen ich meinen Alltag teile. Die ersten Seiten schon brachten die Hoffnung, dass ich intuitiv navigierte, und dass im Schreiben vielleicht auch «die Liebe, die gütige Freundschaft zu allen Lebewesen» wieder auftauchen könnte.

«Freundschaft Genossin» als eine Synthese von politischem Statement, Poesie, Pflanzenwelten und Mutter Erde?

 

 

 

 

 Das Schreiben vergessen

12.01.2022 Allgemein Keine Kommentare

 

Es begann etwa 1975. Als junge Filmstudentin in Westberlin lieh ich mir Bücher und Schallplatten in der Bibliothek aus. Als ich für meinen ersten Dokumentarfilm recherchierte, entdeckte ich in den Sommerferien in Wien die kühle Lesehalle der Österreichischen Nationalbibliothek. Ich verbrachte viele Wochen dort, mit Blick auf den Burggarten. Damals waren es noch Zettelkasten, nicht Computersuchmaschinen, mit denen ich Themen suchte und fand – und immer mehr! Ich benutzte damals die Schubladenschränkchen mit den Archivkarten auf denen Themen und Stichwörter aufgetippt waren. So fand ich Zugang zu den teils sehr alter Bücher, die, bestellt, jeweils am nächsten Tag für mich zum Lesen vor Ort bereit lagen. Ich glaube, damals habe ich mich zum ersten Mal «in den Büchern verloren». Anstatt, wie eigentlich geplant, kontinuierlich an dem Film-Projekt weiterzuarbeiten und zu schreiben, las ich tagelang, machte gelegentlich Notizen oder Fotokopien, kam von einem Thema zum nächsten.

In den letzten Winterwochen war mir etwas ganz Ähnliches passiert: «Freundschaft! Genossin», der dritte Band der Trilogie «Der Pilgerweg heim» spielt sich Grossteils in einem umzäunten Gemüsegarten ab. Dort werden Geschichten erzählt. Unterhalb jeder der Geschichten vibriert ein Thema.

Da eine meiner Leidenschaften die Erforschung der Pflanzenwelt ist, gelangte ich über die Lektüre von Büchern immer tiefer in das Phänomen Gaia, jene in sich selbst existierende natürliche Oberfläche unseres Planeten, die sich ständig regeneriert und neu hervorbringt. Im Grenzbereich zwischen Biologie und Philosophie fand ich mich an einem Tag in einer Abenddämmerung lesend wieder, schaute auf, und dachte: «Jetzt hab’ ich mich bald überlesen» – und es fühlte sich ein klein wenig so an, wie zu viel Sachertorte auf einmal gegessen zu haben – Moment der Überfülle! Ideen anderer, Wörter in verschiedenen Sprachen, Hinweise, Zitate von Texten aus anderen Jahrtausenden. Lynn Margulis, Timothy Morton, Emanuele Coccia, Philosophie, Evolution, Pflanzenleben, Bakterien, Fashion Changers – das Gebiet ist breit und dehnt sich in alle Richtungen weit aus

Ein kleines Lob auf das «Objekt Buch» will ich hier noch anfügen. Bücher haben mich mein ganzes Leben begleitet. Oft fand ich entscheidende Hinweise auf Lebensfragen in Büchern. Aber auch im Gespräch mit belesenen Menschen sind mir neue Fenster aufgegangen. Ich habe nie zum elektronischen Buch gewechselt. Den Luxus, meine Zeit mit einem Buch – oder einem Stapel Büchern – einer Teekanne und einer Tasse Tee an einem Wintertag lesend (und auch Notizen machend) zu verbringen, möchte ich in meinem Alltag nicht missen.

Ich höre oft das Argument, man hätte doch immer weniger Zeit zum Lesen. Lesen ist für mich eine Gewohnheit, die ich aufgeben und mir auch wieder angewöhnen kann. Etwas weniger Zeit für etwas anderes aufgewendet, bedeutet dann, eine halbe Stunde lesend, mit einem Buch, zu verbringen. Mache ich das täglich, ist es nach einigen Tagen keine Frage mehr, ob ich eine Stunde Zeit zum Lesen finde.

Einige der Bücher, die ich in den letzten Wochen und Monaten gelesen, oder teilweise gelesen habe, zeigen die Fotos. Diejenigen des Philosophen Byung-Chul Han und «Interbeing» von Thich Nhat Han fehlen hier, sie habe ich schon in älteren Blogbeiträgen vorgestellt. Nun werde ich wieder mehr schreiben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ÜBRIGENS: unterhalb dieses Blogbeitrags befindet sich der unterstrichene Text: Vorheriger Artikel. Draufgedrückt – geht es rückwärts ins Archiv der Blog-Beiträge bis hin zum allerersten – Anfang Januar  2015.

Wildnis und Garten

24.06.2021 Allgemein Keine Kommentare

 

Wilder kalifornischer Mohn

 

Wildnis und Garten sind als Themen für die Roman-Trilogie, an der ich seit 2013 arbeite, sehr wichtig.

Im «Pilgerweg heim», dem ersten Teil, sprechen im Kapitel «Silvias wilder Garten» zwei Frauen über die Wildnis der Liebe, Zäune, Übertretungen, und den Garten. Sie sitzen dabei auf einer Trockensteinmauer, in einem «wilden Garten», am Grünen See.

Anfügen möchte hier aber auch, dass es mir auch um die Wildnis unserer kollektiven und individuellen Gefühle geht, die archaischen Wurzeln unserer Gefühlswelt und ihre Zivilisation. Und ihr Abdrängen in die Abgründe, den Schatten, in «das Andere», das Unbewusste. Was so ein kollektives Verdrängen von wirklichen Gefühlen wie Angst und Unsicherheit bewirken kann, haben wir im letzten Jahr sehr eindrücklich gemeinsam erfahren: das natürliche Gefühl der Angst angesichts von Ungewissheit und Gefahr wird in Kontrolldenken, in Sündenbock-Suche und vieles andere Bizarre umgewandelt. Und was das Unterdrücken der Liebe als eine gemeinsame Lebensform bewirkt, sehen wir an dem, was wir unserer Mitwelt antun, der Natur im weiteren Sinne, dem Wasser und letztendlich uns selbst als Menschheit.

In «Bonsai» taucht, als Symbol wieder eine Pflanzenform auf: die brutal-künstlerische Form des wurzelbeschnittenen Zucht-Bonsais und seine Wildform, ein jahrzehntelang Überlebender in Felsspalten, die kaum genügend Nährstoffe enthalten. In «Bonsai» habe ich mich sehr ausgiebig mit den Alpen beschäftigt, auch als einer Kultur-Landschaft und nicht zum ersten Mal. Die Frage nach der «Wildnis der Alpen» war auch bei dieser Arbeit gestellt. Im gesamten Alpenraum, auch in der Schweiz, waren in der letzten Eiszeit viele Täler mit Gletschern bedeckt. Mit der Erwärmung sind die Alpen schnell wieder besiedelt worden, zuerst von wandernden Jägern. Und die Berge sind, von den halbnomadisch lebenden Viehhirten, schon sehr früh bis weit hinauf an die Baumgrenze bewirtschaftet (= zivilisiert) worden. Später dann vom Alpen-Tourismus und dem Alpinismus.

Seit einigen Wochen bereits  bin ich innerlich auf der Suche nach einem noch fehlenden Erzählstrang für meine Arbeit «Freundschaft Genossin». Das ist der Arbeitstitel des Romans, an dem ich im Moment arbeite. Mir fehlten noch einige starke Symbole, einige Erlebnisse und Sinneseindrücke, die auf der «unterirdischen Ebene der Schreibarbeit» das Ihre tun würden. Erst wenn ich sie klar gespürt und gesichtet habe, das weiss ich, kann ich für das Buch die endgültige Form finden. «Etwas wichtiges fehlt noch, es wird sich erst zeigen.» Das bedeutet: zur Ruhe kommen, betrachten, warten, die Sinne offenhalten und – vor allem! – den Moment der Inspiration erkennen und mit allen Sinnen erleben, wenn die Inspiration auftaucht.

Ich habe eine sehr intuitive Art, Teile einer Geschichte zu finden und dann, wie mit einem Beutestück, gleich zu schreiben zu beginnen. Wenn diese Teile sich nicht zeigen, muss ich einfach Geduld haben, mich darauf einschwingen, dass es Zeit ist, etwas Neues, Unerwartetes zu finden. Manchmal hilft es, Orte aufzusuchen, an die ich sonst nicht gehe.

Pflanzenhäuser im Botanischen Garten in Zürich/Schweiz.

Gestern war es endlich so weit: In Zürich, im neuen Botanischen Garten. Kurz vor dem Ausbruch von Gewittern, in diesem künstlich angelegten Garten, mit Pflanzen aus der ganzen Welt, hatte ich plötzlich das Gefühl auf einer oberirdisch liegenden Goldmine zu stehen. «Hier ist der Platz, an dem die Geschichte von «Freundschaft Genossin»verläuft.»

Papier-Maulbeerbaum

Mehr gibt es im Moment dazu nicht zu sagen, ich stelle noch einige Fotos aus dem Botanischen Garten Zürich zu diesem BLOG-Beitrag.

 

BLOG ZUM BUCH: «Freundschaft Genossin» ist ein neuer Roman an dem ich schreibe. In diesem BLOG will ich über die Arbeit am Text berichten.

Schicht-Wechsel

02.04.2021 Allgemein Keine Kommentare

BLOG ZUM BUCH: «Freundschaft Genossin» ist ein neuer Roman an dem ich schreibe. In diesem BLOG will ich einmal pro Monat über die Arbeit am Text berichten.

Die Arbeit am Text «Freundschaft Genossin» ist an einem spannenden Punkt angekommen. Einerseits schreibe ich bereits kurze Stücke für den Roman, von denen ich noch nicht weiss, wie ich sie später zu einem Ganzen verweben werde.

Zum anderen arbeite ich in meinem Büro an den unterhalb des Romans liegenden Schichten. Ich schreibe eine Schicht, wechsle zur nächsten, komme am folgenden Tag vielleicht zur ersten zurück. Die  Vorbereitungen für eine lange Erzählung oder einem Roman besteht für mich darin anfangs eine Basis für diese Geschichte zu erstellen, so etwas wie ein geschriebenes Fundament. Wie viele Schreibende habe ich zwar auch  – noch vom ersten Teil «Der Pilgerweg heim» – eine Beschreibung der einzelnen Charaktere, mit Alter, Eigenheiten, körperlichem Erscheinungsbild, bis hin zur Haarfarbe, Augenfarbe. Das gehört zur handwerklichen Vorarbeit. Diese Liste wird während des Schreibens erweitert, wenn neue Charaktere dazu kommen. Aus dieser ersten Exel-Datei beim ersten Teil der Trilogie hatte sich schon früh mein Wunsch nach weiterer Vorarbeit ergebe

Bei der Arbeit am Roman «Bonsai», dem zweiten Teil, schrieb ich zum Beispiel eine ausführliche Beschreibung der Kindheit von Antonin Maienfeld. Diese kurze Erzählung lag in ein Arven-Kästchen, ebenfalls Teil der Erzählung. Sie war bereit, vielleicht, im Verlauf der Entstehung von BONSAI aufgefunden zu werden, aber vielleicht auch nicht. Sie wurde nicht aufgefunden – der Protagonist John Maienfeld versucht aber selbst ein Kästchen aus Arven- oder Zirbenholz zu schnitzen.

Für «Freundschaft Genossin» habe ich von Anfang an mehrere Schichtungen, an denen ich arbeite. Ich habe die Qualität dieser Technik erkannt. Ich schreibe kurze Texte, von denen ich weiss, dass sie so nicht im späteren Roman auftauchen werden. Ich schreibe Zusammenfassungen von Büchern, die ich für das Thema recherchiere. Auch Bilder einer verstorbenen Künstlerfreundin habe ich für „Freundschaft Genossin“ im Atelier aufgehängt. Sie erinnern mich  an die Verletzlichkeit und die Stärke unserer inneren und äusseren Wildnis. Das ist ein Thema, das alle drei Teile der Trilogie gemeinsam haben.

Ich schrieb aber auch kürzlich einige kurze Geschichten über «Solidarität, Politik und Utopie» aus meinem Leben. Für mich ist es eine Aufwärmübung, von der vielleicht die eine oder andere Idee später in «Freundschaft Genossin» einfliessen wird.

Hier zum Beispiel folgt eine kurzer Textauszug, wie das Buch zu seinem Arbeits-Titel kam: «Freundschaft Genosse!» in der sonnigen Küche sitzt mein Mann am Frühstückstisch und blättert in einem Buch. Ohne aufzublicken antwortet er: «Freundschaft, Genossin!» – als sei das unser selbstverständlicher Gruss. Es ist der 1. Mai. Ich hatte in der Nacht von Wien geträumt.»

Eine weitere Schicht des Fundaments besteht aus meinem vor etwa zwei Jahren wieder aufgenommenes Studium des buddhistischen Grundlagenwerks «Bodhicharyavatara» (deutsch: «Der Pfad des Bodhisattva»). Aus dem Text – entstanden im buddhistischen Indien des 8. Jahrhunderts – nehme ich konkret die Originalverse und Kommentaren und schreibe sie auf . Es sind vor allem diejenigen, von denen ich glaube, dass ich sie als «Ideen» später in das Buch einfliessen lassen kann. Ich will dabei aber jede Spur von «Religiosität» auch in «Freundschaft Genossin» vermeiden. Der Text  ist ein zeitloses Werk über die menschliche Natur und wie wir unser Alltags-Leben verbessern können. Notizen für diese Schicht des geheimen Fundament mache ich mehrmals wöchentlich, mit Inspiration und Freude. Auch dafür habe ich ein Beispiel. Ich belasse die Zeilen im Englisch, ich habe keine befriedigende Version dieses extrem komplexen alten Sanskrit-Textes auf Deutsch gefunden.

8.173: And so it is that if I want contentment // I should never seek to please myself. // And likewise, if I wish to save myself, // I’ll always be the guardian of others.

8.174: To the extent this human form // Is cosseted and saved from hurt, // Just so, just so, to that degree, // It grows so sensitive and peevish.

8.175: For those who fall in such a state, // The earth itself and all it holds, // Are powerless to satisfy. // For who can give them all they grave?

 

Buch-Blog «Freundschaft Genossin»

25.02.2021 Allgemein Keine Kommentare

 

BLOG ZUM BUCH: «Freundschaft Genossin» ist ein neuer Roman an dem ich schreibe. In diesem BLOG will ich mehrmals pro Monat über meine Arbeit am Text berichten.

Umherschweifen – das ist ein wirklich altmodisches Wort. Doch trifft es genau das, was ich während der Arbeit an einem großen Projekt immer wieder benötige. Manchmal gehe ich dann in einer Arbeitspause auf unserem Grundstück umher, ohne Ziel, ohne Aufgabe. So nehme ich den Druck von meinem Geist, nachdem ich während mehrerer Stunden sehr zielgerichtet gearbeitet habe.
Dieses ziellose Wandern, das ich auch gerne und lange in einer bekannten Landschaft mache, verhilft mir immer wieder zu überraschenden Ausblicken. Beispiel: Wir wohnen seit 20 Jahren in einem spätbarocken Bauernhaus im Kanton Luzern/Schweiz. Auf einer Seite geht unser Grundstück weit bergab. Früher war diese Wiese eine intensiv benutzte eine Kuhweide. Viele Hochstamm-Obstbäume sind noch geblieben, manche waren schon so alt, dass sie in den letzten Jahren gestorben sind. Die Mostbirnen-Bäume sind ebenfalls älter als 80 Jahre. Vor kurzem bin ich – als noch Schnee lag – den kleinen Bach entlang gestapft, der auf einer Seite das Grundstück abgrenzt, Blick nach unten gerichtet. Dann stand ich plötzlich vor einem dicken Baumstamm, schaute auf. Ich erkannte ihn kaum. Hatte ich ihn bisher so wenig beachtet? Dieser alte Birnbaum steht am nördlichsten Punkt unseres Grundstücks. Er ist vom Haus aus nicht sichtbar, eine Scheune verdeckt ihn. Aber trotzdem: „Wie kann es sein, dass mir dieser Baum so wenig bekannt ist?!“ Ich habe ihn an diesem Wintertag lange angesehen, von allen Seiten, die Höhlen in seinem Stamm , die Zeichen alter Bruchstellen. Auch fotografiert habe ich ihn.
Seither gehe ich regelmäßig zu dem Baum, um ihn besser kennenzulernen. Es ist Teil meiner Arbeit geworden, den Baum zu besuchen, zu beachten, die Vielschichtigkeit seines Holzwesens zu erforschen, wie und ob er sich verändert, jetzt, wo langsam der Frühling kommt. Als es nach langem Schneefall taute, sprudelten rund um den alten Baum kleine Quellen aus der Wiese. Einige Tage später waren sie wieder verschwunden.

Ob dieser mehr als einhundertjährige Birnbaum jemals in dem neuen Roman «Freundschaft Genossin» auftauchen wird, ist ungewiss. Ein Teil der Vorbereitung zu einem Schreib-Projekt besteht für mich darin, „den Boden vorzubereiten“. Ich könnte es auch so beschreiben: Ich webe einen – später vielfach unsichtbaren – Teppich aus Bildern und Geschichtsfetzen. Dieser liegt später unter der neuen, der für alle sichtbaren und lesbaren Erzählung.

Auch mein kürzlich erschienener Roman BONSAI hat Teile, die ausdrücklich nur als Vorbereitung geschrieben wurden. Zum Bespiel liegen in einem für die Geschichte erfundenen Arven-Kästchen Aufzeichnungen aus der Kindheit des Antonin Maienfeld versteckt. Ich habe sie erfunden, niedergeschrieben und nicht für den Roman verwendet. Sie blieben ein Geheimnis, bis zu seinem Roman-Tod – versteckt in einem imaginären Kästchen.

Zurück zur Arbeit an «Freundschaft Genossin»: eine weitere Vorbereitung zum Schreiben ist, wie schon im letzten BLOG erwähnt, ein buddhistischer Grundlagentext, der im 8. Jahrhundert in Indien geschrieben wurde. Das «Freundschaft» im Arbeitstitel des Romans bezieht sich zwar einerseits auf konkrete Erfahrungen mit der sozialistischen Partei im Wien meiner Kindheit, ist aber auch ein Begriff, den ich genau untersuchen will. Taugt er noch für kommende Real-Utopien?
Das Ideal des Bodhisattva im Mahayana-Buddhismus betrachte ich in der Essenz als einen sehr frühen Versuch, sich vollständig und ohne Hintertüren mit der gesamten Welt, so wie sie uns im Moment erscheint, zu befreunden. Der Titel hat also durchaus auch eine buddhistische Färbung.

Anmerkung: Ich habe vor zwanzig Jahren eine Auftragsarbeit als Übersetzerin angenommen, die mich sehr viel Zeit gekostet hat. Es ging darum einen sehr komplexen, mehr als fünfhundertseitigen Kommentar, zum neunten Kapitel des Textes „Bodhicharyavatara“ von Shantideva zu übersetzen. Damals habe ich mich mit den verschiedensten Übersetzungen des dem Kommentar zugrunde liegenden Originaltextes in Versen in westliche Sprachen beschäftigt. Das hat mir wiederum auch bei meinem persönlichen Studium und der Praxis des Dzogchen geholfen.

Im letzten Jahr habe ich eine mich inspirierende Übersetzung der Originalverse ins Englische, von der Padmakara Übersetzergruppe gefunden, dazu den zeitgenössischen Kommentar einer buddhistischen Lehrerin.
Aus diesem Buch nehme ich nun als – unsichtbare – Ergänzung meiner Recherchen und Schreibarbeit jeweils eine Strophe, die mich besonders berührt Ich schreibe sie heraus, übersetze sie für mich ins Deutsche und bleibe ein bis zwei Tage mit diesem Vers.
Für den Anfang hatte ich mir einen Vers vom Ende des Buches ausgesucht, aus der Widmung. Diesen will ich hier teilen, eigentlich ohne weiteren Kommentar, aber mit dem Hinweis, dass dieser Text, wie oben erwähnt, 1200 Jahre alt ist:

10.26

May children and the old, the weak, protectorless,
Bewildered in the wild and pathless wastes,
And those whose minds are dulled, and all who are insane,
Have pure celestial beings as their guardians.

Mögen die Kinder und die Alten, die Schwachen, die Schutzlosen,
Diejenigen, die verwirrt in unwegsamer Wildnis sind,
Auch jene, deren Geist dumpf ist oder ihm Wahn,
Mögen sie alle reine himmlische Wesen als Schützer haben.

«Freundschaft Genossin» – BUCH BLOG

17.02.2021 Allgemein Keine Kommentare

 

Das Jahr 2021 habe ich mit einem Experiment begonnen: Ich versuche, den einsamen Prozess des Schreibens zu dokumentieren, allerdings natürlich nur sehr punktuell. Es geht um mein neues Buch, dritter Band einer Trilogie, mit dem Arbeitstitel «Freundschaft Genossin».

Mit dem BUCH-BLOG dokumentiere ich die Entstehung eines Romans. Ich habe das Experiment auch auf eine gleichnamigen Facebook-Seite ausgedehnt: Freundschaft Genossin @fraukoppensteiner.

Was ich versuche, ist das Gegenteil des Schreibens im klassischen Elfenbeinturm. Schon der Anfang der Geschichte, der Entstehungsprozess, ist laut, nicht still. Das hat sicherliche auch mit der Covid-19 Pandemie zu tun und unserer kollektiven Erfahrung des Rückzugs.

In den letzten Monaten von 2020 war ich mit BONSAI beschäftigt, den Korrekturen im Layout, dem Warten auf das Buch, der Mithilfe beim Vermarkten, Video-Lesungen, Zoom Lesungen. Es war schwierig  unter  Pandemie-Bedingungen mit geschlossenen Buchhandlungen das Buch zu seinen Lesern zu bringen.

Und nun kommt sie fröhlich daher, sagt «Freundschaft Genossin», die Muse, sie ist diesmal mein inneres Kind, das habe ich schon herausgefunden, seit ich mit der Arbeit begann. Seit fast einem Jahr trage ich neue Ideen mit mir herum, ab und zu taucht etwas auf, eine Idee, einige Sätze, ich notiere, sinniere, träume. „Freundschaft Genossin“ kommt auf die Welt.

In den letzten Wochen sortierte ich bereits vorhandenes Material, das sich angesammelt hatte, Notizen.

Ich durchsuchte auch mein Fotoarchiv – alte Schwarzweiss Fotos schickten mich auf Zeitreisen.

Zu Beginn einer langen Kunst-Arbeit finde ich es nicht nötig, mich zu disziplinieren oder vor Ort einzufinden. Es ist zu früh, um in einen kontinuierlichen Arbeitsfluss einzutreten. In dieser Phase des Sammelns und Sortierens, erster Schreibversuche und der Recherche, ist das fruchtbare Chaos erlaubt. Es ist ein wenig, wie einen Hefe-Teig zubereiten: Alle Zutaten müssen zusammenkommen, nur so laufen chemische Prozesse ab. Ich gebe mir selbst den Raum unerwartetes zu entdecken, neue Perspektiven für mich zu öffnen.

Beispiel: wenn ich Hausarbeit mache, oder, wie kürzlich, einen Pullover stricke, dann sehe ich mir gleichzeitig YouTube Videos an. Meistens sind es Vorträge. Plötzlich tauchen ganz unerwartete Querverbindungen zu meinen Themen auf. Diese Themen, haben sich im letzten Jahr langsam zusammengefunden.

 

 

Themen-Liste – wie strahlende Blüten

  1. Wie ist es, wenn Menschen, so wie ich es in Wien als Kind erlebt habe, einander mit «Freundschaft Genosse» (oder jetzt, zB «Hello brother!») grüssen? Die Essenz davon ist das Wort «Freundschaft!» oder Verwandtschaft, also nicht «Verschwinde!» oder «Lass mich in Ruhe!» oder das distanzierende Schweizer«Grüezi!».
  2. Die alte Utopie des sozialistisch agierenden Kollektivs.
  3. Die Generation der kritischen, spirituellen und/oder politischen Avantgarde der 1960er/70er Jahre trifft auf die sehr jungen «Klima-Streiker» und «Rebellen» (zB «Extinction Rebels»). War ich doch selbst einmal Rebellin.
  4. Was können diese so unterschiedlichen Altersgruppen einander geben?
  5. Meine Kindheit in einer sozialistisch-kommunistischen Arbeiterfamilie in Wien.
  6. Das andere wichtige Wort aus meiner Kindheit und Jugend, das mir als ein Schlüsselwort für 2021erscheint ist das Wort«Solidarität».Ich will es aus meiner Erfahrung/Lebensgeschichte hervorholen und beobachten.
  7. «Bodhicharyavatara»von Shantideva.  Das ist ein buddhistischer Text aus Indien, dem 8. Jhd.  Studien, Themen, Exzerpte = Die Lebensweise eines Bodhisattva als gelebte und aktive Freundschaft mit allen Lebewesen.
  8. Globale Situation Pandemie Covid-19 und Mutationen.
  9. Schön wäre, könnte ich mehr über Viren und Bakterien lernen, das will ich schon lange. Lynn Margulis’ Buch aus den 1990ern: «Die andere Evolution» hat mich vor etwa einem Jahr auf diese Spur gebracht.

Orte der Handlung  Noch nicht entschieden.

Aus den ersten Ausflügen zur Inspiration und aus den ersten Skizzen scheint sich als Ort der Handlung wieder «Das Seehotel» am grünen See herauszukristallisieren. Anmerkung für die BLOG-LeserInnen: «Das Seehotel» ist ein frei erfundener Ort an einem konkret existierenden Bergsee. Dort ist der «Der Pilgerweg heim» (Teil 1) grösstenteils angesiedelt.

Personen  Wird das Seehotel noch einmal Ort der Handlung, dann wird es wohl noch immer von Adelheid und Franco bewohnt sein wird. Für die Jugendlichen will ich recherchieren, da freue ich mich drauf. Ich habe in meinem Umfeld leider keine jungen, verletzlichen «Extinction Rebels».

 

Erstes Vorgehen

 

Internet-Recherche zu den Themen «Klimastreik» und «Extinction Rebellion». Dass ausgerechnet zu Beginn dieser Arbeit, Anfang Januar 2021, eine Zoom-Begegnung zwischen SH 14. Dalai Lama und Greta Thunberg stattfindet, freut mich. Diese Begegnung, auch mit den Wissenschaftlern, drückt genau das aus, worum es in dem Text gehen soll –  die Querverbindungen zwischen vielen kraftvollen und herzlichen alten Traditionen und neuen Bewegungen.

In meinem Büro-Computer habe ich schon drei Ordner für die neuen Texte und auch für diesen BLOG angelegt. Steht alles mit rotem Punkt markiert auf dem Desktop.

Der erste materielle Kartonordner steht auch schon da: mit Blumen bedruckt, aus Italien mitgebracht. Darin habe ich die ersten ausgedruckten ersten Texte gesammelt.

 

* Wichtig: ich habe bereits einen neuen USB Stick aus der Verpackung geholt. Darauf wird die jeweils letzte Version von «Freundschaft Genossin» täglich abgespeichert und ausserhalb des Büros deponiert.

Einmal monatlich soll dieser BLOG ZUM BUCH erscheinen. Ich freue mich sehr wenn möglichst viele an kreativer Arbeit Interessierte diesen Blog lesen, davon inspiriert werden –  und ihn auch weiterempfehlen.

Pandemie – Politik – Utopie – Liebe

14.01.2021 Allgemein Keine Kommentare

Die BLOGBEITRÄGE über die «Kunst zu leben -Kurse» sind beendet. Ab Februar beginne ich mit einem BLOG-EXPERIMENT: Ich werde die Entstehung des nächsten Buches mehrmals monatlich in BLOG-BEITRÄGEN dokumentieren. Bevor ich mit diesem BLOG in eine neue Phase übertrete, möchte ich mir aber noch einiges von der Leber schreiben:

 

 

«Menschen-Liebe» als Motivation das Schwierige auszuhalten.

Elf Monate haben wir nun Pandemie-Alarm». Diese Pandemie immer noch von den wirtschaftlichen, sozialen und ethischen Bedingungen, in denen sie entstanden ist, abgetrennt zu betrachten führt in Orientierungslosigkeit. Vorübergehende Orientierungslosigkeit und Unsicherheit auszuhalten, gehört zum Repertoire einer stabilen Psyche. Doch nun dauern die schwierigen Zeiten an, sind nicht mehr «eine Krise», sondern immer mehr «etwas Unbekanntes». Ich schaue mich um und nehme Angst, Unsicherheit, Schuldzuweisungen ohne Ende wahr, von Liebe ist nicht die Rede.

Wohin Aktionismus aufgrund von Orientierungslosigkeit und Existenzangst führt, wissen wir, wenn wir betrachten, was im 20. Jahrhundert zum zweiten Weltkrieg geführt hat.

Populistische Politiker nutzen jetzt, ebenso wie damals, die seit Jahren wachsende Orientierungslosigkeit und Ängstlichkeit ungebildeter oder wenig gebildeter, mutloser Menschen auf der ganzen Welt aus. Sündenböcke sind immer schnell gefunden, Verschwörungs-Theorien machen sich breit. Alternative Weltenmärchen werden gesponnen und ermutigen ihre Anhänger. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kamen in solch märchenhaften Fahrwassern die faschistischen Diktatoren Europas, einer nach dem anderen, an die Macht. Hinter ihnen, gut getarnt, machte  die kapitalistische Wirtschaftselite gute Geschäfte. Im Krieg zuerst, und nach der Zerstörung des Krieges im Wiederaufbau großer Teile Europas, entstand die Idee eines Wunders: des „Wirtschaftswunders“, Basis der Mythen, alles Wirtschafts-Mythen, unserer neuen Zeit.

Die bereits im Berichten von Think-Tanks ab den 1970er Jahren vorausgesagte Entwicklung auf unserer Erdoberfläche ist eingetreten. Das Klima-Chaos, der vorausberechnete Anstieg der Meeresspiegel, die hemmungslose Überbevölkerung, die unbedachte Übernutzung der auf diesem Planeten natürlich vorhandenen Ressourcen.

Wir sind mitten in einer Pandemie namens Covid-19. Auch die Politiker, nicht nur die Wissenschaft und das Gesundheitswesen, sind überfordert. Jeder einzelne Mensch ist im Moment überfordert, das Kollektiv ist überfordert. Welche Geschichten vom Leben sollen wir einander erzählen? Was ist mit der Liebe, der Fürsorge, der Hingabe? Die erwünschte Sicherheit ist nicht mehr vorhanden.

Hier finde ich, sollte die Leserin dieses BLOGS innehalten und kurz überlegen: „Glaube ich, dass alles, was uns bedroht, individuell und als Gruppe, „kontrollierbar“ sein muss oder es je war?

Wichtige Begriffe in den Medienberichten sind seit Monaten „die Sterblichkeit“, sogar „Über-Sterblichkeit“, die bei den meisten Menschen Angst auslösen. Angst können wir in einer solchen Situation überhaupt nicht gebrauchen! „Die Sterblichkeit“ kommt mit dieser Virus-Krankheit in das Leben der Konsumgesellschaft, so als wären wir durch diesen Virus plötzlich und zum ersten Mal damit konfrontiert, dass jeder von uns sterblich ist, anfällig für Krankheit und Tod. Auch hier möchte ich die Leser dieses BLOG kurz dazu anregen, darüber nachzudenken, ob sie irgendjemanden kennen, der vor 150 Jahren geboren wurde und noch immer lebt?! Reich, arm, Könige, Nonnen, Filmstar oder Politiker, Bergbauern, Seefahrer, Juwelenhändler, Mörder, Einsiedler, gute Menschen, schlechte Menschen, alle sind bei ihrer Geburt mit einem gesegnet: der 1000% Gewissheit, dass sie sterben werden. Dieses unkontrollierbare Grundrecht, Teil unserer Geburt, untilgbarer Teil unseres Mensch-Seins ist es, den Zeitpunkt des eigenen Todes nicht zu kennen. Das aus dem Leben einer Gesellschaft kollektiv auszublenden ist bizarr. Doch es ist notwendig, denn Menschen die sich ihrer Sterblichkeit immer bewusst sind, werden ihr kostbares und begrenztes LEBEN wahrscheinlich nicht einfach vergeuden. Und wahrscheinlich auch nicht die kostbare Erde, auf der sie leben.

Verbirgt sich auch etwas noch Unbedachtes in dieser neuen Viruserkrankung? Trägt die Befürchtung von Politik und Gesellschaft „das Gesundheits-System“ könnte „an den Anschlag kommen“,  trägt die Angst man müsste Menschen zu Hause oder in ihren Zimmern in Altersheimen sterben lassen, ein Geheimnis, eine noch unentdeckte Wahrheit über unsere momentane Situation in sich? Ich versuche, hier weiter zu forschen:

Wie viele Jahrhunderte unserer Menschheitsgeschichte sind die Regierungen europäischen Staaten bereits verantwortlich für die Gesundheit und Krankheit, für das Leben jedes Einzelnen? Ich will an dieser Stelle kurz an unsere gemeinsame  Menschheitsgeschichte erinnern, die hunderttausende von Jahren, die bereits hinter uns liegen. Mit Kommunikation und im Austausch untereinander haben wir Menschen schon sehr lange auf der Erdoberfläche gelebt.

Zu Beginn der Industrialisierung, vor etwa 300 Jahren, waren es die Unternehmer, die für ihre Belegschaft kleine Häuser zur Verfügung stellten, damit diese vom Land in die Kleinstadt oder Stadt zur Lohnarbeit zogen. Mildtätige kirchliche Einrichtungen gab es für Notleidende und Kranke – sonst waren für die Not die Großfamilien zuständig.

Im Laufe der Entwicklung von Big Business haben sich die Unternehmen zu einem großen Teil der Verantwortung für ihre Mitarbeiter und die Mitwelt, in der sie Reichtum erwirtschaften, entledigt. Die Ausbeutung durch Kolonialismus will ich hier nur kurz erwähnen. Seit etwa 150 Jahren ist nun vor allem der Staat für Menschen und Mitwelt zuständig und verantwortlich. Nur so konnten die großen Betriebe ungestört von ethischen Überlegungen auf Gewinnmaximierung wirtschaften. Sie hatten ihre Verantwortung an die Politiker weitergereicht. Besonders krass wurde diese Entwicklung speziell Ende des 20. und im 21. Jahrhundert, wo der Aktienwert einer Firma für alle sichtbar und vollständig von der Verantwortung für Ethik, die Mitwelt und ihre Bewohner abgekoppelt wurde. Nun führt er, scheinbar getrennt von der Realwirtschaft, ein Eigenleben, das übrigens, wie das Virus auch, außerhalb unserer Kontrolle liegt, aber darüber wird nicht gesprochen.

Es scheint mir, dass wir alle gemeinsam, Wissenschaftler, Bauern, Politiker, Ärzte, Hedge-Fund Manager, Fahrrad-Boten, Firmendirektorinnen, Lehrerinnen, Kinder, Mitwelt, Tierwelt, gerade an die Grenzen unserer bekannten Möglichkeiten kommen und uns die Situation, in die unsere Gesellschaft und jeder Einzelne sich befindet, vorübergehend entgleitet. Es ist meine Entscheidung, ob ich mich in dieser Extrem-Situation entspanne und den Ort der Liebe in mir aufsuche, oder ob ich ins Schattenreich wahnwitziger Ideen absinke.

Wir haben keine Schöpfungsmythen für die moderne Welt in der wir heute leben. Da wir Menschen aber auch Schöpfungsmythen brauchen wird ein solcher Mythos immer, wenn im letzten Jahrzehnt alles zusammenzubrechen droht, wieder erzählt, und zwar von multinationalen Konzernen, Banken, Politikern, Medien: dass wiralle nur und ausschließlich von diesem momentanen westlichen Wirtschaftssystem profitieren können. Ist es in Gefahr, sind wir alle in Gefahr. Daher müssen wir es bis zur Selbstverleugnung unterstützen – echte Helden eben. Mitgefühl und Liebe sind für Weicheier, die nichts von der Welt verstehen. Wer diese Geschichte nicht miterzählt ist entweder Verräter oder naiver Hohlkopf. Wenn alle erkennen würden, dass dieser Mythos nicht für das Wohlbefinden von uns Menschen gemacht ist, dass wir uns seit geraumer Zeit in einer globalen Wirtschaftskrise befinden, hätte sich dieses Narrativ unseres Wohlstandes ohne Preis selbst ad absurdum geführt. Großbanken und Fluglinien erhalten in Europa immer wieder Milliarden an „Rettungsgeldern“, die sie nur sehr teilweise in den großen Steuer-Topf eingezahlt hatten, mit der Begründung „unser System würde sonst zerfallen und zu viele Arbeitsplätze verloren gehen“. Doch Widerspruch regt sich, regt sich schon lange.

Diejenigen, die von diesem Narrativ unserer Welt profitieren, könnten bald dastehen wie der nackte Kaiser im Märchen „Des Kaisers neue Kleider“.

Was wäre wenn wir unsere gegenwärtige Geschichte neu erzählten? Ich fange im Kleinen an, mit einigen wenigen Menschen. So wie ich es im «Pilgerweg heim» und in «Bonsai»versucht habe. Was ist, wenn wir alle unsere Geschichte neu erzählen? Der Sozial-Philosoph Charles Eisenstein hat in seinen Büchern vorgeschlagen, uns selbst eine neue Geschichte der Menschheit zu erzählen: Abstand zu nehmen von der alten Geschichte des Mangels, in der jeder versuchen muss, so viel wie möglich für sich zu ergattern.

Meine Aufgabe als Künstlerin sehe ich seit Jahrzehnten, und auch in meinem neuen Projekt «Freundschaft Genossin» darin, einfache Erzählungen einer utopischen Gesellschaft zu finden, des bewussten Miteinanders in einer liebevollen Welt, in der eigentlich für alle genug vorhanden ist – außer für die Unersättlichen.

Wie ein Buch gemacht wird

14.11.2020 Allgemein Keine Kommentare

 

Heute widme ich diesen Blog-Beitrag der Buchproduktion. Wie wird aus einem fertig geschriebenen Text ein Buch?

Viele Menschen, die Bücher lesen, wissen wenig über die Herstellung und den Vertrieb des Buches, das sie soeben lesen. Heute schreibe ich über die materiellen Gegebenheiten für diejenigen, die Bücher schreiben.

Ich betrachte meine Arbeit als die einer Erzählerin. Als solche möchte ich das Erzählte gehört, oder besser noch gelesen wissen. Eine Geschichte, ein Roman, das ist für mich ein Geschenk an die Welt – und das Geschenk soll ankommen. Geschenk ist es deshalb, weil, wie ich gleich berichten werde, das, was ich schreibe, keinen realen Gegenwert in der materialistischen Welt des Geldes findet. Und zwar deshalb:

Als Autorin hatte ich ab 1993 einen Literatur-Agenten, bis dieser sich altershalber zurückzog. Da war ich selbst schon fast 60. Nun ist es so, dass eine nicht sehr bekannte Autorin vom Verlag bei einer Buchpublikation ein Autorenhonorar von etwa 10 – 15% des Buchpreises zugeschrieben bekommt. Ist es ein Taschenbuch mit Auflage 1000 Stück, von denen jedes 20.- CHF oder Euro kostet, ergibt das, falls alle Kopien verkauft werden, ein Honorar von 2000.- CHF oder Euro. Die Agentur erhält einen Anteil dieses Autorenhonorars, ca. 3-5%, also eigentlich nicht sehr viel. Falls die Autorin einen Bestseller landet, hat sich die Investition für die Agentur gelohnt. Agenten sind gut vernetzt und investieren gerne in junge Talente, da besteht die Möglichkeit einer jahrzehntelangen immer erfolgreicheren Geschäftsbeziehung.

2014 – nach einigen erfolglosen Versuchen eine neue Agentur zu finden – bot ich meinen Roman «Der Pilgerweg heim» großen Verlagen an. Denn diese sind die einzigen, deren Buchauflagen hoch sind – wo ich also auch die Chance auf mehr Einkommen durch den Verkauf des Buches habe. Vor allem aber bringt das Prestige, in einem grossen Verlag ein Buch zu veröffentlichen,  und das Marketing des Verlagshauses, die Aufmerksamkeit der Medien. Was sich wieder auf die Verkaufszahlen auswirkt. Unaufgefordert eingesendete Manuskripte werden von Verlags-Voluntären mit einem Formbrief versehen und wieder an mich zurückgesendet. Eigentlich gibt es für unaufgefordert eingesandte Manuskripte kein Recht auf Rücksendung oder Antwort.

 

«Mein Geschenk an die Welt» trifft also auf eine harte kommerzielle Maschinerie. Im Verlagswesen befinden sich zwar viele Menschen, die Bücher gerne haben, Menschen, die glauben zu wissen, was ein guter Text ist. Sie wissen, was ihr Verlag in diesem Moment an Texten braucht. Feinfühlige und gebildete Menschen füttern eine Maschinerie, für die sie arbeiten und die ich als Autorin mit meinem «Geschenk» füttere. Diese Verlags-Maschinerie ist  kommerziell ausgerichtet. Viele Verlage sind in den letzten Jahrzehnten zugrunde gegangen und wurden als Hüllen von grossen Verlagshäusern aufgekauft und weiter verwertet. Nach Aussen existieren sie weiter, mit eigenen Namen, doch sie sind ohne Wissen der Leser, Teil eines  Imperium geworden.

Entscheide ich mich also bei einem der mittelgroßen Verlagshäuser im deutschsprachigen Raum zu publizieren, gehört dieses meist einem großen Konzern. Ich muss, bevor ich einen Text einsenden darf, im Voraus einige Fragen beantworten, mit einem druckfähigem Foto von mir: Habe ich Instagramm und Facebook? Wie viele Follower/Freunde? Kann ich Kurse geben? Bin ich bereit Internetauftritte zu machen? Und – jetzt kommt der Knackpunkt: Bin ich bereit 300 Exemplare meines Buches bei Erscheinen des Buches abzunehmen? Da ich rechnen kann weiss ich, dass diese 300 Exemplare in etwa den Druckkosten entsprechen. Ich soll also den Druck für mein Buch, schön verkleidet, selbst bezahlen, damit mein Text in einem mittelkleinen Verlag mit klingendem Namen veröffentlicht wird. Das Buch bliebe dann maximal zwei Jahre im Buchhandel erhältlich. Danach wird die Restauflage entsorgt. Diese könnte ich dann zu einem Spezialpreis ebenfalls kaufen. Vorteil ist –  auch diese mittelgroßen Verlage haben gute Marketing-Abteilungen und ich kann durch sie bekannt werden .

Als ich mich 2014 entschlossen hatte, nach einer langen Pause wieder ein Buch zu publizieren – den ersten Band der Trilogie Der Pilgerweg heim, habe ich mich mit den verschiedenen Möglichkeiten beschäftigt. Im Hintergrund hatte ich mein eigenes Wissen zum Thema kleine Verlage und deren Vertriebssysteme. Alle Angebote, die ich damals von mittelgrossen oder kleinen Verlagen erhielt, waren darauf ausgerichtet, sich nicht nur meinen über viele Jahre gewachsenen Text, also meine Arbeit,  beinahe gratis einzuverleiben, sondern auch darüber zu bestimmen, ob er relativ schnell wieder von der Erdoberfläche verschwinden würde. Den Druck sollte ich zum grossen Teil – indirekt durch Buchabnahmen – auch noch bezahlen.

Daher habe ich mich entschieden, die Trilogie einem winzigen Verlag in der Schweiz anzuvertrauen, der keine Bezahlung für das Verlegen des Buches von mir verlangt und der die Bücher so lange in der Backlist behält, wie Exemplare verfügbar sind. Leider hat er keine eigene Marketing-Abteilung. Um Werbung muss auch ich mich bemühen.

 

Das Foto zeigt den Druck des Einbandes vom ersten Band der Trilogie «Der Pilgerweg heim», 2015, auf einer Buchdruckmaschine.

 

BONSAI. Roman. erscheint im November 2020 im Garuda Verlag Schweiz

Bestellen können Sie das Buch in Ihrer Buchhandlung oder direkt beim Verlag:

 ISBN  978 3 906139 38 8 // Softcover, 202 Seiten //  Schongau 2020, € 17.90 // CHF 19.80

Garuda Verlag //  CH-6288 Schongau, Schweiz // info@garudabooks.ch // shop.garudabooks.ch

Wie erzählen?

15.10.2020 Allgemein Keine Kommentare

Im Blog vom September habe ich über meinen Rückzug an einen wilden Ort in der Südtoskana berichtet. Der Roman BONSAI ging in Produktion, ich hatte noch kein neues Projekt begonnen. Auch einen der Gründe für den Rückzug habe ich genannt: ich wollte in meinem Zustand der Ratlosigkeit verweilen. Nicht mehr genau zu wissen, wo und wie ich in unserer momentanen historischen Situation – an der Grenze des wirtschaftlich möglichen Wachstums – mich selbst wiederfinde. Wie gehe ich in meinem Alltag mit den Begrenzungen durch den  Covid-19 Virus um?

Ich wollte sehen, ob Inspiration, ob Neues in mein Leben tritt, wenn ich still verweile. Für diejenigen, die mit Kontemplation nicht vertraut sind, kann ich es mit einem anderen, vielleicht geläufigeren Bild beschreiben: Zu sitzen wie eine Jägerin und darauf warten, dass das Beutetier sich zeigt. Auch wollte ich einer offenen Frage betreffend die Kunst nachgehen, die mich beschäftigt:

Wie kann ich, wie können wir einander, Anfang des 21. Jahrhunderts noch einfach Geschichten erzählen? Ich bin überzeugt davon, dass sie nötig sind, doch ich frage mich: wie erzählen?!

In den vergangenen Wochen war ich sehr viel allein. Ich hatte einfache Begegnungen mit Tieren, mit Menschen, mit Freunden, mit mir selbst. Das Beobachten der Schafherde, die jeden Morgen  mit den Hirtenhunden an unserem Haus vorbeizieht, hat mir ebenso die Kraft zur Veränderung gegeben, wie der grosse Himmel und die wilden Gewitter – und natürlich meine Meditations-Praxis des tibetischen Buddhismus.

Ich hatte endlich Zeit ein Buch zu lesen, das schon längere Zeit auf dem Stapel meiner ungelesenen Bücher lag: Charles Eisenstein: «Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich».

Was mich an der Herangehensweise des US-amerikanischen Ökonomen und Philosophen Charles Eisenstein interessiert ist, dass er unsere Welt, die moderne wie die archaische, als von den Geschichten abhängig beschreibt, die wir über sie/diese Welt/uns selbst erzählen. Er teilt unsere kollektive Weltsicht, auch die der Geschichtsschreibung, ein in eine «Geschichte des Getrennt-Seins» (unser Geschichtsverständnis der letzten 2000 Jahre) und in eine Geschichte des «Interbeings» (des voneinander abhängigen Erscheinens der Phänomene), in dem sich alles als mit allem verbunden herausstellt.

Was immer wieder aus dem Erzählten und Reflektierten in diesem Buch hervorkommt, ist, dass er unser/mein/sein Verständnis der Welt abhängig macht davon, welche Art der Geschichte wir – uns selbst und einander – von einem bestimmten Ereignis erzählen. Und vor allem auch, mit welcher Absicht und wie wir uns unser Leben selbst erzählen.

Dieser Ansatz ist für mich sowohl als politischen Menschen, wie auch als Geschichtenerzählerin sehr inspirierend und passt zu meiner buddhistischen Weltsicht. Sicherlich hat der Autor auch Inspiration in der der buddhistischen Philosophie gefunden, wie viele andere unserer zeitgenössischen Wissenschaftler.

Aus der Inspiration dieser Lektüre ergaben sich verschiedene neue Sichten für mich, die ich hier gerne teilen möchte:

Indem ich eine Geschichte auf meine neue Art erzähle, als Heilung und der Nahrung für die Menschen auf diesem Planeten, trage ich direkt zu einer neuen Geschichts-Erfahrung der LeserInnen bei. Es hat mich gestärkt mir vorzustellen, dass meine Geschichten, dass die Mühe, die es mir manchmal bereitet, etwas so zu schreiben, das für mich relevant ist, auch diese Art von Früchten tragen wird. Die Erzählstränge werden, wie Fäden in eine Weberei, eingeflochten sein in eine grössere Erzählung, von uns Menschen. Es wird eine Erzählung sein, die ich jetzt noch nicht kenne, die wir aber alle dringend benötigen.

 

Schliesslich habe ich für mich, im Verlaufe der letzten Wochen, einen neuen Zugang zu meiner Arbeit und der Gabe des Schreibens gefunden:

«Ich schreibe lebenswichtige Nahrung für Menschen. Meine Geschichten sollen guter Proviant sein für alle diejenigen, die aufbrechen, in neue Zeiten.»

Ratlos: Den September über habe ich mich an einen besonderen Ort in der Toskana zurückgezogen

19.09.2020 Allgemein Keine Kommentare

 

In den letzten Monaten habe ich keinen Tagebuch-Kurs mehr gegeben. Doch ich habe einen Roman zu Ende geschrieben, der bald publiziert sein wird. Deshalb habe ich beschlossen, mich auch in diesem BLOG für neue Themen zu öffnen.

Seit langer Zeit gebe ich hier Ratschläge und Tipps zum autobiographischen und dem Tagebuch schreiben. Der Blog war nicht nur für die Teilnehmenden an meinen Kursen gedacht, sondern für alle am Tagebuchschreiben Interessierte.

Nun will ich das Thema wechseln.

Deshalb habe ich mich für einen Monat in unser winziges Häuschen mitten in der Wildnis der Süd-Toskana zurückgezogen. Ich sehe viel mehr Tiere hier als Menschen, Tiere aller Art.

Vom ländlichen Bauernhof in Schongau in die Wildnis eines Hochtales im Naturschutzgebiet des Monte Labro ist ein grosser Schritt. Natur ist nicht gleich Natur. Wildschweine, Wölfe, Stachelschweine, Hirsche und Skorpione – als Nachbarschaft – sind sie mir wenig vertraut. Das trockene, karstige Bergland, die Schafherden, Esel, die wenigen Blüten, viele Stacheln. Diese Wildnis hier nicht nur zu ertragen, sondern mich in sie hineinbegeben, das ging langsam. Nachts sitze ich nun draussen und schaue ins Universum. Im Ohr habe ich ein Gewebe aus Zikaden-Klang und dazwischen sind die Solisten: Grillenlieder.

«Bonsai», zweiter Band einer Trilogie über das Älterwerden, Utopie des Herzens und die Wiedergeburt des Glücks, ist fertig geschrieben und lektoriert und wird gerade gelayoutet. Das Buch und das Hörbuch sollen beide Anfang November erscheinen. Ich habe etwas vollendet, ich lasse los. Jetzt ist Zwischenzustand, Stille, Alleinsein.

Bevor ich weiter schreibe will ich innehalten, mich nach Innen wenden, mich aufs Spiel setzen, nachfragen im Universum meiner Träume.

Mir ist beim Schreiben während der Corona-Pandemie wieder eine dringliche Frage aufgetaucht, nicht zum ersten Mal: Wie kann ich, wie können wir einander, Anfang des 21. Jahrhunderts noch einfache Geschichten erzählen? Ich bin überzeugt davon, dass sie nötig sind, doch ich frage mich: wie?!

2020 hat mich an die Grenze des klar Erzählbaren gebracht, zu viele Schichten schienen aufeinander zu kleben:

Der Lock-Down im vergangenen Frühling war ein entscheidender Rückzug für viele von uns. «Es war wie Weihnachtsfeiertage ohne Ende», so beschrieb es eine Bekannte kürzlich, «alles und alle kamen zur Ruhe, es wurde ganz still in der Stadt – wochenlang». Der Grund, war tragisch: die Covid -19 Pandemie verursachte und verursacht noch immer weltweit Angst, Leiden und viel Unsicherheit. Gleichzeitig also erlebten wir im März Gegensätzliches: «Gefahr im Verzug = Adrenalinspiegel hochfahren und Kampf- oder Flucht- Mechanismus einschalten» und «Einkehr = Herzrhythmus und das vegetative Nervensystem runterfahren, Stille». Wir mussten uns über Monate hinweg einem – auch körperlichen – Paradox stellen, das fast ohne Ausweichmöglichkeit ist. Wer meditieren kann, war dafür gut vorbereitet.

Die innere und äussere Stille, die ich persönlich pandemiebedingt zwischen März und Juni erlebte, war etwas, das ich lang ersehnt hatte. Ich empfand eine Entspannung in der Unsicherheit, die ich mir so nie zu wünschen gewagt hätte. Ich sollte zu Hause bleiben, ich sollte zu allen Menschen Abstand halten, ich sollte ruhig sein und mich entspannen, ich durfte nicht reisen, durfte nicht ins Ausland. Auch Familienbande schienen in der Gesellschaft nicht mehr wichtig, auch nicht, wenn es ans Sterben ging.

Von Außen betrachtet verlief mein Leben ähnlich wie sonst auch. Am Morgen machten wir gemeinsam eine Stunde Meditations-Praxis. Mein Atelier/Büro liegt direkt neben dem Wohnhaus. Ich arbeitete dort weiter wie immer. Zu Mittag traf ich meinen Mann in der Küche zum Essen, abends dachten wir gemeinsam über die Welt nach oder durchsuchten das Internet nach Information zur Orientierung über Gesundheit, Politik, Wirtschaft und Philosophie. Nach sechs Wochen erlebte ich eine zunehmende Abwehr gegen die widersprüchlichen Informations-Fluten.

Unser Gemüsegarten wurde in diesem Frühling intensiver bepflanzt wie in den Jahren davor. Wir gingen öfter als sonst in den Wald wandern. Ich backte mehr Kuchen als sonst. Virtuelle Zoom-Räume kam als Treffpunkt auf, wir sassen mit vollen Weingläsern vor dem Computer am Küchentisch und prosteten Menschen zu, die weit entfernt oder in anderen Ländern waren, teilten Ängste, Informationen und Sorgen. Das kleine Kamera-Auge oberhalb des Bildschirms wurde zu einem Tor in die (Cyber-) Welt.

Auf die Zeit im Ausnahmezustand folgte die herannahende ungewisse Zukunft, schwebend wie ein Ballon manchmal, oder schwer wie ein Kampfbomber aus Beton, je nach Weltsichten, die sich, wieder über Internet, überall hereindrängten.

Offen und überwältigt – so möchte ich meinen Zustand der letzten Monate beschreiben.

Und dieses Lebensgefühl der Überwältigung zog sich auch in die Kunst-Arbeit hinein.

Wie, bitte wie, soll ich schreiben? Im Internet-Stil, whatsapp Nachrichten gleich? Soll ich nur noch Meinungen und Gegenmeinungen schreiben? Welche Geschichten kann ich noch erzählen, wenn Fake-News als gelungenes Stilmittel zum vervollkommnen einer Lügengeschichte daherkommen? Was tun, wenn Videos so perfekt gefälscht werden können, dass es nicht mehr auffällt. Wann bin ich «modern»?

Was ist anders, wenn ich eine Geschichte erfinde? Wie schreiben, wenn Sprache fast nur noch zur Manipulation verwendet wird? Wie kann ich mir in Zeiten der 20 Sekunden Aufmerksamkeits-Spanne eines Lesers für einen Text die Naivität leisten, eine Geschichte von Utopien zu erzählen, vom Glauben an die Realität der Welt? Und das über Stunden?

Ratlosigkeit kann eine grossartige Ressource sein.

Meine Dzogchen Praxis ist eine Kraftquelle, die mir dabei hilft, nicht immerzu ins Beurteilen der Weltlage und auch nicht meiner eigenen Ratlosigkeit zu verfallen. Gegensätzliche Welten, ich kann euch ertragen!

Heute sitze ich am Küchentisch in dem kleinen Haus in der Toskana, wohin ich mich zurückgezogen haben, um freiwillig ratlos zu sein und mich in Kontemplation zu üben.

Ich weiss, es ist ein Luxus, den ich auch meinem Alter zu verdanken habe. Doch, weil ich mir die Ratschläge noch nicht ganz abgewöhnt habe: Ich kann nur allen Menschen, denen es möglich ist, raten, sich ratlos, liebevoll mit sich selbst und anderen und mit offenem Herzen zurückzuziehen. Wo auch immer die laute Stille der Wildnis ist, geh dort hin, übe dich in Meditation, empfinde die Freiheit des Augenblicks.

Ein neues Buch: Bonsai – Wildnis der Alpen

15.04.2020 Allgemein Keine Kommentare

Als die grosse Welle der Corona-Pandemie über die Welt flutete

habe ich mich, wie viele Menschen, bereit dazu oder nicht, notgedrungen oder freiwillig – zurückgezogen. Da ich seit vierzig Jahren (meist) im Home-Office arbeite hatte ich keine grossen Umstellungsschwierigkeiten, was das Arbeiten betrifft. Der offensichtlich gewordene, deutlich unübersichtliche Zustand der Welt hat mich erschüttert. Angesichts der vielen Theorien und Schuldzuweisungen wollte ich mich vorübergehend öffentlich nicht mehr äussern. Mein Alltag wurde immer einfacher im selbstgewählten inneren Rückzug. Tägliche Meditation-Sitzungen haben mein Herz erleichtert und geöffnet. Ich habe die Zeit des ersten Frühlings benutzt, um ein jahrelang beinahe fertiges, immer wieder liegengebliebenes Projekt zu Ende zu bringen.

Der Roman BONSAI. WILDNIS DER ALPEN von Karin Koppensteiner ist nun beendet. Ich bin in regem Austausch mit der Lektorin via WhatsApp und E-Mail für letzte und vielleicht wichtige Änderungen. Guten Tag Welt, ich bin zurück!

 

Einfach Sein

Alter, Liebe und Tod

26.12.2016 Allgemein Keine Kommentare

Ein halbes Jahr hat mich das Leben als Geisel genommen. Ich habe mich nicht gewehrt. Es hat mich vom Schreiben und vom Skulpturen machen, von der Kunst also, weg gehalten.

Alle Lebenskraft habe ich gebraucht, meinen Gefährten durch eine lebensbedrohliche Krankheit zu begleiten, ihm und auch mir Kraft, Mut und Genesung aus den Tiefen unserer Kraftreserven zu schöpfen, den individuellen und den kollektiven. Manchmal habe ich geweint, schon morgens, vor Erschöpfung.

Jedes Wort, das ich schrieb, erschien mir zu viel, aufdringlich, laut, unangemessen dem dunklen Raum, den ich durchquerte. Schweigen, Stille, Ruhe. Das Herz tat mir oft weh, in der Ohnmacht mit den Schmerzes meines Liebsten.

Ich erinnere mich heute an eine Sommernacht, in der ich ausgelaugt nach einem Tag im Krankenhaus auf unserem großen Grundstück saß, allein in hereindämmernder Nacht. Eine Füchsin kam, es dauerte sicherlich eine halbe Stunde bis sie näher kam. Ich hatte Zeit sie zu beobachtete, ihre Anwesenheit als Trost zu geniessen. Langsam, langsam kam sie, um Kirschen, die vom nahen Kirschbaum gefallen waren, vom Boden zu fressen. Irgendwann kamen auch zwei kleine Füchse, doch sie blieben weiter weg. Die Füchsin umrundete mich, nahm mich wahr, beachtete mich nur aus den Augenwinkeln, ging später wieder ihrer Wege. Verschwand in der Dunkelheit der Nacht.

Baum, Licht und Leiter Weihnachten 2016

Baum, Licht und Leiter
Weihnachten 2016

Mein Mann ist wieder aus der Dunkelheit ins Licht getreten, hat sich langsam, ganz langsam erholt. Genießt das neu geschenkte Leben. „Wir sind alt geworden, ohne dass wir es richtig bemerkt hätten“, sage ich zu ihm, „wie ist das so schnell passiert?“. Wir waren immer zu beschäftigt, um es zu bemerken, denke ich. Nun, in der Überraschung des neu gefundenen Lebensabschnitts, schaue ich mich erstaunt um: Es ist schön hier, das ist mein Leben. Was hat sich geändert? Im Schreiben bin ich wahrhaftiger geworden, kompromissloser, aber auch im Alltag.

Ich nehme den beinahe fertigen Roman, den ich vor einem halben Jahr zur Seite gelegt habe wieder hervor. Es geht um einen Abschied, eine Vater-Sohn-Geschichte, es geht um Alter, Liebe und Tod. Ja, ich könnte eine Novelle daraus machen. Dieser zweite Teil der Trilogie wird wahrscheinlich eher kurz, wie der Arbeitstitel schon andeutet: „Bonsai“.