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Karin Koppensteiner 22.08.2024 Allgemein, Literatur Keine Kommentare
Freundschaft Genossin! ist eine abstrakte Skulptur aus Wörtern und Leerschlägen. Nun liegt sie fest in einem Objekt, dem Buch. Wenn nicht jemand dieses Buch aufschlägt und zu lesen beginnt, ist diese Klang-Skulptur verschwunden, sind die Satzzeichen ohne Bedeutung, ist das Erzählte ein lebloser Traum, gedruckt auf Papier. Erst durch das Lesen entsteht das Leben der Zeichen.
Das neue Buch ist eine Liebeserklärung an die Welten-Träumer dieser Erde. Oder: Ein Gebilde aus Ideen, Ängsten, Glück, Wunsch & Sehnsucht, verwoben mit spiegelgleicher Realität?
Während das neue Buch seine Wege in die Welt findet und der Sommer langsam vergeht, hole ich Bücher aus einem Regal in meinem Büro, lege sie auf den Schreibtisch, sortiere. Welche Bücher von denen, die meine Arbeit an Freundschaft! beeinflusst haben, stelle ich ins Regal zurück? Welche bringe ich weg?
Hier unten sind Abbilder nur einiger der Bücher, die mich beim Schreiben von Freundschaft! besonders genährt haben und die bleiben. Andere werden bleiben, weil ich sie schon lange besitze und sie Teil meines Lebenstraums geworden sind.
Karin Koppensteiner 24.11.2022 Allgemein Keine Kommentare
DIESE BLOG-SERIE IST MIT DEZEMBER 2022 ZU ENDE GEGANGEN.
Der Menüpunkt «BLOG» wurde in «BLOG – ARCHIV» umbenannt. Der folgende ist nach sieben Jahren der letzte BLOG-Beitrag auf dieser Web-Seite.
Seit Januar 2015 schreibe ich auf dieser Website regelmässig zum Thema Schreiben – entweder im Zusammenhang mit meinen Workshops für „Kreatives Leben und Schreiben“, oder, wie in den letzten beiden Jahren, über das Entstehen eines Romans. Es sollte der dritte Teil einer Trilogie werden. Der Arbeitstitel lautete «Freundschaft Genossin». Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine, der mich in seiner Vielschichtigkeit und Wortgewalt einige Monate sprachlos machte, hat die Textsammlung nun einen neuen Arbeitstitel bekommen. «Das Buch der Liebe» kommt langsam aus dem Aschenregen der alten Version hervor.
Die Idee der BLOG – Beiträge der letzten Jahre war es, Menschen, deren Arbeit nicht «Das Schreiben» ist zu vermitteln, wie diese Schreib-Arbeit sich langsam, über Stunden, Tage, Monate, Jahre, Jahrzehnte abwickelt. Mit Zeiten des Schaffens, der Inspiration und mit Zeiten der Alltagsarbeit, Korrekturen, Zweifel, des Weitermachens.
Nun beginnt für mich eine neue Schaffensperiode. Ich habe nicht nur mein Atelier/Büro im Bienenhaus auf unserem Grundstück entrümpelt. Es sind zum Beispiel drei grosse Plastiksäcke mit Büchern aus den Regalen geholt und weggebracht worden. Noch vieles mehr ändert sich, jetzt.
Auch diese Website habe ich verändert. Einige Menüpunkte sind ganz verschwunden, beispielsweise «Workshops 2022» – denn Workshops will ich im Moment keine mehr abhalten. Ich suche neue Wege. Der erste Schritt von den ausgetretenen alten Pfaden weg ist schon der Beginn einer neuen Reise ins Ungewisse.
Ich werde hier vorläufig keine neuen BLOG-Beiträge mehr aufschalten. Nach sieben Jahren veröffentliche ich heute den letzten BLOG-Beitrag auf dieser Seite. Auch das ist ein Teil der äusseren Veränderungen in meiner Arbeitswelt. Das BLOG Archiv bleibt noch bis auf weiteres zugänglich. Indem frau auf den sich jeweils untenhalb des Beitrags befindenden Link «Vorheriger Artikel» klickt kann man von der Gegenwart in die Vergangenheit reisen.
Uns allen wünsche ich einen wunderbaren Jahresübergang von 2022 auf 2023, viel Inspiration, Freude und Liebe! Auf Wiedersehen!
Karin Koppensteiner 21.07.2022 Allgemein Keine Kommentare
Noch im BLOG-BEITRAG von Juni habe ich darüber geschrieben, dass der letzte Band der Trilogie bald fertiggeschrieben sein werde. (Unterhalb dieses Beitrags ist ein Link zum jeweils vorhergegangenen Beitrag.) Nicht ganz unerwartet wandelte der Text aber plötzlich Gestalt. Es war dramatisch. Jahrelange Arbeit schien mir plötzlich Sinn und Gestalt zu verlieren. Ich war erstaunt, erschöpft, verunsichert und auch enttäuscht. Im Laufe der Wochen danach, und als schwere Geburt wandelte sich der Text vollkommen. Hier ist ein Auszug der neuen Version des Romans, der bisher den Arbeitstitel «Freundschaft Genossin» trug.
Eine tiefgehende Veränderung fand an einem Mohnblumentag statt: Umgeben von dunkelroten und orangefarbenen Blüten stand ich im unteren Teil des Gartens, stand auf der Erde, die mich und alle Menschen fraglos trägt. „Ich benötige keinen interstellaren Pass, um auf diesem Planeten Erde sein zu dürfen, keine Eignungs-Prüfung, keine Zulassung, kein Leumundszeugnis, keine Sprachkenntnisse. Diese Mutter Erde, unser wunderbarer blauer Planet, trägt mich fraglos, trägt uns alle grosszügig und ohne Unterscheidungen zwischen uns zu treffen.“ Ganz deutlich war die Erkenntnis in diesem Moment, und auch schmerzlich. Im Mohnblumenrot des Mittags stand ich unter blauem Himmel, stand lange, setzte mich auf einen der Felstritte, sass, in der Stille.
Im Schreiben wie im Gärtnern war ich in eine Sackgasse geraten. Hatte es mit dem russisch-ukrainischen Krieg zu tun? Mit der endlosen Pandemiegeschichte, mit den Trollfarmen im Internet, mit der mir neu erscheinenden Fragilität der Demokratie als Lebensform? War ich zornig, war ich traurig?
Vom Garten ging ich direkt ins Büro und schrieb einen Satz: «Ab heute bin ich Blumenschreiberin.»
Und:
«Ich will dem Garten keine Gärtnerin mehr sein!»
Ich stieg vom illusorischen Thron der Herrscherin des Gartens und des Schreibens herab – auf die Erde. Je mehr ich die Vorstellung, Gärtnerin eines Gartens zu sein aufgegeben habe, umso klarer erscheint seither im Garten das Gewebe der Welt, das glitzernde Spinnen-Netz der Kunst. Blut und Erde, Krieg und Frieden, Hunger und Rosenduft und Holz, Rucola und kleine Raupen, Lavendel, Kohlweisslinge, Nützlinge, Schädlinge, Metamorphosen, Weisheit, was noch?
Heute ist ein Gewitter aufgezogen. Blitze und Donner dauerten nur kurz, zogen weiter. Im Frühsommerregen sitze ich nun unter dem Vordach im Freien, verzaubert, im Augenblick. Als sähe ich alles zum ersten Mal. Die Felsplatten, die zwischen den Beeten durch den Garten führen, hatten anfangs dunkle Punkte von den ersten Regentropfen. Jetzt glänzen sie regennass, schimmern grünlich. Wo genau ist diese Wolke des heftigen Regens? Ist sie genau über mir, oder schon weitergezogen? Wie lange dauert es, bis der Regen nach seiner feuchten Geburt aus den Wolken bis auf dieses Stück Erde rauscht, herunter zu mir? Existiert Zeit für einen Regenschauer? Leben die die Regenwolken und ich in verschiedenen, übereinanderliegenden Welten?
Wassertropfen fallen klingend auf das Vordach. Im Garten fallen die letzten Mohnblüten unter dem Regen. Dunkelrot und nass liegen sie wie verstreute Seidenstücke.
Bis gestern war Mohnblumenzeit.
Karin Koppensteiner 07.05.2022 Allgemein Keine Kommentare
Inspiration gehört zur Kunst – aber auch in den Alltag
Wirtschaftskrise, Klimakrise, Krieg, Elend in Afrika, in Asien, einige Jahre Covid-Pandemie, Waldbrände, Überschwemmungen, noch ein Krieg, Klimakrise. Wir leben als Kollektiv in harten Zeiten, jeder von uns ist gefordert. Improvisieren, sich bescheiden, und sich, auch politisch, nicht mehr auszukennen ist für uns verwöhnte Mitteleuropäer neu. Verschärft wird die Situation seit wenigen Jahren noch durch selbsternannte «Welterklärer» in den sozialen Medien.
Nicht nur mir, sondern auch vielen anderen Menschen, die ich kenne, fehlt es immer öfter an Inspiration. Ich fühle mich dann tagelang etwas «flügellahm». Der einzige Weg, den jede für sich persönlich aus den diversen Dilemmas finden kann, so sehe ich das, führt über Einfachheit, Klarheit, Herzensgüte, Kreativität – und Inspiration.
Eine Kursteilnehmende hat mich kürzlich während eines Workshops gefragt, wie es für mich ist, mit der Inspiration. Ob ich auch immer ein Notizheft bei mir führe, damit ich schnell alles aufschreiben kann, wenn die Inspiration auftaucht?
Ich wusste nicht so recht, was antworten. Ja, ich trage seit meiner Jugend meistens eine Art Notizbuch mit mir. Es ist ein kleines Heft, in welchem ich aber mittlerweile eher Einkaufslisten notiere, oder, beim Lesen unterwegs, Zitate aus Texten herausschreibe. Gelegentlich findet auch ein Gedicht oder ein besonderer Satz den Weg in das Heft für unterwegs.
Meine Antwort an diesem Tag fiel daher etwas dürr aus: die Kunst-Arbeit sei eben mein Beruf, da arbeite ich kontinuierlich, mit und ohne Inspiration. Und: „Man kann auch Tonaufnahmen mit dem Handy machen…“
Und die Inspiration? Ist sie wirklich nötig?
In Zeiten wie diesen scheint diese Frage fast überflüssig: Natürlich brauche ich Inspiration zum Leben! Sonst werden die Tage eine schale Angelegenheit, ein repetitives sich Einfügen in die Geschehnisse, die scheinbar von anderen diktiert werden.
Inspiration ist für mich auch eine Erfahrung von innerer Freiheit, ein Moment in welchem aus etwas, mit dem ich mich beschäftige, und für das ich keine Lösung finde, etwas Neues, Unerwartetes hervortaucht. Eine innere Weite stellt sich ein, neue Sichten, tiefes Durchatmen. Es ist ein klar erkennbares, wenn auch kurzes Ereignis. Kraft wird dadurch hervorgerufen, die sich in meiner Arbeit, in meinem Leben, ausbreitet. Danach fällt alles auf seinen Platz, wie von selbst. Geht es ums Schreiben, scheint die Geschichte sich selbst zu erzählen. Ich brauche nur zu schreiben. Menschen die mit dem Begriff «Flow», auch aus dem Sport, vertraut sind und solche Momente erlebt haben, wissen, wovon ich hier schreibe.
Ich will inspiriert sein und andere Wesen inspirieren, auch im Verlauf meines Alltags. Ich lächle, zum Beispiel. Auch in der Öffentlichkeit. Sicherlich hat meine tägliche buddhistische Praxis der letzten vier Jahrzehnte beigetragen, dass ich diese innere Weite hervorholen kann, die Freiheit, in meinem Alltag sanft aber bestimmt ja oder nein zu sagen.
Manchmal erscheinen inspirierte Momente beim Gehen oder in Gesprächen mit anderen Menschen. Beim Lesen kann ich Inspiration in Büchern finden, die mich berühren – oder sie erscheint in der Stille eines Zimmers an einem Winternachmittag. Sogar beim Kochen kann es diese Momente geben, wenn einige Zutaten, die gerade zur Hand sind, sich bereits in meiner Fantasie zu einem ungewöhnlichen Gericht kombinieren, und ich während des kreativen Zubereitens nur noch mit dem Geruchssinn die einzelnen Gewürze dazu aussuche – und es dann köstlich schmeckt.
Was benötige ich, um einen Zustand der Inspiration zu finden? Sicherlich vor allem eine entspannte Umgebung, innere Ruhe und auch ein Gefühl von Angenommen-sein in der Welt. Mich selbst annehmen, Selbstwert in dem, was ich gerade mache. Es gibt einige Orte, die ich aufsuchen kann, wenn mir die Inspiration für meine Arbeit ganz abhandengekommen ist: einen Wald, einen See, eine Stadt, ein schönes Museum, ein Museums-Café.
Vor einigen Tagen war ich an einem meiner Lieblingsorte in der Schweiz, dem Museum Rietberg in Zürich. Ich hatte gerade Zeit genug, um einige jener antiken Figuren zu besuchen, deren Betrachtung mich immer wieder berührt. Im Untergeschoss des Neubaus, in der ausgestellten Sammlung, ging ich zuerst zu den drei etwa fünfzig Zentimeter großen Tänzerinnen aus Terrakotta, ein Fund aus China. Vielleicht, weil es wirklich nur ein kurzer Besuch bei ihnen war, fielen mir diesmal die Gesichter und der Gesichtsausdruck jeder der Tänzerinnen besonders auf. Ich stand nahe bei ihren Gesichtern, durch eine Glasscheibe von ihnen getrennt.
Sie haben die Armbewegungen von Tanzenden, ihre Gesichter wirken nicht unbedingt han-chinesisch. „Die sind ja tieftraurig!“, dachte ich. Mein Herz öffnete sich beim Betrachten für einen Moment «aller Trauer». Es kam eine Welle der Zeit. Ich spürte den Gruß eines Keramikkünstlers – über mehr zwei Jahrtausende hinweg – spürte seine Trauer, erfühlte, wie er oder sie jedes dieser Gesichter mit einem eigenen Ausdruck zeitlosen Ernstes versah. Dieses berührt werden, und mich berühren lassen beim Betrachten asiatischer Tonskulpturen aus dem 3. Jhd. v.Chr. wirkt noch immer nach.
Ich sage: „Es war eine besondere Art der Inspiration.“ Sie wird, bei Gelegenheit, wenn ich an «Freundschaft Genossin» weiterschreibe, wieder hervorkommen und etwas in die Entstehung der Geschichte einbringen.
Was es sein wird, weiß ich noch nicht.
Doch ich freue mich darauf.
Diese Serie von BLOG-Beiträgen ist seit dem Jahr 2020 der Entstehung meines Buch-Projektes «Freundschaft Genossin» gewidmet.
Karin Koppensteiner 19.04.2022 Allgemein Keine Kommentare
Diese Serie von BLOG-Beiträgen ist seit dem Jahr 2020 der Entstehung meines Buch-Projektes «Freundschaft Genossin» gewidmet. Davor, seit 2014, waren andere Themen im Mittelpunkt, auch meine Workshops und Kurse.
In den letzten zwei Jahren haben wir weltweit grosse Veränderungen erlebt. Jede und jeder von uns hatte eine neue Welt im eigenen Alltag zu verarbeiten. Zuerst war es die Covid-19 Pandemie, tiefe Einschnitte in die Arbeitswelt, die schmerzliche Spaltung unserer Gesellschaft via Internet und sozialen Medien. Lügenmeldungen als Neuigkeiten, dreist, das war für mich in Mitteleuropa doch auch neu.
Auch bei mir, wie bei vielen Menschen, fand am Anfang dieser unbedingten Krise eine radikale Einkehr statt. 2020, im ersten «Lockdown» mit viel Kontemplation, Entspannung, und Ungewissheiten über die Art der Covid-19 Viren.
Als ich zu meinem Geburtstag 2022 gezwungen war, einen weiteren Krieg in mein Blickfeld aufzunehmen, einen zweiten Überfall Russlands auf die Ukraine, hat plötzlich auch die etwas schwerfällig gewordene Arbeit an «Freundschaft Genossin» unerwartete neue Dynamiken erlebt.
Die Idylle am Grünen See war gesprengt worden.
«Freundschaft Genossin» – diesen Titel hatte ich kurz vor Beginn dieses Schreib-Projekts, spielerisch, an einem 1. Mai ausgewählt. Der Titel stand am Anfang dieses Buchprojekts. Es sollte um das warme Gefühl des Herzens gehen, unerlässlich für alle Schwierigkeiten, finde ich. Freundschaft, Fürsorge für andere, Solidarität, Miteinandersein und füreinander einzustehen waren die ersten Themen für ein Buch, begonnen in einer internationalen gemeinsamen Covid-Krise. Nun hat der Titel einen doppelten Boden bekommen – die Genossen Russen machen Krieg – und was und wieviel hat das mit mir zu tun? Reicht es nun, angesichts der neuen Weltlage, die Kräfte des Herzens zu beschwören, wie in «Freundschaft! Genossin»?
Anfang dieses Jahres 2022 hatte ich eine Serie von kurzen Geschichten beisammen gehabt. Fast alle wurden von meinen Figuren direkt erzählt. Diese «Figuren» – das sind die Protagonisten aus den beiden vorhergegangenen Teilen der Trilogie, etwa John, Silvia oder Franco und neu eine Gruppe junger «KlimastreikerInnen und Rebellinnen», die ein Sommercamp am Ufer des Grünen Sees eingerichtet haben.
Jeden Abend – im Buch ist noch teilweise Lockdown wegen der Covid-Pandemie – erzählt jemand eine Geschichte – in einem idyllischen, wiederbelebten Gemüsegarten, zwischen Trockensteinmauern – umgeben von einem Gartenzaun. Eine Inspiration war sicherlich Boccaccios „Decameron“ Während der Pest-Epidemie im 14. Jahrhundert, flieht eine Gruppe junger Menschen aufs Land, in die Nähe von Florenz. Dort erzählen sie einander, leicht gelangweilt, frivole Geschichten, um am Leben zu bleiben.
Die Frivolität fehlt meinen Figuren – den jungen Rebellinen. Sie leben jetzt, nicht damals. Sie hinterfragen unsere westliche Lebensweise in ihren Erzählungen, aber sie finden dabei auch zu ihren eigenen Kraftquellen.
Für die jungen Aktivisten in ihrem Zelt-Camp gab es bittere Fragen ohne fertige Antwort. 2022 kann niemand einfach nur noch im Weltuntergang zaubern, empört sein, vegan essen und täglich stand-up-paddeln auf dem Grünen See. Und der wilde Garten, Zitat für «das Gezähmte» seit dem ersten Teil «Der Pilgerweg heim», lief plötzlich Gefahr zum Witz in einer Apokalypse des Sarkasmus zu werden.
«Sorry!», sagte ich eines Tage im März 2022 zu meinen Roman-Figuren: «Sorry, wir haben hier in der Produktion aufgrund der Weltlage ein gröberes Problem, und ich kann mich vorübergehend nicht mehr um euch kümmern.»
Ich lieh mir das Boot aus, das sonst eigentlich meine Figuren verwenden. An einem kalten Frühlingstag fuhr ich mit Walensee-Heidi hinaus auf den Grünen See. Dort, auf der Oberfläche des Grünen Sees, mit der Kraft von Felsen und Wasser, entspannte ich mich, Blick in die Wellen, ins Wasser, zur Felswand, auf den See, in die Berge.
Wie kann ich mit Sprache erzählen, die beliebig geworden ist, und, oft unerkannt immer mehr eine Propagandasprache wird? (Siehe vorhergehenden BLOG vom 7. März)
Ratlosigkeit anzuerkennen und sie sein zu lassen hilft mir immer!
«Was auftaucht: Es ist Teil meiner Welt, es darf jetzt sein!» Das ist für mich eine wichtige Übung im Umgang mit Schwierigem.
Am Tag nach dem Ausflug auf den See liess ich mich im Büro auf das Zeichnen und Malen ein. Grossformatige Blätter lagen bereit, Buntstifte, Ölkreiden, Acrylfarben.
Wortlos nahm die Inspiration ihren freien Lauf: Einige Rhinozerosse rasen in Panik quer durch das Gebiet um das ‘Seehotel’.
Als Kulissen hängt danach das verbrauchte Ambiente von «Pilgerweg heim» schief am Ufer. Der Gartenzaun, schon vorher alt und schief gewesen, ist nun kaputt. Das Ambiente aus den vorhergehenden Büchern enthüllt ihr wahres Sein, eine Kulisse – eine Illusion. Das Sommercamp ist teilweise flachgetrampelt.
Sogar die wilde Felswand oberhalb des «Seehotels» bekam einen Riss.
Auf einer der Zeichnungen betrachtet die Autorin vom See aus, in einem kleinen Boot sitzend, die Ereignisse am Ufer: Es ist das definitive Ende einer letzten Idylle.
Trotzdem werde ich den Namen der Bahnstation am anderen Seeufer auch im dritten Teil der Trilogie beibehalten: «Walden».
Ich kann die Blüten betrachten, die auf einem zerhackten Informationsfluss schaukeln. Das ist Politik, das ist Manipulation, das muss ein Irrtum sein, oder? «Radikales Staunen» über mein Nichtverstehen setzte in den Tagen nach meinem Ausflug auf den See und den Zeichnungen ein – die gewollte Ratlosigkeit setzte einen Schub kreativer Energie frei.
«Ich werde weiterschreiben, aus ganzem Herzen. Ich werde die begonnenen Geschichten in die Welt setzen, in die neue europäische Welt, wie sie jetzt ist.»
Soll das entstehende Buch weiterhin den Titel «Freundschaft Genossin!» tragen?
Wohin mit den Rhinos?
Ist das Ganze ein Theaterstück?
Welcher Krieg ist das?
Auch diese Fragen an mich selbst setzten Energie frei.
Ich lese noch einmal das unfertige Manuskript von «Freundschaft Genossin!», finde, dass der Text eigentlich schon recht gut ist – dass er aber meiner momentanen Sicht auf die Ereignisse der Welt nicht mehr genügte.
Wie geht’s jetzt weiter?
Karin Koppensteiner 21.02.2022 Allgemein Keine Kommentare
Licht
Lange war Vieles unklar, wir lebten in Europa einen Ausnahmezustand, der innerhalb kürzester Zeit die bekannte Welt erfasst hatte. Nun verebbt die Omikron-Welle, in der Schweiz ist Maskentragen nicht mehr Pflicht. Wir tasten uns, einzeln und als Kollektiv etwas unsicher weiter. Was kommt jetzt? Keine Maske tragen als neue Normalität?
«Es soll nun endlich Normalität geben!», dieser eine Wunsch scheint im Moment Menschen jeden Alters zu vereinen. «Normalität» erscheint als ein sicherer Ort, wo viele Probleme wieder verschwunden sind. Werden sich in dieser «Normalität» alle Abgründe wieder schliessen, in die wir als Kollektiv, aber auch persönlich, hineingeschaut haben? Werden sich die Probleme, die wir als Menschheit in den letzten 500 Jahren geschaffen haben, von selbst lösen? Und wir in unserer Normalität weiter konsumieren? Oder werden wir auf «starke Männer» warten, die die Probleme aller lösen wollen, wie das schon vor circa 100 Jahren in Europa das letzte Mal geschah, siehe Mussolini, Hitler, Stalin.
Bei mir gibt es keinen Wunsch nach «Normalität». Ich habe mich selbst, mein direktes Umfeld, meine Lebensweise und meine Überzeugungen, während der letzten 24 Monate genau beobachtet. Ich war zu Beginn der Pandemie wieder neugierig auf Politik, verfolgte Pressekonferenzen, erinnerte mich an einen Bericht des ‚Club of Rome‘ aus den 1970er Jahren, las viel, hörte mir (anfangs noch) an, was die Freunde und Bekannten über diese Epidemie sagten. Erschreckend, wie viele sie verneinten. So als könnte man ein grosses Problem wegsprechen?
Ich habe aber auch den Sturm auf das Capitol in den USA in den Medien verfolgt, war wirklich verstört davon. Hält sich nicht fast jeder von uns für «normal»? Es waren «normale Bürger», die sich von einem Politiker so weit haben aufhetzen lassen, dass sie zu allem fähig schienen. Als ein Mob stürmten «ganz normale Bürger» eine Parlamentssitzung in den USA, überwältigt von Manipulation und Lügen. Wie wird eine Diktatur im 3. Jahrtausend aussehen? Und was hat der Konsum der relativ neuen sozialen Medien für einen Anteil an dieser Bodenlosigkeit, die ich auch persönlich in Gesprächen während der Pandemie oft erlebte? Grenzen zwischen richtig und falsch, menschlich und unmenschlich, Wahrheit und Lüge schienen zeitweise aufgelöst.
Wenn es «nach der Pandemie» für mich einen «neuen Alltag» geben kann, dann nur, indem ich radikaler als vorher lebe. Indem ich mich als schreibende Medizinfrau den Wunden zuwende, die ich, die Menschen und meine Umwelt haben. Weiser als bisher, liebevoller als bisher – aber auch unbeugsamer als bisher.
Die ersten zwei Teile der Trilogie «Der Pilgerweg heim», vor acht Jahren begonnen, wurde in einer anderen historischen Epoche unseres Anthropozäns geschrieben. Das kann ich jetzt sagen, mit etwas Abstand zu den Ereignissen der letzten zwei Jahre. Zwar sind im ersten Teil, «Der Pilgerweg heim», innere Transformation und radikale Einkehr das Thema, ebenso wie Heimat, Fremdsein und Altern das Thema, und «die Wildnis». Doch nun – ernüchtert von uns allen – ist mein «Kleines Welttheater am Grünen See», mein Marionettentheater, wo ich die Fäden ziehe und dazu singe, Vergangenheit. Es wird keine «Normalität am Grünen See» mehr geben.
Deshalb verändere ich in diesen Tagen und Wochen die Form von «Freundschaft Genossin». Nach einigem Zweifeln kommt die Freude! Ich spüre den naiven Enthusiasmus des Neubeginns, der mir ein wenig abhandengekommen war und den jeder kennt, der/die den eigenen Pfad für ein Projekt gefunden hat. Ich bewege mich auf meinem Pfad, meinem lebendigen, pulsierenden Pilgerweg, den ich immer wieder verliere, und auch wiederfinde, im Garten meines Schweizer Lebens. Draussen – irgendwo – die Wildnis.
Gefallene Engel, Porzellan, KK 2010
Karin Koppensteiner 04.02.2022 Allgemein Keine Kommentare
Cornell (14), der jüngste im Camp und Piet (18), sein älterer Bruder – diese Beiden gibt es schon längere Zeit in der Dramaturgie von «Freundschaft Genossin», dem Roman, an dem ich gerade schreibe. Ihre «Figuren» habe ich bereits handschriftlich notiert und immer wieder ergänzt. Beispielsweise: „Cornell ist ein überbegabter Schulversager, kann noch nicht wirklich lesen. Er ist fast durchscheinend, hellhäutig, blond, schlaksig, hat riesige helle Augen, ist der jüngste im Camp. Er verlässt seine Welt des „Gamens“ für einige Salatpflanzen im Gemüsegarten. Dort findet er nachts den Vollmond und wird zum Poeten.“ Für ihn habe ich die Geschichte „Erzählung unter dem Regenmond“ geschrieben – meine Homage an den japanischen Regisseur Kenji Migoguchi.
Weitere Figuren sind ebenfalls schon Teil der Geschichte: «Tai», zum Beispiel, wurde von einer gesichtslosen jungen Frau (18) innerhalb eines Kapitels zu einer lebendigen Figur, die in der Folge die Geschichte mitbestimmte. Sie erzählt Adelheid einmal in einem Kapitel von ihrer Mühe beim abendlichen Zusammenkommen der «Klima-CamperInnen» im Seehotel und entpuppt sich dabei als weitgereistes junges Mädchen mit wilder Natur und dem tiefen Leiden eines vaterlosen Teenagers.
Der Text «Freundschaft Genossin» soll im Februar schnell weiterwachsen. Ich habe lange genug experimentiert, nun ist es Zeit, zu handeln – in diesem Fall: zu schreiben. Einige Geschichten sind zwar schon als Ideen oder Notizen vorhanden, aber noch nicht fertig geschrieben oder zu wenig ausgearbeitet.
In den letzten Tagen wollte ich mich aus diesem Grund endlich wieder «der Exel-Datei» zuwenden und die bereits aufgetauchten Figuren der «Klima-CamperInnen am See» festschreiben. Von denjenigen, die bereits Namen hatten, kannte ich bereits teilweise die Statur, Haarfarbe, Augenfarbe, falls nicht, überlegte ich, versuchte mir die Figur vorzustellen. In eine weitere Rubrik der Datei schreibe ich kurze Angaben zu bereits bekannten Charakter-Eigenschaften, eine weitere mit der Geschichte der Figur und Eigenheiten.
In der Datei ging ich auch die Figuren durch, die ich aus dem ersten Teil der Trilogie «Der Pilgerweg heim», erschienen 2015, kopiert und übernommen hatte. Ich las aufmerksam, was die speziellen Merkmale von – beispielsweise – Franco sind. Ich hatte seine „Adlerschnabel-Nase“ vergessen, aber nicht seine Art, sich oft wie ein Komiker zu bewegen, und auch nicht seine Herzensgüte. Er wird in diesem dritten Teil der Trilogie einige Jahre älter sein – ich rechnete nach – ist er zur Zeit 75? Als ich diesen Teil der Arbeit beendet hatte, kam der nächste Schritt, der etwas Mut benötigte. Meine Aufgabe war es, noch einige Figuren zu erfinden, damit eine heftigere Dynamik entstehen kann, oder Wellen, auf denen ich die Geschichten fertig schreiben kann.
Zu Beginn des Projekts «Freundschaft Genossin», 2020, hatte ich mir die jeweils zehn am meisten verwendeten Vornamen, sowohl männliche wie weibliche, aus einem Namensregister der Geburten aus den Jahren von 1999 – 2003 herausgesucht.
Aus dieser Liste wollte ich vorgestern Vormittag noch einige Namen für die Figuren auswählen, die noch schemenhaft und zum Teil namenlos waren. Die also noch ein Schattendasein fristeten, noch nicht wirklich ihren Auftritt gehabt hatten, in «Freundschaft Genossin!»
Zu Lili und Joshua, die, ebenso wie die oben erwähnten drei schon eigene Geschichte (im Buch) geschrieben hatten, suchte ich nun die dramaturgisch passenden:
Leila, Tai’s kleine Schwester kommt mit deren Mutter Brigitte und der Grossmutter «JoNonna» nur gelegentlich aus der Stadt an den See. Martin und Rosmarie sind Figuren aus dem «Pilgerweg heim». Sie suche ich in der kopierten alten Exel-Datei, verändere die Altersangaben. Sie haben drei Kinder, nur von einem weiss ich noch den Namen: Heidi. Die anderen beiden finde ich in der Datei – Altersangaben ändere ich. Sie sind die Familie Biobauern auf dem Hof, der in der Nachbarschaft des «Seehotels» ist. Dort, bei ihnen wohnen und arbeiten in einem Bergbauern-Projekt Freiwillige den Sommer über: einer heisst nun Finn – er ist ein ausgestiegener Landschaftsgärtner, ein körperlich starker junger Mann in den Zwanzigern. Die zweite Freiwillige auf dem Hof ist Lili, eine unzufriedene Biologiestudentin, die zu Albträumen neigt und gerne in die Felsen klettern geht. Sie hat bereits ein ganzes Kapitel für sich bekommen. Lili hat «Die letzte Geschichte» erzählt. Die ist mir gut gelungen.
Am Ende des Vormittags hatte ich ein Trüppchen neu Erfundener vor mir und war erleichtert.
Die neu benannten und erst kürzlich mit dem Fleisch der Eigenschaften versehenen Figuren heissen: Klara, Greta, Ida und Daniel. Damit die Geschichte von den Kids im Klima-Camp am Grünen See nicht zu sehr ins mittelständische Idyll abgleitet (soweit in diesen Pandemie-Zeiten noch irgendwo ein Idyll verortet werden kann), ist Greta, 20, arbeitende Botanik-Studentin, Tochter von italienischen Einwanderern und Daniel ist 17, Kantonsschüler, ein strebsamer, stiller Sohn bosnischer Einwanderer, beide «mit dem Auftrag beladen, es später besser zu haben».
Ich freue mich schon auf die Arbeit mit all den neuen Charakteren – die nächste Woche werde ich Überstunden machen, so viel auf einmal fällt mir ein. Die neue Dynamik der Geschichte ist – was die vielen Ideen betrifft – bereits im vollen Gang. Es ist wie Tauchgang in klarem Wasser.
Karin Koppensteiner 12.01.2022 Allgemein Keine Kommentare
Es begann etwa 1975. Als junge Filmstudentin in Westberlin lieh ich mir Bücher und Schallplatten in der Bibliothek aus. Als ich für meinen ersten Dokumentarfilm recherchierte, entdeckte ich in den Sommerferien in Wien die kühle Lesehalle der Österreichischen Nationalbibliothek. Ich verbrachte viele Wochen dort, mit Blick auf den Burggarten. Damals waren es noch Zettelkasten, nicht Computersuchmaschinen, mit denen ich Themen suchte und fand – und immer mehr! Ich benutzte damals die Schubladenschränkchen mit den Archivkarten auf denen Themen und Stichwörter aufgetippt waren. So fand ich Zugang zu den teils sehr alter Bücher, die, bestellt, jeweils am nächsten Tag für mich zum Lesen vor Ort bereit lagen. Ich glaube, damals habe ich mich zum ersten Mal «in den Büchern verloren». Anstatt, wie eigentlich geplant, kontinuierlich an dem Film-Projekt weiterzuarbeiten und zu schreiben, las ich tagelang, machte gelegentlich Notizen oder Fotokopien, kam von einem Thema zum nächsten.
In den letzten Winterwochen war mir etwas ganz Ähnliches passiert: «Freundschaft! Genossin», der dritte Band der Trilogie «Der Pilgerweg heim» spielt sich Grossteils in einem umzäunten Gemüsegarten ab. Dort werden Geschichten erzählt. Unterhalb jeder der Geschichten vibriert ein Thema.
Da eine meiner Leidenschaften die Erforschung der Pflanzenwelt ist, gelangte ich über die Lektüre von Büchern immer tiefer in das Phänomen Gaia, jene in sich selbst existierende natürliche Oberfläche unseres Planeten, die sich ständig regeneriert und neu hervorbringt. Im Grenzbereich zwischen Biologie und Philosophie fand ich mich an einem Tag in einer Abenddämmerung lesend wieder, schaute auf, und dachte: «Jetzt hab’ ich mich bald überlesen» – und es fühlte sich ein klein wenig so an, wie zu viel Sachertorte auf einmal gegessen zu haben – Moment der Überfülle! Ideen anderer, Wörter in verschiedenen Sprachen, Hinweise, Zitate von Texten aus anderen Jahrtausenden. Lynn Margulis, Timothy Morton, Emanuele Coccia, Philosophie, Evolution, Pflanzenleben, Bakterien, Fashion Changers – das Gebiet ist breit und dehnt sich in alle Richtungen weit aus
Ein kleines Lob auf das «Objekt Buch» will ich hier noch anfügen. Bücher haben mich mein ganzes Leben begleitet. Oft fand ich entscheidende Hinweise auf Lebensfragen in Büchern. Aber auch im Gespräch mit belesenen Menschen sind mir neue Fenster aufgegangen. Ich habe nie zum elektronischen Buch gewechselt. Den Luxus, meine Zeit mit einem Buch – oder einem Stapel Büchern – einer Teekanne und einer Tasse Tee an einem Wintertag lesend (und auch Notizen machend) zu verbringen, möchte ich in meinem Alltag nicht missen.
Ich höre oft das Argument, man hätte doch immer weniger Zeit zum Lesen. Lesen ist für mich eine Gewohnheit, die ich aufgeben und mir auch wieder angewöhnen kann. Etwas weniger Zeit für etwas anderes aufgewendet, bedeutet dann, eine halbe Stunde lesend, mit einem Buch, zu verbringen. Mache ich das täglich, ist es nach einigen Tagen keine Frage mehr, ob ich eine Stunde Zeit zum Lesen finde.
Einige der Bücher, die ich in den letzten Wochen und Monaten gelesen, oder teilweise gelesen habe, zeigen die Fotos. Diejenigen des Philosophen Byung-Chul Han und «Interbeing» von Thich Nhat Han fehlen hier, sie habe ich schon in älteren Blogbeiträgen vorgestellt. Nun werde ich wieder mehr schreiben.
ÜBRIGENS: unterhalb dieses Blogbeitrags befindet sich der unterstrichene Text: Vorheriger Artikel. Draufgedrückt – geht es rückwärts ins Archiv der Blog-Beiträge bis hin zum allerersten – Anfang Januar 2015.
Karin Koppensteiner 27.12.2021 Allgemein Keine Kommentare
Zutiefst miteinander verwoben sein
Der Begriff «Interbeing», ist ein neuer und komplexer Fachbegriff. Ursprünglich vom vietnamesischen Mönch und späterem Friedensnobel-Preisträger Thich Nhat Hanh geprägt, oder «erschaffen» wird dieser Begriff mittlerweile breit gestreut in Philosophie, Ökologie, Ökonomie und Tiefenökologie und deren Mischgebieten verwendet. Die von Thich Nhat Hanh in den Neunzehnhundertsechzigerjahren während des Vietnamkrieges ins Leben gerufene Bewegung nannte er «Order of Interbeing», deutsch: «Orden des Inter-Seins». Es geht dabei um «Engaged Buddhism», also «Buddhismus, der eingreift». Schon öfter habe ich mich gefragt, warum dieser Begriff so populär geworden ist, obwohl nicht sehr klar scheint, was er eigentlich bedeutet. Denn eigentlich mischt sich Buddhismus nicht ein.
In diesem BLOG-Beitrag will ich Einblick geben in die Art, wie meine tägliche Arbeit als Kunstschaffende vor sich geht, wenn ich gerade nicht schreibe. Denn ich lese und studiere fast täglich einige Stunden. Für mich ist «ständiges Weiterlernen» so wichtig wie meine Nahrung. Zum Schreiben gehört für mich das Lesen. Ich lese sehr viel über Philosophie, Buddhismus, Ökologie. Der Begriff «Interbeing» tauchte in den vergangenen Jahren vielerorts auf. Ich finde ihn in der ökologischen Ökonomie des Charles Eisenstein ebenso wie in der «Tiefenökologie» bei Joanna Macey, in philosophischen Essays und bei Ankündigungen von Achtsamkeits- oder Meditations-Retreats.
Der Begriff «Interbeing» begleitet mich seit Jahrzehnten. Er ist sicherlich durch die wissenschaftliche Erklärung der «Systemtheorie» erweitert und dadurch bekannter geworden.
Ich hatte das Glück beim Umzug von «garudabooks», der Buchhandlung meines Mannes, in der Abteilung für alte Bücher, eine erste englischsprachige Fassung der Statuten und Grundlagen für den «Order of Interbeing» zu finden. So konnte ich mir ein direktes Bild davon machen, wie der Zen-Meister Thich Nhat Hanh diesen Begriff ursprünglich verwendete und was er genau damit meint. Als ich das Buch in mein Büro mitnahm und darin las, machte ich mir für meinen Ordner «Material für Freundschaft Genossin» Notizen und Exzerpte. Dabei kam mir die Idee, Teile davon in diesem Blog zu veröffentlichen. Für diejenigen, die mehr über meine Arbeit erfahren wollen ist das sicherlich ebenso interessant wie für jene, die sich für das Konzept, den Begriff «Interbeing» interessieren. Deshalb beschreibe ich kurz, was dieser Begriff «Interbeing» alles zu bieten hat. Es sind Auszüge aus dem ersten Kapitel dieses Buches «The meaning of tiep hien»
Tiep hien ist ein vietnamesischer buddhistischer Begriff, für den es scheinbar keine andere Übersetzung in westliche Sprachen gab als «Interbeing». Er besteht aus tiep, was soviel wie «in Kontakt oder Berührung sein mit» bedeutet, und auch: «fortsetzen». Der Begriff hien kann als «Erkenntnis» oder auch «etwas jetzt hier tun» übersetzt werden.
Das, womit wir «in Kontakt sein» sollten, ist die Realität, lese ich in der Beschreibung des Autors über seine Wahl der Übersetzung und der Begriffe. Und zwar im Kontakt mit der Realität der Welt und der Realität unseres Geistes. Wer sich dieser Realität bewusst ist und in Verbindung steht mit den Prozessen, die sich innerlich auf unserer geistigen Ebene abspielen, kommt früher oder später in Berührung mit dem was wir unsere wahre geistige Fähigkeit nennen könnten, «True Mind» in der englischen Version der Übersetzung. Zu viele Menschen, so heisst es, unterscheiden zwischen einer inneren Welt des eigenen Geistes und der Welt «draussen». Doch diese Welten seien keinesfalls getrennt. Mit der Realität der Welt in Kontakt zu sein bedeutet, mit allem, was rund um uns besteht, in Kontakt zu sein, mit Glück und Leiden. Zusammenfassung: «Wenn wir die Welt verstehen, verstehen wir auch unseren Geist. Das wird die «äussere Einheit von Geist und Welt genannt».
Was das Konzept von «Fortsetzung» betrifft, so bedeutet tiep zwei Stricke zusammenzubinden, um daraus ein noch längeres Seil herzustellen. Hier gehe es um die ‘Ausweitung der Laufbahn der Erleuchtung, die mit den ersten Buddhas und Bodhisattvas begonnen hat’.
Hien bedeutet «zu verwirklichen», nicht in der Welt von Doktrinen und Ideen gefangen zu sein, sondern stattdessen Verwirklichung und Mitgefühl als Realität zu leben. Es bedeutet nicht, zuerst zu handeln, sondern zuerst sich selbst zu verändern. Wenn wir Freude und Glück mit anderen teilen wollen, dann ist es notwendig, dass zuerst Freude und Glück in uns selbst entstehen.
«Hier und jetzt tun» ist der vierte der Begriffe, aus denen «Interbeing» ursprünglich besteht. Nur der gegenwärtige Moment steht uns als unsere Realität zur Verfügung. Der Friede, nach dem wir uns sehnen, befindet sich nicht in einer fernen Zukunft, sondern ist etwas, das wir nur im gegenwärtigen Moment verwirklichen können.
Quelle: «Interbeing. Fourteen Guidelines for Engaged Buddhism” Thich Nhat Hanh, Parallax Press 1987
Karin Koppensteiner 06.12.2021 Allgemein Keine Kommentare
«Wer schweigt, macht sich mitschuldig.»
«Tränendes Herz»
Fast zwei Jahre lang habe ich mich zu Covid-19 öffentlich nicht geäussert. Auch privat habe ich, nach einigen unangenehmen Erfahrungen mit Bekannten, dieses Thema aus dem Gespräch möglichst ausgeklammert. Es war mir auch peinlich, welch bizarre Dinge manche Menschen erzählten, über die Pandemie und die Welt. Erschreckt haben mich die unhaltbaren Videos und Facebook-Beiträge, die ich zugesendet bekam und die meiner journalistischen Recherche nicht standhalten konnten.
Vor einigen Tagen habe ich meine Meinung zum Schweigen bezüglich Covid-19 geändert. Und das kam so:
An einem dunkler Abend Anfang Dezember telefonierte ich via Internet-Telefonie mit meiner Freundin Zara. Wir hatten uns, auch wegen Covid-19, lange nicht getroffen. Es war schon etwas spät, 21.00. Ich sass im Luzerner Bergland in meiner warmen Arbeitskammer im Lehnstuhl. Zara ist seit Monaten auf einer kleinen kroatischen Insel im Mittelmeer, in ihrem Ferienhaus. Sie sass in der Küche und sagte gleich anfangs es gehe ihr eigentlich gut, aber – «Ich kann nicht nach Wien zurück» – dort aber lebt sie. In Österreich ist im Moment «Lockdown». Obwohl die Ärztin sei, sagte Zara gleich zu Beginn, verstehe sie immer weniger, was es mit dieser «Plandemie» (!) auf sich habe. «Oh, je!», dachte ich. Auf solchen «Insider-Jargon» der Verschwörungsphantasten und ImpfgegnerInnen reagiere ich mittlerweile innerlich stark mit Abwehr. Zara will sich nicht gegen Covid-19 impfen lassen. Seit kurzem hat sich ihre Weigerung etwas abgeschwächt, sie hofft auf baldige Zulassung eines der Tot-Impfstoffe. Nun aber kommt der Winter, die Weihnachtszeit: «Wenn ich nach Wien reisen will, kann ich dann später nicht mehr weg. Denn in Wien wird auf alle Fälle auch weiterhin Lockdown für nicht Geimpfte sein!» Zaras Zorn schwappte unüberhörbar durch den Lautsprecher. Ich spürte, wie sich mein Magen langsam verkrampfte. Ich spürte auch die Enge ihres momentanen Lebens, wie sehr sie sich isoliert hat, die Ausweglosigkeit.
An diesem Abend habe ich mich auf eine «Impf-Diskussion» eingelassen, eigentlich rutschte ich mehr hinein, fragte nach, hörte zu, sagte meine Meinung. Auch warum ich mich hatte impfen lassen:
Den Begriff «Wir» wollte ich in die Diskussion einbringen. «Wir Menschen haben weltweit ein gemeinsames Problem: das Virus». «Wir versuchen doch alle gemeinsam, jede auf ihrem Platz, uns in dieser Pandemie zurecht zu finden, uns zu informieren, zu überleben, dabei dürfen wir aber auch die anderen Menschen nicht vergessen!» Dieser Versuch ein «Wir» mit Zara zu finden, in das Boot einer alten Freundschaft zurückzukommen, ein «Wir Menschen, alle gemeinsam» für uns in diesem Gespräch aufzubauen, zerschellte in den Wellen von Anklagen, auch gegen mich.
Eineinhalb Stunden später war ich völlig zermürbt von Zaras Welt. Ich verstand nicht, wie eine weit gereiste Ärztin eine solche enge Weltsicht von «Schuld sind nur die anderen» hatte annehmen können, anstatt zu sehen, dass das Virus, dass die weltweite Pandemie unser Problem ist. Eine tiefe Kluft entstand zwischen uns, und ich versuchte sie nicht mehr schönzureden. Ich war genervt und dachte: «Warum sind die alle nur so selbstgerecht?» Ich baute an der Kluft, die sich auftat, kräftig mit.
«Diese Kluft», sie verläuft ja mittlerweile durch die ganze Gesellschaft, war nun zwischen Zara und mir. Ich hatte diesen Graben ebenso aufgerissen, wie Zara. Denn schon während des Gesprächs dachte ich einmal: «Mit so jemandem will ich eigentlich keinen weiteren Kontakt mehr haben!» Dieser Gedanke verstörte mich, machte mich in der Nacht kurz schlaflos, ich diskutierte im Traum weiter, hoffte auf eine Lösung. Jedoch war jede Diskussion ergebnislos. Am darauffolgenden Morgen war ich nachdenklich, traurig, ratlos. «Wird der Austausch zwischen Menschen, wie wir ihn jetzt kennen, bald eine Seltenheit werden?»
Meine Motivation, mich impfen zu lassen, war ursprünglich nicht nur mich zu schützen, sondern beizutragen, dass die Pandemie weltweit weniger dramatisch werden könnte. Ob’s stimmt, werden wir erst später erfahren, und wie auch immer es ist, niemand ist schuld!
Mein erster Impftermin war am 1. Mai. Besser hätte ich meine Solidarität mit den vielen Menschen, die weniger gute Voraussetzungen als wir hier in der Schweiz haben, was Gesundheitssystem und Unterstützung im Krankheitsfall betrifft, nicht ausdrücken können. Fand ich zumindest. Ich hoffte, damit einen Beitrag zu leisten, dass möglichst wenige Menschen wegen Covid-19 leiden müssten. Ich hatte mit meinem ganzen Körper, und nach Recherchen über mrna Impfstoffe und reiflicher Rücksprache mit meinem Herzen, auf ein «Wir Menschen» gesetzt. Und ich würde es wieder tun!
Zusatz:
Mir ist noch wichtig hinzuzufügen, dass ich mich seit mehr als vierzig Jahren fast ausschliesslich homöopathisch behandeln lasse. Ich gehe zu Allgemeinmedizinern, die auch Komplementär-Medizin anwenden. Ich kenne die Theorie der Immunisierung durch Erkrankung und würde mich nicht impfen lassen, wenn es nicht unbedingt notwendig ist.
Dieser BLOG ist eigentlich der Entstehung meines neuen Buches «freundschaft genossin» gewidmet. Nachdem ich diesen Blog-Beitrag geschrieben hatte, habe ich mich entschieden, auch in dem Buch noch viel konkreter über die diversen Sichtungen in der Pandemie zu schreiben.
Karin Koppensteiner 29.11.2021 Allgemein Keine Kommentare
«Ohne Resonanz ist man auf sich selbst zurückgeworfen und für sich isoliert. Der zunehmende Narzissmus wirkt der Resonanzerfahrung entgegen. Die Resonanz ist kein Echo des Selbst. Ihr wohnt eine Dimension des Anderen inne. Sie bedeutet Zusammenklang. Depression entsteht am Nullpunkt der Resonanz. Die heutige Krise der Gemeinschaft ist eine Resonanzkrise. Die digitale Kommunikation besteht aus Echokammern, in denen man in erster Linie sich selbst sprechen hört. Likes, Friends and Follower bilden keinen Resonanzboden. Sie verstärken nur das Echo des Selbst.» (Seite 19/20) BYUNG-CHUL HAN «VOM VERSCHWINDEN DER RITUALE», Original Deutsch, bei Ulstein, 2019
Dieses Zitat habe ich einem der drei Bücher von Byung-Chul Han entnommen, die ich in den letzten Wochen gelesen habe. Es hat mir geholfen, meine Kunstarbeit neu einzuordnen – in die Welt der alltäglichen Ereignisse. Verliere ich dieses Gefühl des Verbunden-Seins mit den Ereignissen, mit der Welt, kann auch die Transformation nicht stattfinden, die in der Kunstarbeit für mich so unentbehrlich ist.
Dann kann es geschehen, und ist mir schon passiert – dass ich in einer schicken Geschichte feststecke, von der ich denke, dass da schon so viel Arbeit drinsteckt, dass ich die Geschichte schon irgendwie hinbiegen kann. Es war mir wieder passiert, in den letzten Wochen. Spät erkannte ich, dass ich nicht mehr mitschwinge, mit dem, was ich schreibe, dass es Zeit für eine kreative Pause war, dass ich schon lange nicht mehr in Resonanz mit der Welt geschwungen hatte. Wir haben auch Covid-19 Krise, es ist nicht so einfach entspannt zu schwingen….
Dieser Tage fand ich mich langsam wieder im Schreiben ein, an meinem Arbeitsplatz, im umgebauten Bienenhaus. Es ist Spätherbst, der erste Schnee ist gefallen. Nachdem ich die letzte Version des Romans «Freundschaft Genossin» definitiv verworfen hatte, – endlich! – bin ich wieder neugierig geworden. Energie und Freude am Arbeiten sind zurück. Wieder einmal habe ich erfahren, dass im Schaffensprozess auch die Krisen nicht ausgespart werden können. Ich erinnere mich, wie es diesmal begonnen hatte: Im Sommer noch schrieb ich tagelang einige Kapitel um, die mir eigentlich nicht mehr gefielen. Ich empfand es so, als wäre ich aus diesen Texten herausgewachsen. Oder auch so, als wäre ich mit einigen Teilen der Geschichte in die falsche Richtung gegangen. «Kopfgeburten» nenne ich das, wenn das Herz beim Arbeiten nicht mehr im Gleichklang mit dem Tun ist, wenn mein eigenes Schreiben mich nicht mehr zu überzeugen vermag. Krisen sind Teil des Wachstumsprozesses, ein Teil der schöpferischen Arbeit. Das klingt gut, aber in Wirklichkeit steckte ich fest.
Wie gerufen kamen «andere wichtige Dinge» zwischen mich und mein Schreib-Projekt «Freundschaft Genossin». Als ich drei Monate später wieder zur Schreibarbeit zurückkehrte, war ich am ersten Tag im Büro, anstatt neugierig und aufmerksam, sehr schlecht gelaunt. «Sehr verstimmt» gibt den Zustand vielleicht am besten wieder. Als ich in mich hineinspürte musste ich zugeben: Ich war schon seit einiger Zeit nicht mehr in Ressonanz mit mir selbst gewesen. Aber: die Schwierigkeit erkennen ist eines, aus der Sackgasse wieder herauskommen das andere. Ich konnte nicht mehr in die alte Schreibspur zurück. Es war Zeit zum Aufmerken, Innehalten. Bücher anderer Autoren zu lesen hilft; Zeit zur Ruhe zu kommen, keine einzige neue Verpflichtung mehr einzugehen ist Voraussetzung für einen guten Neuanfang.
«Warten wie eine Jägerin auf Worttiere» ist mir als Bild dazu eingefallen.
Sie kamen, pelzig, geheimnisvoll, unaufdringlich, sie wurden auf friedliche Art eingefangen. Manche wurden gezähmt, manche blieben wild. So wie ein Wort der dunklen Nacht: «Lichtwurf».
Lichtwurf
«Freundschaft Genossin» ist ein neuer Roman an dem ich schreibe. In diesem BLOG berichte ich über die Arbeit am Text.
Karin Koppensteiner 23.10.2021 Allgemein Keine Kommentare
Ablenkung
Lange Zeit ist vergangen, seit dem letzten Blog-Beitrag.
Ich hatte mich, und das nicht zum ersten Mal, vom Schreiben als Alltagsarbeit abgelenkt. Das Sich-Einfinden bei den Erzählungen, an denen ich arbeite, ist ein feiner Prozess. Seit vielen Jahren beobachte ich immer wieder wie aus einer fast zufälligen oder auch geplanten Ablenkung von der Schreibarbeit – zum Beispiel einer Projektarbeit, einem Auftrag, um etwas Geld zu verdienen, einem freiwilligen Arbeitseinsatz zum Wohl anderer, etcetera – zur «Schreibfalle» wird. Ich verliere die Kontinuität des Schreibens und damit auch, ganz langsam, die Selbstsicherheit, die sich mit diesem alltäglichen Schreiben einstellt. Zwischen drei bis fünf Stunden schreibe ich täglich, wenn ich im Fluss der Geschichte und motiviert bin.
Selbstzweifel
Selbstzweifel stellen sich manchmal ein, wenn ich mehr als einen Monat meine Arbeit unterbrochen habe. Ich habe dann im wahrsten Wortsinn den Faden verloren, aus dem das feine Gewebe einer Geschichte entsteht.
Diesmal waren es eine wunderbare Bergreise, Ferien, gefolgt von einem Freiwilligeneinsatz im buddhistischen Ambiente, die mich mehr als drei Monate vom Schreiben ablenkten.
Zwar habe ich viele starke Eindrücke und Kraft von den Reisen und Aktivitäten mitgebracht, Notizen, Fotos, Zeichnungen, doch als ich mich wieder in mein Büro setzte, musste es – schon wieder! – zuerst einmal geputzt werden, tote Fliegen lagen vor der Fensterfront, Staubbällchen flogen zart am Fussboden die Wand entlang. Dabei hatte ich doch erst vor einem Monat, bei einem Zwischenstopp zu Hause das Büro geputzt. Würde ich von nun an das Büro nur noch putzen? «Will ich wirklich diese seltsame Idee, ein Buch über Erzählungen zu schreiben weiterverfolgen?»
Waren nicht andere Ansätze für diesen dritten Teil der Trilogie des «Pilgerwegs», mit dem Arbeitstitel «Freundschaft Genossin» besser gewesen? Sollte ich neu beginnen? Oder vielleicht lieber einen Quantensprung machen und aus dem dritten Teil einen Gedichtband machen? Ich hatte in den letzten Monaten unterwegs sehr viel gelesen und war, nach langer Zeit, wieder auf die Dichte der Gedichte gestossen. Und zwar in einem Buch über die Dinge und ihr Gegenteil, den beständig vorhandenen Informationsfluss verarbeitet von künstlicher Intelligenz: «UN-Dinge» vom (deutschsprachig schreibenden) Philosophen Byung-Chul Han. In diesem findet sich auch ein Plädoyer für das Gedicht, als einem «Ding» der Literatur.
Die Kur
Es war eine mühsame Woche – ich stellte meinen Arbeitsplatz, dann mein ganzes Büro um. Am Ende brachte ich Ordnung in den grossen Schrank – alles Arbeiten, die mich immer weiter ablenkten. Ich konnte mich nicht im Arbeitsalltag des Schreibens einfinden. Als ich auf dem neuen, improvisierten Büro-Sofa sass und mich umschaute, spürte ich der Selbst-Diagnose nach: «Zu viele Selbst-Zweifel, Minderwertigkeitsgefühl». Ein gutes Hilfsmittel, wenn diese störenden, aussaugenden Ideen des «Ich kann es nicht», «Ich bin nicht gut genug», «Eine gute Karriere als Schriftstellerin habe ich grossräumig verpasst» und vieles mehr an selbstverkleinernden Gedanken auftauchen, ist Folgendes: Ich öffne eines meiner Bücher oder eines der Bücher, die ich im Laufe der Jahrzehnte übersetzt habe, und von denen Ansichtsexemplare in meinem Büro stehen.
Ich öffne das Buch an irgendeiner Stelle. Diesmal öffnete ich den «Pilgerweg heim» – las darin, wurde erfasst von dem Fluss der Geschichte, weiter- und fortgetragen auf sicheren Boden. «Was für eine wunderbare Geschichte!» dache ich und: «Ich hatte diesen Teil ganz vergessen!».
Entspannt und gestärkt Boden konnte ich danach am Schreibtisch sitzen, die Gelbfarbigkeit der Herbstblätter in der Oktobersonne geniessen, aufschauen, erste Sätze schreiben.
Sanft beginnen, mich nicht gleich überfordern, nicht gleich die «Worte auf dem Wind» schreiben wollen, oder sie «in einer Geschichtslosigkeit verharren lassen», wie ich es mir im August wünschte.
Ich holte heute die letzten beiden Erzählungen von «Freundschaft Genossin» aus dem digitalen Ordner hervor, ein erstes virtuelles Blatt öffnet sich auf dem Bildschirm: Lesen, korrigieren – dann weiterschreiben.
In diesem Blog veröffentliche ich seit Jahren Nachrichten von meiner Schreib-Arbeit. Im Moment arbeite ich an einem dritten Teil der Romantrilogie „Der Pilgerweg heim“, mit dem Arbeitstitel „Freundschaft Genossin“.
Karin Koppensteiner 02.09.2021 Allgemein Keine Kommentare
Erzählen auf dem Wind
Stille – wie drücke ich Stille aus – im Erzählen mit Worten?
Wie im vorhergehenden Blogbeitrag über die Entstehung des neuen Romans «freundschaft genossin», versuche ich auch hier zu beschreiben, wie ich mich im Erzählen einer Geschichte übe. Eine Geschichte schreiben will ich, so leicht, wie auf eine Brise Wind gesprochen .
Im «Maiskorn» erzählt «die neue Frau» Nora eine Verflechtung von Geschichten aus der Vergangenheit. Die Vergangenheit kommt dadurch nicht zurück. Aus unserer Vergangenheit sind uns vage Bilder geblieben, Gesichter längst Verstorbener, Eindrücke, Gerüche, Kinder. Alles wird erzählt. Ich bin die Erzählerin, die erzählt, wie jemand anderer erzählt, was ich erzählen möchte. Bilder verweilen kurz, innerlich in Schwebe, auch Klangbilder, während die Protagonisten jeder einzelnen Geschichte von «freundschaft genossin» ihr Erzählen fortsetzen und immer wieder alles ins Leben rufen. Sie erzählen einander die Welt, eine bessere Welt, eine alte Welt, eine stille oder eine laute Welt.
Kaum je befinden sie sich dabei in der Gegenwart. Ist es ihr Abschweifen in die Vergangenheit, das die Welt nicht neu erschafft? Kann eine neue Art des Erzählers die Welt verändern?
Die Erzählenden im Kapitel «Maiskorn», lauschen gelegentlich, innehaltend im Fluss der Wörter, so wie ich jetzt: hinhören auf die leisen Töne, etwa wie der Wind im Gelb der Maisblüten klingt, die Melodie der Pappeln am Bach, das langsame Schwinden der Grillengesänge im September, eine Fremdsprache, und wieder ein Flugzeug hoch am Himmel.
Um diese Spannung der Stille im Worteflechten halten zu können, tut es mir manchmal gut, einfach wegzugehen. Ich nehme mir einen halben Tag frei.
Kreativität will immer wieder genährt sein. Ich fahre an einem Nachmittag vom Bauernland weg, spontan und planlos, an einen Ort, der mich inspiriert – ich fahre «in die Stadt». Diesmal ist es, wieder einmal, das Rietberg Museum in Zürich, wo ich lande.
Eine alte chinesiche Holzfigur, grösser als ich selbst.
Die Bronze-Statuen aus dem Himalaya-Raum, bis ins 8. Jahrhundert zurückdatiert, strahlende Stille.
Ich verliere mich im Tanz der alten Tonfiguren,
tanze mich durch tausende von Jahren, durch mich, in die Welt.
BLOG ZUM BUCH: «freundschaft genossin» ist ein neuer Roman, an dem ich schreibe. In diesem BLOG berichte ich über das Arbeiten am Text.
Karin Koppensteiner 07.08.2021 Allgemein Keine Kommentare
Es ist ein Regentag, ein kühler Sommermorgen Anfang August in der Deutschschweiz, ich frage mich: was ist schon wieder alles zwischen mich und die Kunstarbeit gekommen? Es war nicht nur etwas, sondern viel, es war eigentlich: mein Sommerleben; und eine unerwartete Übersetzungsarbeit, dazu noch ein Projekt in Italien, ich habe mir schon wieder zu viel aufgehalst, «zu viel zu tun».
Die Tage wechseln immer wieder Windrichtung. In den letzten Wochen hat sich mein Leben stark nach Aussen orientiert. Ich war innerlich und äusserlich «unterwegs», aber nicht «in den Ferien». Ich befinde mich jetzt wieder in Schongau, an meinem Schreibtisch. Am Buchprojekt «Freundschaft Genossin» habe ich seit Langem nicht mehr geschrieben, auch nicht auf dem Laptop, der doch immer dabei war. Gelesen habe ich, zu den Hauptthemen des Buches, beispielsweise Charles Eisensteins Buch «Klima».
Vorgestern war eine kalte Regennacht, ich habe schlecht geschlafen. Das Grenzgehen zwischen Tag und Traum lösten sich gestern früh in Erschöpfung auf. Hatte ich mich unter den vielen Regenfällen am Vortag erkältet? Es sind diese Lebens-Momente, in denen sich der sachlich so gut verwaltete Alltag kurz auflöst, eine kleine Krise entsteht, bleibt, ist scheinbar endlos, geht vorbei. Heute kam eine Öffnung für den kreativen Fluss – scheinbar mühelos. Ich beginne wieder zu notieren, dann, zu schreiben, ein weiteres Kapitel für «Freundschaft Genossin». Dazu notiere ich den Umriss des Kapitels, einige Stichworte, beispielsweise «Maiskorn».
In «Freundschaft Genossin» geht es ja darum, was eine Gruppe von Menschen einander erzählt. Sie rufen die Welt hervor mit ihren Erzählungen – eine neue Welt, eine Welt des Herzens.
In diesem Kapitel «Mais» will ich mich mit der «Zartheit», der «Weglosigkeit» der gesprochenen Sprache des Erzählens beschäftigen. Es ist das rein mündlichen Erzählen, ohne Schrift, wie es zehntausende von Jahren lang übermittelt wurde. Und darüber werde schreiben ich in diesem Kapitel.
Heute allerdings mache ich mich auf, um «Mais» zu finden, zu studieren, zu zeichnen. Der Maiskolben, den ich finde ich noch unreif. Ich hatte vergessen, wie feuchter Mais riecht, fremd, vertraut, herb.
Im eben begonnenen Kapitel «Mais» ist es Nora, die erzählt. Ihre Geschichte entfaltet sich aus einem Maiskorn:
«Spurlos verschwunden sind die Gesänge der Menschen, die hier lebten. // Spurlos verschwunden ist auch das, was sie einander erzählten, in tausenden Jahren. // Spurlos ist die lange Geschichte der Menschen, wenn sie keine handfesen Dinge zurücklassen. // Ein Hauch alten Sagens ist noch hier, das tut gut. // Geblieben sind einige Körner Mais.»
BLOG ZUM BUCH: «Freundschaft Genossin» ist ein neuer Roman an dem ich schreibe. In diesem BLOG berichte ich über die Arbeit am Text.
Karin Koppensteiner 24.06.2021 Allgemein Keine Kommentare
Wilder kalifornischer Mohn
Wildnis und Garten sind als Themen für die Roman-Trilogie, an der ich seit 2013 arbeite, sehr wichtig.
Im «Pilgerweg heim», dem ersten Teil, sprechen im Kapitel «Silvias wilder Garten» zwei Frauen über die Wildnis der Liebe, Zäune, Übertretungen, und den Garten. Sie sitzen dabei auf einer Trockensteinmauer, in einem «wilden Garten», am Grünen See.
Anfügen möchte hier aber auch, dass es mir auch um die Wildnis unserer kollektiven und individuellen Gefühle geht, die archaischen Wurzeln unserer Gefühlswelt und ihre Zivilisation. Und ihr Abdrängen in die Abgründe, den Schatten, in «das Andere», das Unbewusste. Was so ein kollektives Verdrängen von wirklichen Gefühlen wie Angst und Unsicherheit bewirken kann, haben wir im letzten Jahr sehr eindrücklich gemeinsam erfahren: das natürliche Gefühl der Angst angesichts von Ungewissheit und Gefahr wird in Kontrolldenken, in Sündenbock-Suche und vieles andere Bizarre umgewandelt. Und was das Unterdrücken der Liebe als eine gemeinsame Lebensform bewirkt, sehen wir an dem, was wir unserer Mitwelt antun, der Natur im weiteren Sinne, dem Wasser und letztendlich uns selbst als Menschheit.
In «Bonsai» taucht, als Symbol wieder eine Pflanzenform auf: die brutal-künstlerische Form des wurzelbeschnittenen Zucht-Bonsais und seine Wildform, ein jahrzehntelang Überlebender in Felsspalten, die kaum genügend Nährstoffe enthalten. In «Bonsai» habe ich mich sehr ausgiebig mit den Alpen beschäftigt, auch als einer Kultur-Landschaft und nicht zum ersten Mal. Die Frage nach der «Wildnis der Alpen» war auch bei dieser Arbeit gestellt. Im gesamten Alpenraum, auch in der Schweiz, waren in der letzten Eiszeit viele Täler mit Gletschern bedeckt. Mit der Erwärmung sind die Alpen schnell wieder besiedelt worden, zuerst von wandernden Jägern. Und die Berge sind, von den halbnomadisch lebenden Viehhirten, schon sehr früh bis weit hinauf an die Baumgrenze bewirtschaftet (= zivilisiert) worden. Später dann vom Alpen-Tourismus und dem Alpinismus.
Seit einigen Wochen bereits bin ich innerlich auf der Suche nach einem noch fehlenden Erzählstrang für meine Arbeit «Freundschaft Genossin». Das ist der Arbeitstitel des Romans, an dem ich im Moment arbeite. Mir fehlten noch einige starke Symbole, einige Erlebnisse und Sinneseindrücke, die auf der «unterirdischen Ebene der Schreibarbeit» das Ihre tun würden. Erst wenn ich sie klar gespürt und gesichtet habe, das weiss ich, kann ich für das Buch die endgültige Form finden. «Etwas wichtiges fehlt noch, es wird sich erst zeigen.» Das bedeutet: zur Ruhe kommen, betrachten, warten, die Sinne offenhalten und – vor allem! – den Moment der Inspiration erkennen und mit allen Sinnen erleben, wenn die Inspiration auftaucht.
Ich habe eine sehr intuitive Art, Teile einer Geschichte zu finden und dann, wie mit einem Beutestück, gleich zu schreiben zu beginnen. Wenn diese Teile sich nicht zeigen, muss ich einfach Geduld haben, mich darauf einschwingen, dass es Zeit ist, etwas Neues, Unerwartetes zu finden. Manchmal hilft es, Orte aufzusuchen, an die ich sonst nicht gehe.
Pflanzenhäuser im Botanischen Garten in Zürich/Schweiz.
Gestern war es endlich so weit: In Zürich, im neuen Botanischen Garten. Kurz vor dem Ausbruch von Gewittern, in diesem künstlich angelegten Garten, mit Pflanzen aus der ganzen Welt, hatte ich plötzlich das Gefühl auf einer oberirdisch liegenden Goldmine zu stehen. «Hier ist der Platz, an dem die Geschichte von «Freundschaft Genossin»verläuft.»
Papier-Maulbeerbaum
Mehr gibt es im Moment dazu nicht zu sagen, ich stelle noch einige Fotos aus dem Botanischen Garten Zürich zu diesem BLOG-Beitrag.
BLOG ZUM BUCH: «Freundschaft Genossin» ist ein neuer Roman an dem ich schreibe. In diesem BLOG will ich über die Arbeit am Text berichten.
Karin Koppensteiner 12.05.2021 Allgemein Keine Kommentare
Auf unserem Stück Land steht ein alter Apfelbaum. Von seinem Stamm stehen rechts und links noch zwei Teile, wie Stelzen, seine Mitte ist leer. Schaue ich durch diese weite Öffnung im Stamm, ergibt sich ein Bild dahinter, ein Rahmen, ein Blick auf die Wiese: grün, grün, Löwenzahn.
Der alte Apfelbaum blüht wieder. Die Blüten kamen schnell, kaum sichtbar war vorheriges Knospen. Scheinbar direkt und unmittelbar erschienen sie aus den knorrigen Ästen. Die meisten Äste und Zweige des Baums blieben kahl. Auf einem bereits abgestorbenen Hauptast zeigte sich an der Spitze eines dürren Zweiges, der sich flechtenüberzogen in die schüttere Krone hinauf streckt, eine einzige Blüte. Kostbarkeit des Lebens: Mit weit auseinander gestreckten Blütenblättern, weissrosa, oder apfelbaumblütenrosa, hob sich die Blüte gegen den blauen Himmel ab.
Diese Blüte ist mir Nachricht vom Sieg der Schönheit und des Lebens, auch im Niedergang. Dieser alte Baum ist seit Jahren langsam am Absterben. «Bäume sind in ihrem Leben sehr langsam!», habe ich in einem Baum-Buch gelesen. Im vergangenen Jahr, es war der Quarantäne-Frühling 2020, ereignete sich in der Wärme, ganz ohne Flugzeuge im Himmel, mit Stille, in der Natur wildes Blühen auf diesem Baum. Weissrosa Blüten, große Fülle auf dürren Zweigen, Versprechen des Lebens, bedingungslos.
Dieses Jahr ist der Baum beinahe tot. «Bäume sterben auch langsam», steht in demselben Baum-Buch. Die Blüten zeigen die letzte Baumkraft. In jenen Teilen der harten Struktur, wo noch ungehindert Wasser fliesst, ist der Apfelbaum noch lebendig, als Teil einer grösseren Gemeinschaft. Noch immer pulsiert das Leben ihn ihm, wenn auch anders, als ich es verstehe.
Was der alte Baum im Baumgarten, mir mitteilt? «Ich bin nicht allein. Ich bin Teil dieses großen Ganzen.» Er vermittelt mir in einem Augenblick die Sicht ferner Galaxien, das Hiersein vieler Mineralien und chemischen Substanzen, des Reichs der Tiere. Während ich an einen der beiden stelzenartigen Stammteile gelehnt die Nähe des Baumes suche und finde, turnt ein kleiner Vogel, es ist keine Meise, laut zilpend, nahe vor meinem Gesicht auf und ab. Ich weiss, er will mich von seinem Nest ablenken. Später verstehe ich: Das Vogelnest ist gut versteckt in einer Baumhöhle des Apfelbaums, die ich gar nicht bemerkt hatte. Dort wo die Stammteile sich wieder vereinigen und gleichzeitig die ältesten, die Hauptäste abzweigen wächst grünes Moos auf der nassen Rinde. Dort irgendwo sehe ich die den kleinen Vogel mit Wurm im Schnabel verschwinden. Ich habe die kleinen Äpfel vergessen, die im letzten Jahr auf den vertrocknenden Zweigen hingen. Fortgesetztes Leben, und vielleicht wird es auch dieses Jahr noch einige lebendige Äste mit Äpfeln auf diesem Baum geben. Äpfel sind mein Lieblingsobst, sie sind mir wirkliche Nahrung, auf allen Ebenen. Ihr Duft, ihr nasses Fruchtfleisch, die vielfarbigen Schalen, gelber Apfel; roter Apfelbaum Leben.
Bäume und andere Pflanzen, das ganze Pflanzenreich soll wichtiger Protagonist im neuen Romanprojekt «Freundschaft Genossin» werden. Die Recherche findet im Garten statt….. und ich habe mir bisher viel zu wenig Zeit für den Baum genommen. Ich sagte: ‘Ich werde über den Apfelbaum schreiben, den alten, der schon so hohl ist und fast tot.’ Ist es, dass mich sein Alter, seine raue Aststruktur, die abgestorbenen Teile, die Flechten auf den dünnen Zweigen, das Moos, die Löcher, ist es, dass alles das mir hinfällig vorkommt, morbid im wahrsten Wortsinn? Will ich nicht so genau hinschauen? Ist mir seine Art Apfelbaum zu sein zu sehr fremd? Ja, das auch. Könnte ich mich vor dieser Fremdheit retten mit einem Haiku oder einem gelehrigen Zitat: «Der Apfelbaum ist ein Apfelbaum ist ein Apfelbaum»?
Heute, unter tiefliegenden grauen Wolken an einem kalten Maientag, gehe ich zurück in den Baumgarten, zurück auf die Wiese. Ich nehme mir noch einmal Zeit für «den alten Baum, den sterbenden Apfelbaum». Still stehe ich, nahe am Stamm, komme zur Ruhe. Ruhe wie der Baum – er ist so tief verwurzelt in der Erde.
«Ob ich lebe oder sterbe, ist nicht so wichtig. Ich bin Teil von allem. Ich bin ein winziger Mikrokosmos im glänzenden Netz des Lebens. Ich bin nicht wichtig und nicht unwichtig, ich werde, ich bin da, ich vergehe.»
Ja. Warum erlebe ich mich selbst nur so selten als selbstverständlich als Teil eines Ganzen?
Das Äussere betrachten, die Rinde, die leeren Höhlungen im Stamm. Die Bakterien und Kleinstlebewesen, die Protoctisten und Pilze, die auf der Haut des Baumes leben, kann ich nicht sehen. Die Meise musste sich lärmend in mein Blickfeld manövrieren, bis ich auch ihr Leben als Teil des Baums wahrnehmen konnte. Was kann ich sehen, wenn ich den Apfelbaum sehe?
Anfangs wollte ich nur die Apfelbaumblüte vor blauem Himmel sehen. Das war mein Wohlfühlbild, das bekanntes Schönheits- und Naturdenken bedient. Ich wollte nicht die rosa-lilagetönten Schuppen der Rindenhaut an den Höhlungen des Stammes sehen. Ich wollte gar nicht so gern in den hohlen Stamm schauen. Ich weiss aus meinem Baum-Buch, es sind dort viele Arten von Pilzen dabei sich vom sterbenden Baum zu ernähren, den Baum dabei von innen immer weiter aushöhlend. Wieso will ich diese Pilze und Zwischenwesen, diese Bakterien und Viren nicht als Leben wahrnehmen?
Warum dachte ich: «Der Apfelbaum blüht und stirbt!», während er mürbe, schwarz und hell vor mir steht, wortlos?
Diese Serie von BLOG Beiträgen zur Entstehung von «Freundschaft Genossin» soll auch dazu beitragen, dass LeserInnen über die Entstehung eines Romans oder einer Geschichtensammlung besser informiert sind.
Karin Koppensteiner 15.04.2021 Allgemein Keine Kommentare
Gestern habe ich zum Arbeiten mein Atelier verlassen und bin für einen Tag an den Grünen See gefahren. In Zeiten der Covid-19 Pandemie bin ich immer seltener unterwegs, doch gestern zog es mich trotz Kälte hinaus. Seit mehr als zwanzig Jahren ist dder Walensee für mich Inspiration. Das Ufer unterhalb der Felsen, die auf dem Foto zu sehen sind, war für viele Jahre Ort für Meditation und Rückzug, auch fürs Schreiben. Ich wollte den Ort wieder aufsuchen, um zu spüren, zu ertasten und zu überlegen, ob ich zur Fertigstellung des dritten Romans der Trilogie vielleicht wieder einige Zeit in Quinten verbringen sollte.
Auch heute wieder kam der Moment von „einfach SCHÖN“!“ Auf der Überfahrt von Murg nach Quinten. Vom Fährschiff gestiegen bin ich in Au. Dort ist noch immer der einzig verwüstet wirkende Ort an diesem Ufer. Dort, wo früher das alte Landgasthaus stand, das abbrannte, weiden Geissen auf dürrem Grund.m Auch sind dort ehemalige und neue Anlegestellen für Boote, die Schiffstation. Ein Miniaturlaster für Wegarbeiten fuhr vom Schotter am Ufer hinauf für Arbeiten auf dem Wanderweg. An diesem Platz war ursprünglich das „Seehotel“ angesiedelt. Ich schaue, fotografiere, bemerke, dass das Ufer an dieser Stelle kleinräumig ist, sich erst weiter nördlich wieder öffnet, sich einen Hang hinaufzieht, Richtung Felsen, neue Bäume und Sträucher sind gewachsen.
Schon beim Gehen am anderen Ufer wurde ich wieder von der überwältigenden Anwesenheit von Fels und Wasser, dem Schutz, den ich dort empfinde. Auch die Freude an einem autofreien Ort zu sein, das Geräusch des Wassers und erste Grillen auf einem steilen und sonst noch fast grünlosen Weinberg.
Ich spürte die Nahrung der Felsengöttin, die ich schon länger vermisste.
Auf einem warmen Stein sitzend, im Windschatten eines größeren Felsen sitzend Mittagessen: Humus & ein Weggli. Phu Erh Tee aus der Thermoskanne.
Auf den See hinaus schauen, direkt auf Fels am Ufer sitzend. Das Geräusch des Wasser auf den Steinen – vertraut, doch auch ein Sehnsuchtstauchen in der Vergangenheit. Erinnerung an Zeiten, als ich früher hier schrieb. „Der Pilgerweg heim“ wurde in einer Hütte hier am See begonnen und zehrte von vielen Wochen des Aufenthalts am Felsufer – bereits in den Jahren davor. Mittlerweile bin ich mit meiner Arbeit aber auch als Person sesshaft geworden, zu Hause angekommen. Auch was meine Arbeit betrifft bin ich am Liebsten in meinem Atelier, ich muss nirgendwo hin, um den dritten Teil der Trilogie zu beenden. Trotzdem, das spüre ich an diesem Nachmittag mehrmals, sind einige Plätze Kraftorte für mich. So richtig bemerkte ich das erst in den Träumen der auf meinen Ausflug folgenden Nacht, als ich wieder zu Hause in Schongau war.
Während ich bei der Überfahrt mit dem Fährschiff die Hänge bis hinaus zu den Felsen betrachtete, die noch Schnee bedeckten Einschnitte, auf denen auch einige Bäume wachsen, vielleicht hinter Felsen kleine, fast unerreichbare Täler versteckt liegen, erinnerte ich mich, wie viel Inspiration und Kraft hier gefunden hatte. Ich habe diese Erfahrung angenommen und eine ideale, eine wunderbare Landschaft, vor allem im „Pilgerweg heim“ daraus gemacht. Eine wiedererzählte Landschaft voller Zeichen und Medizin. Diesen hier – den realen, sich über über wenige Kilometer hinstreckenden Hügeln unterhalb der Felsberge – fehlt der Zauber, die Magie, den sie in meinen Büchern haben. Und das ist auch gut so.
«Freundschaft Genossin» ist ein neuer Roman an dem ich schreibe. In diesem BLOG will ich mehrmals pro Monat über meine Arbeit am Text berichten.
Karin Koppensteiner 25.02.2021 Allgemein Keine Kommentare
BLOG ZUM BUCH: «Freundschaft Genossin» ist ein neuer Roman an dem ich schreibe. In diesem BLOG will ich mehrmals pro Monat über meine Arbeit am Text berichten.
Umherschweifen – das ist ein wirklich altmodisches Wort. Doch trifft es genau das, was ich während der Arbeit an einem großen Projekt immer wieder benötige. Manchmal gehe ich dann in einer Arbeitspause auf unserem Grundstück umher, ohne Ziel, ohne Aufgabe. So nehme ich den Druck von meinem Geist, nachdem ich während mehrerer Stunden sehr zielgerichtet gearbeitet habe.
Dieses ziellose Wandern, das ich auch gerne und lange in einer bekannten Landschaft mache, verhilft mir immer wieder zu überraschenden Ausblicken. Beispiel: Wir wohnen seit 20 Jahren in einem spätbarocken Bauernhaus im Kanton Luzern/Schweiz. Auf einer Seite geht unser Grundstück weit bergab. Früher war diese Wiese eine intensiv benutzte eine Kuhweide. Viele Hochstamm-Obstbäume sind noch geblieben, manche waren schon so alt, dass sie in den letzten Jahren gestorben sind. Die Mostbirnen-Bäume sind ebenfalls älter als 80 Jahre. Vor kurzem bin ich – als noch Schnee lag – den kleinen Bach entlang gestapft, der auf einer Seite das Grundstück abgrenzt, Blick nach unten gerichtet. Dann stand ich plötzlich vor einem dicken Baumstamm, schaute auf. Ich erkannte ihn kaum. Hatte ich ihn bisher so wenig beachtet? Dieser alte Birnbaum steht am nördlichsten Punkt unseres Grundstücks. Er ist vom Haus aus nicht sichtbar, eine Scheune verdeckt ihn. Aber trotzdem: „Wie kann es sein, dass mir dieser Baum so wenig bekannt ist?!“ Ich habe ihn an diesem Wintertag lange angesehen, von allen Seiten, die Höhlen in seinem Stamm , die Zeichen alter Bruchstellen. Auch fotografiert habe ich ihn.
Seither gehe ich regelmäßig zu dem Baum, um ihn besser kennenzulernen. Es ist Teil meiner Arbeit geworden, den Baum zu besuchen, zu beachten, die Vielschichtigkeit seines Holzwesens zu erforschen, wie und ob er sich verändert, jetzt, wo langsam der Frühling kommt. Als es nach langem Schneefall taute, sprudelten rund um den alten Baum kleine Quellen aus der Wiese. Einige Tage später waren sie wieder verschwunden.
Ob dieser mehr als einhundertjährige Birnbaum jemals in dem neuen Roman «Freundschaft Genossin» auftauchen wird, ist ungewiss. Ein Teil der Vorbereitung zu einem Schreib-Projekt besteht für mich darin, „den Boden vorzubereiten“. Ich könnte es auch so beschreiben: Ich webe einen – später vielfach unsichtbaren – Teppich aus Bildern und Geschichtsfetzen. Dieser liegt später unter der neuen, der für alle sichtbaren und lesbaren Erzählung.
Auch mein kürzlich erschienener Roman BONSAI hat Teile, die ausdrücklich nur als Vorbereitung geschrieben wurden. Zum Bespiel liegen in einem für die Geschichte erfundenen Arven-Kästchen Aufzeichnungen aus der Kindheit des Antonin Maienfeld versteckt. Ich habe sie erfunden, niedergeschrieben und nicht für den Roman verwendet. Sie blieben ein Geheimnis, bis zu seinem Roman-Tod – versteckt in einem imaginären Kästchen.
Zurück zur Arbeit an «Freundschaft Genossin»: eine weitere Vorbereitung zum Schreiben ist, wie schon im letzten BLOG erwähnt, ein buddhistischer Grundlagentext, der im 8. Jahrhundert in Indien geschrieben wurde. Das «Freundschaft» im Arbeitstitel des Romans bezieht sich zwar einerseits auf konkrete Erfahrungen mit der sozialistischen Partei im Wien meiner Kindheit, ist aber auch ein Begriff, den ich genau untersuchen will. Taugt er noch für kommende Real-Utopien?
Das Ideal des Bodhisattva im Mahayana-Buddhismus betrachte ich in der Essenz als einen sehr frühen Versuch, sich vollständig und ohne Hintertüren mit der gesamten Welt, so wie sie uns im Moment erscheint, zu befreunden. Der Titel hat also durchaus auch eine buddhistische Färbung.
Anmerkung: Ich habe vor zwanzig Jahren eine Auftragsarbeit als Übersetzerin angenommen, die mich sehr viel Zeit gekostet hat. Es ging darum einen sehr komplexen, mehr als fünfhundertseitigen Kommentar, zum neunten Kapitel des Textes „Bodhicharyavatara“ von Shantideva zu übersetzen. Damals habe ich mich mit den verschiedensten Übersetzungen des dem Kommentar zugrunde liegenden Originaltextes in Versen in westliche Sprachen beschäftigt. Das hat mir wiederum auch bei meinem persönlichen Studium und der Praxis des Dzogchen geholfen.
Im letzten Jahr habe ich eine mich inspirierende Übersetzung der Originalverse ins Englische, von der Padmakara Übersetzergruppe gefunden, dazu den zeitgenössischen Kommentar einer buddhistischen Lehrerin.
Aus diesem Buch nehme ich nun als – unsichtbare – Ergänzung meiner Recherchen und Schreibarbeit jeweils eine Strophe, die mich besonders berührt Ich schreibe sie heraus, übersetze sie für mich ins Deutsche und bleibe ein bis zwei Tage mit diesem Vers.
Für den Anfang hatte ich mir einen Vers vom Ende des Buches ausgesucht, aus der Widmung. Diesen will ich hier teilen, eigentlich ohne weiteren Kommentar, aber mit dem Hinweis, dass dieser Text, wie oben erwähnt, 1200 Jahre alt ist:
10.26
May children and the old, the weak, protectorless,
Bewildered in the wild and pathless wastes,
And those whose minds are dulled, and all who are insane,
Have pure celestial beings as their guardians.
Mögen die Kinder und die Alten, die Schwachen, die Schutzlosen,
Diejenigen, die verwirrt in unwegsamer Wildnis sind,
Auch jene, deren Geist dumpf ist oder ihm Wahn,
Mögen sie alle reine himmlische Wesen als Schützer haben.
Karin Koppensteiner 08.02.2021 Allgemein Keine Kommentare
Meine neue eröffnete Facebook Seite «Freundschaft Genossin» betrachte ich als ein künstlerisches Experiment und als Teil meiner Schreib-Arbeit am gleichnamigen Roman.
Diese Seite entwickelt sich gerade zu einem für alle – auch für mich – sichtbaren Ausdruck des Dilemmas der Künstlerin. Ich habe mir für das Experiment mit der neuen Facebook-Seite drei Monate Zeit eingeräumt. Eröffnet habe ich die Seite am erstem Februar 2021. Aber schon jetzt weiss ich, sehr vielschichtig kann dieses Experiment leider nicht werden. Ich kann sie nicht einfach zur Kommunikation mit Interessierten verwenden.
Die Firma Facebook schlägt mir seit dem zweiten Tag der Existenz dieser neuen Seite vor, sehr wohlmeinend, ich solle doch meine Reichweite im Publikum erweitern, indem ich bezahlte Werbung schalte. Ich solle doch die von mir verkauften Artikel einem interessierten Kundenkreis bekannt machen, oder die Zielgruppe meiner Botschaften besser erreichen.
Nun habe ich – während ich ein Buch schreibe – weder etwas zu verkaufen, noch habe ich eine konkrete Botschaft für eine Zielgruppe. Selbst wenn ich bezahlte Werbung machen wollte – ich wüsste nicht, wen umwerben. Die zukünftigen LeserInnen eines Buches, dessen Erscheinungsdatum ungewiss ist?
Diese Facebook Seite zeigt mir auch, dass ich nicht in die Kategorie Verkäufer oder Käuferin – auch von Botschaften – eintreten kann und will. Ich passe damit nicht in unsere Konsumgesellschaft, die Gesellschaft der Käufer und Verkäufer – auch von Kultur. Ich könnte mich nun als Verweigerin der Konsum-Gesellschaft vermarkten. Geht aber, bei ehrlicher Betrachtung meiner Situation in dieser Facebook-Seite auch nicht. Ich finde in meiner momentanen Arbeit des Schreibens wirklich nichts zu verkaufen oder bewerben. Kunst-Arbeit ist ein Prozess von Entspannung, Können, Disziplin, Mut und Gnade, ein sehr privater Prozess.
Erste Erfahrung mit meiner neu erstellten, kommerziellen Facebook-Seite eröffnen mir, fast von selbst, auch einen Einblick in die Welt der Fake-News, die unseren Planeten im Moment oftmals im Griff zu haben scheinen – auch in der Ovid-19 Pandemie. Jedermann und jede Frau kann so eine Seite in kurzer Zeit erstellen und erfundene, als Wahrheit und Neuigkeiten deklarierte Inhalte darauf verbreiten. Je mehr von diesen kostengünstigen Werbeeinheiten man schaltet, desto weiter die Reichweite. Je genauer man dabei für Facebook die Zielgruppe der Werbung definiert, umso mehr Menschen erreicht man. Wenn nun eine ganze Gruppe von Menschen, jeder einzeln eine Facebook Seiten erstell und alle Seiten mit ähnlichen erfundenen Inhalten mehrmals täglich gefüttert und massiv und kostengünstig beworben werden, dann könnte diese Gruppe ihre Inhalte weit verbreiten, uns alle beeinflussen. Unser menschliches Gehirn hat Teile, die sehr einfach wahrnehmen: je öfter ich etwas höre, wahrnehme, lese, mit anderen diskutiere, umso wahrer wird es für diesen Teil der Wahrnehmung im Gehirn. In dieser Grenz-Zone der gemeinsamen Realität arbeiten auch wir Künstler. Es war noch nie ein bequemer Aufenthaltsort für den Geist.
Was ich als Künstlerin wahrnehme zeichne ich auf – es entstehen Geschichten und Bilder. Der Arbeits-Prozess ist Transformation oder Umwandlung, wie in der Alchemie. Ob mein Medium dabei Schrift, Bild oder Skulptur ist, ist sekundär und hängt einerseits von den Fertigkeiten ab, andererseits vom Projekt. Bei diesen künstlerischen Arbeits-Prozessen bleibt vielleicht manchmal am Ende eines Tages nichts übrig, Luft oder einige wieder verworfene Seiten beschriebenen Papiers. Manchmal geschieht aber auch ein Wunder: die Seiten bestehen unverändert, die Skulptur spricht.
Dies geschrieben und auf meinem Buch-Blog veröffentlicht, setze ich heute mit Freude die Arbeit an den ersten Seiten und Kapitel von «Freundschaft Genossin» fort. Ein so frisch geborener Text muss im Verborgenen wachsen. Erst viel später werde ich kurze Auszüge aus diesem neuen Buch veröffentlichen.
Das nächste Mal möchte ich in diesem BUCH-BLOG erzählen, warum ich gerade diesen Arbeitstitel für ein Buch gewählt habe, das sich viel mit Ökologie und dem Altwerden beschäftigt. Es hat etwas mit der innersten, einer aufrechten Geisteshaltung zu tun. «Freundschaft, Planet Erde!»
Karin Koppensteiner 25.01.2021 Allgemein Keine Kommentare
TRAILER
Nach dem Erscheinen von BONSAI gab es für mich keinen direkten Austausch mit Publikum, keine Lesungen. Ab und zu nehmen wir eine kurze Lesung mit Video auf. Ein Buch loszulassen ist auch Teil des Schaffensprozesses. BONSAI ist nun seit zwei Monaten auf seiner Reise zu den Menschen, unter erschwerten Covid-19 Bedingungen. Ich spüre nach einigen Monaten Schaffenspause wieder genug Kraft, um mein nächstes Schreib-Projekt anzugehen.
Das Arbeits-Jahr 2021 beginnt für mich in meinem Bienenhaus-Atelier mit einem Experiment. «Freundschaft Genossin» ist der Arbeitstitel des neuen Buch-Projektes. Intensiv an einer Blog-Serie darüber zu arbeiten ist Teil der Vorgabe an mich.
Während ich mir überlegte, wie ich diesen BUCH BLOG gestalten sollte, fand eine Zoom-Begegnung zwischen SH. Dalai Lama, einigen Wissenschaftlern und Greta Thunbergstatt. Weil es genau um diese Thematik in «Freundschaft Genossin» gehen soll, hat mich dieser Zufall sehr gefreut. Es geht um Begegnung von verschiedenen Welten, die Interaktion von zwei unterschiedlichen Generationen mit ganz verschiedenartigen Erfahrungen und Hintergrund, die einander im Austausch bereichern könnten.
BLOG ALS KUNST?
Wird es Menschen interessieren, die Entstehungsgeschichte dieses Buch-Projektes in einem BLOG mit zu verfolgen? Wird es mir gelingen, den Prozess des Schreibens interessant zu dokumentieren? Kann dieser BLOG die Mauer um den Elfenbeinturm der Schreibenden durchsichtig machen – vielleicht in ein Netz aus Verbindungen verwandeln? Werden verschiedene Zeiten und Räume zueinander finden?
Anfang Februar werde ich damit beginnen, den Schreibprozess selbst darzustellen und zu dokumentieren. Ob es einfach ein gutes Arbeits-Tagebuch wird? Oder könnte mehr entstehen, etwas ganz Eigenes, vielleicht ein Internet/Blog-Buch?
Der nächste Eintrag auf diesem BUCH BLOG am 1. Februar 2021 wird bereits das erste Mal die Entstehungsgeschichte von «Freundschaft Genossin»dokumentieren. Drei- bis viermal im Monat wird der BUCH BLOG danach Neues aus der Schreib-Werkstatt erzählen. Es ist ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Ich freue mich sehr darauf.
Karin Koppensteiner 14.01.2021 Allgemein Keine Kommentare
Die BLOGBEITRÄGE über die «Kunst zu leben -Kurse» sind beendet. Ab Februar beginne ich mit einem BLOG-EXPERIMENT: Ich werde die Entstehung des nächsten Buches mehrmals monatlich in BLOG-BEITRÄGEN dokumentieren. Bevor ich mit diesem BLOG in eine neue Phase übertrete, möchte ich mir aber noch einiges von der Leber schreiben:
«Menschen-Liebe» als Motivation das Schwierige auszuhalten.
Elf Monate haben wir nun Pandemie-Alarm». Diese Pandemie immer noch von den wirtschaftlichen, sozialen und ethischen Bedingungen, in denen sie entstanden ist, abgetrennt zu betrachten führt in Orientierungslosigkeit. Vorübergehende Orientierungslosigkeit und Unsicherheit auszuhalten, gehört zum Repertoire einer stabilen Psyche. Doch nun dauern die schwierigen Zeiten an, sind nicht mehr «eine Krise», sondern immer mehr «etwas Unbekanntes». Ich schaue mich um und nehme Angst, Unsicherheit, Schuldzuweisungen ohne Ende wahr, von Liebe ist nicht die Rede.
Wohin Aktionismus aufgrund von Orientierungslosigkeit und Existenzangst führt, wissen wir, wenn wir betrachten, was im 20. Jahrhundert zum zweiten Weltkrieg geführt hat.
Populistische Politiker nutzen jetzt, ebenso wie damals, die seit Jahren wachsende Orientierungslosigkeit und Ängstlichkeit ungebildeter oder wenig gebildeter, mutloser Menschen auf der ganzen Welt aus. Sündenböcke sind immer schnell gefunden, Verschwörungs-Theorien machen sich breit. Alternative Weltenmärchen werden gesponnen und ermutigen ihre Anhänger. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kamen in solch märchenhaften Fahrwassern die faschistischen Diktatoren Europas, einer nach dem anderen, an die Macht. Hinter ihnen, gut getarnt, machte die kapitalistische Wirtschaftselite gute Geschäfte. Im Krieg zuerst, und nach der Zerstörung des Krieges im Wiederaufbau großer Teile Europas, entstand die Idee eines Wunders: des „Wirtschaftswunders“, Basis der Mythen, alles Wirtschafts-Mythen, unserer neuen Zeit.
Die bereits im Berichten von Think-Tanks ab den 1970er Jahren vorausgesagte Entwicklung auf unserer Erdoberfläche ist eingetreten. Das Klima-Chaos, der vorausberechnete Anstieg der Meeresspiegel, die hemmungslose Überbevölkerung, die unbedachte Übernutzung der auf diesem Planeten natürlich vorhandenen Ressourcen.
Wir sind mitten in einer Pandemie namens Covid-19. Auch die Politiker, nicht nur die Wissenschaft und das Gesundheitswesen, sind überfordert. Jeder einzelne Mensch ist im Moment überfordert, das Kollektiv ist überfordert. Welche Geschichten vom Leben sollen wir einander erzählen? Was ist mit der Liebe, der Fürsorge, der Hingabe? Die erwünschte Sicherheit ist nicht mehr vorhanden.
Hier finde ich, sollte die Leserin dieses BLOGS innehalten und kurz überlegen: „Glaube ich, dass alles, was uns bedroht, individuell und als Gruppe, „kontrollierbar“ sein muss oder es je war?
Wichtige Begriffe in den Medienberichten sind seit Monaten „die Sterblichkeit“, sogar „Über-Sterblichkeit“, die bei den meisten Menschen Angst auslösen. Angst können wir in einer solchen Situation überhaupt nicht gebrauchen! „Die Sterblichkeit“ kommt mit dieser Virus-Krankheit in das Leben der Konsumgesellschaft, so als wären wir durch diesen Virus plötzlich und zum ersten Mal damit konfrontiert, dass jeder von uns sterblich ist, anfällig für Krankheit und Tod. Auch hier möchte ich die Leser dieses BLOG kurz dazu anregen, darüber nachzudenken, ob sie irgendjemanden kennen, der vor 150 Jahren geboren wurde und noch immer lebt?! Reich, arm, Könige, Nonnen, Filmstar oder Politiker, Bergbauern, Seefahrer, Juwelenhändler, Mörder, Einsiedler, gute Menschen, schlechte Menschen, alle sind bei ihrer Geburt mit einem gesegnet: der 1000% Gewissheit, dass sie sterben werden. Dieses unkontrollierbare Grundrecht, Teil unserer Geburt, untilgbarer Teil unseres Mensch-Seins ist es, den Zeitpunkt des eigenen Todes nicht zu kennen. Das aus dem Leben einer Gesellschaft kollektiv auszublenden ist bizarr. Doch es ist notwendig, denn Menschen die sich ihrer Sterblichkeit immer bewusst sind, werden ihr kostbares und begrenztes LEBEN wahrscheinlich nicht einfach vergeuden. Und wahrscheinlich auch nicht die kostbare Erde, auf der sie leben.
Verbirgt sich auch etwas noch Unbedachtes in dieser neuen Viruserkrankung? Trägt die Befürchtung von Politik und Gesellschaft „das Gesundheits-System“ könnte „an den Anschlag kommen“, trägt die Angst man müsste Menschen zu Hause oder in ihren Zimmern in Altersheimen sterben lassen, ein Geheimnis, eine noch unentdeckte Wahrheit über unsere momentane Situation in sich? Ich versuche, hier weiter zu forschen:
Wie viele Jahrhunderte unserer Menschheitsgeschichte sind die Regierungen europäischen Staaten bereits verantwortlich für die Gesundheit und Krankheit, für das Leben jedes Einzelnen? Ich will an dieser Stelle kurz an unsere gemeinsame Menschheitsgeschichte erinnern, die hunderttausende von Jahren, die bereits hinter uns liegen. Mit Kommunikation und im Austausch untereinander haben wir Menschen schon sehr lange auf der Erdoberfläche gelebt.
Zu Beginn der Industrialisierung, vor etwa 300 Jahren, waren es die Unternehmer, die für ihre Belegschaft kleine Häuser zur Verfügung stellten, damit diese vom Land in die Kleinstadt oder Stadt zur Lohnarbeit zogen. Mildtätige kirchliche Einrichtungen gab es für Notleidende und Kranke – sonst waren für die Not die Großfamilien zuständig.
Im Laufe der Entwicklung von Big Business haben sich die Unternehmen zu einem großen Teil der Verantwortung für ihre Mitarbeiter und die Mitwelt, in der sie Reichtum erwirtschaften, entledigt. Die Ausbeutung durch Kolonialismus will ich hier nur kurz erwähnen. Seit etwa 150 Jahren ist nun vor allem der Staat für Menschen und Mitwelt zuständig und verantwortlich. Nur so konnten die großen Betriebe ungestört von ethischen Überlegungen auf Gewinnmaximierung wirtschaften. Sie hatten ihre Verantwortung an die Politiker weitergereicht. Besonders krass wurde diese Entwicklung speziell Ende des 20. und im 21. Jahrhundert, wo der Aktienwert einer Firma für alle sichtbar und vollständig von der Verantwortung für Ethik, die Mitwelt und ihre Bewohner abgekoppelt wurde. Nun führt er, scheinbar getrennt von der Realwirtschaft, ein Eigenleben, das übrigens, wie das Virus auch, außerhalb unserer Kontrolle liegt, aber darüber wird nicht gesprochen.
Es scheint mir, dass wir alle gemeinsam, Wissenschaftler, Bauern, Politiker, Ärzte, Hedge-Fund Manager, Fahrrad-Boten, Firmendirektorinnen, Lehrerinnen, Kinder, Mitwelt, Tierwelt, gerade an die Grenzen unserer bekannten Möglichkeiten kommen und uns die Situation, in die unsere Gesellschaft und jeder Einzelne sich befindet, vorübergehend entgleitet. Es ist meine Entscheidung, ob ich mich in dieser Extrem-Situation entspanne und den Ort der Liebe in mir aufsuche, oder ob ich ins Schattenreich wahnwitziger Ideen absinke.
Wir haben keine Schöpfungsmythen für die moderne Welt in der wir heute leben. Da wir Menschen aber auch Schöpfungsmythen brauchen wird ein solcher Mythos immer, wenn im letzten Jahrzehnt alles zusammenzubrechen droht, wieder erzählt, und zwar von multinationalen Konzernen, Banken, Politikern, Medien: dass wiralle nur und ausschließlich von diesem momentanen westlichen Wirtschaftssystem profitieren können. Ist es in Gefahr, sind wir alle in Gefahr. Daher müssen wir es bis zur Selbstverleugnung unterstützen – echte Helden eben. Mitgefühl und Liebe sind für Weicheier, die nichts von der Welt verstehen. Wer diese Geschichte nicht miterzählt ist entweder Verräter oder naiver Hohlkopf. Wenn alle erkennen würden, dass dieser Mythos nicht für das Wohlbefinden von uns Menschen gemacht ist, dass wir uns seit geraumer Zeit in einer globalen Wirtschaftskrise befinden, hätte sich dieses Narrativ unseres Wohlstandes ohne Preis selbst ad absurdum geführt. Großbanken und Fluglinien erhalten in Europa immer wieder Milliarden an „Rettungsgeldern“, die sie nur sehr teilweise in den großen Steuer-Topf eingezahlt hatten, mit der Begründung „unser System würde sonst zerfallen und zu viele Arbeitsplätze verloren gehen“. Doch Widerspruch regt sich, regt sich schon lange.
Diejenigen, die von diesem Narrativ unserer Welt profitieren, könnten bald dastehen wie der nackte Kaiser im Märchen „Des Kaisers neue Kleider“.
Was wäre wenn wir unsere gegenwärtige Geschichte neu erzählten? Ich fange im Kleinen an, mit einigen wenigen Menschen. So wie ich es im «Pilgerweg heim» und in «Bonsai»versucht habe. Was ist, wenn wir alle unsere Geschichte neu erzählen? Der Sozial-Philosoph Charles Eisenstein hat in seinen Büchern vorgeschlagen, uns selbst eine neue Geschichte der Menschheit zu erzählen: Abstand zu nehmen von der alten Geschichte des Mangels, in der jeder versuchen muss, so viel wie möglich für sich zu ergattern.
Meine Aufgabe als Künstlerin sehe ich seit Jahrzehnten, und auch in meinem neuen Projekt «Freundschaft Genossin» darin, einfache Erzählungen einer utopischen Gesellschaft zu finden, des bewussten Miteinanders in einer liebevollen Welt, in der eigentlich für alle genug vorhanden ist – außer für die Unersättlichen.